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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Der „letzte DDR-Bürger” in Chile – Die Seelenhäutungen des Honecker-Enkels Roberto Yáñez
Datum: 3. März 2019 um 11:45 Uhr
Rubrik: einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, Innen- und Gesellschaftspolitik, Rezensionen
Verantwortlich: Redaktion
Im September 2018 erschien im deutschen Insel-Verlag das Buch „Ich war der letzte Bürger der DDR – Mein Leben als Enkel der Honeckers“ des Deutsch-Chilenen Roberto Yáñez in Ko-Autorenarbeit mit dem ebenfalls aus der DDR stammenden Buch- und Filmautor Thomas Grimm. Aus diesem Anlass regte ich damals die Redaktion der NachDenkSeiten zu einer Reportage über Yáñez‘ Leben und Schaffen in Chile an. Von Frederico Füllgraf.
Längst bevor sein Name überhaupt die Medienwelt erreichte, reizte es mich seit meiner Ankunft aus Brasilien im Jahr 2013, zwei Ironien der Geschichte auf den Grund zu gehen. Zum einen der nahezu zeitgleiche Niedergang, in den Jahren 1989 und 1990, so diametral entgegengesetzter Systeme wie der DDR und der Diktatur Augusto Pinochets. Zum anderen, dass die SED-Koryphäen Erich und Margot Honecker ausgerechnet im chilenischen Exil ihren allerletzten Atemzug taten. Dass ihre leiblichen Überreste bis heute nicht bestattet wurden, steht auf einem anderen, nicht weniger märchenhaften Blatt.
Allerdings war als Mittelpunkt der Geschichte natürlich ein persönliches Gespräch mit Roberto Yáñez de Betancourt y Honecker in Valparaíso geplant. Doch bevor ich überhaupt damit begann, die nötigen Kontakte einzuschalten, versuchte ich Honeckers Enkel in einschlägigen sozialen Netzwerken aufzustöbern und stieß auch auf zwei seiner Facebook-Profile. Ein nicht datiertes, mit einer Sammlung kommentarloser Familienfotos, ist dem Namen Roberto Yáñez Betancourt y Honecker zugeordnet, ein zweites, unter dem neuerdings abgekürzten Namen Roberto Yañez, trägt als letzten Eintrag den 16. Januar 2017. Auf beiden hinterließ ich Grüße mit der Bitte um Kontaktaufnahme, obwohl mir dämmerte, dass der Betreiber vorläufig nicht auf die Idee kommen würde, einen Blick auf seine seit Jahren nicht aufgefrischten Seiten zu werfen und mir zu antworten.
Katz-und-Maus-Spiel
Also googelte ich weiter, nun nach einer Telefonnummer oder E-Mail-Adresse, und stieß auf einer Internet-Seite chilenischer off-Mainstream-Poeten auf den Namen der Dichterin Leonor Dinamarca; allen Anzeichen nach eine engere Yáñez-Bezugsperson. Und siehe da, auch Dinamarca betrieb eine Facebook-Seite. Wieder hinterließ ich eine mir lästige, fast gleichlautende Botschaft, mit der Frage, ob sie Yáñez kenne und in einer journalistischen Angelegenheit den Kontakt zu ihm vermitteln könne – Fragen, die die Angesprochene überraschend schnell mit “Ja” beantwortete, sie war zufällig online.
In dem längeren Gespräch machte Dinamarca jedoch einen ebenso überraschenden Rückzieher, als sie mich fragte, was für sie „dabei herauskäme”, immerhin sei sie doch „eine respektable chilenische Dichterin”. Ich versprach der Autorin von beängstigenden Buchtiteln wie “Metáforas Negras” (Schwarze Metaphern), “Demonios de outros reinos” (Dämonen anderer Reiche) und “Las almas de los condenados” (Die Seelen der Bestraften), auch ihre schauerlichen Gedichtbände zu lesen und eventuell auf sie als journalistische Person zurückzukommen, doch es war zwecklos, geisterhafte Eitelkeit blockierte den Weg zu Erich und Margot Honeckers Enkelsohn.
Sodann schaltete ich das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chiles ein. Dessen Mitglied und der mir seit den Recherchen über die Todesursache Pablo Nerudas bekannte Anwalt Eduardo Contreras verwies mich an einen Kubaner, der Yáñez‘ Vater Leonardo Yáñez Betancourt kenne, und an einen Chilenen, der angeblich zu Yáñez‘ Mutter, Sonja Honecker, guten Kontakt pflege. Der nette Kubaner erklärte mir am Telefon, leider sei Leonardo Yáñez Betancourt seit „geraumer Zeit in der Versenkung verschwunden”, und der von Contreras empfohlene Chilene beantwortete niemals meine E-Mails.
Nun muss man wissen, dass Leonardo Yáñez Betancourt und Sonja Honecker einst ein Ehepaar waren, sich kurz nach ihrer Ankunft in Chile Anfang der 1990-er Jahre jedoch trennten. Deutlicher ausgedrückt: Erich-Honecker-Tochter Sonja setzte Ehemann Leonardo und ihren gemeinsamen Sohn Roberto vor die Tür. Seitdem rissen die Kontakte innerhalb der entzweiten Familie ab; ein schmerzhaftes Mutter-Sohn-Trauma mit Schweigepflicht, die in die ohnehin gelittene Seele Robertos eine weitere, tiefe Wunde riss.
Leserinnen und Leser machen sich ja in der Regel keine Vorstellung, oft nicht einmal die Redakteure im fernen Deutschland, wieviel Knochenarbeit – vornehm ausgedrückt: “Recherche-Aufwand” – hinter einer Geschichte steht und dass einige Themen wegen ihrer “Unzugänglichkeit” schlichtweg ad acta gelegt werden müssen. „Wenn etwas schief gehen kann, geht es hundertprozentig schief!”, provozierte mich die Erinnerung an ein fatalistisches, witziges Murphy-Gesetz. Doch im Schweigen sprechen die Zeichen, sagte ich mir. Also lieber Roberto Yáñez in Ruhe lassen und die Geschichte in “seinem Geist” aufschreiben.
Schocks und Risse: Von Wandlitz nach den Straßen Santiagos
„Wenn eine Zigeunerin für Minuten ihre tausendjährige Fähigkeit beiseitelassen würde, aus den Linien der Handfläche das Schicksal ihrer Kunden zu erraten und sich der Erforschung des Gesundheitszustands der Seele dieser Menschen widmen und einfach nur beobachten würde, was sich im Gesichtsausdruck dieser Menschen abspielt, könnte man schnell zu dem Schluss kommen, dass der vor 38 Jahren in Ost-Berlin geborene Maler, Musiker und Dichter Roberto Yañez – der in Chile, dem Land seines Vaters, aufwuchs – einen schweren Seelenballast mit sich herumschleppt, der ihn um Haaresbreite in menschlichen Abschaum verwandelt hätte“, schrieb El País-Reporter Henrique Müller bereits im Februar 2014 und bemerkte Mitleid bekundend: „Roberto Yañez besitzt ein Gesicht, das niemals Zufriedenheit, Freude oder Ruhe auszudrücken scheint. Sein Gesicht ist der Spiegel eines Lebens voller Qualen“.
Wie viel kann ein menschliches Herz an Schockerlebnissen, Einschnitten, Unterbrechungen, Lossagung, Rissen, Distanzierungen, Entzweiungen, Scheidungen, Entfernung geliebter Familienangehöriger, Sprüngen, Brüchen, Knacksen und Auflösungen ertragen, bevor die Seele ausrastet, einer übers Kuckucksnest springt, durchdreht? Roberto Leonardo Yañez Betancourt y Honecker könnte davon „ein Lied singen“.
„Santiago kommt jetzt dem Frühling näher. Das Leben hat mir beigebracht, über Menschen länger nachzudenken”, beichtete er vor Jahren einem chilenischen Journalisten. Und sinnierte trauernd über das Ende der goldenen Jahre im SED-Staat: „Ein Mensch ist oben. Er denkt, er wäre das Gesetz. Er denkt, er ist ein gerechter Mensch. Er handelt ja im Auftrag der Geschichte. Mein Großvater Erich Honecker war so ein Mensch. Er musste gehen. Sein Lebenswerk, die DDR, auch”.
Roberto Yáñez, wie er sich verkürzt in jüngster Zeit nennt, wurde 1974 als Sohn des im DDR-Exil lebenden Chilenen Leonardo Yáñez Betancourt und Erich und Margot Honeckers Tochter Sonja geboren. Die Kindheit des Deutsch-Chilenen war bereits von kaum versöhnlichen Kontrasten geprägt. Einerseits von den fragwürdigen Privilegien der SED-Führungskaste, andererseits von ständiger, wenngleich indirekter Verbindung zu Chile durch die Erzählungen und das Heimweh tausender Exilanten in der DDR. Wie jenes Bild vergessen, das um die Welt ging, auf dem er auf den Armen des inzwischen verstorbenen Generalsekretärs der Kommunistischen Partei Chiles, Luis Corvalán, zu erkennen ist, als dieser in seinem DDR-Exil von seinem Großvater Erich Honecker und einer jubelnden Menschenmasse empfangen wurde?
Dem heranwachsenden Yáñez wurde im Laufe der Jahre selbstverständlich bewusst, welche Privilegien er als Enkel des Staatsratsvorsitzenden der DDR genoss. Er wurde als „verwöhntes Kind” aufgezogen. Die Sommerferien verbringt er mit seinen Großeltern auf jener baltischen Insel Vilm, die aus der Luft wie ein springender Walfisch aussieht. Sie reisten aber nicht allein, sondern, so der Honecker-Enkel, in Begleitung eines „ganzen Personalbataillons”: Köche, Kellner, Fahrer und Reinemache-Frauen gehörten zur obligatorischen Entourage. An die Stasi-Schlapphüte erinnert sich Yáñez seltsamerweise kaum.
Der Junge hatte Spaß an Spielzeug, Leckereien und Exklusiv-Erzeugnissen, die den Werktätigen im Arbeiter- und Bauernstaat DDR nicht zugänglich waren. „Der Enkel genoss die komplette Zuneigung des Großvaters, jeden Wunsch erfüllte er ihm”, heißt es im Buch. Für nachträgliche Kritik an der „vielbespotteten Kleinbürgerlichkeit Honeckers, jene für die späte DDR staatserhaltende Laubenpieperei, mit Markenkernen wie gegrillter Wurst, gesticktem Platzdeckchen, gestutzter Hecke usw.“, wie Sebastian Huhnholz die „berauschte Gesellschaft“ der 25 führenden DDR-Bonzen in Wandlitz nannte, sucht der Leser allerdings vergebens in Enkel Robertos Erinnerungsbuch.
Umso mehr erfährt er über den vergötterten Großvater. Eben noch der Held und plötzlich wettert ein Klassenkamerad im Vorbeigehen „Dein Opa ist ein Arschloch!“. Der Großvater verliert Regierungsamt, Parteivorstand und Ehre, die Großeltern werden aus Wandlitz vertrieben, flüchten ins Pfarrhaus von Lobetal und während man sie besucht, brüllen draußen Demonstranten „Hängt ihn auf!”, erzählt Yáñez dem Buch- und Filmautor Thomas Grimm, der die Erinnerungen in Erzählform gesetzt hat. Die Großeltern flüchten zunächst nach Russland, dort wird Großvater Erich verhaftet und an die westdeutsche Justiz ausgeliefert.
Roberto ist gerade 15, als alles zusammenbricht. Die Pinochet-Diktatur ist kaum zu Ende, da wandern Roberto und seine Eltern nach Chile aus, Großmutter Margot Honecker folgt ihnen wenig später. Im Januar 1993 trifft auch der todkranke Erich Honecker in Chile ein. In Santiago beziehen die Yáñez y Honecker ein bescheidenes Holzhaus in einem ebenso einfachen Wohnviertel, die Großeltern ziehen in ein mit Spenden der KP finanziertes Haus im Mittelklasse-Viertel La Reina ein.
Es beginnt ein neues Exil, nun mit umgekehrten Vorzeichen: als Einziger fühlt sich Vater Leonardo wieder zu Hause, die Honeckers – von den Großeltern über die Tochter bis zum Enkel – sind von der neuen Umwelt schockiert. Individualismus, soziale Entrechtung und Konsumgesellschaft. Trotz des Übergangs zur Demokratie war Santiago de Chile nach Definition einheimischer Soziologen die Metropole des herübergeretteten, skrupellosen Neoliberalismus. Vater Leonardo, ein Diplom-Chemiker mit Doktortitel der TU Dresden, versucht die Familie mit Spirituosenhandel über Wasser zu halten. Mutter Sonja findet Chile unausstehlich und möchte händeringend nach Europa zurück.
Weniger als ein Jahr später trennen sich Leonardo und Sonja. Sie bleibt mit der selten erwähnten Tochter Vivianne zurück und nötigt Sohn Roberto zum Auszug mit dem Vater. Jahre zuvor kam Yáñez y Honeckers erste Tochter, Mariana, in einem DDR-Krankenhaus aus unbekannten Gründen ums Leben – klammerte sich Sonja Honecker deshalb so eng an Vivianne?
Kaum sind eineinhalb Jahre im Exil-Land Chile vergangen, stirbt Erich Honecker. Roberto Yáñez erlebt seinen zweiten Schock. Den ersten hatte er vier Jahre zuvor bei den Fernsehbildern von der Verhaftung des Großvaters erlebt. „Das war der Ausschlag für meine psychische Erkrankung (…). Ein Psychiater nannte sie ´exogene Psychose´(…). Meine Familie hat das nie wirklich verstanden”, erzählt Roberto. Zu den Symptomen der sogenannten “exogenen“, also durch äußere Umstände einwirkenden Psychose gehören Veränderungen auf der Bewusstseinsebene, psychomotorische Denk- und Gedächtnisstörungen, emotionale Veränderungen sowie Veränderungen in der Wahrnehmung der Innen- und Außenwelt.
Die plötzliche, radikale Trennung von seiner Mutter gab ihm den Rest, berichtet der Honecker-Enkel. Sie wäre einer der Gründe, weshalb er Marihuana-abhängig wurde und unter Panikanfällen litt. In seinem mit Thomas Grimm verfassten Buch gibt Roberto Yáñez zu verstehen, mit dem Tod seines Großvaters habe er seine Kindheit und das Land, in dem er aufgewachsen ist, „begraben“.
Danach zog er zu seiner Großmutter Margot im Bezirk La Reina. Zu dieser Zeit war er deprimiert und schluckte erstaunliche Mengen an Drogen; insbesondere während seines mehrmonatigen Aufenthalts in einer Hippie-Künstlergemeinde an der Küste der Atacama-Wüste. Margot übernahm die Verantwortung für die Gesundheit ihres Enkels. In Chile hätte er jedoch niemals Zugang zu einer adäquaten Behandlung erhalten. Also zwang sie ihn zu einer Entziehungskur in einem Krankenhaus auf Kuba, die sie dank ihrer guten Beziehung zu Fidel Castro mit dessen Ehefrau Dalia Soto del Valle ausgehandelt hatte. Zur Behandlung gehörten auch Elektroschocks, vergisst der gecleante Yáñez niemals zu erwähnen.
Zurück in Chile erlebte Yáñez, wie Margot Honeckers Haus in La Reina sich „zum letzten Territorium der DDR” mauserte. Künstler und Politiker gingen ein und aus, die Freude schien sich wieder ihrer bemächtigt zu haben. Doch dann starb auch Großmutter Margot im Alter von 89 Jahren. Als eine ihrer letzten Ermutigungen habe ihm die bis zuletzt eiserne Kommunistin – mit der er unzählige politische Debatten ausgetragen und Differenzen ausgefochten hatte – gesagt, „Du brauchst Dich nicht zu schämen, ein Enkel von Erich und Margot Honecker zu sein“.
Einer, der „vom Himmel in die Hölle abstieg“
„Geh deinen eigenen Weg!“, hatte ihm zwölf Jahre zuvor der vom nahen Tod gezeichnete Großvater geraten. Und diesen eigenen Weg sei er ja dann auch als Künstler gegangen, erzählt Roberto Yáñez. Von seinen frühen Gedichten bis zu seinen jüngsten Bildern tobt sich die Seele des Geplagten zur endlosen Katharsis aus. Doch, nein, seine halb-professionellen Kompositionen, wie Das Nachtlied, bemühen sich inzwischen, mit sanfter Schwerelosigkeit die steinernen Klippen seiner vorbestraften Biographie zu umschiffen.
Wenn der 45-jährige Deutsch-Chilene – der seine Werke neuerdings nur noch mit dem Zunamen Yañez oder Yañez Betancourt, väterlicherseits, bei Weglassung des Zunamens Honecker, mütterlicherseits, signiert – von der Hölle spricht, darf man es ihm glauben. Seine seelischen Belastungen spiegeln sich auch in seinen Gedichten und Bildern wider, wie in der „Geschichte einer Kerze“.
Meine Kerze wechselt von rot auf gelb
Ich verstehe immer noch nicht das Rad der Verklärungen, der Wandlungen
Schreiben ist wie der Zutritt zum Hirn der Bewegung
Ich muss die Knoten dieses Lichts berühren
Es informiert mich über jeden einzelnen Geist
Sparsame Schmetterlinge vertilgen den Fingerabdruck des Todes
Und das ist ein doppelt gefährlicher Trick
Es ist mir nicht erlaubt, das Spielfeld zu verlassen, das von tausenden von Hoffnungen errichtet wurde
Ich würde mit meinen Taten in einen seelenlosen Tag hineinstürzen
Wie soll man darauf bestehen wollen, wenn sich die Flügel über das Ende der Nacht nicht einig sind?
Eine Sonne geht auf und die Silhouette eines Zweiges fliegt dahin
Und meine Kerze geht aus
Sie ist das Herzstück unserer Fähigkeit der Farbdeutung.
„Mit der Kunst will ich mich aus der Hölle herausarbeiten”, erklärte Yáñez schon 2013 gegenüber der Regionalzeitung Berliner Kurier während seines ersten Heimatbesuchs seit seiner Ausreise im Jahr 1990. Das Blatt betitelte den Beitrag mit Honecker-Enkel: In seinen Bildern verarbeitet er die Drogenhölle, platzierte jedoch – ach, diese Medien! – einen Link auf Google mit dem völlig sinnentstellenden Titel „Honecker-Enkel: In seinen Bildern verarbeitet er die Wende-Schande“.
Seine großformatigen Ölgemälde, in denen sich surreale Bildwelten mit kubistischen Elementen vermischen und die unheimliche Titel wie „Der schwarze Troll“ tragen, lösten nicht nur in Chile, sondern auch in Deutschland Befremden aus. Doch weder sind die alptraumhaften Motive allein Ausdruck von Yáñez‘ „Drogenhölle” noch verarbeiten sie die „Wende-Schande”. Die Kunst von Honeckers Enkel ist schlicht und ergreifend ein Aufschrei gegen die Zerstückelung seiner Identität.
Gleichwohl stimmt nicht, wie in verschiedenen Medien behauptet wurde, dass Enkel Roberto erst zwei Jahre nach dem Tod seiner Großmutter Margot im Mai 2016 sein Schweigen über das Familiendrama der Honeckers brach. In einem langen Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit beschrieb er bereits sieben Jahre vor der Buch-Veröffentlichung, wie ihm die Umbrüche als Jugendlichem zugesetzt hatten. Gar nicht schüchtern und ungeschminkt erzählte er von Albträumen, Depressionen, Zusammenbrüchen und jahrelangen Therapien. Erst die Kunst, insbesondere der Surrealismus, hätten ihn gerettet.
„Ich bin unter einem Matriarchat aufgewachsen und musste bis 2016 mit dem innersten Wesen der DDR leben. Ich war der letzte Bürger der DDR. Um dieses Gefühl zu verstehen, zu interpretieren und ihm zu widerstehen, mussten mehr als zwei Jahrzehnte vergehen. Der Tod meiner Großmutter war mein besonderer Mauerfall. Ich habe die DDR am 6. Mai 2016 verlassen”, bemerkt er mit heiterer Ironie.
In den letzten Buch-Abschnitten gibt Yáñez allerdings ein bisher streng gehütetes, surreal anmutendes Geheimnis preis: Dass er mit seiner Mutter erhebliche Differenzen darüber ausgefochten habe, was mit der Asche seiner Großeltern geschehen solle, deren Urnen seit Jahren in der Bibliothek eines chilenischen Bekannten aufbewahrt werden. Während Sonja Honecker sie über dem Pazifik ausstreuen will, würde er sie lieber auf dem Sozialisten-Friedhof in Berlin bestatten. Doch das findet, neben anderen Kritikern, auch Georg Gysi gar nicht gut.
Titelbild: robertoyanez.de
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