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Titel: Lassen Sie uns doch mal über Verkehr reden – Teil 3: Sackgasse Elektromobilität
Datum: 5. April 2019 um 11:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Energiepolitik, Schadstoffe, Verkehrspolitik, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich: Redaktion
Die Weltautobranche erlebte in jüngerer Zeit mehrere ökonomische und Glaubwürdigkeitskrisen. Ein Ausweg bot dabei immer: eine neue Reformidee. Katalysator. SwatchCar. Biosprit. Und jetzt das Elektro-Auto. Allen diesen „inneren Reformen“ der Autogesellschaft gemein ist: Am Ende wurden die Zahl der Autos auf dem Planeten erhöht, die Auto-Dichte in den Metropolen gesteigert, die Umwelt, das Klima und die Gesundheit von Hunderten Millionen Menschen stärker belastet. Dabei sind gerade die Versprechungen der „Elektromobilität“ tönern. Sie werden in zehn Jahren ebenso Schall und Rauch sein wie bei den Versprechungen, die es bei den vorangegangenen Reformideen gab. Von Winfried Wolf.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Lesen Sie dazu auch den ersten Teil unserer kleinen Reihe zum Thema „kostenloser ÖPNV“ und den zweiten Teil zum Thema „Pendlerverkehr vermeiden“. Winfried Wolf hatte diesen Text übrigens ursprünglich dem Freitag angeboten. Die Redaktion lehnte den Artikel ab – er „enthalte zu viele Fakten und Zahlen“, das seien „die LeserInnen beim Freitag so nicht gewohnt“. Ein Glück, dass die NachDenkSeiten-Leserinnen und -Leser mit Fakten umgehen können (jb).
Weniger Klimabelastung in den USA und Europa? Umgekehrt: Mit der Elektromobilität wachsen die CO2-Emissionen sogar in den hoch motorisierten Ländern. Die reine CO2-Bilanz eines E-Pkw ist im Vergleich zu einem Benzin- oder Diesel-Pkw maximal um ein Viertel günstiger – wenn der gesamte Lebenszyklus des Autos betrachtet wird. Und wenn es kleine Elektroautos sind. Nun sind die E-Auto-Modelle inzwischen deutlich schwerer und oft größer als herkömmliche Mittelklasse-Pkw. Der VW Käfer wog 700 Kilogramm. Der aktuelle Golf bringt 1,3 Tonnen auf die Waage. Der E-Golf wiegt 1,6, ein Tesla Model S dann 2,1 Tonnen. Hinzu kommt: E-Autos sind zum großen Teil Stadtautos und Zweit- und Drittwagen. Bereits die grundlegenden Parameter wie Reichweite, Ladedauer und Ladestrukturen sprechen für einen solchen Einsatz. E-Autos sind damit auf absehbare Zeit Mobilitätsmittel für den gehobenen Mittelstand, für Leute, in deren Haushalt es spätestens jetzt einen Zweit- und Dritt-Pkw gibt. Leute, die über eine Garage oder Carport verfügen – aber bitte mit Wallbox zum „intelligenten Strom tanken“. Mit den E-Autos wechseln Radfahrer und ÖPNV-Nutzende ins grün lackierte Gefährt. Damit erhöhen E-Pkw die Pkw-Dichte ausgerechnet dort, wo Pkw besonders schädlich sind: in den Städten.
E-Pkw als Heilmittel gegen die Klimaerwärmung? Umgekehrt: Die CO2-Emissionen wachsen mit der Elektromobilität weltweit // Es geht bei allen Modellrechnungen über die zukünftige Elektromobilität immer darum, dass der Anteil der Elektroautos an einer vorgegebenen Größe steigen soll. Der Anteil in der Produktion, im Bestand, im Stadtverkehr. Ein fataler Denkfehler. Mit der e-mobility ist keineswegs verbunden, dass die Gesamtzahl der Autos nicht steigt.
Besonders deutlich ist dies bei der in diesem Zusammenhang oft zitierten „Agora“-Studie. Dort heißt es: „Bis zum Jahr 2050 könnte ihre Zahl [die der Pkw; W.W] von derzeit 900 Millionen auf 2,4 Milliarden ansteigen. Um die Klimaziele dennoch zu erreichen, ist es deshalb unerlässlich, den Anteil emissionsfreier Fahrzeuge zu steigern. [1]
Das ist grotesk. Man akzeptiert eine Steigerung der Pkw-Zahl weltweit um das Zweieinhalbfache. Und sagt dann: Aber der Anteil der Elektroautos in der Weltautoflotte muss möglichst hoch sein. Selbst wenn am Ende alle Pkw Elektroautos wären, und selbst wenn es stimmen würde, dass ein Elektroauto im Vergleich zu einem herkömmlichen Pkw 25 Prozent weniger CO2 emittiert, dann hieße das in der Gesamtbilanz doch, dass die CO2-Emissionen des zu 100 Prozent mit E-Autos abgeleisteten Straßenverkehrs weiter drastisch steigen.
Wobei es ja nie zu 100 Prozent E-Autos kommt. Konkret: 2017 wurden in China 800.000 Elektroautos verkauft. Im gleichen Jahr wurden 15 Millionen „normale“ Pkw abgesetzt. 2018 wurden in Deutschland 70.000 Elektro-Pkw verkauft. Gleichzeitig wuchs der Bestand an herkömmlichen Pkw um mehr als 600.000. Weltweit haben wir aktuell knapp 1 Milliarde Pkw und dabei maximal 10 Millionen Elektroautos. 2025 werden es mindestens 1,3 Milliarden Pkw sein und davon maximal 120 Millionen Elektroautos. Das heißt: Die CO2-Belastung durch herkömmliche Pkw nimmt zu. Obenauf kommt als schmutziges Sahnehäubchen die Belastung, die von E-Pkw ausgeht.
VW startete in Deutschland und China eine gigantische Investitionsoffensive für Elektro-Pkw. Doch in Russland, in Südafrika oder in Lateinamerika sind Elektroautos erst gar kein Thema. O-Ton VW do Brasil: „Wir haben hier in Brasilien mit den Biokraftstoffen eine der besten Situationen, was die CO2-Bilanz angeht.“[2]
Nachhaltige Elektroautos? Unsinn! Elektroautos emittieren CO-2 und fördern Atomstrom!
Die Behauptung, Elektromobilität könne ganz oder so gut wie komplett mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen gespeist werden, ist absurd. In Deutschland können wir bereits froh sein, wenn der Atomstrom, der aktuell noch einen Anteil von 13 Prozent einnimmt, nach dem Abschalten der AKW durch den Zuwachs der Erneuerbaren ersetzt wird. Auf absehbare Zeit bleibt es bei 40 Prozent Kohle-Strom. Mit entsprechender CO2-Bilanz. Klar ist auch: Millionen Elektro-Pkw erfordern einen Zubau von Stromkapazitäten. In China werden zwei Drittel der Stromerzeugung in Kohlekraftwerken erzeugt. In Zukunft soll nur der Anteil des Kohlestroms sinken. Doch die absolute Menge an Kohle, die in Kraftwerken verfeuert wird, soll bis 2030 wachsen. Nicht zuletzt dank Elektromobilität. Für das Klima sind nicht Anteile relevant, sondern die absoluten Mengen. Vor allem: China hat derzeit 39 Atomkraftwerke. 15 Atomkraftwerke befinden sich im Bau. Zusätzliche zwei Dutzend befinden sich im Planungsstadium. Vor dem Klima-Gau kommt der nächste AKW-GAU.
Verschwindet mit dem Elektroauto die Drohung von peak oil? Nein! In Wirklichkeit wird peak oil erweitert um neue peaks. In der Autogesellschaft der Zukunft wird die Abhängigkeit von dem endlichen Rohstoff Öl – es werden ja mehr Pkw mit Verbrenner-Motoren! – ergänzt um die Abhängigkeit von endlichen Rohstoffen wie Kupfer, Lithium, Kobalt und verschiedenen Seltenen Erden. Kriege um Öl werden erweitert um Kobalt-Militäreinsätze und Lithium-Kriege.
Es geht nicht um das Klima, es geht um China!
Elektroautos gibt es seit 110 Jahren. Offensiven, in großem Maßstab Elektroautos einzuführen, gibt es seit einem Vierteljahrhundert. Doch die Pkw mit Verbrennermotoren blieben weltmarktbeherrschend. Warum? Es gab keinen materiellen oder regulatorischen Zwang zum Umsteuern. Und so sprach fast all das gegen Elektro-Autos, was auch heute rational gegen diese spricht. Die neue Situation entstand mit dem wirtschaftlichen Aufstieg von China. Der chinesische Automarkt ist seit knapp einem Jahrzehnt der mit Abstand größte der Welt. Alle großen Autokonzerne sind von ihm abhängig. China verfügt in den meisten Industriebranchen, die für die Weltmarktkonkurrenz wichtig sind, über konkurrenzfähige Konzerne. Das gilt für Computer (Lenovo), für Smartphones (Huawei) und für Hochgeschwindigkeitszüge (CRRC). Doch ausgerechnet in der Autoindustrie gibt es in der Spitzengruppe keinen einzigen chinesischen Konzern. Die Weltautobranche wurde jedoch von der chinesischen Führung 2016 ausdrücklich als eine von zehn Industrien identifiziert, in der „China einen nationalen Champion, der auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig ist, schaffen“ will.[3] Dies soll mit Elektromobilität gelingen. Seit dem 1. Januar 2019 gilt in China die erste E-Auto-Quote: 10 Prozent aller in China hergestellten oder importierten Autos müssen Elektroautos sein. 2020 beträgt die Quote 12 Prozent. Später noch mehr. Die westlichen Autokonzerne können da zunächst nicht mithalten. Sie dürfen sich – wie im Mittelalter („Wenn das Geld im Kasten klingt – die Seele in den Himmel springt“) jedoch mit erheblichen Summen freikaufen. Auf diese Weise finanzieren sie den Aufstieg der chinesischen E-Auto-Konzerne.
Doch inzwischen planen die 29 weltweit größten Autohersteller eine gigantische Investitionsoffensive. 300 Milliarden US-Dollar werden in den nächsten zehn Jahren für Elektromobilität investiert. Die drei deutschen Hersteller VW, Daimler und BMW stemmen 46 Prozent dieser Summe. VW-Chef Diess stellt seinen Umzug in ein Baumhaus im Hambacher Forst in Aussicht. Frage Süddeutsche Zeitung (vom 11. 10. 2018): „Im Hambacher Forst gehören Ihre Sympathien den Demonstranten. Diess: Absolut! Ich werde da vielleicht hingehen.“ Die Internationale Energie-Agentur (IAE) ist begeistert, dass „die Zukunft elektrisch ist“. Weil damit die Stromerzeugung massiv gesteigert wird – durch Elektromobilität.
Umweltverträgliche Elektroautos? In Wirklichkeit entschärft der Austausch des Antriebsstrangs nichts von der entscheidenden Kritik an der Automobilität.
Auch wenn alle Autos in Los Angeles Tesla-Modelle oder Nissan-Leaf-Modelle wären, so bliebe es in dieser Stadt bei der Durchschnittsgeschwindigkeit von 15 km/h und dem Dauerstau. Auch wenn alle 950 Millionen Pkw auf dem Planeten Elektroautos wären, bliebe es bei der einen Million Verkehrstoten im Jahr weltweit. Auch wenn in allen Großstädten die Verbrenner-Pkw durch Elektro-Pkw ersetzt werden würden, bliebe es bei einem Flächenverbrauch dieser Blechlawine, der mindestens vier Mal größer ist als im Fall einer Verkehrsorganisation, in der das Zufußgehen, das Radfahren und der öffentliche Verkehr im Zentrum stehen.
Eine überzeugende Verkehrswende fühlt sich anders an. Etwa so: Anfang 2019 diskutiert der CDU-Oberbürgermeister der Stadt Münster im niederländischen Groningen darüber, wie der Anteil der Fahrradwege in Münster von aktuell 40 Prozent auf das Groningen-Niveau von 60 Prozent gesteigert werden kann. Addiert man Fußgängerwege (10%) und ÖPNV-Fahrten (20%) hinzu, dann bleibt für Pkw-Verkehr ein Restmarktanteil, bei dem die Antriebsart einigermaßen unwesentlich ist.
Vom Autor erschien im März 2019 Mit dem Elektroauto in die Sackgasse. Wie die E-Mobilität den Klimawandel beschleunigt, Wien (Promedia, 220 Seiten, 17,90 Euro.
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