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Titel: Der SPIEGEL reiht sich in die Kampagne für Studiengebühren ein

Datum: 12. Januar 2004 um 16:54 Uhr
Rubrik: Chancengerechtigkeit, Hochschulen und Wissenschaft, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik
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Es ist schon lange her, dass Studierende für den SPIEGEL auf die Straße gingen; diese Woche müssten sie gegen den SPIEGEL protestieren. Einmal mehr reiht sich der SPIEGEL mit seinem Aufmacher “Geist gegen Gebühr” in den Mainstream der Meinungen ein. Nur noch die bekannten Befürworter der Studiengebühr kommen zu Wort, kein Argument ist zu plump. Wolfgang Lieb.

Weil angeblich kein Geld mehr für die Hochschulen vorhanden ist, sieht nun auch der SPIEGEL dieser Woche das Bezahlstudium als Ausweg aus der Hochschulmisere. Die jahrelange Kampagne des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) der Bertelsmann-Stiftung für die Einführung der Studiengebühr hat nun endgültig auch die SPIEGEL-Redaktion erreicht. Sie lässt unter Verletzung der Grundsätze eines fairen Journalismus nur noch die Befürworter der Studiengebühr, allen voran Detlef Müller-Böling vom CHE zu Wort kommen. Die Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn, die erstvor drei Jahren auf Druck der SPD-regierten Länder und der SPD nachträglich ein Gebührenverbot ins Hochschulrahmengesetz hineingeschrieben hat, wird mit ihrer Position gerade noch mit einem Halbsatz abgewatscht. Kein noch so treffendes Argument der Kampagne gegen die Studiengebühren “Gute Bildung braucht Zeit” wird aufgenommen. Was bleibt sind pseudoökonomische Argumente, wie etwa der Student solle “Kunde” der Hochschule werden, nur wer bezahle, fordere Qualität, die Küchenfrauen der Mensa finanziere das Studium der Bessergestellten etc.

Auf die Idee, dass mit einem Bruchteil des Betrages von weit über 100 Milliarden Euro, mit dem durch die Senkung oder Abschaffung von Körperschafts-, Gewerbe-, der Spitzensteuersätze oder derBörsenumsatzsteuer – wie wir wissen ohne Erfolg – das “Investitionskapital” gefördert worden ist, ein beachtlicher Teil der Finanzmisere für das “Humankapital” Hochschulbildung gelindert werden könnte, kommt offenbar beim SPIEGEL keiner mehr. Jahrelang wurde getrommelt, dass der Staat sparen müsse und, um ihn dazu zu zwingen, müssten die Steuern gesenkt werden. Wie soll da dann für die Bildung noch genug Geld da sein. Im Sinne der Stärkung der Eigenverantwortung, sprich der Privatisierung öffentlicher Güter, sollen nun eben die Studierenden für ihre Ausbildung selbst bezahlen. Ganz in der Logik dieser Argumentation forderte der SPD-Landesvorsitzende und nordrhein-westfälische Wirtschafts- und Arbeitsminister auch schon “Weniger Geld für Lehrlinge” (Kölner Stadt-Anzeiger vom 10./11. Januar 2004).

Wie beliebig dabei ökonomische Argumente für die Produktion des öffentlichen Gutes Forschung und wissenschaftliche Bildung miteinander vermengt werden, zeigt sich etwa darin, dass einerseits behauptet wird, ein bezahltes Studium mache den Studierenden zum Kunden; andererseits wird gleichzeitig als unabdingbare Voraussetzung für exzellente Universitäten das Auswahlrecht der Hochschulen gegenüber ihren Studierenden gefordert.
Der Kunde sucht also sein Angebot und fordert damit den Anbieter aberumgekehrt wählt der Anbieter seine Kunden aus – wie passt dieser ökonomische Wirrwarr zusammen?

Ohnehin fragt sich, ob der “Kunde” Student sein “Angebot” Hochschulstudium überhaupt im Voraus richtig beurteilen kann. Er hat ja keine Erfahrung mit dem Studieren, er kann doch erst im nach hinein beurteilen, wie gut er ausgebildet wurde. Hat der Kunde also Markttransparenz? Soll künftig das beste Hochschul-Marketing über die Wahl der Hochschule entscheiden?

Die Chancengleichheit wird in gerade zynischer Weise auf den Kopf gestellt, wenn argumentiert wird, die Küchenfrau finanziere das Studiumder Bessergestellten. Es soll einmal davon abgesehen werden, dass dieses Argument für ziemlich viele steuerfinanzierten öffentlichen Investitionen gilt, zumal etwa für Opernhäuser oder für staatliche subventionierte Forschung für Großunternehmen – die ja teilweise gar keine Steuern mehr bezahlen. Sollte es aber so sein, dass ein besserverdienender Akademiker seine Studienkosten nicht über die Steuer refinanziert, dann bedeutet das nicht mehr und nicht weniger, als dass er im Vergleich zum geringer verdienenden Nichtakademiker schlicht zuwenig Steuern bezahlen muss. Wäre es da nicht viel einfacher undunbürokratischer den Spitzensteuersatz zu erhöhen, statt in weiterdrastisch zu senken?

Umgekehrt würde ein Schuh draus: Wenn es so ist, dass die Krankenschwester das Studium ihres Chefarztes mitbezahlt, dann wäre es genau so naheliegend wie die Bildungskosten zu privatisieren, dafür zu sorgen, dass niedrigere Einkommensbezieher entsprechend ihrem Anteil ander Finanzierung der Hochschulausbildung auch als Studierende vertreten sind. Das wäre ein Beitrag zur Chancengleichheit, aber nicht die Privatisierung der Bildungskosten. Das stabilisiert nur den vorhandenen ungleichen Anteil der sozialen Schichten an den Hochschulen. Noch mehr:das verschärft sogar die soziale Selektion.

Wenn man schon ökonomische Argumente bemüht, hätte man auf das ganz elementare Gesetz kommen müssen, dass höhere Preise die Nachfrage dämpfen. Wie will man also die im Vergleich zu unseren internationalen Mitwettbewerbern viel zu niedrige Rate der Studierenden steigern, wenn man durch eine Preiserhöhung die Nachfrage dämpft?

Keiner der Befürworter der Studiengebühren vergisst den Hinweis, dassdie Gebühren nicht zu einer weiteren sozialen Auslese führen dürften. Dieser Hinweis ist so lange unglaubwürdig, wie man nicht mit demselben Engagement und mit mindestens genau so großem Einfallsreichtum ein realistisch finanziertes Stipendiensystem vorschlagen kann, wie es jedenfalls in den meisten Ländern mit einer Gebührentradition existiert.

Die sogenannte nachgelagerte Gebühr kann dabei das Heilsversprechen nicht sein. Mit diesem so genannten “umgekehrten Generationenvertrag” würde der noch funktionierende Generationenvertrag an einer weiteren Stelle aufgekündigt. Umso berechtigter könnten die gebührenzahlenden Studierenden fragen, warum sie den kostenlos studiert habenden Altakademikern ihre hohen Renten finanzieren sollen.

Wer behauptet, ein Schuldenberg von 30.000 bis 40.000 Euro nach dem Studium sei zumutbar, nimmt die typische Sichtweise eines Angehörigen der gehobenen Mittelschicht ein. Für ihn sind etwa die Hypothek für das Haus oder der Kredit für eine Investition etwas Selbstverständliches. Für die Unterschichten ist das eine hohe sozialpsychologische Hypothek. Zumal, wenn man einmal die Perspektive eines 19 oder 20-Jährigen einnimmt, der als Erster in der Familie ein akademisches Studiumanstrebt und seine Eltern vielleicht sogar noch von der Sinnhaftigkeit überzeugen muss. Für diesen Jugendlichen ist – trotz BaFöG – nicht nur die Finanzierung seines Lebensunterhalts während eines Studiums eine hohe Hürde, die Studiengebühr (oder eine Schuldenaufnahme) aber eine kaum überwindbare Barriere.


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