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Titel: SPD-Arbeitsmarktkonzept: Eiertanz in der Sackgasse

Datum: 16. März 2010 um 8:53 Uhr
Rubrik: Arbeitslosigkeit, Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Das kritische Tagebuch, SPD
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Wie schwer sich die SPD tut, um aus der Sackgasse herauszufinden, in die sie sich mit der schröder-steinmeierschen Agenda-Politik hineinmanövriert hat, belegt der gestrige Präsidiumsbeschluss „Fairness auf dem Arbeitsmarkt“ . Da wird zunächst ein Eiertanz aufgeführt, um die Hartz-Reformen zu rechtfertigen. Deren Grundfehler werden ignoriert. Statt eine wirtschafts- und beschäftigungspolitische Alternative anzubieten, wird an dem Irrglauben festgehalten, man könne Arbeitslosigkeit bekämpfen, indem man Arbeitslose „fordert“. Man will durch das neue Arbeitsmarktkonzept bestenfalls einem Gerechtigkeitsgefühl entgegen kommen und die Akzeptanz erhöhen. Wolfgang Lieb

In einer so sehr auf Arbeit gegründeten Gesellschaft ist die seit Anfang der achtziger Jahre hohe Zahl Arbeit suchender Bürgerinnen und Bürger, nicht nur für die von diesem Schicksal betroffenen Bürgerinnen und Bürger bedrückend, sondern auch eine moralische Katastrophe,

heißt es in der Einleitung des Präsidiumsbeschlusses. Arbeitslosigkeit wird dargestellt als „Schicksal“ oder „moralische Katastrophe“ und nicht (zumindest auch) als das reale Ergebnis einer verfehlten und gescheiterten Wirtschaftspolitik der Regierungen unter Kohl über Schröder bis zu Merkel.

In dem gesamten Beschluss [PDF – 101 KB] bleibt die Arbeitsmarktpolitik nach wie vor fast vollständig isoliert von einer aktiven Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik. Die Entwicklung – sowohl was die Arbeitslosigkeit als auch was die „mäßig steigenden oder gar sinkenden Löhne“ anbetrifft – wird auf „ökonomische Ursachen“ zurückgeführt. Man tut also gerade so, als gäbe es nur „die“ Ökonomie. Oder wie es dereinst Gerhard Schröder formulierte, als gäbe es „keine rechte oder linke Wirtschaftspolitik, sondern nur eine moderne oder unmoderne“.

Die SPD folgt nach wie vor der herrschenden ökonomischen Lehre und bietet wirtschaftspolitisch keine Alternative zur „simplen Unternehmenslogik“ (Heiner Flasbeck) wonach es ein „Überangebot an Arbeitskräften“ gebe. Die SPD sitzt bei ihrer Arbeitsmarktpolitik – um es in ein Bild zu fassen – immer noch rückwärts auf dem Sattel und zäumt das Pferd vom Schwanz her auf. Oder anders gesagt: Auch wenn in dem Papier eingeräumt wird, dass „das Ziel Vollbeschäftigung… alleine mit arbeitspolitischen Mitteln nicht erreichbar“ ist, hält es prinzipiell an dem „hartzschen“ Irrglauben fest, dass man die Arbeitslosigkeit bekämpfen könne, indem man die Arbeitslosen „fordert“, statt vor allem durch eine aktive Wachstums- und Beschäftigungspolitik Nachfrage nach Arbeit auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen.

Es ist das Verdienst sozialdemokratischer Arbeitsmarktreformen – nicht nur in Deutschland – seit der Mitte der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts, den Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit aufgenommen zu haben. Aktivierung arbeitsuchender Bürgerinnen und Bürger und die Überwindung verfestigter Langzeitarbeitslosigkeit standen im Mittelpunkt der Konzepte,

so das Selbstlob.

Von Hartz ist zwar nirgendwo mehr die Rede, doch man rühmt sich dieser „Reform“ immer noch mit der beschönigenden Umschreibung, dass die

Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe und die Einbeziehung der Sozialhilfeempfänger/innen in die Arbeitsförderung (die) richtige Weichenstellung

war. Dass es tatsächlich umgekehrt war, nämlich dass Arbeitslose zu Sozialhilfeempfängern gemacht worden sind, wird als Grundfehler nach wie vor ignoriert und als „Akzeptanzproblem“ verniedlicht.

Der Eiertanz der SPD um die Hartz-Gesetze wird also munter fortgesetzt.

Wenigstens wird in dem Dokument zugestanden, dass die Ursachen der Ablehnung

jenen Bestandteilen der Reformen galt und gilt, die, weil eindimensional auf das Ziel der Aktivierung ausgereichtet, mit den Gerechtigkeits- und Moralvorstellungen unserer Arbeitskultur nicht in Einklang stehen.

Wer willens ist, seinen Lebensunterhalt durch eigene Arbeit zu verdienen, will sich auf hinreichende gesellschaftliche Solidarität verlassen können, wenn dies aus Gründen, für die er nichts kann, nicht gelingt.

Als „Fehler“ wird immerhin eingeräumt, dass die Hartz-Gesetze

ein kulturell tief verankertes Gerechtigkeitsverständnis der deutschen Bevölkerung verletzt (hätten), demzufolge die Lebensleistung einer Erwerbsbiografie auch im Sozialsystem angemessen zu berücksichtigen ist. Und sicher wären die anstrengenden Bestandteile der Arbeitsvermittlungsreform besser akzeptiert worden, wenn sie von vorneherein mit einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn verbunden gewesen wäre.

Dass man unter Rot-Grün die Chance gehabt hätte, den Mindestlohn einzuführen und dass man in der Großen Koalition sogar gegen sich selbst gestimmt und dessen gesetzliche Absicherung nicht wenigstens als Zugeständnis für die Rente mit 67 durchgesetzt hat, bleibt als Schuldeingeständnis unerwähnt.

Das Papier tut immer noch so, als wäre Arbeitslosigkeit vor allem ein Problem geringer Qualifikation der Arbeitskräfte. Die Zahl der Arbeitsplätze für Arbeitssuchende mit geringer Qualifikation nehme ab, die Zahl der gering Qualifizierten aber keineswegs, heißt es da.
Dabei wird geleugnet, dass keineswegs nur unqualifizierte Menschen in Hartz IV abrutschen, sondern auch ältere Berufstätige und sogar hochqualifizierte Akademiker/innen. Der Arbeitsmarkt wird von den Autoren vor allem von der Arbeitsangebotsseite betrachtet und nicht von der Nachfrageseite. Es wird die Tatsache außer Acht gelassen, dass eine stärkere Nachfrage nach Arbeitskräften auch geringer Qualifizierte „aufsaugt“.

Es ist nichts gegen eine allgemeine Verbesserung der beruflichen Qualifikation einzuwenden, aber ohne mehr Beschäftigungsangebote hilft auch eine höhere Qualifikation nur wenig: die Unternehmen würden nach wie vor nur die jeweils besser Qualifizierten einstellen.

Eine Beschönigung der von der SPD zu verantwortenden Politik findet sich auch bei der Analyse des sich ausbreitenden Niedriglohnsektors. Da werden die Fakten aufgezählt:

20 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer arbeiten in Deutschland im sogenannten „Niedriglohnsektor“. Über 5 Millionen Menschen arbeiten für weniger als 8 Euro pro Stunde. Mindestens 1,2 Millionen arbeiten für weniger als 5 Euro pro Stunde. Und mindestens 1,3 Millionen Menschen müssen nach der Arbeit noch staatliche Unterstützung erhalten, weil ihre Löhne zu niedrig sind, um wenigstens das gesetzliche Existenzminimum abzusichern (sogenannte „Aufstocker“).

Als Grund warum der Arbeitsmarkt „unfair“ geworden sei, wird der „globale Wettbewerb und die Wirtschafts- und Finanzkrise“ genannt. Doch auch das ist wiederum nur die halbe Wahrheit. Hatte sich der damalige „Superminister“ Clement nicht schon längst vor der aktuellen Krise vehement für die Ausweitung des Niedriglohnsektors eingesetzt und war nicht gerade Hartz IV der Türöffner zum Lohndumping?

Vielleicht ist es von einer politischen Partei zu viel verlangt, dass sie sich zu ihren Fehlern bekennt, aber eine ehrliche Bestandsaufnahme und eine grundlegende Analyse warum und wo die bisherige Agenda-Politik der SPD gescheitert ist, würde die Vorschläge, die in diesem Präsidiumsbeschluss aufgelistet werden, glaubwürdiger machen. Wer sich jedoch an den Grundlinien seines vorausgegangenen politischen Handelns festklammert, kann kaum eine realistische Alternative zur vorherrschenden Wirtschafts- und damit auch zur Arbeitsmarktpolitik bieten.

Die Vorschläge – so richtig sie sein mögen – bleiben moralisch appellativ. Es bleiben typische Forderungen einer Oppositionspartei, die auf ein Scheitern der Regierung wartet, die aber deren Kurs nicht ernsthaft in Frage stellt.

Eine Analyse der einzelnen Vorschläge folgt.

Man kann allerdings mit Sicherheit davon ausgehen, dass der Medienmainstream reflexartig, wegen einer Abkehr der SPD vom Agenda-Kurs aufbrausen wird. (Siehe z.B. ZDF)

Siehe auch:

SPD beschließt Hartz-IV-Korrekturen
Mit ihrem neuen sozialpolitischen Konzept rückt die SPD von den selbst beschlossenen Arbeitsmarktreformen ab. Deren Kern solle aber nicht angetastet werden, erklärt Parteichef Gabriel. Kern des Konzepts, das das Präsidium einhellig billigte, sind eine konditionierte Verlängerung der Zahldauer des Arbeitslosengelds I, eine Aufstockung des Arbeitslosengelds II für langjährig Beschäftigte und eine massive Ausweitung der öffentlichen Beschäftigung Langzeitarbeitsloser. Im Detail sollen die Vorstellungen bis zum SPD-Parteitag im September abgeschlossen sein. Deswegen könne man die Kosten noch nicht genau beziffern, räumt Gabriel ein. Aber: “Wenn die jetzige Regierung meint, sie könne 24 Milliarden Euro Steuersenkungen finanzieren, sind wir auf der Seite der Peanuts.” “Weg mit Hartz IV!”, wie dies die Linkspartei fordert, wird die SPD auch künftig nicht skandieren. Ex-Arbeitsminister Scholz spricht von einer “Weiterentwicklung”: Nachdem die große Koalition die Freigrenzen für das Schonvermögen angehoben hat, wollen die Genossen auf eine Vermögensprüfung ganz verzichten. Das bisherige Verfahren sei bürokratisch und spare dem Staat tatsächlich kaum Geld, meint Scholz.
Quelle: FR

SPD rüttelt an Agenda 2010: Gabriels leise Wende
Der neue SPD-Vorsitzende hat Schröders Agenda nach 2559 Tagen ganz unspektakulär in die Tonne getreten. Fragt sich nur, ob jemand die neuen Töne glaubt. Mit einigen Korrekturen, so einschneidend sie sind, lässt sich die Enttäuschung vieler Wählerinnen und Wähler noch nicht tilgen. Die Sozialdemokraten werden in nächster Zeit zeigen müssen, wie man einer Kanzlerin, die sich politisch selbst nicht outet, jeden Tag die Alternative einer im besten Sinne bürgerlichen Linken entgegenhält. Eine Politik, die den Sozialstaat nach den Grundbedürfnissen der Gerechtigkeit neu tariert. Und den Bürgern deutlich sagt, wie man ihn fair finanziert.
Quelle: FR

Hartz-IV-Konzept der SPD: Reform der Reform 
Hartz IV ist längst zu einer Last geworden. So schwer wiegt sie auf den Sozialdemokraten, dass man mitunter den Eindruck hat, die einst so vitale Volkspartei könnte darunter erdrückt werden: Tausende Mandate, Hunderttausende Mitglieder, Millionen Wähler hat die Partei verloren, seit sie die Arbeitsmarktreform angestoßen hat.
Nun versucht die SPD, den Ballast doch noch abzuwerfen. Sieben Jahre, nachdem sie die Reform verkündet hat. Zwei Monate, bevor sie bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen zumindest einige der verlorenen Mandate wiederholen will. Es sind immerhin die wichtigsten Mandate, die in diesem Jahr zu holen sind.
Am Montag billigte das SPD-Präsidium Vorschläge, die auf höhere Leistungen für Erwerbslose sowohl beim Arbeitslosengeld I als auch im Hartz-IV-System hinauslaufen.
Quelle: SZ


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