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Titel: Von journalistischen Coups, unterschiedlichen Blickwinkeln und der Abscheu vor Lügen

Datum: 13. Januar 2019 um 11:45 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Audio-Podcast, Aufbau Gegenöffentlichkeit, Interviews, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Länderberichte, Medien und Medienanalyse
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Wenn von Russland und Pressefreiheit die Rede ist, geht es meist um die vermeintliche Behinderung regierungskritischer Berichterstattung durch den Kreml. Zum Thema gehört jedoch auch ein von arte und dem ZDF produzierter Dokumentarfilm über einen zu Tode gekommenen Anwalt, der als Begründung für die ersten US-Sanktionen gegen Russland herhalten musste; ein Film, dessen Ausstrahlung seit Jahren von der Anti-Russland-Lobby mit teils fragwürdigen Mitteln verhindert wird. Andrea Drescher hatte die Möglichkeit, für die NachDenkSeiten mit dem Regisseur und Filmemacher Andrej Nekrasov zu sprechen, der den Film „Der Fall Magnitzki“ drehte.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher! Bertolt Brecht

Dieses Brecht-Zitat sollte allen Journalisten ins Stammbuch geschrieben sein. Journalismus bedeutet, zu berichten, was man sieht, nicht was man sehen möchte. Nicht jeder ist gleich ein Dummkopf, der nicht die ganze Wahrheit sieht. Jedes Sehen ist perspektivisches Sehen, geprägt durch den eigenen persönlichen Hintergrund. Aber insbesondere Journalisten müssen alles daransetzen, über die Grenzen der „eigenen“ Wahrheit zu gehen – um so im Sinne Brechts nicht zum Verbrecher zu werden.

Als der 1958 in Leningrad geborene Andrej Nekrasov 2007 den Film über die Ermordung von Alexander Litvinenko publizierte, hätte niemand erwartet, dass er sich rund 10 Jahre später würde anhören müssen, ein vom Kreml finanzierter Anhänger des Putin-Regimes zu sein – er selbst wohl am wenigsten. Er hatte am Bett seines Freundes gesessen, als dieser qualvoll an einer Polonium-Vergiftung starb, wofür Nekrasov und viele andere der Regierung bzw. Putin selbst die Verantwortung gaben.

Er war auch 2014 als Vertreter der liberalen russischen Intelligenz davon überzeugt, dass in Russland ein autoritäres System herrsche, gegen das man sich wehren müsse und das, wie der Fall Magnitzki belegte, seine Gegner gnadenlos ermorde. Als sich ihm die Möglichkeit bot, den Fall filmisch aufzubereiten, war er daher sofort Feuer und Flamme.

Es sollte ein Film über den Whistleblower Sergej Magnitzki werden, doch es kam anders als ursprünglich geplant. Das Problem: Im Gegensatz zu vielen westlichen Journalisten konnte Nekrasov die vom involvierten US-Geschäftsmann Bill Browder zur Verfügung gestellten Belege und Dokumente des Falles selbst lesen. Mit erstaunlichen Folgen. Es war eine schmerzhafte Erfahrung für ihn, festzustellen, dass die offizielle Story mit der Realität wenig bis gar nichts zu tun hatte. Der daraus resultierende Film dokumentiert diesen Erkenntnisprozess und stellt einen anderen Whistleblower in den Mittelpunkt: Andrej Nekrasov selbst.

Im Interview berichtet Nekrasov, wie es zu dem Gesinnungswandel kam und was dieser Prozess für ihn bedeutete. Er gibt seine jetzige Einschätzung auf Russland wieder und berichtet von Folgen, die diese Positionierung für ihn persönlich nach sich zog. Seine Erfahrungen zeugen davon, wie schwer Journalismus, der sich der Wahrheit und nicht den eigenen Glaubenssätzen verpflichtet fühlt, es gerade hier im Westen inzwischen wieder hat. Andrej Nekrasov kann davon ein sehr persönliches Lied singen.

Wie wird man vom gefeierten systemkritischen Dokumentationsfilmer zu einem Filmemacher, dem vorgeworfen wird, Anhänger der Regierung Russlands zu sein?

Darauf gibt es keine kurze Antwort, das war ein sehr langer Prozess. Es ist nicht so, wie man es aus Filmen kennt, nicht die Entscheidung zwischen der roten und der blauen Pille. Es ist ein Weg der Erkenntnis. Eines habe ich auf diesem Weg gelernt: jede politische Analyse wird geprägt durch den eigenen Blickwinkel. Die Art und Weise, wie man eine Situation betrachtet, hängt immer auch von der eigenen Agenda, dem eigenen Standpunkt ab. Aber diesen kann man verändern – muss man verändern, wenn man merkt, dass die Fakten gegen den bisherigen Standpunkt sprechen.

Das heißt, Sie wurden nicht vom Kreml für den Film bezahlt?

NEIN!

Als Sie den Film über die Ermordung Litvinenkos drehten, waren Sie ja ein entschiedener Kreml- und Putin-Kritiker. Wie kam es zu dieser Veränderung?

Der Mord an Alexander war für mich ein Schock. Ich war unendlich wütend. Er war mein Freund, ich begleitete ihn bis zu seinem Tod. Jemandem bei dieser Art des Sterbens zusehen zu müssen, ist furchtbar. Ich war überzeugt davon, zu wissen, wer ihn umgebracht hat und warum.

Sie waren überzeugt – sind Sie es nicht mehr?

Ich habe es definitiv geglaubt. Inzwischen verfüge ich über Informationen über seine Zusammenarbeit mit westlichen Geheimdiensten. Heute bin ich nicht mehr so sicher … Wobei ich – auch mir selbst gegenüber – zugeben muss, dass ich bereits damals ganz leise Zweifel hatte. Die Motivation war mir unklar. Worin lag das Interesse der Regierung, des russischen Staates, jemanden wie Sascha zu ermorden? So bedeutend und gefährlich war er letzten Endes nicht. Viele, auch regierungskritische Menschen haben das damals gesagt. Aber das Ganze hat mich so extrem mitgenommen, Zweifel hatten da keine Chance. Erst durch den Fall Magnitzki geriet mein Bild über Russland, über das „Regime“, ins Wanken.

Wie sah Ihr Bild denn aus?

Vermutlich wie bei den meisten Liberalen, die das Russland unter Putin als eine Art Sowjetunion 2.0 einordnen. Unser Kampf gegen den Staat ist der Einsatz für das Gute. Gegen den unfreien Staat, der seine Kritiker bedroht, der die Medien steuert, gegen das System, das seine Bürger politisch unterdrückt. Das alles ist zwar auch nicht ganz falsch, aber es verschleiert die Tatsache, dass Russland Teil eines globalen, kapitalistischen Systems mit einer brutalen Wirtschaft geworden ist. Unterdrückung findet bei weitem nicht mehr nur politisch statt. Das Geld, die Wirtschaft, ja der Kapitalismus haben in Russland inzwischen viel stärkeren Einfluss als irgendeine Ideologie. Das wird aber von fast allen übersehen – ob im Westen oder bei den Liberalen in Russland. Wer Russland verstehen will, muss das Finanzimperium in Russland unter die Lupe nehmen.

Wie würden Sie die Situation in Russland heute einschätzen?

Russland ist ein autoritärer Staat. Aber der Herrscher ist das Geld, nicht Putin. Damit haben der Westen und Russland mehr gemeinsam, als es viele Menschen, auch sich selbst gegenüber, zugeben wollen. Der Zusammenbruch der Sowjetunion hatte das Land schwach gemacht. In dieser Position der Schwäche wurde es quasi in einer Art „Blitz-Privatisierung“ vom Westen übernommen. Die sogenannten Reformer unter Jelzin wurden vom Westen aus gesteuert. Keiner wusste, was es bedeutet, zu privatisieren, was es heißt, das kollektive Vermögen der Bevölkerung zu verteilen. Privatisierung um jeden Preis, Privatisierung war der Fetisch, der Kapitalismus war fast gottgleich. Es galt beinahe als moralisch, in diesem Privatisierungsprozess die eigene Bevölkerung auszurauben. Man war froh, dass die Jahre des sowjetischen Missmanagements vorbei waren – was dazu führte, dass noch viel wildere kapitalistische Jahre folgten. Während dieser Jahre mussten breite Bevölkerungsschichten viel mehr leiden, als das in der Sowjetunion zumindest in den post-stalinistischen Jahren der Fall gewesen war. Es war die Kombination von kindlicher Naivität, Konfusion und brutaler neoliberaler Politik – mehrheitlich aus dem Westen – die dazu führte, dass das Land ausblutete. Gleichzeitig schämten sich viele Menschen für ihre eigene Vergangenheit. Die liberale Intelligenz schien dagegen in ihrer moralischen Überlegenheit bestätigt.

Welche Position nimmt die liberale Intelligenz in Russland ein?

Sie steht schon seit Jahrhunderten für den Konflikt zwischen den Unterdrückten und dem russischem Staat. Viele unserer größten Dichter – Tolstoi oder Dostojewkski als Beispiele genannt – befassten sich in ihren Werken mit der Auseinandersetzung zwischen dem autoritären Staat und dem gebildeten, intellektuellen Widerstand, der sich für die unterdrückten Massen engagierte. Autokraten als Feindbild der Intellektuellen, ob in der Zarenzeit, während des Kommunismus oder heute unter der Präsidentschaft von Putin. Diese Intelligenz forderte Freiheit und Demokratie und war begeistert von dem, was Jelzin und der Westen ihnen versprachen. Die Masse hatte zwar nicht genug zu essen – aber: „Hey – endlich haben wir Demokratie!“. Es kursierte der Spruch „Selbst wenn die Mafia unsere Wirtschaft übernimmt, alles ist besser als der Kommunismus“. Und dann kam Putin, stellte sich gegen Teile der Oligarchie, sorgte für Ordnung, für die Einhaltung der nationalen Interessen Russlands. Von seiner Regierung gingen für uns damals ähnliche Signale aus wie von der Sowjetunion. Oberflächlich betrachtet, aber für uns – die liberale Intelligenz, zu der ich mich ja auch zählte – äußerst bedrohlich. Wir wollten keine Rückkehr in die dunklen Zeiten der Unfreiheit. Für die breite Bevölkerung stellte sich diese neue, starke Regierung völlig anders dar. Sie hoffte auf einen starken Führer, der im Land wieder für Ordnung und wirtschaftliche Stabilität sorgt und gleichzeitig sicherstellt, dass Russland seine Würde wieder zurückbekommt. Das hat Putin erreicht. Zumindest in bestimmten Grenzen, denn natürlich haben die Oligarchen immer noch sehr viel Einfluss im Land. Wie weit dieser reicht und wie überraschend gering die Macht der russischen Regierung wirklich ist, zeigt ja gerade der Fall Magnitzki mehr als deutlich.

Inwiefern?

Bill Browder hat seine Geschichte „Der russische Staat hat meinen Anwalt umgebracht und Putin ist letztlich dafür verantwortlich“ überall unter die Leute gebracht. Auch in Russland. Fast die gesamte russische Presse ist seiner Story gefolgt – obwohl Browder für die Regierung ja „persona non grata“ sein sollte. Aber die Regierung verfügt eben nicht über die durchgängige Kontrolle der Medien, wie allgemein angenommen wird. Im Gegenteil: ich habe inzwischen den Eindruck, dass die russische Presse freier ist als die des Westens.

Das widerspricht aber völlig der gängigen Meinung. Wie ist das möglich?

Im Westen überträgt man immer die eigenen Strukturen auf Russland. Das passt aber nicht. Es gibt in Russland keine „medialen Institutionen“ wie ARD, ZDF, Zeit, Süddeutsche oder FAZ, die die Medienlandschaft wesentlich prägen. Die Dinge sind nicht so systematisch und organisiert, wie man das aus Deutschland kennt. Natürlich gibt es in Russland einige Kanäle, die bestimmten Linien folgen. Aber dabei geht es nur um die wichtigsten Themen auf den großen Sendern. Für die Russen spielt das Internet aber eine deutlich größere Rolle in der Informationsbeschaffung, als das in Deutschland der Fall ist. Und die großen Filterblasen sind mehrheitlich pro-westlich orientiert. Darüber hinaus gibt es zahlreiche einflussreiche Medien wie die Nowaja Gaseta, Echo von Moskau, oder Dozhd TV, die ausgesprochen regierungskritisch sind und ihre Meinung frei publizieren. Es ist in Russland beinahe lukrativ, die Regierung zu kritisieren, vieles wird direkt oder indirekt vom Westen aus finanziert. Das ist nur wenigen bewusst, die meisten denken, die Kritiker sind Idealisten, wenn nicht Helden. Als ich einmal einen russischen Freund und Kollegen fragte, warum er die aus dem Westen stammenden Unwahrheiten wiederhole, antwortete er mir, er hätte seine Familie zu ernähren. Nochmals: in der Magnitzki-Story folgten nahezu alle Medien der Browder-Version, auch die Organe, die man als regierungstreu einordnen könnte. Letztlich haben alle das eine Narrativ übernommen. Wenn es eine Zensur gibt, dann kommt die eher von Seiten der liberalen pro-westlichen Seite und natürlich vom Westen.

Wie kommen Sie darauf?

Seit ich aufgrund des Magnitzki-Filmes für viele „die Seiten gewechselt“ habe und anfing, Bill Browder zu kritisieren, habe ich Schwierigkeiten, meine Texte auf bekannten und kritischen Webseiten in Russland zu publizieren. Das sind Seiten, auf denen vor vier Jahren noch 100.000 und mehr Leser meine Artikel verfolgt haben. Und meine Erfahrungen beim Versuch, den Film im Westen zu veröffentlichen, haben mich wirklich erschreckt. Es gibt eine sehr effiziente Zensur, still und leise, aber wirksam und konsequent. In den Mainstream-Medien bin ich – als bis dato sehr geschätzter Dokumentarfilmer – nicht mehr von Interesse, werde ignoriert und totgeschwiegen. Nach außen ist der Westen eine wunderschöne Demokratie, die Realität stellt sich mir allerdings anders dar. Die Chancen, als Putin-Kritiker im russischen Mainstream veröffentlichen zu können, sind deutlich größer, als als Kritiker von US-Finanzoligarchen in führenden westlichen Medien abgedruckt zu werden. Man kann sehr vieles im Westen kritisieren, aber wehe es tut dem Establishment wirklich weh. Die „üblichen Verdächtigen“ in Politik und Gesellschaft – kein Thema. Browder persönlich ist eigentlich relativ unbekannt. Aber sein Fall ist zentral für ein Verständnis der heutigen Welt. Ein Kampf für die Menschenrechte in einem „bösen“ Land wie Russland lässt sich ironischerweise als Alibi für Betrug und Ausbeutung der Menschen dieses Landes missbrauchen. Und da mein Film genau das mit Zahlen, Daten und Fakten dokumentiert, muss die Ausstrahlung verhindert werden. Man merkt es nicht – oder will es nicht merken, dass gesellschaftliche Werte wie Menschenrechte, Meinungsfreiheit, Solidarität und Gerechtigkeit komplett untergraben werden. Ich bin weiterhin sehr kritisch, was die russische Regierung angeht. Ich habe einfach meinen Blick geöffnet und nenne Dinge beim Namen, die im Westen eben nicht so gern gehört werden. Ein Freund Browders bin ich jetzt auf jeden Fall nicht mehr.

Waren Sie das – ein Freund von Bill Browder?

In oberflächlichem Sinne ja. Ich begann die Arbeiten an dem Film ja als typischer Vertreter der liberalen Intelligenz Russlands. Ich sah die klassischen Elemente: die autokratische Regierung, die unschuldige Bürger unterdrückt, die einen Whistleblower ermorden lässt, um ein korruptes System, das die freie Wirtschaft belastet, zu schützen. Dann zum Schluss der grausame Tod in russischer Haft – ein hervorragender Plot für einen hervorragenden Film. Ich lernte alle wichtigen Leute rund um Browder kennen, traf auf den Partys die richtigen Leute, die Finanzierung war mit einem guten Budget gesichert. Mir standen alle wichtigen Türen offen. In dem Sinne war ich sein Freund, aber das änderte sich sehr schnell, als ich begann, meine Zweifel zu formulieren.

Wie kam es zu den Zweifeln?

Der Film war ja nicht als investigative Dokumentation, sondern vielmehr als Tribut an einen Helden, als Doku-Drama geplant. Ich entwickelte ein Drehbuch, das ich meinen Schauspielern vermitteln musste. Die Motivation der handelnden Personen muss im Skript nachvollziehbar sein. Und auf einmal stellte ich fest, dass mir genau das nicht möglich war. Laut der Browder-Story ging Magnitzki zur Polizei, um einen gravierenden Fall von Korruption bei der Polizei anzuzeigen. Welcher Whistleblower würde in Russland zur Polizei gehen? Welcher Whistleblower würde überhaupt zur Polizei gehen? Können Sie sich vorstellen, dass Snowden zum FBI geht, um dort zu berichten, dass er als CIA-Mitarbeiter wichtige Informationen an die Öffentlichkeit bringen will? Whistleblower gehen zu den Medien und nicht zur korrupten und gewalttätigen Polizei des repressiven Russlands. Das war eine von vielen Facetten, die mich an der Wahrheit zweifeln ließen. Und nach den Zweifeln kamen die Fakten. Da ich neben Englisch und Deutsch eben Russisch beherrsche, konnte ich die von Browder vorgelegten Beweise selbst überprüfen. Um festzustellen, dass man dort nicht das las, was in der englischen Zusammenfassung präsentiert wurde. Als ich dann ernsthaft begann zu recherchieren, kam eines zum anderen. Die Browder-Story war in zahlreichen Punkten, schlicht gesagt, falsch. Wenn man bedenkt, welche Konsequenzen dieser Fall auf politischer Ebene nach sich gezogen hat, war das ungeheuerlich. Der Name Magnitzki gilt ja inzwischen als ein Synonym für den Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen, und es gibt bereits mehrere Gesetze, die seinen Namen tragen. Und all das basierend auf „Fakten“, die keine sind. Als Journalist bin ich doch der Wahrheit verpflichtet…

Die Wahrheit – war das der Grund, dass Sie den Film so völlig anders realisierten als zunächst geplant?

Nach einem sehr schwierigen Prozess, den ich im wesentlich mit mir allein ausmachen musste, war mir klar: das muss an die Öffentlichkeit. Ich muss aber vor mir selbst zugeben, dass es natürlich auch etwas mit meinen beruflichen Ambitionen zu tun hatte. Es war einfach „Wow – was für eine sensationelle Story!“. Der journalistische Coup meines Lebens. Aber das war nicht der entscheidende Grund; entscheidend für mich war und ist, dass ich nicht belogen werden will. Wir wurden in den Zeiten der Sowjetunion belogen. Man sprach vom souveränen Volk, von Gerechtigkeit und Freiheit – und erlebte die Geheimpolizei, sah, wie das Volk belogen wurde, und dass es Gerechtigkeit und Freiheit nur für die Mächtigen gab. Daran zerbrach das System in meinen Augen letzten Endes. Wird den Menschen bewusst, dass sie in wesentlichen Bereichen belogen werden, erwacht der Widerstand. Wenn man sich Bill Browder mit kritischen Augen ansieht, geht es um einen enorm gierigen westlichen Firmenboss, der keinerlei Steuern zahlen will, obwohl diese in Russland bereits sehr niedrig sind. Er nutzt jedes legale und illegale Schlupfloch aus und wird dafür von der russischen Polizei bzw. vom Staat juristisch verfolgt. Als Teil der westlichen Machtelite betont dieser Firmenboss gleichzeitig die eigene moralische Überlegenheit und sieht sich als einer derjenigen, die den Russen beibringen müssen, wie Demokratie, westliche Werte und Geschäftsleben funktionieren. Die Zeit in der Sowjetunion war durch Lügen geprägt, und das neue, neoliberal-kapitalistische System – für das Bill Browder und die Oligarchen um ihn herum stehen – basiert wiederum auf Lügen. Das hat mich richtig wütend gemacht. Ich musste einfach handeln.

Haben Sie mit den Folgen gerechnet, die anschließend auf Sie zukamen?

Nein. Dass es Schwierigkeiten geben würde, habe ich erwartet. Aber diese Form der Zensur, diesen massiven Widerstand im demokratischen Westen – nein, damit hatte ich wirklich nicht gerechnet.

Mit welchen Folgen sind Sie denn konfrontiert?

Für meine Karriere ist es eine Katastrophe. Vom Grimme-Preisträger, bekannt für russlandkritische Filme, zur kontroversen Person, der man unterstellt, von der russischen Regierung bezahlt zu werden, ist ein weiter Weg. Mein Ruf ist quasi ruiniert. Ich spüre, dass Menschen mich als Risikofaktor wahrnehmen und mir eher verhalten bzw. sehr skeptisch gegenübertreten. Selbst meine Kollegen in Norwegen, die mich unterstützen und zu mir stehen, sind dadurch belastet. Da ist ein Zweifel, ein Schatten, der über mir schwebt, das läuft wohl völlig unbewusst. Mir nimmt es die Möglichkeit, wirklich frei zu arbeiten.

Wie geht es jetzt weiter?

Ich setze alles daran, dass „The Magnitzki Act“ doch noch eine breite Öffentlichkeit erreicht. Gleichzeitig arbeite ich an einem neuen Film – kritisch beobachtet von meinem Umfeld. Ich hoffe, dass der Schatten nicht zu einer Selbstzensur führt, das wäre für meine kreative Arbeit wirklich tödlich. Kreatives Schaffen – jeder Artikel, jeder Film, jede Dokumentation – beinhaltet immer Risiken. Geht man diese Risiken nicht mehr ein, nimmt man Rücksicht, dann wird alles zur Routine – und damit nur noch Durchschnitt. Das ist meine größte Befürchtung für meine persönliche Zukunft.

Da können wir Ihnen alle nur wünschen, dass das nicht eintritt! Viel Erfolg und weiter so!

Ob Andrej Nekrasov in seinem Film „The Magnitzki Act“ nun die ganze Wahrheit berichtet, kann ich nicht beurteilen. Das redliche Bemühen, der Wahrheit so nah wie möglich zu kommen, war für mich aber bereits im Film überdeutlich spürbar. Ich würde mir wünschen, dass es mehr Dokumentarfilmer und Journalisten gibt, die mir genau dieses Gefühl vermitteln. Und natürlich, dass das dann auch von den großen Medien gewürdigt wird.

Titelbild: Privat


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