Startseite - Zurück - Drucken
NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: 280 Container fallen in die Nordsee. Und der Freihandel läuft, als wäre nichts geschehen.
Datum: 8. Januar 2019 um 9:20 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Audio-Podcast, Globalisierung, Umweltpolitik, Verkehrspolitik
Verantwortlich: Albrecht Müller
280 Container und darunter drei Container mit giftigen Chemikalien. Das ist eine Bedrohung der Meere und der Strände. Eine Gefahr für Umwelt und Natur. Sie kommt obendrauf auf die Verschmutzung mit Plastik, mit Schweröl, mit der Umweltbelastung beim Abwracken, mit der Belastung von Natur und Umwelt durch den Transport der Container vom Hafen ins Binnenland. Das sind Kosten des internationalen Freihandels, die nicht in die Kalkulation der Waren eingehen, obwohl die Theorie der Marktwirtschaft dies eigentlich verlangt. – Haben Sie irgendwo in den Berichten über das Unglück in der Nordsee eine Erwägung oder wenigstens eine Frage danach gefunden, was ein solches Unglück und die dadurch ausgelösten Kosten für den Welthandel bedeuten müssten? Albrecht Müller.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Jährlich gehen nach Angaben des Leiters des Havariekommandos rund 10.000 Container weltweit über Bord. Wussten Sie das? In fünf Jahren sind das rund 50.000 Container – gefüllt mit vergleichsweise harmlosen Gütern wie Spielzeug und Fahrrädern, aber auch Container mit Lithium-Batterien und Chemikalien. 10.000 herunterfallende Container im Jahr. Das ist kein Pappenstiel. Und addiert zu allen anderen Belastungen der Meere und zu Lande ist das jedenfalls so, dass es Politiker und Journalisten beschäftigen, ja sogar umtreiben müsste. Marktwirtschaftler sowieso. Ihre Theorie der Marktwirtschaft besagt, dass sogenannte „externe Kosten“ – im konkreten Fall die Kosten der Belastung von Umwelt und Natur und Gesundheit – in die privaten Kalkulationen der Unternehmer, im konkreten Fall der Spediteure, hineingerechnet werden müssten, also belastet werden müssten.
Ich habe Meldungen und Berichte über das Unglück in der Nordsee geprüft. (Im Anhang finden Sie ein paar Beispiele.) Ganz selten wird immerhin die Frage gestellt, wer die Säuberungskosten bezahlt und dann wird zufrieden festgestellt, dass die Reederei zugesichert habe, das zu übernehmen. Aber die Folgen der Verschmutzung der Meere, die von dem forcierten Welthandel ausgeht und die damit verbundene falsche Entwicklung der Weltwirtschaft mit ihrer hohen Konzentration weit weg von den Orten des Verbrauchs und Gebrauchs, und die Erzeugung von unermesslich viel Verkehr wird nicht thematisiert.
Verkehrsvermeidung ist im Kontext des Unglücks dieses großen Containerfrachters genauso wenig Thema wie in der Debatte über TTIP und andere Freihandelsabkommen.
Typisch für die Behandlung des Themas ist ein Beitrag im NDR vom 3. Januar. Dort werden „wichtigste Fragen“ gestellt und gleich beantwortet. Ich zitiere:
“MSC Zoe”-Havarie: Wichtigste Fragen und Antworten
Wie werden Container an Bord gesichert?
Die “MSC Zoe” ist eines der größten Frachtschiffe der Welt. Stellt das ein besonderes Risiko bei dieser Witterung dar?
Welche technischen Möglichkeiten gibt es bei der Container-Suche?
Wie viele Container gehen jährlich über Bord?
Wer trägt die Konsequenzen?
Darf man angespültes Strandgut behalten?“
Das waren die sechs gestellten Fragen. Und das sind zwei der Antworten:
„Wie viele Container gehen jährlich über Bord?
Jährlich gehen rund 10.000 Container weltweit über Bord, wie Hans-Werner Monsees, Leiter des Havariekommandos, sagt. Dass es in diesem Fall gleich rund 270 sind, könne man mit dem Domino-Effekt erklären. Laut dem Verband Deutscher Reeder passiert es eher selten, dass ein Schiff Hunderte Container verliert. “Es kommt sehr, sehr selten vor”, sagt Uwe Schieder, Transportversicherungsexperte beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV).
Wer trägt die Konsequenzen?
Für den Transport ist grundsätzlich die jeweilige Reederei verantwortlich. Nach Angaben des Verbands Deutscher Reeder sind Reedereien für solche Fälle versichert. Schieder verweist darauf, dass es unterschiedliche Möglichkeiten der Absicherung gibt: Eine Waren-, eine Container- und eine Haftpflichtversicherung. Letztere kommt zum Zug, wenn Dritten Schäden zugefügt werden.“
In der Antwort auf die Frage „Wer trägt die Konsequenzen?“ hatte ich erwartet, etwas über die gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Konsequenzen zu finden. Aber der für die Küsten zuständige Öffentlich-rechtliche Sender NDR pflegt offensichtlich eine absolut engstirnige Perspektive. Dort interessiert gerade mal die Versicherungsfrage; es interessieren nicht die ökologischen und volkswirtschaftlichen Folgen der Belastung der Meere und der Umwelt und Natur insgesamt. Nichts.
In anderen Medien wird das Thema genauso oberflächlich behandelt. Die Schäden für die Umwelt werden gelegentlich behandelt, aber was es bedeuten würde, wenn man diese Belastungen und damit die volkswirtschaftlichen Kosten den Spediteuren anlasten würde, das wird ausgeklammert.
Die Oberflächlichkeit der Behandlung des Themas durch die Politik unterscheidet sich wenig von dem Umgang der Medien mit den Vorgängen. Typisch ist die Reaktion der Bundesregierung und des zuständigen Ministers in Niedersachsen. „Bundesregierung fordert Peilsender“, damit man die über Bord gegangenen Container wiederfindet.
Der Welthandel läuft ohne Kalkulation der vollen Kosten des Transports. Und der Welthandel wird auf vielfältige Weise durch vielerlei Begünstigungen der Schifffahrt und der Luftfahrt subventioniert. Deshalb die hohe Konzentration von Produktion und Konsum. Deshalb das hohe Verkehrsaufkommen auf den Meeren, auf den Straßen, in der Luft und auf den Schienen. Deshalb die Zerstörung dezentraler und regionaler Produktionsmöglichkeiten.
Ich beginne mit einer kleinen Geschichte: 2004 traf ich im Zusammenhang mit der Arbeit an meinem Buch „Die Reformlüge“, in der es um 40 Denkfehler, Lügen und Legenden der ökonomischen Debatte ging, auf einen Jungunternehmer. Einen sehr erfolgreichen deutsch-österreichischen Jungunternehmer. Er produzierte und vertrieb Damenunterwäsche und berichtete davon, dass er seine Produkte in Slowenien fertigen lasse, weil dort die Produktion billiger als in Österreich und in Deutschland sei. Es sei aber absehbar, dass er mit der Produktion nach Ostasien weiterziehe. – Er konnte offensichtlich davon ausgehen, dass er für den Transport der in China oder Vietnam gefertigten Dessous nur geringe Kosten und mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht die vollen Kosten des Transports zahlen müsse – jedenfalls nicht die Kosten für die Verschmutzung der Meere von Ostasien nach Bremerhaven, auch nicht für den Transport der Container auf der Straße nach Frankfurt oder Salzburg und auch nicht die echten Kosten für den Flug, den seine Vertragspartner oder er selbst gelegentlich zwischen Europa und Ostasien zu unternehmen hatten.
Jetzt, im Januar 2019, waren von ihm bestellte Waren möglicherweise in einem der über Bord gegangenen Container. Dass sie nicht bei ihm angekommen sind, ist ärgerlich, aber der finanzielle Verlust wird von Versicherungen ausgeglichen. Ansonsten läuft der Welthandel wie geschmiert, in der Tat geschmiert, nämlich von auf der Allgemeinheit, auf Natur, Umwelt und Meeren abgeladenen Kosten.
Zur Ergänzung bleibt hier noch der Hinweis, dass die den Welthandel fördernden Verkehrsträger auf vielfältige Weise subventioniert sind.
Diese Informationen betreffen nur zwei der Vorteile, die der Staat – also wir Steuerzahler – der Schifffahrt gewährt und gewährt hat. Hinzu kommen eine Fülle von weiteren Steuererleichterungen und Subventionen.
Von interessierter Seite wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass andere Länder auch subventionieren und wir gezwungen seien, diesem Usus zu folgen, weil andernfalls keine Schiffe mehr unter deutscher Flagge fahren. Das mag ein Problem sein. Aber die Lösung ist mit Sicherheit nicht der Subventionswettbewerb. Denn genau das führt zu einer sehr problematischen Förderung des Welthandels und des damit verbundenen Verkehrs.
Fazit: Heute werden in der Welt Güter auf den Meeren und auf den Straßen und Schienen ohne Anrechnung der vollen Kosten transportiert. Das führt zu einer hochkonzentrierten weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung. Die Regionalisierung von Produktion und Konsum hat nur noch geringe Chancen. Dabei wäre genau dies das richtige Konzept für die Zukunft. Übrigens auch ein Konzept zu einer gedeihlichen dezentralen ökonomischen Entwicklung in Europa.
Anhang: Einige Medien zum Verlust der Container in der Nordsee
Rother: In Deutschland gibt es erste politische Forderungen nach schärferen Kontrollen und Regelungen. Wie wird in den Niederlanden über mögliche Fehler und auch Verantwortlichkeiten diskutiert?
Birschel: Was jetzt auf jeden Fall ganz sicher ist und zunächst einmal sagen jetzt schon die ersten niederländischen Kommunen, wir werden auf jeden Fall den Reeder, der in der Schweiz sitzt, haftbar machen für die Schäden, denn er ist am Ende dafür verantwortlich. Aber es wird eigentlich noch gewarnt und gesagt ja, wir müssen erstmal gucken, was die Untersuchung ergibt, denn das Schiff liegt jetzt in Bremerhaven und da wird geschaut, ist alles gut verankert gewesen. Aber die Experten sagen auch, wenn es eben ein so großes Schiff ist, und auf dieses Schiff passten 19000 Container, das muss man sich mal vorstellen, und allein rein die Container, die über dem Schiffsrumpf ragen, und wenn ein starker Sturm ist, dann kann das also tatsächlich ins Rutschen kommen und dann ist die Frage, ob tatsächlich da wirklich viel dran zu machen ist, also die warnen vor zu schnellen Schuldzuweisungen.
…
Quelle: Deutschlandfunk
Titelbild: MartinLueke/shutterstock.com
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=48303