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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Soll alles, was technisch möglich ist, gemacht werden? Eher nein.
Datum: 26. März 2019 um 16:33 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Audio-Podcast, Innen- und Gesellschaftspolitik, Wertedebatte
Verantwortlich: Albrecht Müller
Die Entscheidung für den Digitalpakt und die Subvention dieser Entwicklung an Deutschlands Schulen mit rund 7 Milliarden Euro und auch die Vor-Entscheidung für 5G vermitteln den Eindruck, dass die Verantwortlichen und die sie begleitenden Medien jedenfalls mehrheitlich die oben gestellte Frage mit einem klaren Ja beantworten. Von den etablierten Medien wird die Entscheidung zum Digitalpakt und auch die Entscheidung für 5G wohlwollend begleitet. – Das war nicht immer so in der jüngeren Geschichte. Dazu ein paar Stichworte, die zu denken geben sollten: Schneller Brüter. Concorde. Bemannte Weltraumfahrt. Totales Fernsehen. Autonomes Autofahren. Stuttgart 21. Manche mögliche technische Entwicklung wurde nicht realisiert oder abgebrochen. Albrecht Müller.
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Ich war persönlich während meiner beruflichen Laufbahn an einigen Debatten und Entscheidungen beteiligt, an deren Ende es hieß: Nein, wir machen nicht alles, was technisch möglich ist. Wir prüfen die Folgen und Nebenwirkungen. Wir gewichten, zumindest beachten wir auch jene Folgen, die noch nicht bis ins Einzelne wissenschaftlich erforscht sind, aber als Risikofaktoren erkannt sind. Wir beachten auch jene Folgen, die sich nicht einfach ökonomisch berechnen lassen, sondern eher psychischer und sozialer Natur sind. Wir prüfen, ob prognostizierte, behauptete positive Folgen einer technischen Möglichkeit vor allem von der Lobby beeinflusst und geprägt sind, ob sie realistisch sind und den erkennbaren Bedürfnissen der Menschen entsprechen. Wir prüfen das Verhältnis von Nutzen und Kosten.
Um den historischen Kontext der aktuell geführten Diskussion und der getroffenen Entscheidungen sichtbar zu machen, macht es Sinn, sich ein paar Beispiele aus der Vergangenheit anzusehen:
Der deutsche Versuch, diese Nukleartechnologie zu nutzen, war der Schnelle Brüter in Kalkar. Er wurde 1985 fertiggestellt, ging allerdings nie in Betrieb und wurde 1991 eingestellt. Bei der Entscheidung für den Schnellen Brüter waren die Risiken nicht ausreichend bedacht worden. Dann kam der Protest der Gegner und hatte Erfolg. Heute steht das Bauwerk als Mahnmal für rechtzeitige Prüfung aller Folgen einer technischen Entwicklung – ein teures, aber gutes Museumsstück am Niederrhein.
Dieses Überschallpassagierflugzeug war ein gemeinsames Projekt von Frankreich und Großbritannien. Das Flugzeug wurde in 20 Exemplaren gebaut. Erstflug 1969. Letzter kommerzieller Flug Oktober 2003. Das Flugzeug faszinierte Teile des Publikums. Es erwies sich wegen des Spritverbrauchs jedoch nicht als besonders ökonomisch. Dann kam am 25. Juli 2000 der Absturz einer Concorde kurz nach dem Start vom Flughafen Charles de Gaulle hinzu.
1977 zeichnete sich im politischen Bonn die Erkenntnis ab, dass es technisch möglich sein würde, die bei terrestrischer Ausstrahlung technisch bedingte Begrenztheit der Fernsehprogramme zu überwinden. Durch Verkabelung mit Fernsehverteilnetzen wie auch durch Satelliten konnte die Möglichkeit geschaffen werden, eine Fülle von Fernseh- und Hörfunkprogrammen in die deutschen Wohnzimmer zu bringen. Diese Möglichkeit zur Vermehrung der Kanäle hatte auch eine gravierende rechtspolitische Bedeutung: bisher war wegen der Begrenztheit der Kanäle bei der terrestrischen Ausstrahlung zugleich auch die Möglichkeit der Kommerzialisierung blockiert. So sah es das Bundesverfassungsgericht.
Zwischenbemerkung: Wenn Sie die folgenden Erläuterungen zum Thema Fernsehprogrammvermehrung nicht interessieren, dann springen Sie bitte einfach zu der Ziffer 4.
Ein erster Einstieg in die Programmvermehrung sollte die Verkabelung von elf Städten sein. Bundespostminister Gscheidle (SPD) hatte sich mit den von der CDU/CSU regierten Bundesländern auf dieses Projekt verständigt. Die Fachabteilung des Bundeskanzleramtes hatte dieses Projekt unterstützt. Die Planungsabteilung, deren Leiter ich damals war, hat dem Bundeskanzler geraten, zu widersprechen. Das hat er im Mai 1978 getan. Parallel dazu erschien ein langer Essay von ihm in der Wochenzeitung “Die Zeit”. In diesem Beitrag mit dem Titel “Plädoyer für einen fernseherfreien Tag. Ein Anstoß für mehr Miteinander in unserer Gesellschaft” begründete Bundeskanzler Helmut Schmidt seine Bedenken gegen die “totale Fernsehgesellschaft”.
Damit und in der breit geführten Debatte wurde der Engstirnigkeit der Argumente für die Vermehrung der Fernsehprogramme widersprochen. Diese liefen damals so: Mehr Programme seien in jedem Fall gut, durch Verkabelung und Satellitenfernsehen würden neue Arbeitsplätze geschaffen und es würde für “mehr Vielfalt” beim Fernsehen und Hörfunk gesorgt. Helmut Schmidt und seine Unterstützer – herausragend damals Hans-Jochen Vogel und der Intendant des Süddeutschen Rundfunks Hans Bausch (CDU) – fragten danach, was die Berieselung mit 20, 30 oder 50 Fernsehprogrammen für Familien und Kinder und für unsere Demokratie bedeuten.
Gestandene Politiker, Bundeskanzler, Minister und Medienfachleute fragten also danach, welche Bedeutung eine technische Entwicklung für die seelische Entwicklung von Menschen und für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft haben könnte. Gelegentlich wurden in der damaligen Debatte unsere Fragen nach diesen Folgen als Fragen nach “weichen” Faktoren bezeichnet und zu diskreditieren versucht. Die Planungsabteilung des Bundeskanzleramtes hat mit Untersuchungen untermauert, dass die Entscheidung für die Programmvermehrung und Kommerzialisierung durchaus harte Folgen haben würde. Wir haben in qualitativen Studien, die das Sinus Institut in Heidelberg für uns durchführte, erforscht, wie Menschen und Familien im Alltag auf die Flut neuen Fernsehens und kommerziellen Fernsehens reagieren würden. Dabei wurde sichtbar, dass wir insbesondere unter Deutschlands Frauen eine überwältigende Mehrheit gegen den Wahnsinn der flächendeckenden Verkabelung hätten mobilisieren können. Auch andere Umfragen zeigten, dass die kritische Haltung des Bundeskanzlers und sein Nein mehrheitsfähig waren.
Bundeskanzler Schmidt verweigerte entgegen des Rates seines Postministers Gscheidle die Zahlung des Bundes in Höhe von mehreren 100 Millionen DM für die Verkabelung von elf deutschen Städten. Die CDU/CSU, insbesondere der bei ihr zuständige Experte Schwarz-Schilling polemisierten gegen diese Entscheidung und auch gegen mich persönlich. Schwarz-Schilling nannte mich ein wandelndes Investitionshemmnis. So viel Anerkennung erfährt man als Mitarbeiter einer Bundesregierung selten.
Das Nein der Bundesregierung wurde bis zum September 1982 durchgehalten. Dann wechselte die FDP am 1. Oktober die Regierung, CDU/CSU und FDP wählten in einem konstruktiven Misstrauensvotum Helmut Kohl zum Bundeskanzler. Kohl und Schwarz-Schilling begannen mit der Verkabelung und mit dem Ausbau des Satellitenfernsehens. 1984 war der Startschuss. Diese politischen Entscheidungen ohne Rücksicht auf die Folgen für unsere Gesellschaft zu treffen, hat unsere Gesellschaft nachhaltig verändert. Sehr viel mehr als viele andere im Mittelpunkt der Debatte stehenden Entscheidungen. Wie von uns prognostiziert und von der Gegenseite bestritten hat der Fernsehkonsum zugenommen: von damals knapp unter 2 Stunden auf heute rund 220 Minuten; das sind 3 Stunden und 40 Minuten. Hinzu kommt die verstärkte Nutzung anderer Bildschirme, von Smartphones und Laptops usw. –
Insgesamt haben die Entscheidungen zur Fernsehprogrammvermehrung nach dem Regierungswechsel von 1982 unser Land nachhaltig verändert. Das gilt allein schon für die Vermehrung der Programme. Es gilt zusätzlich deshalb, weil die Programmvermehrung die erwähnten Vorbehalte des Bundesverfassungsgerichts gegen die Kommerzialisierung aufgerollt hat. Kommerzielle Sender wie SAT1, ProSieben und RTL traten in Konkurrenz zum Öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Das hatte tief greifende Auswirkungen auf die Programmstruktur und die Qualität des Öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Es gibt am Ende nicht mehr Qualität und Vielfalt, sondern mehr vom Gleichen. Unter dem Druck der Quote haben sich die Programme, kommerzielle und öffentlich-rechtliche, aneinander angepasst.
Selbst einige der Verantwortlichen der CDU/CSU haben später gemerkt, welchem Wahnsinn sie den Weg gebahnt haben. Der Vorsitzende der CDU-Medienkommission Günter Oettinger sprach 2008 vom „Scheiß-Privatfernsehen“. Von CSU-Seite wurde der Werteverfall in den Kinderzimmern beklagt. Der zur Zeit des Durchbruchs von Programmvermehrung und Kommerzialisierung für die CDU-Medienpolitik zuständige Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Bernhard Vogel, erklärte später angesichts der Folgen, sie hätten ja nur das Oligopol der Öffentlich-rechtlichen auflösen wollen, und auch die damalige Familienministerin von der Leyen beklagte den eingetretenen Zustand. Das ist ein verlogenes Pack! Verzeihung, ich kann das nicht anders ausdrücken angesichts des Elends, das die vor allem zugunsten der privaten Medienkonzerne von Bertelsmann und Kirch getroffene Entscheidung der CDU/CSU ausgelöst hat. Die damals entscheidenden Personen waren nicht willens, die Folgen ihrer Entscheidungen vorherzusehen.
Ich selbst hatte zehn Jahre nach der Kommerzialisierung ein eindrucksvolles persönliches Erlebnis. Ich war damals, 1994, Bundestagsabgeordneter. Immer freitags, nach Schluss der Plenumsdebatten, eilten wir in die Wahlkreise. Zu diesem Zweck sammelte die Fahrbereitschaft des Deutschen Bundestages zur Fahrt zum Bonner Bahnhof Kollegen und Kolleginnen an verschiedenen Plätzen ein. Als ich am Langen Eugen in Bonn in ein Fahrzeug der Fahrbereitschaft einstieg, saß darin schon ein Kollege von der CDU. Ich kannte ihn nicht genau, wusste aber, dass er sehr katholisch und sehr konservativ ist; er kam aus Oberschwaben, hatte viele Kinder und war ein erklärter Gegner der Reform des Abtreibungsparagrafen 218. Auch wenn ich anderer Meinung war als er, fand ich seine religiöse und ethisch bedingte Position nicht unsympathisch. Im Gegenteil.
Er sah mich, erkannte mich und meinte, das sei aber prima. Er wolle schon länger bei mir Abbitte leisten. Als ich nämlich damals als Leiter der Planungsabteilung im Bundeskanzleramt – also vor gut 15 Jahren – gegen die Vermehrung der Fernsehprogramme und ihre Kommerzialisierung stritt, hätten er und seine Freunde in der CDU das mit meiner parteipolitischen Haltung erklärt, ich wollte halt den “Rotfunk” erhalten, so nannte man in CDU-Kreisen das, was aus ihrer Sicht zum Beispiel der WDR darstellte: ein SPD-naher Sender. Heute, schon zehn Jahre nach dem fernsehpolitischen Urknall, sehe er, wie recht ich und die Planungsabteilung des Bundeskanzleramtes damals gehabt hätten: die Auswirkung der Programmvermehrung und ihrer Kommerzialisierung auf Kinder und Familien sei brutal.
Von diesem Beispiel Fernsehprogrammvermehrung habe ich so ausführlich berichtet, weil sich an diesem Beispiel die Entscheidungsmängel gut erkennen lassen und sich zudem heute wieder ähnliches mit 5G und mit der Digitalisierung des Unterrichts in den Schulen abspielen. Beides sind gute Beispiele dafür, dass anders als ab 1977 in der Regierung Helmut Schmidt heute die Folgen von technisch möglichen Entscheidungen nicht umfassend genug beachtet werden:
Auf die Problematik des Digitalpaktes haben die NachDenkSeiten in den letzten zwei Monaten schon mehrmals hingewiesen. So hier am 22. Februar 2019 “Der gemeinsame Nenner von etablierten Medien und Politik: Gedankenlosigkeit. Sichtbar bei der Digitalisierung in den Schulen” und hier am 18. März 2019 “Die Digitalisierung ist ein Experiment an unseren Kindern.” und hier “Der Digitalpakt wird unseren Kindern sehr schaden. Eigentlich unverantwortlich.“. Bei den Verantwortlichen ist keinerlei Nachdenken spürbar. Es ist so, wie es 1977 folgende gewesen wäre, wenn “Bedenkenträger” wie die Planungsabteilung nicht ein offenes Ohr beim amtierenden Bundeskanzler gefunden hätten. Damals gab es in der Wissenschaft eine gewisse, aber keine tragende und offensive Unterstützung. Heute gibt es immerhin in der Hirnforschung tragfähige Analysen, die vorhersagen, was uns ins Haus steht, wenn wir Kinder viel zu früh in die Welt der digitalen Medien entlassen.
Zu Teilaspekten von 5G hat sich Jens Berger auf den NachDenkSeiten schon geäußert: “5G – ein drohendes Technologiedesaster mit Ansage.“. In diesem Text waren vermutliche Nebenwirkungen ausgeklammert. Vermutlich sehen wir die Möglichkeiten und Notwendigkeiten von 5G verschieden. Das muss ja kein Schaden sein.
Von einer Reihe von Leserinnen und Lesern war im Anschluss an seinen Artikel beklagt worde, dass die möglichen Folgen der Strahlenbelastung von 5G nicht beachtet worden seien. Ich kann diese Einwände verstehen. Dass man über die Folgen der Strahlung nichts Genaues weiß, kann aus meiner Sicht nicht dazu führen, dass wir die Investitionen in die aufwändige Übertragungstechnik rechtfertigen.
Manche der möglichen Nutzungen von 5G sehe ich eher mit einer Mischung aus Lächeln und Bewundern der Zukunftsgläubigkeit:
„Autonomes Fahren“ nennt man die Vorstellung, dass die künftigen Netze 5G es möglich machen würden, dass man sich mit seinem Auto in einen elektronisch gesteuerten Verkehr einfügen kann. Das halte ich nicht nur für Zukunftsmusik, sondern auch für eine ziemlich disharmonische Zukunftsmusik. Ich will nur einige Argumente nennen: Eigentlich wollen wir doch weg vom Ausbau des Individualverkehrs. Und wenn wir ihn schon weiterhin, wenn auch reduziert, nutzen, dann doch wegen der individuellen Bedürfnisse. Ich glaube nicht daran, dass sich messbare Quantitäten der Mitmenschen in ein elektronisch und fremd gesteuertes Fahren mit dem eigenen Auto einordnen werden. Die Vorstellung, dies werde in absehbarer Zeit gewünscht und mitgemacht, und sogar von allen mitgemacht, das ist die Bedingung, ist abstrus. – Aber gut, vielleicht täusche ich mich. Vielleicht sind die jungen Leute wirklich so dolllll, dass sie so etwas toll finden. Jedenfalls brauchen wir darüber dann eine Debatte und diese Debatte muss nicht nur technisch bestimmt werden, sondern ganz wesentlich an der menschlichen Psyche ansetzen.
In den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurden von der Bundesregierung jährlich Energieprogramme beschlossen und fortgeschrieben. Zu Anfang war die Rede davon, wir müssten 18 neue Kernkraftwerke bauen. Diese Absicht gründete auf eigenartigen Annahmen zum Energiebedarf. Die Prognosen zum Energiebedarf wurden in direkter Korrelation zu den Prognosen des Wachstums des Bruttoinlandsprodukts berechnet.
Die Planungabteilung des Bundeskanzleramtes hat damals einen Spezialisten als Honorarvertragsmitarbeiter engagiert. Mit ihm zusammen haben wir zunächst einmal die Bedarfsprognosen auseinandergenommen und dann den daraus abgeleiteten Kernenergiebedarf hinterfragt. Es gab damals dann heftige Konflikte zunächst zwischen der Planungsabteilung und den beiden anderen Fachabteilungen im Haus, konkret der Wirtschaftsabteilung IV und der Abteilung III, die für Technik und auch für Kernkraft zuständig war. Dann aber verschoben sich die Konflikte in die Verhandlungen mit dem Bundeswirtschaftsministerium. Immerhin ist es in dieser Zeit gelungen, die Koppelung der Bedarfsprognosen an das Bruttoinlandsprodukt aufzulösen und damit eine erste Basis dafür zu schaffen, die Prognose für den Bedarf so vieler Kernkraftwerke zu erschüttern.
Zur gleichen Zeit wuchs außerhalb der Bundesregierung und des Parlaments der Protest gegen die weitere Nutzung und den weiteren Ausbau der Kernenergie. Typisch dafür sind die Proteste in Wackersdorf und die Proteste gegen das Kernkraftwerk Brokdorf.
Sehr geholfen hat in dieser gesamten Auseinandersetzung das, was sich im Lande tat: die Demonstrationen zum Beispiel und auch die Willensbildung in den Parteien, namentlich in der größeren Regierungspartei. In der morgendlichen Lagebesprechung des Bundeskanzleramtes schlug damals zum Beispiel der Beschluss der baden-württembergischen Landes-SPD wie eine Bombe ein. Die baden-württembergische SPD wollte nämlich nicht weiter in Kernenergie investieren. Helmut Schmidt, der damalige Bundeskanzler konnte sich leider von seiner Affinität an die Meinungen der Meinungsmacher bei der Industrie nicht lösen. Das führte damals zu einem unseligen und unerfreulichen Konflikt mit seiner Partei. Aber alles zusammen, die Demonstrationen in Brokdorf, in Wackersdorf und anderswo und die Parteitagsbeschlüsse haben dabei mitgeholfen, nicht weiter zu verfolgen, was technisch möglich gewesen wäre: den Bau von vielen weiteren Kernkraftwerken.
Eine vergessene Affäre zum Thema: Die Lobbyisten der Luft- und Raumfahrtindustrie sahen in der Legislaturperiode 1987-1990 offenbar eine Chance, bei der Bundesregierung ein entsprechendes Programm durchzusetzen. Ich war damals Mitglied des Wirtschaftsausschusses des Deutschen Bundestages. Weil die Regierungsparteien CDU/CSU und FDP alleine nicht die Verantwortung für neue Milliardengräber übernehmen wollten, wurde damals die Zustimmung der Oppositionspartei SPD gesucht. In meiner Fraktion warb der forschungspolitische Sprecher, ein typischer Rheinländer, der aus Jülich kam und im Milieu von Luft- und Raumfahrt verwurzelt war, für einen Einstieg in die bemannte Weltraumfahrt. Andere, unter anderem der wirtschaftspolitische Sprecher Wolfgang Roth und ich mit einigen anderen Kolleginnen und Kollegen konnten keinen Sinn darin sehen, in die bemannte Weltraumfahrt einzusteigen. Aber die Befürworter waren sehr zäh und hartnäckig. Wir waren gezwungen, ein richtiges aufwändiges Hearing zu veranstalten, um all die blödsinnigen Vorstellungen, dass man Personen im Weltraum brauche, um bestimmte Reparaturen bei Satelliten und dergleichen vorzunehmen, zu entkräften. Der erste Preis für die beste Beratung in jener Zeit gebührt Helmar Krupp. Er war Physiker und Leiter des Fraunhofer Instituts in Karlsruhe. Auf seine Expertise stützten wir unsere Argumente ab und gewannen die Debatte in unserer Fraktion. Aber es war nahe dran, das zu machen, was technisch möglich ist – wie so oft ohne Rücksicht auf Kosten, Risiken und Nebenwirkungen.
Meine Regionalzeitung, Die Rheinpfalz, macht heute ihre Wirtschaftsseite auf mit dem Titel “Milliardengrab Stuttgart 21”. Das ist eine neue und erfreulich aufklärerische Schlagzeile. Es wird davon berichtet, dass morgen der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG zu diesem Thema berate und dass das Projekt der Deutschen Bahn AG schon jetzt eine massive Belastung bringe und sich erkennbar nicht mehr rechne.
Aus meiner Sicht ist dieses Projekt ein Beispiel dafür, dass die Fähigkeit und die Bereitschaft der politisch Verantwortlichen, eine Fehlentscheidung für ein technisch mögliches Projekt rechtzeitig zu korrigieren, massiv gesunken ist. Beim Schnellen Brüter und auch bei der bemannten Weltraumfahrt und bei den vielen weiteren Möglichkeiten zur Investition in die Kernenergie, hat man das früher gemerkt und umgesteuert. Bei der Digitalisierung merkt man ja noch gar nichts und stolpert stattdessen unreflektiert weiter.
Was wäre nötig, um künftig früher und besser abzuwägen, ob die öffentliche Entscheidung zur Unterstützung technischer Möglichkeiten sinnvoll ist oder nicht:
Aus den genannten und skizzierten Beispielen könnte man lernen:
Zum Schluss: Ich bin nicht dafür verantwortlich, dass bei einem Blick zurück der Eindruck entstehen könnte, dass früher alles besser war. Das ist übrigens ein Thema, dass ich mir für die nächsten Wochen vornehme. Es würde mich freuen, auch das fände dann Ihr Interesse.
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