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Titel: Ein weiterer gescheiterter Putschversuch Juan Guaidós

Datum: 2. Mai 2019 um 11:00 Uhr
Rubrik: Erosion der Demokratie, Länderberichte
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Vier Monate nach dem ersten und neun Wochen nach dem zweiten gescheiterten „Humanitäre-Hilfe-Putschversuch“ von Cúcuta (Venezuela – Nach dem Fiasko der „Schlacht von Cúcuta” drohen die USA Präsident Nicolás Maduro mit Lynchmord) riefen im Morgengrauen des vergangenen Dienstags rund 150 abtrünnige Militärs niederer Ränge mit Oppositionsführer Juan Guaidó zum bewaffneten Staatsstreich auf. Auch dieser dritte Versuch, die Regierung Nicolás Maduro durch Waffengewalt zu stürzen, scheiterte noch einmal an einer entscheidenden, doch wiederholten Fehleinschätzung: der erhoffte, breite Aufstand der bolivarischen Streitkräfte (FANB​​) fand nicht statt. Trotz hier und dort abbröckelnder Splittergruppen stehen die mehr als 350.000 Mann zählenden Waffengattungen des Heeres, der Marine und der Luftwaffe nach wie vor loyal zum zwar umstrittenen, doch 2018 in freien Wahlen wiedergewählten Staatspräsidenten. Von Frederico Füllgraf.

Von den Regierungen Mexikos, Kubas, Boliviens und selbst Spaniens mit scharfen Worten verurteilt, wurde der Putschversuch vom US-Vizepräsidenten Mike Pence und Außenminister Mike Pompeo begrüßt. Der Unterstützung schlossen sich die konservativen Regierungen Kolumbiens und Argentiniens, das brasilianische Bolsonaro-Regime, Luis Almagro – Sekretär der Organisation der amerikanischen Staaten (OEA) – sowie Antonio Tajani, Präsident des Europäischen Parlaments, an. Spaniens Regierung, die im Januar voreilig Juan Guaidó als legitimen „Interimspräsidenten” anerkannt hatte, vollzog mittlerweile eine Wende und erklärte: „Es sollte klar sein, dass Spanien keinen Militärputsch unterstützt”.

Lang währte der Putschversuch ohnehin nicht. Am Morgen des 30. April brach Oppositionspolitiker Leopoldo López samt seiner Familie aus seinem Hausarrest aus und flüchtete zunächst in die Botschaft Chiles, die jedoch überfüllt war, und dann in die spanische Botschaft. 25 am Putsch beteiligte Militärs ersuchten zeitgleich in der brasilianischen Botschaft in Caracas um Asyl. Nachdem der Schusswechsel zwischen den Putschisten und Regierungstruppen eingestellt wurde, erklärte die Regierung Maduro den Putschversuch für gescheitert (Maduro da por derrotada la ‘escaramuza golpista’ y advierte de … – EITB).

Das wiederholte Fiasko Guaidós macht der US-Regierung seit dem gescheiterten „Humanitäre-Hilfe-Manöver“ von Ende Februar 2019 schwer zu schaffen; eine Gemütslage, die man in Washington offenbar mit rhetorischem „Ausgleich“ und wishful thinking in der Balance zu halten versucht. So US-Außenminister Mike Pompeo. Bekannt für die schamlose Verbreitung von Falschnachrichten, behauptete er gegenüber CNN diesmal (Mike Pompeo a CNN: Maduro y aliados de alto rango se preparaban para salir de Venezuela, Rusia los detuvo), auf einem Flughafen von Caracas hätte bereits eine startbereite Maschine gestanden, die Maduro und Verbündete höherer Ränge ins Exil fliegen sollte, doch Russland habe die Flucht verhindert.

Zum Auftakt einer neuen konzertierten, medialen Kriegserklärung trommelte auf dem gleichen Sender der exilkubanische, ehemalige CIA-Mitarbeiter Carlos Montaner (Carlos Alberto Montaner sobre Venezuela: “No va a quedar más remedio que el uso de la fuerza”) für die Verabreichung der „unvermeidbaren Medizin”: der gewaltsame Sturz der venezolanischen Regierung.

Was geschah auf La Carlota?

Gegen vier Uhr morgens sammelte sich eine Gruppe von etwa hundert Heeres-Soldaten im Dienst der bolivarischen Nationalgarde vor dem Luftwaffen-Stützpunkt La Carlota. Die Aktion war mit Juan Guaidó abgekartet, der vor Ort zusammen mit dem wegen politisch motivierter Gewaltausübung verurteilten, doch aus seinem Hausarrest ausgebrochenen Parteigründer der rechtsradikalen Voluntad Popular (Volkswille) Leopoldo López eintraf.

Das Ziel der Gruppe war es, den Stützpunkt unter ihre Kontrolle zu bringen und von dort aus die landesweit stationierten Truppen der FANB zum flächendeckenden Militärputsch aufzurufen und mit der Erstürmung des Präsidentenpalastes Miraflores Guaidós “Unternehmen Freiheit” die ersehnte Krone aufzusetzen. Doch wieder hatte sich Guaidó von einer falschen Lagebeurteilung irreleiten lassen: Keine einzige der zu Dutzenden über Venezuela verstreuten Kasernen folgte dem Aufruf.

“Wo bleiben die Panzer?”, provozierte die einflussreiche brasilianische Journalistin Helena Chagas in einer Kolumne auf der vielgelesenen Internet-Plattform Os Divergentes (Venezuela: onde estão os tanques?). „Auf welcher Seite stehen die Panzer?“, hinterfragte Chagas Guaidós angebliche Unterstützung durch das venezolanische Militär: „Ein Staatsstreich in lateinamerikanischen Ländern ohne Panzer auf der Straße – so was gibt’s doch gar nicht. Fakt ist aber, dass in Caracas keine Panzer zu sehen waren“.

Nachdem den Putschisten die Einnahme des Carlota-Flughafens nicht gelang, versuchten sie mit gestohlenen Panzerwagen der Nationalgarde ihr Manöver in den Caracas-Außenbezirk Altamira auszudehnen, wo es allerdings nicht zu Feuergefechten, sondern nur zu vereinzelten Schusswechseln mit Regierungstruppen kam, die mindestens einen Toten und nahezu 100 Verletzte unter den Demonstranten forderten, die hier zwischen die Fronten geraten waren (Intercambio de disparos en el distribuidor Altamira de Caracas).

Diosdado Cabello, Vorsitzender der Verfassungsversammlung, sowie General Padrino López, Oberbefehlshaber der Streitkräfte, wiesen auf zahlreiche Enthüllungen von Soldaten und Offizieren hin, die für ihre Teilnahme am Putschversuch getäuscht worden waren. Sie seien von Beamten des Geheimdienstes Sebin unter einem Vorwand angeheuert worden, der sich allerdings an Ort und Stelle als Hochverrat erwiesen hat. „Achtzig Prozent der Truppen, die diesem Aufruf folgten, wurden hinters Licht geführt”, erklärte Padrino Lopez.

Ein Leutnant der Nationalgarde bestätigte das Täuschungsmanöver (VENEZUELA: Militar explica cómo fue engañado) und erklärte, „dies ist ein weiterer Sabotageakt, gegen den wir uns gesammelt vereinen müssen”. Der Chef des Geheimdienstes Sebin, General Manuel Figuera, wurde im Handumdrehen gefeuert (Nicolás Maduro destituyó a Manuel Ricardo Cristopher Figuera).

Involviertes Bolsonaro-Regime

Kolumnisten der Mediengruppe O Globo wollen erfahren haben (Planalto vê ação precipitada da oposição na Venezuela), dass die Generäle in der Bolsonaro-Regierung Guaidós Vorgehen als überstürzt bedauerten. „Es war eine sehr schlecht organisierte Bewegung, die wie ein Aufeinandertreffen von Hooligans aussah”, soll General Augusto Heleno, der als Hardliner bekannte Minister für institutionelle Sicherheit, gesagt haben. Der vorherrschende Eindruck ist, das Fiasko habe die Position von „Diktator Nicolás Maduro“ gestärkt. „Es war voreilig, aber jetzt gibt es kein Zurück mehr”, erklärte Bolsonaros Vize, General Hamilton Mourão. General Heleno beflügeln böse Geister. „Es ist ein Kuba an unserer Grenze! Die organisierte Kriminalität sickert hier ein, sie haben sich dem Drogenhandel angeschlossen, der in den Händen des Militärs ist“, betet der pensionierte Offizier die vom Weißen Haus in Washington in die Welt gesetzten Gerüchte nach.

Mit Bolsonaro und dessen Söhnen gehört Heleno zu den wenigen, offenen Befürwortern einer Militärintervention; mit der Beteiligung Brasiliens, selbstverständlich. Nachdem Bolsonaro lautstark auf Twitter getönt hatte, er allein entscheide über einen Militärschlag gegen Venezuela, wurde er prompt von Rodrigo Maia, Vorsitzender der Abgeordnetenkammer, eines Besseren belehrt.

„In Bezug auf den Tweet von Präsident Jair Bolsonaro über die Situation in Venezuela ist es wichtig zu wissen, dass Artikel 49, II c / c, Artikel 84, XIX, c / c Artikel 137, II der Bundesverfassung beachtet werden müssen“, twitterte Maia zurück. „Und diese Artikel legen fest, dass es die ausschließliche Zuständigkeit des Parlaments ist, eine Kriegserklärung des Präsidenten der Republik zu genehmigen”, fügte er mit einem zweiten Tweet hinzu und wies Bolsonaro in die Schranken.

Die Journalistin Helena Chagas erfuhr Einzelheiten über die Involvierung des Bolsonaro-Regimes in den Putschversuch. So sei die brasilianische Regierung vom Ansturm Juan Guaidós und seiner Verbündeten gegen Nicolás Maduro überrascht worden (Governo brasileiro esperava golpe na Venezuela para amanhã). Jair Bolsonaro und seine Militärminister hatten eigentlich einen Putschversuch für den 1. Mai erwartet. Sie hatten erst am Morgen von dem Geschehen in Caracas erfahren, was erklärt, weshalb sie in den frühen Morgenstunden keine Erklärung abgegeben hatten. Die Regierung gab erst eine Stellungnahme zur Unterstützung Guaidós ab, nachdem dessen sogenannte Botschafterin in Brasilien, Maria Teresa Belandria, eine brasilianische Position angefordert hatte.

Doch wieso hatten Bolsonaro und Militärs den Putschversuch für den 1. Mai erwartet? In brasilianischen Medien wird mehrfach darüber gerätselt, was im Einzelnen der als Präsident amtierende und peinlichst US-freundliche Ex-Hauptmann Bolsonaro Ende März am Sitz des CIA mit dessen Direktorium erörterte. Dass es u.a. um Venezuela ging, plauderte der unvorsichtige Bolsonaro selbst aus (Bolsonaro diz que tratou de Venezuela com a CIA).

„In Venezuela hungern die Menschen und essen Mäuse, wenn sie überhaupt noch eine Maus finden. Es gibt keinen Hund und keine Katze mehr. Wegen dem Sozialismus haben sie alle aufgefressen“, hatte das Staatsoberhaupt mit üblich plumper Sprache und Vergleichen erklärt.

Aus dem geheimgehaltenen Übereinkommen bei dem CIA-Treffen – an dem auch der Lula-Richter und amtierende Justizminister Sergio Moro teilnahm – ließ sich allerdings entnehmen, dass die USA Brasilien dazu nötigen, die „Zusammenarbeit“ der jeweiligen Geheimdienste zu verstärken und Sondereinsatzkommandos zur angeblichen Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des Drogenhandels aufzustellen. Somit würde Brasilien endlich dem weltweit diskreditierten „War on Terror“ der USA beitreten, in dem die US-Drogenbekämpfungsbehörde DEA in der Regel die Funktion einer Nebelwand für subversive Kriegsführung der CIA einnimmt, die vor und hinter der Grenze zu Venezuela operieren könnte.

Erik Prince, Gründer der berüchtigten Blackwater-Sicherheitsfirma, der mit dem Irak-Krieg zum Milliardär wurde, bastelt an solchen Plänen. Mit der Aufstellung einer 5.000 Mann starken Privatarmee spanischsprechender Söldner will er die „Pattsituation zwischen Präsident Nicolás Maduro und seinem US-gestützten Rivalen Juan Guaidó“ beenden (Billionaire Blackwater Founder Wants His Mercenaries in Venezuela).

Titelbild: Rebeca. via Twitter (@RBKMW)


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