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Titel: Europäischer Rat profiliert sich als Top-Agent der Versicherungswirtschaft

Datum: 25. März 2005 um 8:19 Uhr
Rubrik: Europäische Union, Lobbyismus und politische Korruption
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Bei der Suche nach dem Positiven habe ich mich mit dem letzten Eintrag eindeutig vergriffen. Ein Freund aus Brüssel macht mich nämlich auf Passagen in den Beschlüssen des Rates aufmerksam, die alles andere als Lob verdienen. Er schreibt: „Die Beschlüsse des Rates vom 22./23. 3.05 zeigen den Eiertanz zwischen Versagen der bisherigen Lissabon-Rezepte und dem “Nicht-Aussteigekönnen” aus dem Denkkorsett der Angebotsökonomie. Besonders toll finde ich die Passagen in Anlage II zum Stabilitäts- und Wachstumspakt auf S.31 und 35 zur Einführung voll kapitalgedeckter Rentensysteme!“

Er hat Recht: Der Ausbau kapitalgedeckter Rentensysteme wird als anrechenbar und damit als mildernder Umstand bei Defizitüberschreitung gewertet. Unglaublich!! Die Lobby sitzt mit am Tisch und diktiert die Beschlüsse. Es gibt nämlich keinen Sachzusammenhang zwischen Strukturreform in Richtung Kapitaldeckung und Defizit. Es sei denn, man wertet die Staatsausgaben für so etwas wie die private riester’sche „Förderrente“ als besondere Anstrengung. Diese staatliche Förderung einer Privatvorsorge, die unter dem Schlagwort „Mehr Eigenverantwortung“ eingeführt wurde, ist ohnehin eine Groteske. Aber unsere Politiker sind offenbar europaweit schon so von der Privatisierungslobby vereinnahmt, dass ihnen das Unanständige ihrer Lobbyarbeit schon nicht mehr aufstößt. Pinochets früherer Arbeitsminister Jose Pinera scheint mal wieder zugeschlagen zu haben. Zum Verständnis dieser Anmerkung füge ich unter „Veröffentlichungen der Herausgeber“ die einschlägige Passage aus der „Reformlüge“ an.

Unten folgen die einschlägigen Auszüge aus dem Ratsdokument. Und in der Rubrik „Andere interessante Beiträge“ finden Sie das gesamte Dokument.
Auszüge aus den Beschlüssen des Europäischen Rates vom 22./23.3.2005, S. 31 und S. 35:

2.3. Berücksichtigung von Strukturreformen
Der Rat stimmt darin überein, dass zur Stärkung der Wachstumsorientierung des Paktes Strukturreformen berücksichtigt werden, wenn es darum geht, den Anpassungspfad zur Erreichung des mittelfristigen Ziels für Länder festzulegen, die dieses Ziel noch nicht erreicht haben, und Ländern, die es bereits erreicht haben, eine befristete Abweichung von diesem Ziel einzuräumen, wobei eindeutig festgelegt ist, dass eine Sicherheitsmarge zur Gewährleistung der Einhaltung des Referenzwerts von 3 % des BIP für das Defizit garantiert sein muss und dass erwartet wird, dass die Haushaltslage im Programmzeitraum voraussichtlich wieder zum mittelfristigen Ziel zurückkehrt.

Nur größere Reformen, die direkte langfristige Kosteneinsparungseffekte haben – auch durch Steigerung des Potenzialwachstums – und daher nachprüfbare positive Auswirkungen auf die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen haben, werden berücksichtigt. Eine detaillierte Kosten-Nutzen-Analyse dieser Reformen aus finanzpolitischer Sicht müsste im Rahmen der jährlichen Aktualisierung der Stabilitäts-/Konvergenzprogramme vorgelegt werden. Diese Vorschläge sollten in die Verordnung 1466/97 aufgenommen werden. Darüber hinaus ist sich der Rat bewusst, dass die Einhaltung der Haushaltsziele des Stabilitäts- und Wachstumspakts Strukturreformen nicht beeinträchtigen sollte, die die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen eindeutig stärken. Der Rat erkennt an, dass die Rentenreformen, durch die ein Mehrsäulensystem mit einer gesetzlichen, vollständig kapitalgedeckten Säule eingeführt wird, besonders zu beachten sind. Obgleich diese Reformen eine kurzfristige Verschlechterung der öffentlichen Finanzen während des Umsetzungszeitraums zur Folge haben, wird die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen eindeutig gestärkt. Daher billigt der Rat, dass den Mitgliedstaaten, die derartige Reformen durchführen, erlaubt werden sollte, vom Anpassungspfad zum mittelfristigen Ziel oder von diesem selbst abzuweichen. Die Abweichung vom mittelfristigen Ziel sollte den Nettokosten der Reform im Hinblick auf die von der öffentlichen Hand finanzierte Säule entsprechen, sofern die Abweichung vorübergehend ist und eine angemessene Sicherheitsmarge zum Referenzwert beibehalten wird.

3.4. Berücksichtigung von Reformen der Rentensysteme
Der Rat ist sich einig über eine behutsame Beurteilung einer in der Nähe des Referenzwertes bleibenden Überschreitung, die sich aus der Umsetzung von Rentenreformen ergibt, bei denen ein Mehrsäulen-System eingeführt wird, zu dem eine gesetzliche, vollständig kapitalgedeckte Säule gehört. Auch wenn die Umsetzung solcher Reformen zu einer kurzfristigen Verschlechterung der Haushaltslage führt, so verbessert sich doch die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen in eindeutiger Weise.

Die Kommission und der Rat werden bei allen Haushaltsbeurteilungen im Rahmen des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit der Umsetzung solcher Reformen gebührend Rechnung tragen.

Insbesondere werden die Kommission und der Rat bei der im Rahmen des Artikels 104 Absatz 12 vorgesehenen Beurteilung, ob das übermäßige Defizit korrigiert worden ist, die Entwicklungen bei den Defizitzahlen im Rahmen des Verfahrens unter Berücksichtigung der Nettokosten der Reform für die von der öffentlichen Hand finanzierte Säule beurteilen. Die Berücksichtigung der Nettokosten der Reform erfolgt für die ersten fünf Jahre, nachdem ein Mitgliedstaat eine kapitalgedeckte Pflichtversicherung eingeführt hat, oder für fünf Jahre nach 2004 im Falle von Mitgliedstaaten, die ein solches System bereits eingeführt haben. Zudem soll sie degressiv sein, d.h. während eines Zeitraums von fünf Jahren werden 100, 80, 60, 40 bzw. 20 % der Nettokosten der Reform für die von der öffentlichen Hand finanzierte Säule berücksichtigt.


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