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Titel: Das ZDF beginnt den Dritten Weltkrieg – als „Scherz“, um für die NATO zu trommeln
Datum: 8. April 2019 um 8:40 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Medienkritik, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Tobias Riegel
Mit den Gefühlen seiner Zuschauer hat das ZDF auf üble Weise gespielt: Der Moderator Claus Kleber hat im „heute journal“ ohne Vorwarnung einen fiktiven Krieg zwischen der NATO und Russland verkündet. Kleber und die verantwortliche Redaktion haben sich damit endgültig unmöglich gemacht. Der Vorgang muss Konsequenzen haben. Von Tobias Riegel.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Mit einer fiktiven Nachricht hat das „heute journal“ Ende vergangener Woche seine Zuschauer geschockt. In einer Einleitung verkündete Moderator Claus Kleber mit ernster Miene und ohne Vorwarnung, dass die NATO gerade in einen Krieg gegen Russland eingetreten sei. Erst dann löste Kleber das in der ZDF-Redaktion erdachte Horrorszenario wieder auf. Motivation für diese grobe Verletzung der journalistischen Standards war mutmaßlich eine gewollte geistige „Mobilisierung“ der Zuschauer für die NATO. Der Vorgang ist skandalös und darf nicht ohne Folgen bleiben.
Im „heute journal“ vom 4. April sagte Kleber:
„Guten Abend, zu Wasser und zu Luft sind heute Nacht amerikanische, deutsche und andere europäische Verbündete unterwegs nach Estland, um die russischen Verbände zurückzuschlagen, die sich dort wie vor einigen Jahren auf der Krim festgesetzt haben.“
Erst dann erlöste der Moderator die Zuschauer von ihrem Schock:
„Keine Sorge. Das ist nicht so. Das ist nur eine Vision. Aber eine realistische. So etwa müsste nämlich im Ernstfall die Antwort der NATO aussehen auf einen Angriff auf das Territorium eines ihrer Mitgliedsstaaten. Und sei er so klein wie Estland. Wenn das in Frage gestellt scheint, würde die Abschreckung brüchig, die seit 70 Jahren den Frieden in Europa sichert. Das Problem ist heute, dass der Bestand des Bündnisses zu seinem 70. Geburtstag brüchiger erscheint als jemals in seiner Geschichte. Einer bisher beispiellos erfolgreichen Geschichte.“
Das ZDF als transatlantisches Boulevardtheater
Man kann sich keine Situation denken, die diese Geschmacklosigkeit entschuldigen oder auch nur erklären könnte: Deutsche Journalisten fantasieren über einen Feldzug gegen Russland – mit deutscher Beteiligung. Das tun sie in einer emotionalen, propagandistischen und verwerflichen Form: Das „heute journal“ reduziert sich dadurch zum transatlantischen Boulevardtheater. Anlass des Vorgangs war der 70. Jahrestag der NATO-Gründung.
Dass die betreffenden Redakteure die Tragweite der eigenen Handlung mutmaßlich nicht begriffen und sie möglicherweise als eine gerechtfertigte Verteidigung von „Werten“ empfunden haben, wirft ein niederschmetterndes Bild auf den Zustand und die historische Verantwortlichkeit einer wichtigen deutschen Nachrichtenredaktion. Pressekodex? Presserat? Programmauftrag? Haben diese Instanzen noch Bedeutung für das ZDF? Auf den Programmauftrag der öffentlich-rechtlichen Sender wurde auch von unseren Lesern hingewiesen:
„Die Berichterstattung muss wahrheitsgetreu und vor allem in Nachrichtenformaten sachlich sein.“
Und:
„Dazu muss die Vielfalt der in der Gesellschaft bestehenden Meinungen im Gesamtprogramm überparteilich, möglichst breit und vollständig dargestellt werden.“
„Dringlichkeit“ soll Verletzung des Programm-Auftrags rechtfertigen
Das „heute journal“ hat mit dem aktuellen Vorgang praktisch alle Aspekte dieses Auftrags verletzt, um in einem geopolitischen Konflikt einseitig Stimmung zu machen. Um solch einem unseriösen Verhalten vorzubauen, wurde bereits langfristig durch verzerrende Meinungsmache eine Dringlichkeit suggeriert, die eine solche Verletzung von Standards als „notwendig“ erscheinen lassen soll.
Der Vorgang ist in der aktuell aufgeheizten Zeit besonders unbegreiflich. Dadurch dass er von Personen vollführt wurde, die sich sonst besonders laut über „Populismus“ mokieren, kommt noch der Tatbestand der Heuchelei hinzu. Es erscheint zusätzlich als Hohn, dass ein Journalist, der seine problematische Haltung so offen zum Ausdruck bringt, sich kürzlich über „Haltungsjournalismus“ mokiert hat. Die Existenz Klebers als zentraler Nachrichtensprecher Deutschlands ist überholt.
Medialer Korpsgeist: Skandal wird kaum aufgegriffen
Bedenklich ist der einmal mehr zu beobachtende Korpsgeist unter den großen Medien: Über den Skandal berichten neben russischen Staatsmedien fast nur Medien aus der zweiten Reihe, etwa hier oder hier. Dort wird der Vorgang durchaus skandalisiert, wenn auch nicht in angemessener Schärfe. Doch viele Medien greifen den Skandal bislang gar nicht auf.
Aufgrund der weitgehend ausbleibenden Kritik der großen Medien fühlte sich Kleber scheinbar animiert, nachzulegen mit seiner problematischen Kriegs-Rhetorik. Einen Tag nach dem fiktiven Militäreinsatz durch das ZDF verkündete Kleber wiederum im „heute journal“:
„Guten Abend, wir müssen über Krieg reden. Es ist nämlich Krieg, man merkt es nur nicht. Moderne Kriege brauchen im Idealfall keine Panzer und Bomben mehr. Sie schaffen es, die Gesellschaft, die öffentliche Diskussion und die Entscheidungsprozesse einer anderen Macht so zu unterwandern, dass die gefügig wird. Es gibt von der Brexit-Entscheidung über Wahlen in Europa bis zur US-Präsidentschaft deutliche Hinweise darauf, dass russische Operative dort mitgemischt haben. Und jetzt belegen Recherchen des ZDF, des Spiegel, der BBC und anderer, wie Einflussversuche aus Moskau in Deutschland ansetzen, konzentriert auf und angefacht vom Aufstieg der AfD.“
Kleber und das ZDF werden zur diplomatischen Belastung
Kleber und die ZDF-Redaktion entwickeln sich durch ihr Verhalten zu einem diplomatischen Problem. Denn der Vorgang zieht Kreise bis in die russische Regierung: So sagte der Vorsitzende des Ausschusses für Informationspolitik beim Föderationsrat (Oberhaus des russischen Parlaments), Alexej Puschkow, dass hier Russland dämonisiert werden solle: „Russland ist nicht in Estland einmarschiert. Und es wird nicht einmarschieren. Und da Russland keine aggressiven Pläne hat, müssen sie erfunden werden. Das ist gerade der Sinn der Informationsprovokation des ZDF“, so Puschkow auf Twitter.
Die russische Botschaft in Kanada nannte Klebers Worte „eine empörende, verhasste Propaganda“, die die Erinnerung an Millionen von ums Leben gekommenen, getöteten und von Nazis zu Tode gefolterten Sowjetbürgern beleidige. Der Pressesprecher der russischen Botschaft in den Vereinigten Staaten, Nikolai Lachonin, fragte sich kurz und knapp, ob Kleber ein Idiot sei. Er begleitete seine Botschaft mit einem Bild der deutschen Truppen, die 1941 in Narva einmarschierten.
Vorgang geht weit über den Moderator hinaus
Kleber ist unter anderem Mitglied der Atlantikbrücke und seit 15 Jahren Moderator des „heute journals“ – er hat sich an dieser Stelle bereits durch eine Reihe von Fehlleistungen unhaltbar gemacht. Als sichtbarste Person des aktuellen Vorgangs trifft ihn nun die Wut etwa in den sozialen Medien besonders hart. Aber eine Entlassung Klebers würde das eigentliche inhaltliche Problem nicht lösen, denn der Moderator verliest Texte seiner Redaktion. In diesem kontroversen Fall ist es zudem schwer vorstellbar, dass sich die verantwortlichen Redakteure ohne Rückversicherung in der Chefetage für die drastische Verletzung der journalistischen Standards entschlossen haben.
Sicher: Es wäre schon eine Verbesserung, die Nachrichten nicht mehr von Claus Kleber präsentiert zu bekommen. Doch dieser Vorgang geht weit über den Moderator hinaus. Eine kritische Aufarbeitung muss auch die Chefredaktionen mit einbeziehen, der Vorgang muss Konsequenzen haben.
Titelbild: solarseven / Shutterstock
Mehr zum Thema: Die NachDenkSeiten haben sich aktuell hier mit der Berichterstattung zum NATO-Jahrestag beschäftigt, Wolfgang Bittner hat hier weiteren politischen Hintergrund zur NATO zusammengefasst. Mit der Person von Claus Kleber hat sich etwa Albrecht Müller hier befasst und Marcus Klöckner in diesem Artikel. Weitere Hintergründe zur Atlantikbrücke und anderen Netzwerken, denen Kleber teils angehört, finden sich hier.
Anmerkung: In einer früheren Version des Textes wurde gesagt, Claus Kleber hätte eine „Kunstpause“ gemacht. Das ist nicht zutreffend und die Stelle wurde geändert.
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