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Titel: Regierungserklärung des Bundeskanzlers: Gefangen in der Logik der Agenda
Datum: 18. März 2005 um 18:05 Uhr
Rubrik: Bundesregierung, Sozialstaat, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
In seiner Regierungserklärung unter dem Titel „Aus Verantwortung für unser Land: Deutschlands Kräfte stärken“ hat Bundeskanzler sich nahezu ausschließlich auf solche Ergänzungsvorschläge beschränkt, die einem noch einfallen, wenn man den Agenda-Kurs nicht in Frage stellen will. Immerhin hat sich Schröder wohltuend von der vom Bundespräsidenten propagierten „Marktgesellschaft“ abgesetzt, in dem er wenigstens ein verbales Bekenntnis zum „Prinzip des Sozialstaates“ abgegeben hat. Diejenigen, die wie Merkel, Stoiber oder Gerhardt mit ihrer „Ordnung der Freiheit“ den Sozialstaat aufs Skelett abmagern lassen und die Arbeitnehmerrechte schleifen wollen, werden weiter fordern, die Regierung gehe nicht weit genug. Wer Vorschläge zur Stärkung der Binnennachfrage und damit zu einer aktiven Konjunktur- und Beschäftigungspolitik erwartet hatte, wurde mehr als enttäuscht.
In der Einleitung und am Schluss seiner Regierungserklärung sprach Schröder auffallend oft vom „sozialen Zusammenhalt“, vom „Prinzip des Sozialstaates“, ja sogar von „Solidarität“ nicht nur als Tugend, sondern als Voraussetzung für den ökonomischen Erfolg.
Das ist immerhin der Erwähnung wert, wenn man diese Rede mit der des Bundespräsidenten vor dem Arbeitgeberforum vergleicht, dem beim Thema „Wirtschaft und Gesellschaft“ außer der Unternehmerfreiheit und dem Wettbewerb aller gegen alle als gesellschaftliche Ordnungsprinzipien das Wort sozial nicht einmal mehr einfällt.
Auch der Kanzler scheint allmählich zu merken, dass seine SPD – zumal in Nordrhein-Westfalen chancenlos – ist, wenn er nicht wenigstens verbal daran festhält, woran die Mehrheit der Bevölkerung festhalten will, nämlich am Sozialstaat. Wenn Gerhard Schröder aber die Agenda 2010 als „Instrument“ bezeichnet, die Sozialstaatlichkeit zu bewahren, muss man bezweifeln, ob allein schon diese „Sozial-Rethorik“ ausreicht, um neues Vertrauen zu schaffen oder verloren gegangenes Vertrauen zurück zu gewinnen.
Ob es bei über 5 Millionen Menschen in Arbeitslosigkeit sehr glaubhaft wirken kann, wenn Schröder behauptet, dass der „Reformprozess zu greifen beginnt“? Ob es den Betroffenen etwas hilft, wenn sie von der Sozialhilfestatistik in die Bedürftigenstatistik nach dem Arbeitslosengeld II umgebucht werden, wenn das Förderungsversprechen nicht eingelöst werden kann? Ob es den über 600.000 arbeitslosen Jugendlichen ein Jobangebot bringt, wenn die Unternehmen gemahnt werden, bei der „gemeinsamen Kraftanstrengung“ für den Ausbildungspakt nicht nachzulassen?
Für die von den Hartz-Reformen Betroffenen ist es auch nur ein schwacher Trost, wenn ihnen der Kanzler vorrechnet, dass bisher zwar 10 Milliarden Euro an Lohnzusatzkosten eingespart wurden und es dann aber dabei belässt, den Unternehmen ins Gewissen zu reden, dieses Geschenk nicht mit der Androhung von Verlagerungen sondern mit Einstellungen zu beantworten.
Wer nichts anderes bietet, als den Agenda-Kurs stur durchzuhalten und umzusetzen, dem bleiben nach der der Agenda zugrunde liegenden angebotsorientierten ökonomischen Doktrin nicht viele andere Möglichkeiten, als moralische Appelle an die Investitionsbereitschaft der Wirtschaft und – über die vom Kanzler selbst genannten 56 Milliarden Euro hinaus – weitere Steuererleichterungen etwa bei der Körperschaftssteuer, bei den Anrechnungssätzen für die Gewerbesteuer oder weitere Abzugsmöglichkeiten bei der ohnehin vergleichsweise niedrigen Erbschaftssteuer für Großvermögen anzukündigen.
Um fair zu bleiben: Es gab durchaus einige erfreuliche Akzente in der Regierungserklärung. So wenn der Kanzler die Gefahr des Sozialdumpings durch die drohende europäische Dienstleistungsrichtlinie geißelte oder wenn er die Blockaden der Länder bei der Umsetzung des 4-Milliardenprogramms zur Ganztagsbetreuung anprangerte oder wenn er die Kommunen aufforderte die Einsparungen bei der Sozialhilfe oder die gestiegenen Einnahmen bei der Gewerbesteuer in Höhe von 28 Milliarden Euro wenigstens zu einem beachtlichen Teil in die Sanierung von Schulen und Straßen zu investieren. Ein wenig Erleichterung für die Betroffenen brächte auch die Verbesserung der Hinzuverdienstmöglichkeiten für Langzeitarbeitslose.
Die Gewerkschaften hörten es sicherlich gerne, wenn der Kanzler vom „Popanz“ des Kündigungsschutzes sprach und der Union die Tatsache entgegenhielt, dass heute schon jedes Unternehmen für 2 Jahre befristet einstellen kann, dass bei neuen Unternehmen in den ersten vier Jahren und bei Menschen über 52 Jahren praktisch keinerlei Kündigungsschutz mehr besteht. Zu einer Einstellungswelle zumal von älteren Menschen hat das allerdings nicht geführt. Wie verbohrt die Opposition an ihren Parolen festhält, zeigte sich schon in den anschließenden Debattenbeiträgen der Opposition, wo unbeeindruckt von dieser Wirklichkeit munter eine weitere Lockerung des Kündigungsschutzes reklamiert wurde.
Wenn Schröder das Montesquieu-Zitat, dass ein Gesetz, das nicht notwendig ist, besser unterbleibe, gegenüber der Forderung nach einer gesetzlichen Regelung von betrieblichen Bündnissen an den Bundespräsidenten zurückreicht, so ist das wohltuend. Mehr als ein Appell an die Unternehmer, die „gleiche patriotische Pflicht“ bei der Flexibilisierung von Tarifverträgen walten zu lassen wie es die Gewerkschaften tun, springt aber dabei auch nicht heraus.
Man hat eben nicht mehr viele politische Handlungsmöglichkeiten, wenn man stur am Agenda-Kurs festhält und sich dem Druck nach weiteren Zumutungen gegenüber den Arbeitnehmern und Rentnern nicht vollends beugen will. Da bleibt nicht mehr viel, als moralische Appelle an die Investoren zu richten und ihnen weitere Erleichterungen zu versprechen. Das hat bisher nichts gebracht, wie der Kanzler in seiner Erklärung mehrfach bitter anmerkte. Wie lange wird es dauern, dass er einsieht, dass das auch in Zukunft nicht viel bringen wird.
Die Arbeitnehmer und vor allem die Arbeitslosen, werden jedenfalls davon kaum etwas haben. Die Regierung bleibt gefangen in der Logik der Angebotsökonomie und so lange sie diese Logik nicht durchbricht, wird sie von der Opposition, wie schon auf dem heutigen Job-Gipfel geschehen, immer weiter getrieben werden. Unsere sogenannten Wirtschaftsexperten wie die Sinns&Co wetzen schon die Messer. Der Mainstream der Medien wird sein Trommelfeuer gleichfalls nicht einstellen, dazu genügt ein Blick auf die Schlagzeilen: Das einzige was interessiert sind die Unternehmenssteuersenkungen.
Gerhard Schröder hat die Chance verpasst, das Steuer herum zu reißen, und mit einem Konjunkturprogramm, das diesen Namen verdient, einen wirklichen Impuls zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu setzen. Ein Investitionsprogramm für Straßen- und Schienenbau von gerade mal jährlich 500 Millionen Euro über 4 Jahre, der Verweis auf private Finanzierung von Infrastrukturmaßnahmen oder die Verbilligung von Krediten für den Mittelstand, ist allenfalls – wie der Konjunkturforscher Gustav Horn sagt – eine „Nullnummer“.
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