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Titel: Wohnungsnotstand in Deutschland und notwendige Maßnahmen
Datum: 18. Januar 2019 um 14:00 Uhr
Rubrik: Aufbau Gegenöffentlichkeit, Innen- und Gesellschaftspolitik, Privatisierung öffentlicher Leistungen, Sozialstaat
Verantwortlich: Redaktion
Werner Rügemer hielt am 16.1.2019 auf Einladung der SPD in Minden im Bürgerzentrum BÜZ ein Referat zum Wohnungsnotstand in Deutschland und zu notwendigen Gegenmaßnahmen. Er hat seine Stichworte für die Rede in Sätze gefasst. Teilweise sind es Stichworte geblieben. Sein Text ist eine sehr gute Arbeitsgrundlage für Mieterinitiativen und in der Sache engagierte Politiker, auch für Journalisten, die sich über dieses brisante Problem unterrichten wollen. Albrecht Müller.
Werner Rügemer holt damit einmal mehr politische Entscheidungen und Untaten ans Licht, die einem großen Teil unseres Volkes massiv geschadet haben und einige Wenige genauso massiv begünstigt haben. Was angefangen von der Regierung Kohl und fortgeführt von den Regierungen Schröder und Merkel mit der Privatisierung der Wohnungsbestände und der Streichung der Unterstützung für den sozialen Wohnungsbau verbrochen worden ist, gehört ins Rampenlicht der Öffentlichkeit. Mit dieser Politik wurde die Republik verändert – sehr zum Schlechteren.
Es wird übrigens interessant sein zu beobachten, wie bei den Feierlichkeiten zu „50 Jahre Bundesrepublik Deutschland“, die in diesem Jahr anstehen, dieses Thema behandelt wird
Hier nun der Vortragstext von Werner Rügemer zum Thema.
Wohnungsnotstand in Deutschland und notwendige Maßnahmen
Der Staat hat sich seit 30 Jahren aus dem regulierten Wohnungsbau zurückgezogen, fördert den freien privaten Wohnungsbau und die Steigerung der Wohn-Nebenkosten – und trägt gleichzeitig dazu bei, dass die Einkommen im mittleren und unteren Bereich sinken. Insbesondere Studenten, Rentner, Arbeitslose, Niedriglöhner befinden sich bereits seit längerem in einem Wohnungsnotstand – von der wachsenden Zahl der Wohnungslosen ganz abgesehen. Der Notstand würde weiter um sich greifen, wenn dem nicht heftig entgegengesteuert wird.
Wer verursachte den Wohnungs-Notstand?
Diese Entwicklung begann mit der Bundesregierung unter Helmut Kohl/CDU: 1988 schaffte sie die Gemeinnützigkeit der Genossenschafts- und Werkswohnungen ab und ermöglichte den Verkauf. So kaufte der Millionen-Großspender Ehlerding/Firma WCM 112.000 Wohnungen der privatisierten Deutschen Bahn – und überwies die bis heute größte Parteispende von 3,35 Millionen DM an die CDU.
Die Bundesregierung verkaufte unter Kanzler Schröder/SPD die 82.000 Wohnungen der Gagfah, der Wohnungsgesellschaft der Bundesanstalt für Angestellte (BfA). Die Berliner Landesregierung mit Finanzsenator Sarrazin/SPD verkaufte 65.000 Wohnungen, die CDU/FDP-Landesregierung von NRW verkaufte 91.000 Wohnungen ebenfalls an „Heuschrecken“ aus USA und Großbritannien: Whitehall, Permira, Fortress, Cerberus. Landesbanken verkauften Wohnungsbestände: HSH Nordbank (Hamburg und Schleswig-Holstein), NordLB (Niedersachsen) Kommunen verkauften Wohnungen, z.B. Dresden 42.000. Noch 2012 hat die Grüne/SPD-Landesregierung unter Finanzminister Schmid/SPD in Baden-Württemberg 21.000 Wohnungen verkauft, ebenso 2013 die CSU-Regierung in Bayern unter Ministerpräsident Seehofer und Finanzminister Söder noch 33.000.
Wohnungs-Privatisierung in Deutschland seit 1991
1988 hob die Bundesregierung aus CDU/CSU/FDP die Gemeinnützigkeit öffentlicher Wohnungen auf, verpflichtete sie auf Gewinnausschüttung und förderte den Verkauf.
Jahr | Verkäufer | Bestand | Käufer |
---|---|---|---|
1991 | Diverse Städte | 40.000 | CDU-Sponsor WCM |
1998 | Bund/Kohl | 112.600 Bahn-Wohnungen | WCM/Ehlerding |
2001 | Bund/Schröder | 64.000 Bahn-Wohnungen | Terra Firma |
2004 | Berlin/Sarrazin | 65.000 GSW | Goldman Sachs |
2004 | Bund/Schröder | 82.000 BfA/Gagfah | Fortress |
Thyssen Krupp | 48.000 Werkswohnungen | Morgan Stanley | |
Ehlerding/WCM | 31.000 Bahn-Wohnungen | Blackstone | |
2005 | HSH Nordbank | 18.000 GEHAG | Oaktree Capital |
Eon/Viterra | 138.000 Werkswohnungen | Terra Firma | |
Nord LB | 30.000 NILEG | Fortress | |
Baubecon | 23.400 Neue Heimat | Cerberus | |
2006 | Stadt Dresden | 48.000 Woba | Fortress |
2008 | NRW/Rüttgers | 91.000 LEG | Whitehall/Goldman Sachs |
2012 | Landesbank BW | 21.000 | Patrizia |
2013 | Bayern LB | 32.000 GBW | Patrizia |
2014 | Vitus/DEWAG | 41.500 Kiel, Bremen | Deutsche Annington |
2015 | Patrizia | 20.000 | Deutsche Annington |
Dt. Annington | 300.000 | Vonovia |
Nach den „Heuschrecken“ kauften die größten Kapitalorganisatoren wie Blackrock, Lansdowne, Masschusetts Financial, AXA, Norges die schon privatisierten Bestände auf und formten daraus Großkonzerne. Blackrock & Co sind seit 2015 gemeinsam und gleichzeitig die Eigentümer der drei größten Wohnungskonzerne in deutschen Städten: Vonovia mit 400.000, Deutsche Wohnen mit 163.000, LEG in NRW mit 130.000 Wohnungen. Dazu kommen etwa schwedische Wohnungskonzerne wie Bonoba und Akelius sowie kleinere deutsche regionale Nachahmer und Mitläufer.
Wie werden die Mieten erhöht?
Die wichtigsten Methoden zur Mieterhöhung sind folgende:
Nebenkosten als neues Geschäftsfeld
Die Nebenkosten werden als neues Geschäftsfeld entwickelt. Hier führt der Vonovia-Konzern: Er kündigte den bisherigen Dienstleistungsfirmen für Hausmeisterdienste, Reparaturen und Instandhaltung, Winterdienste, TV. Stattdessen gründete Vonovia eigene neue Tochterfirmen mit Niedriglöhnerei und überhöhten Gebühren. Teilweise wurde Vonovia zu Rückzahlungen gezwungen wie in Köln, allerdings nur nach langen Versuchen der Vertuschung.
Weiterer Mietpreistreiber: Massentourismus
Der weltgrößte Vermittler von privaten und Hotel-Zimmern ist der US-Konzern AirBnB. (alternativ entstanden aus dem Konzept „Luftmatratze mit Frühstück“) Vermietung von Zimmern in Mietwohnungen v.a. in den Stadtzentren von Berlin, Hamburg, Köln, München. Massenhafte Zweckentfremdung von Mietwohnungen. Städte üben nicht genug Kontrolle aus. Es haben sich wie in Köln bereits Initiativen von Mietern und Anwohnern gebildet.
Ende des sozialen Wohnungsbaus
1987 gab es in der alten Bundesrepublik 5,5 Millionen Sozialwohnungen. In der DDR waren Wohnungen billig. Doch mit der Wiedervereinigung wurden Ex-DDR-Wohnungen zum Spekulationsobjekt, vom Staat steuerlich gefördert. Der Sozialwohnungs-Bau wurde zurückgeführt. Heute gibt es noch 1,5 Millionen Sozialwohnungen, jedes Jahr fallen etwa 100.000 aus der Bindung heraus.
Einige Folgen:
Was tun Regierungen?
Vor allem die Bundes- und Landesregierungen und deren tragende Parteien sind verantwortlich für den Wohnungsnotstand. Die bisherigen Gegen-Maßnahmen sind deshalb völlig unzureichend.
Was ist notwendig?
Wer soll die notwendigen Maßnahmen durchführen bzw. erzwingen?
Die Regierungen müssen handeln. Aber sie werden das nur tun, wenn sie durch breite Bewegungen in der Bevölkerung dazu gezwungen werden. Nach dem 1. Weltkrieg haben arme Kommunen gemeinnützige Wohnungsgesellschaften mit hunderttausenden Wohnungen gegründet und den Wohnungsnotstand wesentlich gelindert. Was im armen Deutschland nach dem Krieg möglich war, sollte nicht möglich sein im reichen Deutschland heute?
Die Praktiken von Blackrock & Co auch im deutschen und westeuropäischen Wohnungsmarkt hat Werner Rügemer ausführlich geschildert in seinem neuen Buch „Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts“. Papyrossa-Verlag 2018, 357 Seiten, 19,90 Euro.
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