Startseite - Zurück - Drucken
NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Zum Programmentwurf der Partei DIE LINKE
Datum: 22. März 2010 um 10:15 Uhr
Rubrik: DIE LINKE, Innen- und Gesellschaftspolitik, Ungleichheit, Armut, Reichtum
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Ein Programmentwurf, der die Kritik vieler Menschen aufgreift und den herrschenden Verhältnissen positive Utopien entgegenstellt. Die Kritik tut den etablierten Parteien weh und dementsprechend aggressiv ist die Abwehr der Forderungen der Linkspartei. Dennoch, bis zur Verabschiedung sind noch viele Fragen zu klären. Allzu oft, werden die kritisierten Missstände undifferenziert auf die kapitalistische Verwertungslogik zurückgeführt. Dem bestehenden System wird unvermittelt ein alternatives System gegenübergestellt. Es hapert an einer mittleren und konkret untermauerten Perspektive. Wolfgang Lieb
„Wir kämpfen für eine Gesellschaft, in der kein Kind in Armut aufwachsen muss, in der alle Menschen in Frieden, Würde und sozialer Sicherheit leben und die gesellschaftlichen Verhältnisse demokratisch gestalten können. Um dies zu erreichen, brauchen wir ein anderes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem: den demokratischen Sozialismus“, heißt es im ersten Absatz des Entwurfs eines Grundsatzprogramms der Partei DIE LINKE [PDF – 188 KB], das nach zweieinhalbjähriger Beratung von einer 16-köpfigen Programmkommission unter Leitung der noch amtierenden Parteichefs, Oskar Lafontaine und Lothar Bisky jetzt der Öffentlichkeit vorgestellt wurde.
Es trifft durchaus zu, was Hans Peter Schütz im stern schreibt, nämlich dass der Programmentwurf gefährlich ist für die etablierten Parteien.
Denn selbst viele Wertkonservative könnten Sätze wie diese unterschreiben:
„Eine Gesellschaft, in der jede Lebensregung sich rechnen muss, ist inhuman. Wo vor allem der Profit regiert, bleibt kein Raum für Demokratie. Die ungebändigte Freiheit der Finanzhaie bedeutet Unfreiheit für die Mehrheit der Menschen. Wir wollen alle gesellschaftlichen Verhältnisse überwinden, in denen Menschen ausgebeutet, entrechtet und entmündigt werden und in denen ihre sozialen und natürlichen Lebensgrundlagen zerstört werden. Wir setzen uns dafür ein, die neuen Möglichkeiten einer Wissens-, Kommunikations- und Kulturgesellschaft konsequent für eine soziale, demokratische und friedliche Zivilisation und für eine lebenswerte Umwelt zu nutzen. Wir wollen patriarchale Strukturen überwinden. Wir verteidigen die Errungenschaften der Kämpfe für politische, soziale und kulturelle Menschenrechte, für Rechtsstaat, Demokratie und Sozialstaat.“
Und weiter heißt es da:
„Demokratie, Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Internationalismus und Solidarität gehören zu unseren grundlegenden Werten.“
Und in Abwandlung des bekannten Zitats aus dem Kommunistischen Manifests wird resümiert:
„Wir wollen eine Gesellschaft des demokratischen Sozialismus aufbauen, in der die Freiheit und Gleichheit jeder und jedes Einzelnen zur Bedingung der solidarischen Entwicklung Aller wird.“
Dem Programm mag man entgegenhalten, dass hier ein „Utopia“, eine schöne heile Welt erträumt wird, in der wie im Neuen Testament Lämmer und Wölfe friedlich zusammen leben. Aber warum soll eigentlich ein Grundsatzprogramm einer Partei – wie es leider üblich geworden ist – nur von den tatsächlichen oder vermeintlichen Zwängen und vom vorausgegangenen politischen Handeln ausgehen und unter den obwaltenden Verhältnissen das Machbare zum Ziel erheben.
Für den eiligen Leser stellt das Programm die Ziele der LINKEN in 11 Kernforderungen zusammen:
Diese am Anfang des Textes nur knapp und zugespitzt formulierten Kernforderungen werden in einem Kapitel IV. als „Schritte gesellschaftlicher Umgestaltung“ detaillierter ausgeführt.
Wer sich nicht auf die Kritik derjenigen stützen möchte, die nur reflexartig ihre Vorurteile gegen die Linkspartei reproduzieren, ohne das Programm zur Kenntnis genommen zu haben, sollte sich den Text einfach einmal in aller Ruhe durchlesen.
Die Kritik etwa von Andrea Nahles, der SPD-Generalsekretärin, die Linke mache die „Vergangenheit zum Programm“ oder es handle sich um „DDR-Nostalgie“ zeigt nur, dass die inhaltliche Auseinandersetzung verweigert wird. Und die Empörung des CSU-Landesgruppenchefs Hans-Peter Friedrichs, dass die Linke einen „Systemwechsel“ fordere, wäre nur dann glaubwürdig, wenn sich die CSU genauso vehement über die Systemveränderer aus dem Arbeitgeberlager und deren Propagandaagenturen empören würde. Wer der Linken vorhält, sie mache es sich mit ihrer Kapitalismuskritik zu einfach, der müsste mit der FDP, die die Lösung aller Probleme in Steuersenkungen sieht, noch viel härter ins Gericht gehen.
Wie die meisten Papiere der politischen Linken hat der Programmentwurf der Partei DIE LINKE seine Stärke in der Kritik an den bestehenden Verhältnissen. Es ist diese durch Tatsachen gestützte Kritik am Scheitern der Politik der letzten Jahrzehnte, die den anderen Parteien so weh tut. Schließlich waren sie ja alle – jedenfalls zeitweise – an der Regierung beteiligt und tragen damit an den unleugbaren Missständen Mitverantwortung. Die LINKE kann sich – jedenfalls auf Bundesebene – von den von ihr kritisierten Entwicklungen freizeichnen und gerade diese „Rücksichtslosigkeit“ ist wohl der Hauptgrund, warum man ihr „Regierungsunfähigkeit“ oder „Regierungsunwilligkeit“ vorwirft.
Radikale Kritik an der herrschenden Politik, wird von den Kritikern allzu oft mit der Radikalität der politischen Forderungen der LINKEN gleichgesetzt. Liest man nämlich die Forderungen und ihre Begründungen im Detail fällt die Kritik viel schwerer.
Man könnte dennoch an vielen Punkten einhaken und viele Vorschläge hinterfragen, das würde zwar den Umfang dieses Artikels sprengen, wäre jedoch aller Mühen wert. Man kann wohl davon ausgehen, dass bis zur endgültigen Verabschiedung dieses Programms möglicherweise in einer Urabstimmung innerhalb dieser Partei bis Ende 2011 noch viele Klärungen vorgenommen werden (müssen).
Mich persönlich stört an diesem Programm, dass richtig beschriebene Missstände allzu unvermittelt einer kapitalistischen Profit- und Verwertungslogik zugeschrieben werden. Typisch für viele Schriften der Linken gefällt man sich in einer Art Subsumtionsrhetorik: Hauptsache, jedes Problem kann der Kapitallogik untergeordnet werden. Der Verweis auf „das Kapital“ wird zum Buhmann für alles Elend. Doch Vieles, was sich unter kapitalistischen Verhältnissen politisch und real ausprägt, ist viel vermittelter und widersprüchlicher als dass es einer simplen Kapitalverwertungslogik folgte. Warum gäbe es denn sonst etwa das angelsächsische und das völlig unterschiedliche skandinavische Modell für kapitalistisch geprägte Gesellschaften?
Kurz gesagt, die Analyse der gesellschaftlichen Wirklichkeit in Form eines ständigen Bemühens, sie einem nicht einmal näher erläuterten „Kapitalbegriff“ zu subsumieren, ist mir zu mechanisch und zu undifferenziert. Darüber könnte man hinwegsehen, wenn sich daraus nicht ein strategischer Fehler für ein politisches Programm ergeben würde, das ja in praktisches Handeln umgesetzt werden soll.
Damit kein Missverständnis aufkommt: Mir geht es bei dieser Kritik nicht um die ziemlich oberflächliche Frage nach einer Regierungsfähigkeit der LINKEN. Diese Frage stellt sich wie etwa die Koalitionen mit der LINKEN früher in Mecklenburg-Vorpommern und jetzt in Berlin oder Brandenburg viel pragmatischer und sie beantwortet sich aus ganz anderen Motiven.
Das Problem liegt vielmehr darin, dass durch die allzu einfache „Ableitung“ aller Probleme dieser Welt aus der Kapitallogik, die Gegenvorschläge unvermittelt, ja sogar unvermittelbar neben bzw. gegen das herrschende System gestellt werden müssen. Es wird sozusagen ein alternatives System abrupt gegen das bestehende System gestellt. Zugespitzt gesagt: Viele Vorschläge und Forderungen könnten erst dann verwirklicht werden, wenn der Kapitalismus abgeschafft ist. Der Weg zum „Dritten Weg“ ist jedoch gerade das entscheidende Problem
„DIE LINKE steht in grundsätzlicher gesellschaftlicher und politischer Opposition zu Neoliberalismus und Kapitalherrschaft, imperialistischer Politik und Krieg.“
Solche apodiktischen Sätze bergen die die Gefahr, dass diese grundsätzliche Alternative nicht mit den obwaltenden Gegebenheiten in ihren Widersprüchlichkeiten vermittelt werden kann. Sie kann – wie sich etwa in Brandenburg gezeigt hat – bei politischer Handlungsverantwortung in einer Regierungsbeteiligung sozusagen in den „Gebetswinkel“ gestellt werden und dort zwar „angebetet“ werden, aber in der praktischen Politik kaum mehr eine Rolle spielen und zu opportunistischer Anpassung führen.
Eine weitere Gefahr besteht darin, dass es innerhalb der LINKEN selbst oder innerhalb einer linken Bewegung zu den üblichen rechthaberischen Debatten um analytische Feinheiten auf abgehobener Abstraktionsebene ohne Bezug auf das praktische Handeln der Partei kommt.
Die Gegenüberstellung und die Hervorhebung eines grundlegend alternativen Systems zum bestehenden, schafft aber auch Ohnmachtsgefühle, ja sogar Ängste bei den Menschen, die das Programm ja ansprechen soll. Die meisten Menschen sind vor einem „Systemwechsel“, der vorgibt, alle Probleme lösen zu können, misstrauisch, zumal wenn es keine gelungenen Beispiele gibt. Gerade auf dieses Misstrauen nutzen die politischen Gegner der Linken mit ihren „Roten-Socken-Kampagnen“ und ihren Stasi-Vorwürfen aus.
Mir fehlt auch bei allem Bemühen zur Operationalisierung der „linken Reformprojekte“ die mittlere instrumentelle Perspektive. So fehlt m.E. ein wirtschaftspolitischer Gegenentwurf zur herrschenden ökonomischen Lehre. Wie könnte etwa eine aktive Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik aussehen, die das Ziel der Vollbeschäftigung anstreben könnte? Wie könnte über die Forderung nach einer gerechteren Steuerbelastung hinaus ein finanzpolitisches Gegenkonzept zur gescheiterten Sparpolitik aussehen? Wie sieht ein bildungsökonomisch und pädagogisch untermauertes alternatives Leitbild zur wettbewerbsgesteuerten „unternehmerischen Hochschule“ und zur Ideologie der „selbstständigen Schule“ aus?
Wie könnte eine Medienordnung aussehen, die die herrschende Meinungsmache und damit auch die Verteufelung der Linkspartei durchbricht?
Wie könnte die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften wieder gestärkt werden?
Man könnte und müsste noch viele solcher Fragen stellen. Und DIE LINKE wäre gut beraten, wenn sie sich solchen Fragen stellte.
Bevor man sich der Kritik der anderen Parteien oder der Leitartikler der meisten Medien anschließt.
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=4874