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Titel: Zweifel an der ‚Transatlantischen Freundschaft‘. Werden wir Russland gerecht?
Datum: 7. Dezember 2018 um 12:05 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Erosion der Demokratie, Militäreinsätze/Kriege, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Redaktion
Dr. Peter Becker, Rechtsanwalt und Ko-Präsident der International Association of Lawyers Against Nuclear Arms, IALANA, hat in einem längeren Essay die Zweifel am Sinn und Wirken der sogenannten „Transatlantischen Freundschaft“ beschrieben. Er bezweifelt, dass wir damit Russland gerecht werden. Mit diesem Text ergänzen die NachDenkSeiten ihre Aufklärungsarbeit zum neu angeheizten West-Ost-Konflikt. Danke, Peter Becker. Albrecht Müller.
Zweifel an der ‚Transatlantischen Freundschaft‘. Werden wir Russland gerecht?
Von Peter Becker
Der Begriff ‚Transatlantische Freundschaft‘ steht heute für ein historisch gewachsenes Konstrukt, dessen eine wichtige Aufgabe es ist – so die Arbeitshypothese –, eine Annäherung der EU an Russland und vor allem Deutschlands an Russland zu verhindern. Dafür wird seit hundert Jahren das Feindbild Russland gepflegt, während die USA als leuchtendes demokratisches und rechtsstaatliches Gegenbild herausgeputzt werden. Russland wird die Rolle des Kriegstreibers zugeschoben.
Die USA sind ein Gegenbeispiel, dem sie aber historisch eigentlich nur mit dem Sieg gegen den Hitler-Faschismus, den Nürnberger Prinzipien und der Gründung der UN gerecht geworden sind. Denn dagegen steht ein ungleich mächtigerer Strang von völkerrechtswidrigen Interventionen und Kriegen, dazu wirtschaftlich unverantwortliche Verhaltensweisen und jetzt Trumps klimapolitischer Irrsinn.
Das vertraute Bild der USA wird, beginnend mit dem 20. Jahrhundert, von idealistischen Präsidenten geprägt. Die Realpolitik bestimmen aber bellizistische Kräfte. Auch die innere Verfassung der USA, der ‚weltweit ältesten Demokratie‘, stellt sich genau betrachtet anders als gewohnt dar; ebenso die reale Verfassung des amerikanischen Rechtsstaats. Vielen Journalisten gelingt es nicht, die – zugegebenermaßen komplexen – Zusammenhänge zu berücksichtigen.
Ein verzerrtes Bild wird auch von Russland gezeichnet: Russland hat sich schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts friedenspolitisch engagiert und dieses Verhalten schon vor dem Ende des Kalten Krieges vorangetrieben; erst recht danach. Aber diese Verhaltensweisen werden kaum wahrgenommen.
Die Weltwirtschaftskrise führte auch in Deutschland zu zahllosen Firmenzusammenbrüchen, löste eine Armutswelle aus und wird als Wegbereiterin der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten eingeschätzt.
Wir behalten in Erinnerung: Der nicht regulierte US-Kapitalismus kann weltweite Wirtschaftszusammenbrüche herbeiführen.
Absichten wurden aber dem Chef der Pazifikflotte, Admiral Kimmel, verheimlicht. Kimmel erhielt die Anweisung, 21 moderne Kriegsschiffe, darunter seine beiden Flugzeugträger, aus Pearl Harbor abzuziehen und nur die ältesten Schiffe dort zu belassen. Am 7. Dezember 1941 bombardierten die Japaner die US-Flotte. 2.476 Soldaten starben, ein Großteil der Flotte wurde versenkt. Das führte in der Bevölkerung zu einem Stimmungsumschwung, Roosevelt konnte den Kriegseintritt durchsetzen.
Der Ablauf wurde von der US-Marine totgeschwiegen. Admiral Kimmel wurde sogar Versagen vorgeworfen, er wurde degradiert. Robert Stinnett, Pazifik-Veteran, recherchierte über 17 Jahre lang in Archiven, redete mit Kryptologen und erlangte mit Hilfe des ‚Freedom of Information Act‘ zahlreiche Informationen. Er deckte den wahren Ablauf auf (in seinem Buch Pearl Harbor, 2000, auf Deutsch erschienen 2003). Trotzdem bleibt die US-Regierung bis heute bei der ‚amtlichen‘ Darstellung.
Es ging Truman darum, trotz dieser Disparität zukünftiger Hegemon zu werden. Dazu sollte ihm die Atombombe verhelfen: so die These des amerikanischen Historikers Gar Alperovitz in seinem Buch Hiroshima. Die Entscheidung für den Abwurf der Bombe (in deutscher Sprache erschienen 1995). Dem damaligen Kriegsminister Stimson sei es gelungen, der amerikanischen Öffentlichkeit Fakten und Stellungnahmen vorzuenthalten und so eine „Legende“ über den Einsatz der Bombe zu schaffen. Ein Rezensent des Buchs von Alperovitz, Hans Kluth (FAZ vom 29.12.1995), untertitelt seine Besprechung mit „Im Höllenofen der Atombombe begann der Kalte Krieg“.
Mit den Nürnberger Prozessen wurden nicht nur die Hauptkriegsverbrecher bestraft, vielmehr wurde das Völkerrecht weiterentwickelt. Trotz vielfältiger Kritik verhalfen sie dem Prinzip zum Durchbruch, dass es für einen Kernbestand von Verbrechen keine Immunität geben darf.
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg, der durch das Eingreifen der USA beendet wurde, intervenieren die USA auf Basis der Truman-Doktrin in zahlreichen Fällen:
Aber das ist nur eine Auswahl: Der ehemalige Bedienstete des US-Foreign-Office William Blum listet in seinem Buch Zerstörung der Hoffnung (in den USA unter dem Titel Killing Hope erschienen, erstmals 1987; in deutscher Sprache erschienen 2008) 55 bewaffnete Interventionen der USA und der CIA seit dem Zweiten Weltkrieg auf.
Das NED, unterstützt von den Soros-Stiftungen, finanzierte und bildete NGOs aus, deren Aufgabe es war, ausgehend von durchaus berechtigten Protestbewegungen Umstürze zu organisieren; so etwa Otpor (Serbisch: Widerstand). Sie war eine studentische Oppositions-NGO, die von Washington erschaffen und nach Serbien hineingetragen wurde. Sie konnte schließlich den Sturz von Slobodan Milošević erreichen. Sogar Kriege wie die in Bosnien waren provoziert: „Der Krieg in Bosnien war in jeder Hinsicht ein amerikanischer Krieg. Die Regierung der Vereinigten Staaten hat ihn angestiftet, am Laufen gehalten und ein frühes Ende verhindert“ (Sir Alfred Sherman, Berater von Premierministerin Margaret Thatcher).
Auch die ‚Orangene Revolution‘ in der Ukraine, die ‚Rosen-Revolution in Georgien oder die ‚Tulpen-Revolution‘ in Kirgisien verliefen nach diesem Muster.
Näheres kann man nachlesen im SPIEGEL („Die Revolutions-GmbH“, erschienen am 14.11.2005, Einleitung: „Wie macht man eine Revolution? Was in Jugoslawien 2000 passierte, in Georgien 2003, in der Ukraine 2004, wirkte wie ein spontaner Volksaufstand gegen Autokraten. In Wahrheit war vieles sorgfältig geplant – von Studentenführern und ihren vernetzten Organisationen. Sie scheuten auch amerikanische Hilfe nicht. Welches Regime wird ihr nächstes Opfer?“). Die Abläufe im Einzelnen findet man im Buch von F. William Engdahl: Geheimakte NGOs – Wie die Tarnorganisationen der CIA Revolutionen, Umstürze und Kriege anzetteln, 2017.
Auslöser des Krieges war der letztlich militant gewordene Aufstand der ‚Befreiungsorganisation‘ der albanischen Kosovaren UCK, die für ein autonomes, Albanien-orientiertes Kosovo kämpften. Die Bundestagswahl im Herbst 1998 hatten die SPD und die Grünen gewonnen. Die US-Außenministerin Madeleine Albright bestellte den kommenden Bundeskanzler Gerhard Schröder und seinen kommenden Außenminister Joschka Fischer nach Washington, um sie auf den Krieg einzuschwören. Motiv war die Angst Albrights vor den anfänglich auch von Fischer geäußerten Absichten, aus der NATO auszutreten.
Der Mitgründer des PNAC, Robert Kagan (Ehemann von Victoria Nuland, US-Botschafterin bei der EU), schrieb dazu in seinem Buch Macht und Ohnmacht. Amerika und Europa in der Neuen Weltordnung (2003), nur die NATO sei „der Westen“. Sehr kritisch betrachtete Kagan europäische Bemühungen, eine Alternative zur NATO aufzubauen. In der Abwehr dieser Gefahr sah Kagan den wesentlichen Grund für den Jugoslawien-Krieg: Auf dem Balkan hätten keine „nationale Interessen“ auf dem Spiel gestanden. Ein Hauptziel der amerikanischen Intervention sei der Zusammenhalt des Bündnisses gewesen. Eine Rezension ist in den NachDenkSeiten vom 29.10.2015 erschienen.
Der Krieg gegen Jugoslawien war völkerrechtswidrig, weil eine Ermächtigung des Sicherheitsrates und eine Selbstverteidigungssituation nicht vorgelegen hatten. Der erste deutsche Kriegseinsatz nach 1945 war daher illegal. Die völkerrechtliche ‚Rechtfertigung‘, es habe sich um eine ‚humanitäre Intervention zwecks Verhütung eines Völkermordes‘ gehandelt, war an den Haaren herbeigezogen. Erstens: Die Fakten gaben einen ‚Völkermord‘ nicht her. Zweitens: Die sogenannte ‚humanitäre Intervention‘ war völkerrechtlich nicht anerkannt. Eine Resolution der UN-Generalversammlung von 2005 lässt zwar derartige Interventionen zu, bindet sie aber an die Zustimmung des Sicherheitsrates.
Beispielsweise verpflichtet der Atomwaffensperrvertrag auch die USA in Artikel VI, „in redlicher Absicht Verhandlungen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung zu führen“. Aber in ihrem Grundsatzdokument zur militärischen Nuklearstrategie vom Januar 2002 legen die USA fest, dass sie für unbegrenzte Zeit über eine schlagkräftige und modernisierte Nuklearstreitmacht verfügen wollen. Seither werden viele Milliarden Dollar in die Modernisierung der US-Atomwaffen gesteckt. Die Beispiele:
Der Atomwaffensperrvertrag: Mit der Nuclear Posture Review von 2002 ist ein Präventivschlag möglich. Es werden nukleare Gefechtsköpfe entwickelt, die u.a. tief in die Erdoberfläche eindringen können. Die Planungen umfassen nicht nur die Modernisierung der Atomwaffen, sondern auch der Nuklearraketen und Atombomber für die nächsten 50 Jahre.
Der Vertrag über einen umfassenden Atomteststopp, der ‚Comprehensive Test Ban Treaty‘ (CTBT) wurde zwar von Russland, Frankreich und Großbritannien ratifiziert, von den USA und China aber nicht.
Der Raketenabwehrvertrag (ABM-Treaty, 1972) wurde von den USA 2003 gekündigt.
Die Chemiewaffenkonvention wurde zwar von den USA maßgeblich mitentwickelt. Die USA verbanden aber mit der Ratifizierung die Weigerung, sich den Inspektionsbestimmungen der Konvention zu unterziehen. Verdachtsinspektionen sind unmöglich.
Die Konvention über biologische und toxische Waffen von 1972 wurde von den USA nicht ratifiziert. Sie wenden sich gegen ein rechtsverbindliches Vertragsregime zur Herstellung von Transparenz, haben bereits einen Prototyp für eine Bio-Bombe gebaut und waffenfähigen Anthrax hergestellt.
Die Konvention über das Verbot von Anti-Personen-Minen von 1997 wurde von den USA nicht ratifiziert (wie auch von Russland u.a.).
Die UN-Klimarahmenkonvention und das Kyoto-Protokoll wurden von den USA abgelehnt.
Die Pariser Klimarahmenkonvention von 2015 wurde von den USA unter Barack Obama zwar unterzeichnet, von Präsident Trump aber gekündigt.
Dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs von 1998 traten die USA nicht bei.
Fazit: Die amerikanischen Politiker stehen der Idee eines Völkerrechtssystems auf vertraglicher Grundlage ablehnend gegenüber. Näheres: Denner/Makhijani/Burroughs (Hrsg.): US-Politik und Völkerrecht, in deutscher Sprache 2004 ediert von IALANA.
„Es gibt eine beeindruckend große Gruppe von Leuten, deren Einkommen ausschließlich vom Krieg abhängt. Der Krieg ist ihr einziges Geschäftsmodell.“ 2.000 Privatfirmen lebten inzwischen vom Geschäft mit dem Krieg (vgl. dazu Herbert Wulf: Internationalisierung und Privatisierung von Krieg und Frieden, 2005; „Der Staat nimmt in Kauf, dass sich die Söldner-Unternehmen und ihre Akteure vor Ort weitgehend der öffentlichen Kontrolle entziehen“, Wikipedia).
Im weltweiten Spionagenetz Echelon arbeiten die „Five Eyes“ zusammen, Geheimdienste der USA, Großbritanniens, Kanadas, Australiens, Neuseelands. Das System dient zum Abhören und Überwachen von über Satellit geleiteten privaten und geschäftlichen Telefon- und Faxverbindungen und Internetdaten. Zielsetzung: In Deutschland bestanden schon 2007 bis 2013 die Hauptaufgaben der NSA in Wirtschaftsspionage und Überwachung der politischen Führungspersonen (so der Echelon-Ausschuss des Europäischen Parlaments). Im deutschen Bad Aibling stand bis 2004 eine Überwachungsstation. Die Kooperation von NSA und Bundesnachrichtendienst (BND) hieß Eikonal. Frank-Walter Steinmeier, seinerzeit Geheimdienstkoordinator, sagte im Deutschlandfunk: „Es hat zu meiner Zeit keine Kenntnisse gegeben über […] eine derartig umfangreiche Abhörpraxis.“ Gert R. Polli, von 2002 bis 2008 Leiter des österreichischen Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, kommt in seinem Buch Deutschland zwischen den Fronten (2017) zu dem Schluss, „amerikanische Dienste in Europa, allen voran die NSA und die CIA, agierten als Akteure einer Gleichschaltung“, mit dem Ziel, „die politischen Eliten Europas unkritisch transatlantisch und neoliberal auszurichten“: „Eine der langfristigen geopolitischen Zielsetzungen der USA ist die Verhinderung einer Allianz zwischen Europa und Russland“ (Stratfor).
Polli zeigt in seinem Buch, wie Spionage eingesetzt wird, um die US-Regierung wirtschaftlich und politisch über die Entwicklungen in Europa informiert zu halten. Die damit verbundene Wirtschaftsspionage hat einen für die USA erfreulichen Nebenaspekt: Sie liefert Kenntnisse über verbotene oder gar korrupte Vorgehensweisen europäischer Unternehmen in den USA, die dann zu Milliardenstrafen – etwa gegen die Deutsche Bank – führen können.
Meine These: Die amerikanische Verfassung ist untauglich, die Konflikte der Gegenwart angemessen zu regulieren. Beispiel ist das Wahlmännersystem, das die Einzelstaaten und die Rechtsprechung so pervertiert haben, dass ein nach Stimmen eigentlich unterlegener Kandidat trotzdem Präsident werden kann (Beispiele: George W. Bush, Donald Trump). Auch Richter und Staatsanwälte werden gewählt, mit dem Pferdefuß, dass die Superreichen nicht nur auf den Gesetzgeber und die Exekutive, sondern auch auf die Rechtsprechung irregulären Einfluss nehmen können.
Außenpolitisch halten sich die USA nicht an das Völkerrecht, sondern vertreten ein opportunistisches Völkerrechtsverständnis. Das war auch unter Obama so, wie sein Drohnenkrieg zeigt. Die Wünsche des militärisch-industriellen Komplexes bestimmten die Rüstung, so Eisenhower. Er brachte folgendes Beispiel: Der National Security Council steigerte den Militäretat um 350 Prozent mit der Behauptung, die Sowjetunion könne die USA mit Atomwaffen in einem Überraschungsangriff in Schutt und Asche legen. Das war reine Spekulation. Dasselbe gilt noch heute: Russland hat einen Militäretat von 66 Milliarden Dollar, allein die USA das Zehnfache davon, alle NATO-Staaten zusammen das Zwanzigfache. Trotzdem simuliert die NATO in riesigen Manövern die Verteidigung gegen einen Angriff Russlands, obwohl der reiner Irrsinn wäre.
Aber die deutsche Propaganda, die die wahren Abläufe verschwieg, schob Russland die Kriegsschuld zu. Darauf fiel sogar die SPD-Fraktion im Reichstag herein, die die Kriegskredite mit bewilligte, obwohl sie wenige Tage vorher noch das „verbrecherische Treiben der Kriegshetzer“ in Deutschland und Österreich-Ungarn angeprangert hatte.
Denn am 3. August 1914 legte der Reichskanzler dem Reichstag eine Denkschrift vor, in der fälschlich behauptet wurde, russische Truppen hätten am Nachmittag des 1. August die Grenzen überschritten: die Kriegsschuldlüge. Es war daher kein Wunder, dass viele Sozialdemokraten die Kriegskredite mit bewilligten, auf Basis der Auffassung, der Krieg gegen Russland sei der ‚Heilige Krieg‘ der deutschen Sozialdemokratie. Aber es bildete sich eine kriegskritische Abgeordnetengruppe, die im April 1917 die USPD gründete. Zu ihr gehörte Karl Kautsky. Er veröffentlichte im Jahr 1919 sein Buch Wie der Weltkrieg entstand. Da kann man die richtigen Abläufe nachlesen.
In den USA begann ein antikommunistischer Propagandafeldzug. Im Februar und März 1919 hielt der Rechtsausschuss des US-Senats Anhörungen ab, in denen viele Bolschewisten-Schauergeschichten vorgestellt wurden:
„Unter dem Strich war das Ergebnis dieser Anhörungen […] ein Bild von Sowjetrussland, wonach dieses eine Art von Tollhaus war, das von elenden Sklaven bewohnt war, welche auf Gedeih und Verderb einer Organisation von Amokläufern ausgeliefert waren, deren Absicht es war, alle Spuren der Zivilisation zu beseitigen und das Land in die Barbarei zu führen“ (Frederick L. Schuman: American Policy Toward Russia Since 1917, 1928).
Am 1. August 1975 wurde die KSZE-Schlussakte in Helsinki unterschrieben. In ihr verpflichteten sich die Staaten
Die USA bestanden auf der Mitwirkung, obwohl es um „Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ ging.
Polen hatte sich bereits seit den 1970-er Jahren bei westlichen Banken verschuldet, die bis Mitte der 1980-er Jahre 50 Milliarden Dollar ausmachten, beinahe zwei Drittel des polnischen BIP. Als dann die jahrzehntelange staatliche Preiskontrolle aufgehoben wurde, schnellte die Inflation 1989 auf 250 und 1990 auf 585 Prozent, während das gesamtwirtschaftliche Einkommen gleichzeitig absank. Polen stand wirtschaftlich mit dem Rücken zur Wand. Dem 34-jährigen Harvard-Ökonomen Professor Jeffrey David Sachs und dem mit ihm kooperierenden Spekulanten George Soros gelang es unter Übernahme der von Milton Friedman und den ‚Chicago-Boys‘ entwickelten ‚Schocktherapie‘ – 1973 in Chile angewandt –, Ministerpräsident Mazowiecki und seinen Finanzminister Leszek Balcerowicz für einen direkten Übergang in den freien Markt zu gewinnen (‚Balcerowicz-Plan‘).
Aber unmittelbar nach dem Fall der Berliner Mauer entstand dadurch eine wirtschaftliche Katastrophe: Der Regierung war es untersagt, bei der polnischen Nationalbank Geld drucken zu lassen, um Haushaltslöcher zu stopfen. Das erzwang radikale Einsparungen, die zu Arbeitslosigkeit führten. Zugleich wurden 90 Prozent der staatlichen Preiskontrollen beendet, so dass die Preise explodierten. Das führte zu einer katastrophalen Senkung des Lebensstandards der Bevölkerung. Die polnische Regierung war gezwungen, die staatseigenen Kronjuwelen zu privatisieren. Die riesige Stahlfabrik Huta Warszawa im Wert von drei bis vier Milliarden US-Dollar wurde für 30 Millionen Dollar an den italienischen Konzern Lucini verkauft. Die polnische Industrieproduktion brach weitgehend zusammen, an ihre Stelle trat allmählich eine Dienstleistungswirtschaft. Rückwirkend wurde der ‚Balcerowicz-Plan‘ daher als Erfolg eingestuft, allerdings auch wegen zahlreicher ausländischer Investitionen.
Sein politisches und wirtschaftliches Reformprogramm Perestroika, das den Unternehmen finanzielle Selbstverantwortung gab und ausländischen Unternehmen die Beteiligung an sowjetischen mit höchstens 49 Prozent erlaubte, führte aber zu großen Schwierigkeiten. Vor allem hatte Gorbatschow den Sowjetbürgern 1987 den Besitz von Dollars erlaubt. Praktisch über Nacht wuchs ein riesiger Schwarzmarkt für Dollars heran, während der Rubel in der Sowjetunion de facto wertlos wurde.
Die Wirren nutzte der KGB-General Philipp Bobkov, der sich selbst als Erfinder der Perestroika gerierte, und unterstützte den Aufstieg von Michail Chodorkowski, Roman Abramowitsch, Boris Beresowski und Alexander Kunanykhin zu Oligarchen. Typisch ist der Aufstieg von Chodorkowski: Er gründete nach einem Chemiestudium mit 24 Jahren das Zentrum für wissenschaftlich-technisches Schöpfertum der Jugend-Stiftung für Jugendinitiative (NTTM), eines auf marktwirtschaftlichen Prinzipien beruhenden Komsomol-Unternehmens. 1989 übernahm Chodorkowski den Vorsitz der Kommerziellen Innovationsbank für wissenschaftlich-technischen Fortschritt, die eine der ersten Privatbanken Russlands war. Die Bank kaufte 1990 die Firma NTTM und benannte sie in Menatep-Invest um, die als Bank agierte und rasch größer wurde. Die anderen ‚Oligarchen‘ hatten ähnliche Aufstiege.
Am 14.03.1990 wurde Gorbatschow zum Staatspräsidenten der UdSSR gewählt. Im August 1991 kam es zu einem Putsch gegen ihn. Aber dem im Juni 1991 neugewählten Präsidenten der russischen Sowjetrepublik (RSFSR), Boris Jelzin, gelang es, die Putschisten auszuschalten und damit die Staatsgewalt zu übernehmen. Am 25. Dezember 1991 trat Gorbatschow als Präsident der Sowjetunion zurück.
Jelzins Finanzminister Jegor Gaidar und seine Berater Anatoli Tschubais, Harvard-Ökonom Jeffrey Sachs, George Soros und vor allem Wladimir Potanin entwickelten das System der ‚Coupon-Privatisierung‘: Gaidar und Potanin orientierten sich an dem polnischen ‚Schocktherapie‘-Modell. Als Leiter des staatlichen Komitees zur Verwaltung des Staatsvermögens gab Tschubais 150 Millionen
‚Vouchers‘ (Privatisierungsschecks oder -Coupons) heraus, für jeden einzelnen russischen Bürger. Jeder konnte dann seinen ‚Voucher‘ in die Aktien eines russischen privatisierten Staatsbetriebes oder Warenhauses investieren. Da die meisten Russen aber über keinerlei Bargeld verfügten, verkauften sie ihre ‚Vouchers‘ gegen Bargeld – und vor allem an die Oligarchen. So wurden der weltgrößte Nickelbetrieb, einige der weltgrößten Öl- und Gaskonzerne wie Sibneft und Gazprom und RUSAL, der weltweit größte Aluminiumhersteller, privatisiert. Michail Chodorkowskis Menatep-Bank konnte für 310 Millionen Dollar 78 Prozent Anteile an der Ölfirma Jukos erwerben, die aber einen wahren Wert von etwa fünf Milliarden Dollar hatte. In ähnlicher Weise ersteigerte Boris Beresowski den Ölgiganten Sibneft, dessen Wert bei drei Milliarden US-Dollar lag, für nur 100 Millionen.
1995 wurde der Voucher-Aufkauf von staatlichen Unternehmen durch ausländische Investoren verboten. Ausnahme: Der Harvard-Fonds, die Harvard-Management-Company (HMC) und George Soros, der Harvard-Professor Sachs als Berater von Tschubais ins Spiel gebracht hatte, konnten als ‚Belohnung‘ für ihre Beratung die Aktienmehrheit bei MLMK, Russlands zweitgrößtem Stahlwerk, und bei der Ölfirma Sidanko erwerben, deren geschätzte Ölreserven die von Mobil Oil überstiegen.
1993 wurde eine Volksabstimmung mit Fragen zu Jelzins Wirtschaftspolitik durchgeführt. Die Oligarchen und Soros unterstützten die Volksabstimmungskampagne zu Jelzins Gunsten. Sie ging in seinem Sinne aus. Auch die Wiederwahl von Jelzin im Jahr 1996, die zunächst aussichtslos schien, wurde von Soros und den Oligarchen unterstützt. Jelzin gewann mit 54 Prozent.
Der IWF hatte 1995 einen Kredit über 10,2 Milliarden Dollar an die Regierung Jelzin gegeben. Im Jahr 1998 flossen Milliarden von Dollars nach Russland; ein Vorgang, der zu einer Rubelkrise führte. Die russische Industrieproduktion war fast auf die Hälfte abgesunken, und die Armut der Bevölkerung von zwei auf über 40 Prozent geklettert. Ein Gastkommentar von Soros in der Londoner Financial Times löste einen panischen Ausstieg aus rubelbasierten Anleihen und russischen Aktien aus. Der Rubel war nichts mehr wert. Die kurzfristigen Schulden beliefen sich auf 20 Milliarden Dollar, mit einem ausländischen Anteil von 6,5 Milliarden.
Die russische Regierung wollte den Rubel abwerten. Dessen Anbindung an den US-Dollar war kurz zuvor aufgehoben worden. Die Freigabe des Wechselkurses führte zu einem Wertverlust des Rubel von 60 Prozent. Der Schuldendienst der Geschäftsbanken konnte nicht mehr bedient werden. Ein Großteil musste Insolvenz anmelden. Das wieder spielte den Oligarchen in die Hände, die die wichtigsten Banken des Landes übernahmen.
An dieser Entwicklung hatten die USA mitgewirkt. Näheres: F. William Engdahl: Geheimakte NGOs, 2017.
Jelzin trat am 31.12.1999 zurück und ernannte Putin bis zu den Wahlen im März 2000 zum amtierenden Präsidenten.
Aber: Die NATO hielt sich nicht daran. Sie löste sich nicht nur nicht auf wie der Warschauer Pakt, sondern dehnte sich nach Osten aus. Bereits auf dem NATO-Gipfel in Madrid 1997 wurde auf Betreiben der USA den ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten Polen, Tschechien und Ungarn die Mitgliedschaft angeboten, die am 12. März 1999 der NATO beitraten, wenige Tage vor Beginn der Bombardierung Jugoslawiens durch die NATO, unter deutscher Beteiligung.
Im November 2002 erhielten auf dem NATO-Gipfel in Prag Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, die Slowakei und Slowenien die Einladung zu Verhandlungen über einen NATO-Beitritt, und am 29. März 2004 traten diese neuen Länder der NATO bei. Beim NATO-Gipfel in Bukarest im April 2008 wurde der Beitritt Albaniens und Kroatiens beschlossen und am 1. April 2009 vollzogen. Der Ukraine und Georgien wurde der Beitritt in Aussicht gestellt, nachdem der ukrainische Außenminister Arsenij Jazenjuk im Januar 2008 in Bukarest um die Aufnahme in die NATO ersucht hatte. Angela Merkel verhinderte das im letzten Moment. Aber die Umzingelung Russlands war damit weitgehend gelungen.
Die Rolle Polens: Eine besondere Rolle in der NATO-Umzingelungsstrategie spielt Polen und dabei Radosław Sikorski. 1992 wurde Sikorski stellvertretender Verteidigungsminister. Von 1998 bis 2001 war er stellvertretender Außenminister. Nachdem die USA nach 9/11 um Beteiligung an der Operation Enduring Freedom (OEF) baten, befürwortete Sikorski die Beteiligung, die im März 2002 auch begann. Ab 2002 arbeitete Sikorski als Direktor der New Atlantic Initiative im konservativen American Enterprise Institute (AEI) in Washington. Das AEI finanziert sich durch Spenden. Unter seinen 50 sogenannten Fellows befinden sich auch zahlreiche Vordenker des amerikanischen Neokonservatismus, wie etwa Richard Perle, Cheney und Irving Kristol.
Nachdem Sikorski im November 2007 Außenminister im Kabinett Tusk wurde, unterstützte er die Stationierung von NATO-Truppen in Polen und anderen Staaten Mittel-Ost-Europas sowie die Positionierung von US-Raketenabwehrsystemen in seinem Land. Am 20.8.2008 unterzeichneten die US-Außenministerin Condoleezza Rice und Sikorski das Abkommen über die Stationierung von US-Luftabwehrraketen in Polen. Im Februar 2010 wurde bekanntgegeben, dass die amerikanischen Patriot-Raketen nur etwa 100 Kilometer von der Grenze zur russischen Enklave Kaliningrad entfernt aufgebaut werden sollten. Ferner wurde bekanntgegeben, dass das Raketenabwehrsystem „zum Schutz Europas“ auf Rumänien ausgedehnt werde.
Sikorski engagierte sich auch für den Umsturz in der Ukraine. Nach einem Artikel in der polnischen linken Wochenzeitung Nie (Neun) vom 18. April 2014 hatte Sikorski im September 2013 86 Mitglieder des Rechten Sektors nach Warschau eingeladen, angeblich als Teil eines Programms zur Zusammenarbeit zwischen Universitäten. Tatsächlich erhielt der Rechte Sektor vier Wochen intensives Training in der Technik des Putsches, einschließlich des Einsatzes von Scharfschützengewehren.
Am 21. Februar schlug eine Vermittlungsmission der EU unter der Führung des deutschen, französischen und polnischen Außenministers unter Teilnahme eines Abgesandten der russischen Regierung ein Abkommen vor, nach dem die alte Verfassung von 2004 wiederhergestellt, eine
Regierung der nationalen Einheit gebildet, die Polizei und die bewaffneten Demonstranten zurückgezogen und vorgezogene Neuwahlen durchgeführt werden sollten.
22. Aber einen Tag nach der Unterzeichnung dieses Kompromissabkommens kam alles anders. Am 22. Februar wurde in Kiew ein Putsch durchgeführt. Der Rechte Sektor besetzte das Parlament und übernahm die Kontrolle in Kiew. Bei der Abstimmung wurde Präsident Wiktor Janukowytsch abgesetzt. Der Abgeordnete Olexander Turtschinow wurde zum neuen Staatspräsidenten gewählt. Das Parlament wählte den Vorsitzenden der ‚Vaterlandspartei‘, Jazenjuk, zum Ministerpräsidenten. Diese Machtübernahme war illegal, weil die für die Neuwahl eines Staatspräsidenten in der Verfassung vorgeschriebene Dreiviertelmehrheit nicht erreicht wurde. Ludger Volmer, ehemaliger Staatssekretär im AA, bezeichnete diesen Regierungswechsel als „klaren Putsch” (Deutschlandfunk, 25.06.2015).
Der Putsch bewirkte nicht nur den Machtwechsel in Kiew. Er bewirkte auch, dass das Abkommen vom 21. Februar Makulatur wurde. Das kommentiert der Journalist Uwe Klußmann in SPIEGEL-online vom 3.3.2014 wie folgt:
„Die Folge: Die russische Bevölkerung der Krim erhob sich gegen die Zentralregierung, noch bevor Putin Truppen in Marsch setzte. Die drei westlichen Unterzeichner Steinmeier, Sikorski und Fabius hätten, wenn sie wollten, für ihre Beschwerden wegen Vertragsverletzung einen Adressaten in Kiew: Das Abkommen trägt auch die Unterschrift des jetzigen Premierministers Arsenij Jazenjuk.“
„Hat Russland die Krim annektiert? Nein. Waren das Referendum auf der Krim und deren Abspaltung von der Ukraine völkerrechtswidrig? Nein. Waren sie also rechtens? Nein; sie verstießen gegen die ukrainische Verfassung (aber das ist keine Frage des Völkerrechts). Hätte aber Russland wegen dieser Verfassungswidrigkeit den Beitritt der Krim nicht ablehnen müssen? Nein; die ukrainische Verfassung bindet Russland nicht. War dessen Handeln also völkerrechtsgemäß? Nein; jedenfalls seine militärische Präsenz auf der Krim außerhalb seiner Pachtgebiete dort war völkerrechtswidrig. Folgt daraus nicht, dass die von dieser Militärpräsenz erst möglich gemachte Abspaltung der Krim null und nichtig war und somit deren nachfolgender Beitritt zu Russland doch nichts anderes als eine maskierte Annexion? Nein.
[…] Was auf der Krim stattgefunden hat, war etwas Anderes: eine Sezession, die Erklärung der staatlichen Unabhängigkeit, bestätigt von einem Referendum, das die Abspaltung von der Ukraine billigte. Ihm folgte der Antrag auf Beitritt zur Russischen Föderation, den Moskau annahm. Sezession, Referendum und Beitritt schließen eine Annexion aus, und zwar selbst dann, wenn alle drei völkerrechtswidrig gewesen sein sollten. Der Unterschied zur Annexion, den sie markieren, ist ungefähr der zwischen Wegnehmen und Annehmen. Auch wenn ein Geber, hier die De-facto-Regierung der Krim, rechtswidrig handelt, macht er den Annehmenden nicht zum Wegnehmer. Man mag ja die ganze Transaktion aus Rechtsgründen für nichtig halten. Das macht sie dennoch nicht zur Annexion, zur räuberischen Landnahme mittels Gewalt, einem völkerrechtlichen Titel zum Krieg.“[…]
Hier liegt auch der Grund, warum Russland den Konflikt in der Ost-Ukraine am Köcheln hält. Denn ein NATO-Beitritt der Ukraine würde auch hier die Gefahr eines Krieges herbeiführen. Alle Konflikte wären lösbar, wenn die Beitrittsabsichten zur NATO aufgegeben würden.
Deutschland sollte daher im Sinne des Friedensgebotes des Grundgesetzes als Vermittler zwischen Europa und Russland wirken, was allerdings voraussetzt, dass es seine Rolle grundlegend revidiert. Das sollen diese Ausführungen klarmachen.
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