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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Treuhand: Große Koalition gegen die Aufarbeitung
Datum: 24. April 2019 um 9:38 Uhr
Rubrik: Innen- und Gesellschaftspolitik, Privatisierung, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Tobias Riegel
Ein aktuell geforderter Parlamentarischer Untersuchungsausschuss zum destruktiven Wirken der Treuhand-Anstalt nach 1989 wird von vielen Parteien abgelehnt. Die Ostdeutschen werden dadurch einmal mehr im Stich gelassen. Von Tobias Riegel.
Die aktuelle Forderung der Linkspartei nach einem Untersuchungsausschuss zur Treuhand-Anstalt ist überfällig – umso bedenklicher ist das taktische Zaudern bei SPD und Grünen. Mit dieser Haltung fallen sie nicht nur erneut den Ostdeutschen in den Rücken, sie schmälern zudem ihre Wahlchancen und ihre Glaubwürdigkeit. Die Position von CDU, FDP und weiter Teile der Medien wiederum ist erwartungsgemäß.
U-Ausschuss zur Treuhand: Zaudern bei Grünen, Ablehnung bei SPD, CDU, FDP
Um den LINKEN-Vorstoß 30 Jahre nach der „Wende“ umsetzen zu können, braucht die Partei die Unterstützung mindestens einer weiteren Fraktion. Die natürlichen Unterstützer wären eigentlich die SPD und die Grünen. Doch aus beiden Lagern kommen abwartende bzw. ablehnende Signale. So gesteht Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt zwar ein, dass wesentliche Fragen im Zusammenhang mit den Privatisierungen „nicht vollständig aufgearbeitet“ und die Probleme und Fehler bei den Verkäufen “ein Hindernis auf dem Weg hin zu gleichwertigen Lebensverhältnissen“ seien. Aber ob der von den Linken geforderte Parlamentarische Untersuchungsausschuss das richtige Instrument für Vergangenheitsbewältigung sei, würden erst „die Gespräche ergeben”, die nun geführt würden. Das hört sich nach taktischen Spielen an, man sollte nicht enttäuscht sein, wenn sie folgenlos bleiben.
Noch deutlicher setzt sich die SPD von dem Vorhaben ab: So hält der stellvertretende sächsische Ministerpräsident Martin Dulig (SPD) laut Medienbericht einen weiteren Treuhand-Untersuchungsausschuss im Bundestag für wenig zielführend. “Im Gegenteil: Ich sehe eher die Gefahr, dass man dort nur alte Feindbilder pflegen und sich Schuldzuweisungen um die Ohren hauen würde”, sagte der Ost-Beauftragte seiner Partei und sächsische SPD-Chef am Dienstag.
Aufarbeitung gleich „hochgefährliche Verschwörungstheorie“?
Diese von den NachDenkSeiten kürzlich bereits hier thematisierte Ablehnung der Aufarbeitung zeigt sich aktuell (erwartungsgemäß) auch bei CDU und FDP. Letztere bezeichnet einen U-Ausschuss und die von der SPD geforderte „Wahrheitskommission“ gar als „hochgefährlich“: „Jetzt Verschwörungstheorien zu prägen, dass die Treuhand eine vermeintlich wettbewerbsfähige DDR-Wirtschaft einfach plattgemacht hätte, ist hochgefährlich.“
Auch die CDU lehnt einen weiteren U-Ausschuss ab, mit Verweis darauf, dass der Bundestag bereits Untersuchungsausschüsse zum Treuhandkomplex eingerichtet habe, wie etwa der Ost-Beauftragte der Bundesregierung, Wirtschafts-Staatssekretär Christian Hirte (CDU), sagte.
Bisherige Aufarbeitung völlig ungenügend
Wie weit es jedoch her ist mit einer angeblich bereits angeschobenen oder gar vollzogenen Aufarbeitung des Treuhand-Traumas, das rückt das „Neue Deutschland“ aktuell ins rechte Licht: So habe die Bundesregierung mit dem „Institut für Zeitgeschichte München-Berlin“ scheinbar eine Untersuchung der Treuhandgeschichte begonnen. Die Arbeit begann Mitte 2017 und wird nach Auskunft der Bundesregierung 2021 enden. Zu diesem Zeitpunkt wird jedoch laut „Neues Deutschland“ nur ein Bruchteil der Akten aus den Beständen der Treuhand und ihrer Rechtsnachfolgerin, der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS), im Bundesarchiv überhaupt archiviert und zugänglich sein. Denn wie die Bundesregierung auf Nachfrage der LINKEN mitteilte, wird selbst drei Jahre später, im Jahr 2024 gerade einmal die Hälfte der Aktenbestände zur Verfügung stehen. Man kann hier mutmaßlich von einer ablenkenden Mogelpackung sprechen.
Wie dringend die nun einmal mehr verweigerte Aufarbeitung der Treuhand-Geschichte ist, belegt nochmals das „Neue Deutschland“:
»’Abwicklung«, ‚Ausverkauf‘, ‚Betrug‘. Das waren die Begriffe, die 500 Befragte laut einer Studie von Wissenschaftlern der Ruhr-Universität Bochum am häufigsten verwendeten, um ihre Erinnerungen an die Privatisierungsbehörde zu beschreiben, unter deren Verwaltung die DDR-Volkswirtschaft abgewickelt wurde. In der Studie »Wahrnehmung und Bewertung der Arbeit der Treuhandanstalt« aus dem Jahr 2017 ist resümierend von einem negativen Gründungsmythos des wiedervereinigten Landes die Rede.“
Analysen der Wendejahre auf den NachDenkSeiten
Die NachDenkSeiten haben sich in zahlreichen Artikeln mit den Verwerfungen der Wendejahre und der sie kaschierenden Propaganda beschäftigt. In diesem Artikel wurde die verweigerte Treuhand-Aufarbeitung thematisiert und Albrecht Müller hat in diesem Artikel den „Beutezug Ost – Die Treuhand und die Abwicklung der DDR“ analysiert. In diesem Text wurde zum 25. Jahrestag des Mauerfalls beschrieben, „wie brutal nach der Wiedervereinigung vielen Menschen der ehemaligen DDR die Existenzgrundlage durch Vernichtung der industriellen Basis der nun neuen Bundesländer entzogen wurde“. In diesem Artikel wird die über Kulturpropaganda lancierte DDR-Dämonisierung am Beispiel des Films “Das Leben der Anderen“ beschrieben. Und in einer Rezension des Buches „Integriert doch erst mal uns!“ der sächsischen SPD-Politikerin Petra Köpping verdeutlicht die Autorin nochmals die Auswirkungen der nicht aufgearbeiteten Wendejahre auf die Gegenwart: „Und selbst bei jenen, die sich letztlich wirtschaftlich erfolgreich durchgekämpft haben, steckt weiterhin dieser Stachel im Fleisch.“
Titelbild: iluistrator / Shutterstock
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