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Titel: Lassen Sie uns doch mal über Verkehr reden – Teil 4: Mehr Fahrrad wagen!
Datum: 11. April 2019 um 11:06 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Audio-Podcast, Verkehrspolitik
Verantwortlich: Jens Berger
Pro Jahr sieht der Verkehrshaushalt des Bundes rund 30 Milliarden Euro für die Förderung von Auto, Bus und Bahn vor. Für den Radverkehr stehen 130 Millionen Euro zur Verfügung – weniger als ein halbes Prozent. Keine Frage – Deutschland ist kein Fahrradland und wird es aufgrund des mangelnden politischen Willens wohl auch sobald nicht werden. Das ist tragisch, könnte das Fahrrad doch vor allem im städtischen Bereich zur dringend nötigen Verkehrswende beitragen. Nötig wäre dafür zuallererst ein Umdenken und eine Umverteilung von Raum. Lassen Sie uns doch einmal mehr Fahrrad wagen. Von Jens Berger.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Im 19. Jahrhundert war das Stadtbild von Fußgängern und Pferdekutschen geprägt. Die Verkehrsplanung war dementsprechend einfach und linear. Im frühen 20. Jahrhundert verschwanden die Kutschen. Nun teilten sich Fußgänger, Radfahrer, Busse, Bahnen und zunehmend auch Autos die Straßen. Mit den Jahren verdrängte das Auto die Konkurrenz zusehends. Die Autostraße wurde zum primären Verkehrsweg, Gehwege und Fahrradwege wurden – wenn überhaupt – um die „echten“ Straßen herum geplant und wenn kein Platz zur Verfügung stand auch gerne mal ganz weggelassen. Deutschland ist in Sachen Städteplanung ein Auslaufmodell. In den allermeisten Städten des Landes ist die Verkehrswegeplanung immer noch von der Periode der 50er bis 70er Jahre geprägt, in denen alles so autofreundlich wie möglich sein musste. Mehrspurige Straßen mit durchgängigem Parkstreifen auf beiden Seiten und am Rande ein schmaler Gehweg – so und nicht anders wollte es das Wirtschaftswunderland haben. Heute werden uns die Grenzen dieser automobilen Gesellschaft bewusst – Staus, Lärm, Gesundheitsschäden, Abgase, verfehlte Klimaziele. Dass ein Teil des Auswegs aus der selbstgeschaffenen Misere darin bestehen könnte, mehr Menschen aufs gute alte Fahrrad zu bringen, ist dabei sogar weitestgehend unumstritten.
Es gibt unzählige kleine Schritte auf diesen Weg. Angefangen bei sicheren Radwegen mit gut einsehbaren Abbiegespuren, über die Möglichkeit, Fahrräder im öffentlichen Personennahverkehr problem- und kostenlos mit sich zu führen, ein intuitives und gut gepflegtes Leihradsystem in den Städten, Fahrradparkhäuser und und und. Doch in der Summe reichen diese kleinen Punkte nicht. Um den Anteil des Fahrrads an unserem Verkehrsmix deutlich zu erhöhen, ist vor allem eine Umverteilung nötig; und zwar eine Umverteilung von Raum.
Von Dänen lernen, heißt Radeln lernen
Dass im großstädtischen Bereich das Fahrrad für kurze und mittlere Wege meilenweit vor dem Auto und dem Nahverkehr das schnellste und preiswerteste Fortbewegungsmittel ist, ist bekannt. Dennoch werden in Deutschland nur 11% aller Strecken mit dem Rad zurückgelegt. In der selbsternannten „Radlhauptstadt“ München sind es 18%. Zum Vergleich: Kopenhagen hat im letzten Jahr erstmals die 50%-Marke geknackt und auch bei den Berufspendlern liegt das Fahrrad dort bereits bei 45% – Tendenz weiter steigend. Was unterscheidet Kopenhagen derart von München?
Impressionen aus den radfreundlichen Städten Amsterdam und Kopenhagen
Die Antwort ist einfach. München ist eine Autostadt, in der städteplanerisch das Auto immer noch das Maß aller Dinge ist. Während die Radwege in Kopenhagen zwischen 2,50 und 3,50 Meter breit sind – und zwar pro Fahrbahnseite! –, gilt es in München schon als städtebauliche Herausforderung, einen schmalen Schutzstreifen in die vorhandenen Straßen zu integrieren, der den Fahrradfahrern zumindest einen Minimalraum auf der Fahrbahn reserviert – und dies auch nur dann, wenn er von Autofahrern nicht als Parkplatz oder Rechtsabbiegerspur missbraucht wird. Aber das ist nur der offensichtlichste Unterschied. Wie groß der Abstand zwischen den beiden Städten wirklich ist, zeigt ein Blick auf ein paar Details. In Kopenhagen gibt es eine grüne Welle für Fahrradfahrer – wer durchgängig 20 km/h fährt, muss die Füße nicht mehr von der Pedale nehmen; LEDs, die in der Fahrbahn eingelassen sind, zeigen an, ob man sich ein wenig sputen oder die Füße hochnehmen muss, um auf der grünen Welle mit zu „surfen“. Mit einem Radwegnetz von 1.000 Kilometern kann es Kopenhagen sogar mit dem viermal so großen München aufnehmen, jedoch bietet die dänische Hauptstadt zusätzlich auch noch 200 Kilometer Radschnellwege, die dafür gedacht sind, die Vororte für Pendler direkt und separat von vorhandenen Autostraßen mit der Innenstadt zu verbinden. Hinzu kommen spezielle Fahrradhochstraßen, Fahrradbrücken, Pumpstationen, geneigte Mülleimer und natürlich groß angelegte Fahrradparkhäuser und Abstellmöglichkeiten im gesamten Stadtbereich. Und da nichts von nichts kommt, investiert Kopenhagen jedes Jahr rund 20 Millionen Euro in die Fahrradinfrastruktur – doppelt so viel wie das viermal so große München.
Fahrradvolk ohne Raum
Es ist jedoch nicht nur das Geld, das hier den Unterschied macht. Auch in München – das im Vergleich zu hoffnungslosen Städten wie Köln oder Berlin ja tatsächlich fahrradfreundlich ist – gibt es eine Unzahl toller stadtplanerischer Ideen, für die auch das Geld vorhanden wäre. Was fehlt, ist jedoch der politische Gestaltungswille. Und das hat seinen Grund. Im eng bebauten städtischen Raum geht es in der Regel ja nicht darum, etwas zusätzlich zur Verfügung zu stellen, sondern vor allem um die Umverteilung von Raum. Wer entlang einer Ausfallstraße einen beidseitigen Radweg mit einer Breite von 3,50 Meter bauen will, benötigt dafür die Breite, die gemäß dem technischen Regelwerk heute einer normalen zweispurigen Landstraße zur Verfügung steht. Im innerstädtischen Bereich hieße dies, dass den betreffenden Straßen mindestens zwei Fahrspuren, die heute für den Autoverkehr genutzt werden, abgezwackt werden müssen. Dies können optional freilich auch die heutigen Parkstreifen am Straßenrand sein – nur wo sollen die Leute dann parken?
Sicherlich – es gibt in deutschen Städten auch noch unzählige kleinere Verbesserungsmöglichkeiten, mit denen man auf lokaler Ebene die Infrastruktur fahrradfreundlicher machen kann, ohne den großen Vorschlaghammer auszupacken und die gegebene Infrastruktur komplett neu umzuverteilen. Generell heißt es aber: Wer den Fahrradfahrern etwas geben will, der muss anderen – und das sind in der Regel die Autofahrer – etwas nehmen.
Da Autofahrer ja auch Wähler sind, gibt es in der Politik nicht unbedingt ein Gedränge, wenn es darum geht, Städte wirklich fahrradfreundlich zu machen. Dafür ist das Auto dann doch zu tief im deutschen kulturellen Selbstbewusstsein verankert. Frei nach Helmut Kohl bräuchte das Land also eine geistig-moralische Wende – weg vom Auto, hin zum Fahrrad. Nur woher soll diese Wende kommen? Was muss passieren, dass die Wähler einem Politiker die Stimme geben, der Raum vom Auto hin zum Fahrrad umverteilt und aus Fahrspuren für das Auto Radwege macht? Zur Zeit wollen CDU und FDP noch nicht einmal dem Minimalkonsens der Verkehrsministerkonferenz zur Verbesserung der Situation für den Fahrradverkehr zustimmen und Verkehrsminister Andreas Scheuer startet lieber alberne, sexistische Plakatkampagnen für Fahrradhelme anstatt die Sicherheit für Radfahrer durch Gesetze, Erlasse und Investitionen aktiv zu verbessern.
Die Verkehrspolitik der Zukunft – das ist Stadtplanung plus Elektrifizierung des Fahrradverkehrs
Vielleicht schafft es ja die Evolution des Fahrrads selbst, den gordischen Knoten zu zerschlagen. Immerhin wurden im letzten Jahr bereits fast eine Million E-Bikes verkauft. Sicherlich wird ein Großteil dieser Räder zunächst vorwiegend von älteren Menschen in der Freizeit genutzt. Doch wer erstmal Blut geleckt hat, will in der Regel auch mehr. Und wenn wir mal für einen Moment die marode Infrastruktur ausblenden, hat das E-Bike durchaus das Zeug dazu, vor allem für Berufspendler zum bevorzugten Verkehrsmittel zu werden. Drei Viertel aller Pendler haben einen Weg zur Arbeit, der mit unter 25 Kilometern durchaus in der Reichweite eines E-Bikes liegt. E-Bikes brauchen keine sechsspurigen Ausfallstraßen, kein Parkspur, keine Umgehungsstraßen, sie sind vergleichsweise umweltfreundlich, gesund und ermöglichen es auch Menschen, längere Wege mit dem Rad zurückzulegen, die gesundheitlich nicht unbedingt der Fit-for-Fun-Gesellschaft angehören.
Machen wir doch mal ein Gedankenspiel. Was wäre, wenn jeder zweite Münchner 2030 – auch in Kombination mit U- und S-Bahnen – mit dem Rad zur Arbeit fahren würde? Bräuchte es dann überhaupt noch sechsspurige Ausfallstraßen und Parkspuren auf beiden Seiten der Straße? Wir stehen hier offenbar vor einem klassischen Dilemma: Der Siegeszug des Fahrrads würde den Raum schaffen, der benötigt wird, um dem Fahrrad zum Siegeszug zu verhelfen.
Mehr Fahrrad wagen heißt auch mehr Druck zu machen
Und als ob dies nicht schon schlimm genug wäre, ist der Ausweg aus diesem Dilemma durch ein zweites Dilemma versperrt: Der politische Veränderungswille entsteht erst dann, wenn der nötige Druck durch den Wähler vorhanden ist. Der nötige Druck dürfte jedoch erst dann entstehen, wenn viel mehr Menschen aktiv eine Umverteilung des Raums vom Auto zum Fahrrad fordern. Eine Nation der Autofahrer fordert jedoch eher freie Fahrt für freie Bürger und die kollektive Hysterie, die bei den ersten kleinen lokalen Fahrverboten für ältere Diesel ausgebrochen ist, lässt bereits erahnen, zu welch verbissenen Rückzugsgefechten das politisch und medial bestens vernetzte Autodeutschland im Stande ist. Haben die Boulevardzeitungen der 1920er eigentlich auch derart verbissen die Rechte der Kutscher verteidigt?
Und so liegt der Schlüssel für den Wandel wieder einmal in den schwachen Händen des Volkes. Solange „Fahrradpolitik“ ein Fremdwort ist und bei der Wahlentscheidung keine Rolle spielt, wird sich in Deutschland auch verkehrspolitisch nichts ändern. In Amsterdam oder Kopenhagen werden Bürgermeister gewählt, weil sie ein visionäres Verkehrskonzept haben. In Deutschland stänkert man gegen Fahrverbote, schweigt jedoch zu Alternativen. Wie wäre es denn mal, wenn Sie, lieber Leserinnen und Leser, bei der nächsten Kommunalwahl die Kandidaten auch einmal auf die Frage hin abklopfen, welche verkehrspolitischen Ideen sie haben und wie sie zum Fahrrad stehen. Denn eines ist klar – ohne den Druck von unten wird Deutschland nie ein Fahrradland.
Titelbild: SHUBIN.INFO/shutterstock.com
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