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Titel: Wer den Zustand der ARD beschönigt, wird ihre Glaubwürdigkeit noch weiter beschädigen
Datum: 20. Februar 2019 um 9:47 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Audio-Podcast, Medienkritik, PR, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Albrecht Müller
In diesen Tagen ist eine Anleitung bekannt geworden, ein sogenanntes Framing Manual, das dem Führungspersonal und Mitarbeitern der ARD helfen soll, den Ruhm dieses Öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu stärken und zu verbreiten. Dagegen ist prinzipiell nichts einzuwenden. Ich bin trotz vieler Enttäuschungen der Meinung, dass es sinnvoll ist, am Öffentlich-rechtlichen Rundfunk festzuhalten. Aber ich halte den Zustand und die Performance, also die Leistung dieser Sendefamilie insgesamt für eine ziemliche Katastrophe. Auch im Vergleich zu früher. Es tut mir leid, dies feststellen zu müssen. Es tut mir vor allem leid für jene Kolleginnen und Kollegen bei der ARD und beim ZDF, die nach wie vor wunderschöne, unterhaltende und interessante, aufklärende Medienprodukte herstellen. Albrecht Müller.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Das Manual ist vom Berkley International Framing Institute unter Leitung von Dr. Elisabeth Wehling erarbeitet worden. Ich bin dieser Wissenschaftlerin schon vor vielen Jahren begegnet; ihre Arbeit und die ihres amerikanischen Kollegen Lakoff hatte ich schon in meinem Buch “Meinungsmache”, das 2009 erschien, verwertet und gewürdigt. Umso enttäuschter bin ich von dem 89-seitigen Werk, das sie jetzt, nach ihrer Auskunft vor zwei Jahren, für die ARD erstellt hat.
Da wird empfohlen, eine ARD zu verkaufen, die es so gar nicht gibt
Schon auf den ersten Seiten stellt die Wissenschaftlerin bzw. ihr Institut die ARD so wunderbar und unfehlbar dar, dass man denken könnte, man sei im falschen Film. Es fängt schon mit dem Titel an: “Unser gemeinsamer, freier Rundfunk ARD”.
Viele Menschen betrachten Teile der ARD nicht als frei, sondern geprägt von wirtschaftlichen Interessen. Andere sehen den Einfluss zum Beispiel der NATO und der USA und betrachten aus all diesen Gründen die ARD weder als frei noch als gemeinsame Einrichtung. Viele sehen in einer zentralen Person, dem Chefredakteur von ARD aktuell, Dr. Gniffke, an entscheidender Stelle einen Fanatiker. Viele sind deshalb und aus anderen Gründen auf Distanz zu diesem öffentlich-rechtlichen Rundfunk gegangen. Die Kommentarspalten einer Reihe von Sendungen der ARD sind voll von Kritikern, die nicht aus Prinzip, sondern aus Sachkunde und wegen der Einseitigkeit der Sendungen kritisieren. Frau Dr. Wehling und ihre Mitarbeiter/innen sollten sich mal die Kommentare bei der Tagesschau, bei Anne Will und beim Presseclub anschauen. Dort finden sich kritische Kommentare und es finden sich viele gesperrte Kommentare – das kann ein Zeichen für Aggressivität eines Teils des Publikums wie auch für Unzufriedenheit sein. Jedenfalls spricht dies alles nicht dafür, dass wir es mit einem “gemeinsamen, freien Rundfunk” zu tun haben.
Im Framing Manual wird auf Seite 3 empfohlen, die Kommunikation der ARD-Vertreter müsse immer in “Form von moralischen Argumenten stattfinden. In Form von Argumenten also, die eine moralische Dringlichkeit kommunizieren und eine Antwort auf die Frage geben: Wieso ist die ARD gut – nicht schlecht, wie ihre Gegner es halten; …” . Weiter heißt es: „Die Arbeit der ARD ist von moralischen Prinzipien getragen. Die ARD setzt sich für bestimmte Dinge ein, weil sie von ihrer moralischen Notwendigkeit für das gesellschaftliche Miteinander überzeugt ist. Eine Kommunikation dieser Prinzipien ist nicht nur maximal wirkkräftig, wo es darum geht, Mitbürger mit ins Boot zu holen und für die ARD zu begeistern. Sondern es ist auch maximal ehrlich, authentisch und demokratisch, diese Prinzipien zu kommunizieren.“
Donnerwetter, kann man da nur sagen, in welcher Welt leben die Autoren dieser Studie und Empfehlung.
Es gibt wunderbare Produkte der ARD – aufklärend, kritisch, unabhängig
Ein Beispiel will ich konkret nennen, wie schon so oft: die Dokumentation “Rentenangst” des Saarländischen Rundfunks. Weiter: Es gibt gute Sendungen von Monitor. Es gibt noch mehr Sendungen und Namen, an die wir uns wegen ihrer Qualität gerne erinnern: Günter Gaus mit seinen großartigen Interviews, Peter Merseburger mit Panorama, Friedrich Nowottny mit dem Bericht aus Bonn, Klaus Bednarz mit Monitor (hier der Nachruf auf ihn), Fritz Pleitgen, Gerd Ruge, Gabriele Krone-Schmalz. Heute gibt es auch noch einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der ARD, die bemerkenswert gut sind. Aber der größere Teil des guten Eindrucks stammt aus der Vergangenheit. Das gilt auch für Intendanten: Klaus von Bismarck und Friedrich-Wilhelm von Sell beim WDR, Jobst Plog beim NDR, Hans Bausch beim Süddeutschen Rundfunk – um nur vier zu nennen. Wer fällt Ihnen heute ein? Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass hier nicht nach der Methode vorgegangen wird, früher sei alles besser gewesen. Die Qualitäten der genannten Personen ganz im Sinne des Anspruchs des jetzt und heute vorliegenden Manuals kann man belegen.
Die ARD war einmal eine durchaus attraktive Einrichtung. Sie war anders, als das im Framing Manuel dargestellt wird, plural und auch gegensätzlich. Den jetzt vorgeschlagenen Korpsgeist gab es mit gutem Recht nicht. Zum Beispiel: Die Verantwortlichen für das werktäglich gesendete Kritische Tagebuch des WDR hatten mit den Verantwortlichen von Report München nichts am Hut. Das Kritische Tagebuch sendete zum Beispiel 1999 mehrere kritische, aufklärende Beiträge zum demographischen Wandel; Report München machte in der damaligen Asyldebatte anfangs der Neunzigerjahre massiv und mit bösen Mitteln Stimmung gegen Asylanten. Das sind nur zwei Beispiele für viele mögliche. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich zum Beispiel die Verantwortlichen für das Kritische Tagebuch mit den Verantwortlichen für Report München von damals auf das gemeinsame Framing Manual hätten einigen können.
Und noch eine Anmerkung zum im Manual propagierten Korpsgeist. Hier wird wie beschrieben eine ursprünglich heterogene und vielfältige Einrichtung über einen Leisten zu schlagen versucht. Korpsgeist ist für eine Einrichtung wie den Öffentlich-rechtlichen Rundfunk ARD eher gefährlich als gut. Die Reihen schließen sich. Selbstkritik versiegt wegen Angriffen von außen. Als Beobachter muss man feststellen, dass sich dieser “Erfolg” schon eingestellt hat. Bunkermentalität ist heute zu beobachten – übrigens gerade auch im Umgang der ARD mit Medien im Internet. Soll das gut und moralisch sein?
Die heutige Bilanz der ARD rechtfertigt den von den Autoren des Manuals formulierten hehren moralischen Anspruch nicht. Dazu ein paar Beispiele:
Die ARD lässt sich unentwegt in Kampagnen der Meinungsbeeinflussung und damit der Entscheidungsbeeinflussung einbauen:
Das waren einige Beispiele für sehr viel mehr kampagnenähnliche Meinungsbildungsversuche und Unterstützung für solche Versuche von Seiten der führenden Politikerinnen und Politiker. Hat die ARD etwas getan gegen Schäubles Agitation zur Schwarzen Null und die Folgen für die Infrastruktur in Deutschland? Hat die ARD die Befreiung der Gewinne beim Verkauf von Unternehmen und Unternehmensteilen von der Einkommensteuer kritisiert? Diese Steuerbefreiung gibt es seit dem 1.1.2002 und sie hat ganz entscheidend geholfen beim Verscherbeln tausender von Unternehmen an internationale, meist angelsächsische Hedge Fonds und andere Kapitalsammelstellen. Hat die ARD jemals den früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder und seine Finanzminister wegen ihrer Beihilfe zum Verschleudern deutscher Unternehmen aufgespießt? Gab es kritische Kommentare zur moralischen Qualität der Beihilfe zum Ausverkauf unter dem Label “Mobilisierung der Deutschland AG”? Gab es irgendwann eine fundierte ARD-Kritik an Merkels Bewunderung für und Agitation zu Gunsten der Exportüberschüsse?
Die ARD ist sehr viel anders, als es im Framing Manual zu beschreiben und zu propagieren vorgeschlagen wird. Sie ist kein unabhängiges Medium. Sie geht unkritisch mit der Politik und den großen Mächten um und befördert und betreibt Kampagnen.
In welcher anderen Welt die Autoren des Manual leben bzw. welches Bild von der Welt der ARD sie vorschlagen, wird im folgenden Absatz von Seite 38 noch einmal sichtbar. Dort heißt es:
„Wir sichern demokratische Transparenz, Kontrolle und Freiheit jenseits des Informationschaos des Internet und mancher Kommerzmedien, indem wir Politik und Wirtschaft als unabhängige Beobachter auf die Finger schauen.
Wir sorgen für einen medialen Spiegel unserer Kultur und Gemeinschaft, der uns im heutigen Miteinander verbindet und der uns selbst und einander besser verstehen lässt und den sozialen Zusammenhalt stärkt. Wir sorgen für ein sorgsames Gedächtnis unserer Kultur und Geschichte und schaffen damit eine Verbindungen über Generationen hinweg und eine wichtige Anbindung neuer Generationen an die Kultur und Geschichte unserer Vorfahren – unserer Urgroßeltern, Großeltern und Eltern.“
Da wird vom “Informationschaos des Internet” gesprochen. Das mag ja so sein, wenn man alles zusammen nimmt. Aber ist das bei den öffentlich-rechtlichen Sendern anders? Ist Informationschaos überhaupt zu vermeiden, wenn so viele Menschen an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten schreiben, texten, mit der Kamera unterwegs sind und im Hörfunk, Fernsehen und im Internet sprechen und auftreten?
Von demokratischer Transparenz kann bei der ARD überhaupt keine Rede sein. Unentwegt holt die ARD Interviewpartner für ihre Sendungen aus Organisationen, die ganz und gar nicht transparent sind. Wenn es um Sicherheit und Außenpolitik, wenn es um den Feindbildaufbau gegenüber Russland geht, dann sind das oft sogenannte Experten von sogenannten unabhängigen Forschungseinrichtungen, so wird gesagt. Meist handelt es sich aber um Ableger atlantischer Organisationen oder deutscher ausgelagerter Gesellschaften wie der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik oder die Stiftung Wissenschaft und Politik oder US-amerikanische und NATO-Einrichtungen.
Ein aktuelles Beispiel: Tagesschau 24 hat am 18.2.2019 wieder einmal einen solchen Experten präsentiert. Es ging dabei um fünf Jahre Maidan und auch darum, wer verantwortlich ist für die vielen erschossenen Menschen. Schauen Sie sich das einmal an, was der sogenannte Osteuropa-Experte Wilfried Jilge zu sagen hat.
“Die Schüsse von der Banova Straße auf die Protestierenden gingen von Spezialeinheiten des damaligen Regimes aus.”
So wurde es immer behauptet. Aber ob das stimmt, ist ausgesprochen unsicher. Wie vieles mehr bei diesem Vorgang. Die ARD sorgt nicht für Klarheit. Sie hängt sich an Stimmungsmacher an. Wie so oft.
Damit bin ich bei der Eingangsfrage: Erwirbt die ARD wieder die notwendige Glaubwürdigkeit, wenn sie ihre eigene Leistung beschönigt? Wenn sie Kampagnen betreibt und Selbstkritik unterlässt und Kritik von außen missachtet und niedermacht?
Vielleicht kann man mit Propaganda und der notwendigen Propagandaberatung durch Framing-Experten wie Frau Dr. Wehling die Kritik überlagern und totschlagen. Vielleicht. Aber eine demokratische und freiheitliche Lösung, die eines “freien Rundfunks”, der den Anspruch erhebt, unser “gemeinsamer Rundfunk” zu sein, wird das dann nicht. Dann wird die schlechte Performance durch ausgeklügelte Propaganda überlagert. Das war es dann. Und wenn die ARD diesen Weg geht, dann werden die wachesten und kritischsten Zeitgenossen diesen Weg nicht mitgehen. Dann werden auch so alte, eingefleischte Sympathisanten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wie die früheren ARD-Mitarbeiter Klinkhammer und Bräutigam und ich abtrünnig und keine Freunde dieses so gewordenen Systems mehr sein.
Titelbild: Ewa Studio / Shutterstock.com
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