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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 29. November 2018 um 8:39 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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  1. Russlands linke Offensive
  2. Brisante Russland-Dokumente veröffentlicht – wenige schauen hin
  3. Mehr Deutsche für höhere Verteidigungsausgaben
  4. Die Armee der Europäer
  5. Arbeitsbedingungen: Keine Entwarnung bei prekärer Beschäftigung
  6. Trugbild des faulen Arbeitslosen
  7. Bundesregierung streitet weiter über europäische Arbeitslosenversicherung
  8. Dreißig Jahre Abwegigkeit
  9. Griechenland: Rentner haben immer noch nicht genug zum Leben
  10. G20-Gastgeber in der Krise: Argentinien auf der Intensivstation
  11. Digitalkonzerne besteuern – Gewinnverschiebung eindämmen
  12. Digital idiots – Zur Kritik des «Digitalpakts für Schulen»
  13. Landesbank: Wenig Interesse an Einstieg bei der NordLB
  14. Der Kandidat – Wie sozial ist Friedrich Merz?

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Russlands linke Offensive
    Anti-Rassismus, Kampf gegen Kolonialismus, Umweltschutz: Von Berlin aus sind Medien tätig, die an der Grenze zwischen linkem Aktivismus und Journalismus agieren. Finanziert werden sie aus Russland.
    Von Patrick Gensing und Silvia Stöber, ARD-faktenfinder
    Auf den ersten Blick wirkt “Redfish” wie ein kleines Start-up-Unternehmen, das sich einem kämpferischen Graswurzeljournalismus verschreibt: Ein konsequentes und erfolgreiches Team wolle über den Kampf gegen “das ausbeuterische globale System” berichten. Ein System, “das die Menschheit versklavt und unseren Planeten zerstört”.
    Menschen sollten “ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen, gegen militärische und wirtschaftliche Kriege um des Profits willen und gegen Rassismus”. Denn bei “Redfish” glaube man “an die Gleichberechtigung aller – unabhängig von Geschlecht, Sexualität, Leistungsumfang, Alter und Religion”.
    Quelle: Faktenfinder

    Anmerkung Albrecht Müller: Die Autoren meinen und beschreiben, dass und wie Russland kritische Webseiten im Westen finanziert. Das zu recherchieren und zu beschreiben ist völlig legitim. Da wird sichtbar, dass Russland – wie auch mit den Medien RT deutsch und Sputnik – versucht, die Meinungsbildung im Westen zu beeinflussen. – Nicht legitim ist, dass die sogenannten Faktenfinder wichtige Fakten, die für das Gesamtbild wichtig sind, einfach weglassen. Wenn man wie die Faktenfinder in die Beurteilung nicht mit einbezieht, dass der Westen und insbesondere die USA, die NATO und die Atlantiker seit Jahrzehnten das Meinungsbild beeinflussen, dann lässt man einen wichtigen Teil der Wahrheit weg. Schon in den sechziger Jahren – in den fünfziger Jahren sowieso – konnte man beobachten, wie wichtige Medien wie die Springer-Presse zum Beispiel von westlichen Meinungsmachern geprägt sind. Heute gilt das für viele einflussreiche Medien – von den Öffentlich-rechtlichen Sendern über die Süddeutsche Zeitung bis zur FAZ. Das kann man wissen. Die Anstalt zum Beispiel hat auf der Basis der Untersuchungen von Uwe Krüger den Einfluss der Atlantiker belegt. Siehe hier.

    dazu: Putins Geniestreich
    Die sozialen Medien haben ein Putin-Problem: Im Ukrainekonflikt dürfte die russische Propaganda ein neues Niveau erreichen, dem Westen fehlt noch immer ein passendes Gegenmittel. […]
    Wie russische Propaganda im Netz funktioniert, ist nichts weniger als genialisch. Meiner Einschätzung nach hat Putin, selbst ehemaliger Geheimdienstler, dabei vor allem das Zusammenspiel zwischen redaktionellen und sozialen Medien perfektioniert. Russische Staatspropaganda im Netz ist gewissermaßen zugleich “state of the art” und “art of the state”. Es ist dem Kreml damit gelungen, die Stärke liberaler Demokratien in eine Schwäche zu verwandeln: die offene Debatte nämlich. […]
    Die Strategie dahinter ist ein klassischer Geheimdienstansatz: Die Schwächung der Gegner macht uns automatisch stärker – was übrigens auch westliche Geheimdienste aufs antidemokratischste verfolgt haben. Putins Trollfabriken – die durch Presserecherchen, Leaks und Whistleblower nachvollziehbar geworden sind – sind die Verkörperung der Informationskriegsführung im 21. Jahrhundert. Sie produzieren ständig Blogbeiträge, sind in sozialen Medien höchst aktiv und verlinken immer wieder staatliche Propagandamedien wie RT, ehemals Russia Today. So wird keine “Gegenöffentlichkeit” gesponnen, sondern eine Gegenrealität. […]
    Die liberalen Demokratien samt der klassischen Medienlandschaft haben bisher kein gesellschaftlich wirksames Antidot gegen Putins digitale Manipulationsmaschinerie gefunden. Mit dem kommenden Ukrainekonflikt werden wir ein weiteres Meisterstück des Putin’schen Social-Media-Krieges serviert bekommen. Wahrscheinlich sogar hier in den Kommentaren. Danke, Putin.
    Quelle: Sascha Lobo auf SPIEGEL Online

    Anmerkung Jens Berger: Es gibt Texte, die sind so niveaulos und dämlich, dass es verschenkte Lebenszeit ist, sich mit ihnen zu beschäftigen. Dieser „Lobo“ gehört zweifelsohne dazu. Hat Sascha Lobo überhaupt noch die intellektuelle Fallhöhe, um sich ernsthaft mit ihm auseinanderzusetzen? Ich glaube nicht, daher möchte ich den Artikel auch lieber inhaltlich unkommentiert lassen. Er spricht so oder so für sich.

    Anmerkung unseres Lesers J.S.: Pünktlich zur Eskalation des NATO-Russland-Konflikts gießt Sascha Lobo Öl ins Feuer und stellt klar, wer der Böse ist: Putin, der Möchtegern-Zerstörer aller liberalen Demokratien. Weil die Faktenlage dünn ist, argumentiert Lobo mit den Sympathien, die Europas Rechte für Putin kundtun. Es geht also weitgehend um eine Kontaktschulddebatte, deren Kern neben tatsächlich bedenklichen Auswüchsen ganz einfach darin liegt: Autoritär denkende Charaktere lieben autoritäre Führergestalten. Kein Mensch bezweifelt, dass Russlands Geheimdienst nicht durch Nettigkeit gegenüber dem Westen besticht, aber Aktivitäten westlicher Geheimdienste deutet Herr Lobo nur in einem einzigen Satz an, um dann abschließend alle Forenschreiber, die nicht ins Lobosche Horn blasen und sich eine kritische, aber auch ausgewogene und dem Frieden verpflichtete Russlanddebatte wünschen, als “prorussische Wutbürger” und Marionetten im “Meisterstück des Putin’schen Social-Media-Krieges” abzukanzeln.

  2. Brisante Russland-Dokumente veröffentlicht – wenige schauen hin
    Unter Bill Clinton hatten die USA in den russischen Wahlkampf eingegriffen. Nato-Osterweiterung und Putin waren Gesprächsthema.
    Bisher als «geheim» eingestufte Transkripte von Gesprächen zwischen den Präsidenten Bill Clinton und Boris Jelzin aus den Jahren 1996 bis 1999 hat die «Clinton Presidential Library» dieses Jahr der Öffentlichkeit freigegeben. Sie zeigen dass

    • Boris Jelzin die USA vor einer Osterweiterung der Nato warnte;
    • die USA sich in den Wahlkampf in Russland einmischten;
    • Boris Jelzin als seinen Nachfolger Waldimir Putin wärmstens empfahl.

    Solche Dokumente mit Originalgesprächen erlauben einen seltenen Einblick in den wirklichen Ablauf von Ereignissen. Häufig werden die wahren Absichten durch die öffentlichen Verlautbarungen, durch Ablenkungsmanöver und Geheimhaltung verschleiert und verfälscht.
    Quelle: Infosperber

    Anmerkung unseres Lesers U.D.: Grundsätzlich bekannt, aber die Details der Telefongespräche sind unglaublich. Es ist fast zum Verzweifeln an unserer „Demokratie“ mit ihren „westlichen Werten“.

    Anmerkung Albrecht Müller: Ein interessanter Artikel. Er bestätigt mit den zitierten Dokumenten, was Naomi Klein in Schock-Strategie vor längerem schon beschrieben hat: der Westen, speziell die USA, hatten ihre Finger tief in den Innereien Russlands und damit großen Einfluss auf den damaligen Präsidenten Jelzin. Darüber wird noch einmal ausführlich zu schreiben sein. Denn die jetzige Krise zwischen der Ukraine und Russland hat auch damit zu tun, mit den vielen Zumutungen, die in den Dokumenten sichtbar werden, vor allem mit der NATO Osterweiterung. „Bis hierher und nicht weiter“– das wäre vermutlich die treffende Zusammenfassung dessen, was heute die Reaktion auf die vielen Zumutungen prägt.

    Die Dokumente belegen, dass Jelzin seinen Nachfolger Putin vermutlich bewusst ausgesucht und gefördert hat und konkret auch dem US Präsidenten Clinton empfohlen hat. Immerhin. Aber Putin hat vermutlich die in den Dokumenten sichtbare Bettelei des russischen Präsidenten beim US Präsidenten angewidert und zu den Akten gelegt.

    dazu: Die neue Tyrannei des Dollars
    Unter Präsident Barack Obama wurden zielgerichtete ökonomische Sanktionen zu Amerikas Waffe erster Wahl. Donald Trump hat daraus eine Streubombe gemacht, die Staaten wie den Iran vernichten soll. Wie sollen die Europäer darauf reagieren?
    Möglicherweise will Donald Trump keine Kriege im Mittleren Osten anfangen. Doch das bedeutet nicht, dass er sich von der Idee eines durch die USA herbeigeführten “Regime Change” im Iran verabschiedet hat. Seine Regierung favorisiert Sanktionen gegen das Land, die denselben Zweck verfolgen wie der Einmarsch der Bush-Regierung 2003 im Irak.
    Seit dem Rückzug der USA aus dem Atomabkommen mit Iran im Mai sucht Trump nach Wegen, um den Druck auf das Regime dort zu erhöhen. Am 4. November traten die US-Sanktionen gegen die lebenswichtige Ölindustrie Irans in Kraft. Und die US-Regierung will sogar noch weiter gehen, indem sie Sekundärsanktionen gegen andere Länder verhängt, die das Ziel verfolgen, den Iran komplett aus der auf dem Dollar basierenden Weltwirtschaft auszuschließen.
    Quelle: Gegenblende

  3. Mehr Deutsche für höhere Verteidigungsausgaben
    In Deutschland sprechen sich, anders als noch im Vorjahr, mehr Menschen für höhere Verteidigungsausgaben aus als für die Beibehaltung des bisherigen Niveaus. Einer Erhöhung der Verteidigungsausgaben stimmen heute 43 Prozent der Deutschen zu, das sind elf Prozentpunkte mehr als ein Jahr zuvor. Der Anteil derer, die für die Beibehaltung der bisherigen Rüstungsausgaben plädieren, ging in dem Zeitraum hingegen von 51 Prozent auf 40 Prozent zurück. Die Ausgaben senken wollen 14 Prozent, ein Prozentpunkt weniger als ein Jahr zuvor. […]
    Damit dürfte eine relative Mehrheit der Deutschen die Entscheidung der großen Koalition gutheißen, im kommenden Jahr deutlich mehr Geld für Verteidigung auszugeben. So sind im Bundeshaushalt 2019 für den Wehretat 43,2 Milliarden Euro vorgesehen, nach 38,5 Milliarden Euro im laufenden Jahr.
    Quelle: FAZ

    Anmerkung unseres Lesers H.S.: Wie kann das behauptet werden, wenn 40% die Rüstungsausgaben beibehalten und 14% sie senken wollen und damit 54% keine höheren Rüstungsausgaben wollen?!

  4. Die Armee der Europäer
    Neue Schritte beim Aufbau einer “Armee der Europäer”, Sorgen über einen Verlust des “Verteidigungsvorsprungs” des Westens gegenüber Russland und China sowie die Rolle Künstlicher Intelligenz in künftigen Kriegen standen bei der gestern zu Ende gegangenen Berliner Sicherheitskonferenz auf dem Programm. Die Konferenz ist – anders als die Münchner Sicherheitskonferenz – nicht außenpolitisch, sondern stark militärpolitisch und rüstungsindustriell geprägt; an ihr nehmen alljährlich mehr als tausend Militärs, Wirtschaftsvertreter, Staatsbeamte und Politiker teil. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen nutzte die Veranstaltung, um für die “Armee der Europäer” Schritte zur Einschränkung des Parlamentsvorbehalts zur Debatte zu stellen. Experten urteilen, “Europa” müsse zukünftig “vielleicht sogar vollständig” ohne US-Unterstützung “für seine eigene Sicherheit sorgen”. Dazu müssten nicht nur schnelle Fortschritte in der Nutzung von Künstlicher Intelligenz zur Kriegführung gemacht werden. Man benötige auch ein die EU-Kriegführung legitimierendes “europäisches Narrativ”.
    Quelle: German Foreign Policy
  5. Arbeitsbedingungen: Keine Entwarnung bei prekärer Beschäftigung
    Aktuelle Entwicklungen und gewerkschaftliche Forderungen
    Niedrige Einkommen, geringer sozialer Schutz und weniger Mitbestimmungsrechte. Das ist noch immer die aktuelle Situation von prekär Beschäftigten. Die Gewerkschaften fordern den Gesetzgeber zum Handeln auf. Leiharbeit muss stärker reguliert und sachgrundlose Befristung abgeschafft werden.
    Quelle: DGB

    dazu: Zweithöchste Erwerbstätigenquote – aber viele sind arm trotz Arbeit
    „Die Bundesrepublik hat die zweithöchste Erwerbstätigenquote in der EU, lautet die vermeintliche Erfolgsmeldung. Schaut man genauer hin, bröckelt die Fassade: Jeder fünfte Erwerbstätige in Deutschland ist prekär beschäftigt und arbeitet im Niedriglohnbereich“, kommentiert Susanne Ferschl, stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE, die heute vom Statistischen Bundesamt vorgestellte Sonderauswertung der EU-Arbeitskräfteerhebung von Eurostat. Ferschl weiter:
    „Die Agenda-Reformen haben Anfang der 2000er Jahre den Arbeitsmarkt großflächig dereguliert, aber nicht mehr Arbeit geschaffen. Durch Mini- und Midijobs sowie unfreiwillige Teilzeitarbeit wurde das vorhandene Arbeitsvolumen lediglich auf mehr Köpfe verteilt und die Beschäftigten unter Lohndruck gesetzt. Wer nicht mitspielt, wird im Hartz-IV-System sanktioniert. Das Ergebnis dieses ‚Förderns und Forderns‘ ist, dass viele Menschen arm trotz Arbeit sind. Wir brauchen endlich eine Abkehr von der unsäglichen Agenda-Politik und ihren verheerenden Auswirkungen.
    Deswegen setzt sich DIE LINKE für einen Mindestlohn von mindestens zwölf Euro, eine Streichung der Ausnahmen sowie die Ausweitung der Kontrollen ein. Darüber hinaus wollen wir, dass Beschäftigte von der ersten Arbeitsstunde an in den Schutz der Sozialversicherung einbezogen werden. Sachgrundlose Befristungen und Leiharbeit wollen wir eindämmen und langfristig ganz abschaffen. Stattdessen wollen wir gute Arbeit für alle.“
    Quelle: DIE LINKE. im Bundestag

    dazu auch: Vom Verwalten des Prekären
    Der Minijob gehört ersetzt, der Freibetrag drastisch gesenkt – denn Arbeit muss sich wieder lohnen […]
    Man hätte eigentlich schon längst politisch ansetzen müssen. Freilich nicht so, wie man das jetzt offenbar auf der Agenda hat, indem man die prekären Strukturen so anpasst, dass damit die Beibehaltung von Arbeitskraft gewährleistet ist, die flexibel und ohne unternehmerische Verantwortung aufgesaugt werden kann. Mit der Etablierung des Mindestlohnes zeichnete sich ab, dass der Minijob rein rechnerisch an Grenzen stoße. In der Praxis war mit weiteren Schlichen zu rechnen. Sukzessiv hätte man diese geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse in »kleine sozialversicherungspflichtige Stellen« überführen müssen.
    Jetzt steht man vor der Entscheidung: Entweder man toleriert die krummen Touren zur Umgehung des Mindestlohnes in diesem Sektor, indem man nicht zu genau hinschaut – also, indem man weitermacht wie bisher. Oder aber man baut den prekären Sektor aus, erhöht den Freibetrag und etabliert somit jene, die in diesem Feld arbeiten, dauerhaft in einem prekären Zustand ohne erfüllte Ansprüche und Zugang zur Krankenversicherung. Den Teufelskreis prekärer Beschäftigung durchbricht man nicht, indem man die prekären Vorgaben erweitert und sich innerhalb der prekären Logik bewegt. Man muss ihn durchbrechen.
    Quelle: Heppenheimer Hiob

  6. Trugbild des faulen Arbeitslosen
    Man spricht wieder über Hartz IV. Um gleich mit Mythen aufzuräumen: Hartz IV ist weder Hängematte noch ein individuelles Problem und auch nicht verantwortlich für gesunkene Arbeitslosenzahlen. Da hilft auch keine Schönfärberei. Eine kurze Geschichte über eine große soziale Frechheit. […]
    An Weihnachten 2003 stand “Hartz IV” dann im Gesetzblatt, wurde im Laufe des Folgejahres noch an einigen Stellen leicht reformiert und trat zum 1. Januar 2005 in Kraft. Seitdem ist die Zahl der Beschäftigten um fünf Millionen Personen gestiegen, und die Zahl der registrierten Arbeitslosen hat sich fast halbiert. Vor diesem Hintergrund warnen nicht nur weite Teil von CDU und FDP, sondern auch Christoph Schmidt, der Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, davor, Hartz IV wieder abzuschaffen. Schließlich haben, so Schmidt “die Arbeitsmarktreformen der 2000er-Jahre (…) dazu beigetragen, dass die Arbeitslosigkeit auf dem niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung ist”.
    Diese Argumentation hat man schon so oft gehört, dass sie kaum mehr hinterfragt wird. Die Zahl der Arbeitslosen ist tatsächlich stark gesunken. Das gilt auch dann, wenn man die Aufhübschungen, wie die Herausnahme der über 58-jährigen Langzeitarbeitslosen aus der Statistik seit 2009, mit einbezieht. Es gibt jedoch keine Studie, die einen monokausalen Zusammenhang zwischen der Einführung von Hartz IV und der gesunkenen Arbeitslosigkeit belegt. […]
    Kurz zusammengefasst stellt sich der Mehrwert der Entwicklung seit 2005 also so dar: mehr Arbeitsplätze, mehr Niedriglöhner, mehr Armut, mehr psychische Krankheiten, mehr Wohnungslosigkeit. Ein Erfolgsmodell ist das nicht. Es sei denn, man sieht nur das Mehr an Arbeitsplätzen und lässt alles andere außer Acht.
    Quelle: Kontext: Wochenzeitung

    Anmerkung André Tautenhahn: Die Argumentation hinsichtlich der gesunkenen Arbeitslosenzahlen wird schon hinterfragt und ist auch beantwortet. Nachvollziehen lässt sich beispielsweise, dass die Arbeitslosenzahlen bis 2006 weiter stiegen, trotz der Arbeitsmarktreformen, die angeblich alles zum Besseren gewendet haben sollen. Für Entspannung auf dem Arbeitsmarkt sorgte aber eine vorübergehende Lockerung der Sparpolitik Eichels nach dem Regierungswechsel 2005 und die parallel anziehende weltweite Konjunktur. Vor allem aber verbesserte Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit permanent auf Kosten anderer durch Lohnzurückhaltung und die Schaffung eines riesigen Niedriglohnsektors. Deutschland exportiert dadurch bis heute Arbeitslosigkeit in seine Nachbarländer.

  7. Bundesregierung streitet weiter über europäische Arbeitslosenversicherung
    Vor dem EU-Reformgipfel Mitte Dezember haben Union und SPD immer noch keine gemeinsame Position. Heute will SPD-Finanzminister Scholz seine Pläne konkretisieren. […]
    „Olaf Scholz macht bei der europäischen Arbeitslosenversicherung eine große Illusionsshow. Denn in der Bundesregierung ist zur Arbeitslosenversicherung nichts abgestimmt“, sagte Fabio de Masi, finanzpolitischer Sprecher der Linkspartei. Eine europäische Arbeitslosenversicherung zur Sicherung der Liquidität nationaler Systeme bei konjunkturellen Schocks wäre durchaus sinnvoll. Scholz wolle aber einen faulen Deal, um europäische Partner auf Hartz IV, Leiharbeit und Ketten-Befristungen wie in Deutschland zu verpflichten, sagte de Masi.
    Quelle: Handelsblatt

    dazu: Europäische Arbeitslosenversicherung – Die große Illusionsshow des Olaf Scholz
    Fabio De Masi hält die Vorschläge von Bundesfinanzminister Olaf Scholz für eine Europäische Arbeitslosenversicherung für eine “große Illusionsshow”. Die Antworten der Bundesregierung (PDF) auf seine Kleine Anfrage belegen das.
    Quelle: DIE LINKE. im Bundestag

  8. Dreißig Jahre Abwegigkeit
    Gescheitert Akteure wie Blackrock profitieren vom Rückbau der öffentlichen Altersvorsorge. Nun stellt eine UN-Studie klar: Die Rentenprivatisierung ist ein weltweites Debakel […]
    Während die Auswirkungen der Rentenprivatisierungen für die Versicherten vielfach katastrophal waren, profitierte der Finanzsektor durch hohe Gebühren und einen weiteren ökonomischen Machtausbau erheblich. Angesichts der Evidenz an negativen sozialen und ökonomischen Auswirkungen und des Umstands, dass 60 Prozent der 30 Länder, die ihre Rentensysteme weitgehend oder vollständig privatisiert haben, mittlerweile wieder eine Umkehrung dieses Irrweges eingeleitet haben, kann dieses Experiment nur als gescheitert bezeichnet werden.
    Quelle: der Freitag

    Anmerkung André Tautenhahn: Eine Umkehrung des Irrweges ist mittlerweile eingeleitet, nicht so in Deutschland. Hier haben Union und SPD im Koalitionsvertrag vereinbart: „Wir halten am Drei-Säulen-Modell fest und wollen in diesem Rahmen die private Altersvorsorge weiterentwickeln und gerechter gestalten. Es ist ein Dialogprozess mit der Versicherungswirtschaft anzustoßen mit dem Ziel einer zügigen Entwicklung eines attraktiven standardisierten Riester-Produkts.“

  9. Griechenland: Rentner haben immer noch nicht genug zum Leben
    Wer wissen will, wie tief der Frust über die Sparpolitik sitzt, der muss die griechischen Rentner fragen. Vor allem auf dem Land ist die Not groß. Dass die griechische Regierung die Renten nicht weiter zusammenstreichen will, bringt vielen Rentnern nichts.
    Grünes Licht aus Luxemburg – Griechenland hat aus Sicht der Geldgeber-Länder so gut gespart, dass es im neuen Jahr auf einige weitere Kürzungen, zum Beispiel für die Rentner, verzichten kann. Letzte Woche schickte diese Nachricht der Chef des Rettungsmechanismus für Griechenland, Klaus Regling, persönlich nach Athen – doch sie kam bei den Hauptbetroffenen nicht wirklich gut an:
    „Da wird jetzt überhaupt nichts in meinem Geldbeutel zu spüren sein. Keinen einzigen Euro mehr geben sie uns Rentner. Wieder einmal wird das in ihre eigenen Taschen wandern – die Geldgeber holen sich das wieder, was sie uns geliehen haben.“
    Constantinos Tsibelenios engagiert sich seit längerem in einer Rentner-Gewerkschaft, geht auch regelmäßig für höhere Renten auf die Straße. Er hat es mit seinen 600 Euro im Monat vom Staat sogar noch relativ gut … andere müssen mit deutlich unter 500 Euro im Monat auskommen:
    „Ich mache mir viele Sorgen – ich habe kaum Geld. Nicht um mich mache ich mir die Sorgen – ich mache mir um meine Kinder Gedanken, weil die alle ohne Arbeit sind“.
    Quelle: Deutschlandfunk
  10. G20-Gastgeber in der Krise: Argentinien auf der Intensivstation
    Ausgerechnet zum Zeitpunkt des G20-Gipfels liegt die Wirtschaft des einstigen „Superstars“ Argentinien am Boden, die Menschen gehen auf die Barrikaden. Steht nun – nach dem Staatsbankrott von 2001 – der nächste Crash vor der Tür?
    „Argentinien ist krank, es kann nicht atmen. Wir, die Menschen können nicht mehr atmen. Wir können unsere Rechnungen nicht mehr bezahlen. Dagegen gehen wir auf die Straße!“
    „Diese Regierung macht, was keine Hausfrau machen würde: Das wenige Geld, was reinkommt, dem spielsüchtigen Onkel geben, damit er es in einer Nacht auf den Kopf haut. Deswegen protestieren die Bürger. Und was macht die Regierung? Sie schickt die Polizei!“
    Buenos Aires, November 2018: Argentinien in der Krise, die Bürger auf den Barrikaden, die Regierung hängt erneut am Tropf des Internationalen Währungsfonds – und das ausgerechnet vor dem G20-Gipfel. Ein Jahr vorher sah alles noch ganz anders aus.
    Quelle: Deutschlandfunk Kultur
  11. Digitalkonzerne besteuern – Gewinnverschiebung eindämmen
    Die (legalen) Steuervermeidungstricks multinationaler Konzerne verursachen jährlich hunderte Milliarden Euro an Steuerausfällen in der EU. Internetgiganten wie Google, Facebook und Co. drücken ihre Steuern auf Gewinne besonders heftig. Allein bis Ende 2016 betrugen die unversteuerten Auslandsgewinne von Google 60 Milliarden US-Dollar. Apple zahlte in Irland 2014 0,005 Prozent Steuern – 50 Euro für jede Million Gewinn.
    Laut EU-Kommission zahlen Tech-Giganten im Schnitt 9,5 Prozent Steuern auf ihre Gewinne im Vergleich zu 23,2 Prozent für übrige Konzerne. Dies hat maßgeblich zwei Gründe. Zum einen spielen Markenrechte (z.B. am iPhone) bzw. immaterielles Know-How (z.B. der Suchmaschinen-Algorithmus von Google) eine überragende Rolle bei der Wertschöpfung der Digitalkonzerne. Diese immateriellen Güter bieten mehr Möglichkeiten zur Gewinnverschiebung, als Autos oder Maschinen. Denn der Wert solcher Patente ist schwer zu beziffern, da die Internetgiganten Quasi-Monopolisten sind und es kaum vergleichbare Marktpreise gibt an denen sich Finanzbehörden bei den sogenannten konzerninternen Verrechnungspreisen orientieren. Die Finanzbehörden überprüfen aber anhand solcher Preise Finanzflüsse innerhalb der Konzerne auf künstliche Steuertricks. Apple oder Google können dadurch etwa Apple oder Google Deutschland eine sehr hohe fiktive Lizenz- oder Patentgebühr an Apple oder Google Irland überweisen lassen, um Gewinne aus Deutschland außer Landes zu bringen.
    Quelle: Fabio De Masi
  12. Digital idiots – Zur Kritik des «Digitalpakts für Schulen»
    „Wahrhafte Bildung hat stets einen subversiven Anteil und birgt immer Gefahren für die jeweilige Form der Herrschaft“ schreibt Götz Eisenberg in diesem Essay. Kein Wunder, dass Kinder an den Schulen eher verbildet werden sollen. Gezüchtet wird eine smarte, ökonomisch verwertbare Form der Idiotie, die sich im Wiederkäuen von Erlerntem und im Beherrschen blinkender Geräte erschöpft. Am Ende beherrschen eher die Geräte die Menschen. Auf der Strecke bleiben die sinnliche Unmittelbarkeit der Weltwahrnehmung, lebendiger Austausch mit Menschen und auch die von den Herrschenden gefürchtete Fähigkeit, sich eine kritische Meinung zu bilden.
    Quelle: Hinter den Schlagzeilen

    dazu: Widerstand im Bundesrat gegen Digitalpakt Schule: “Etliche Länder haben höchste Bedenken”
    In einigen Kultusministerien regt sich Protest gegen die Änderung des Grundgesetzes, auf die sich die Parteien im Bundestag geeinigt haben. Sie drohen, den Digitalpakt Schule im Bundesrat scheitern zu lassen. Vor wenigen Tagen erst klopften sich Bildungspolitiker sämtlicher Parteien gegenseitig auf die Schultern: Die Koalition hatte sich mit FDP und Grünen unter großem Getöse auf die Änderung des umstrittenen Grundgesetzartikels 104c geeinigt – und damit auf eine Lockerung des Kooperationsverbots von Bund und Ländern. […]
    Galt die Zustimmung der Länderkammer vergangene Woche noch als recht sicher, formiert sich nun veritabler Protest. Insbesondere die konservativ geführten Kultusministerien stehen dem Vorhaben offenbar skeptisch gegenüber. Grund für den Ärger: Dem “Änderungsantrag der Arbeitsgruppen Haushalt” zufolge einigten sich die Bundestagsfraktionen nicht bloß auf die breit kommunizierte Neuformulierung des Paragraphen 104c. Im Kleingedruckten finden sich vielmehr noch weitere Anpassungen. So soll demnach auch Artikel 104b zum Teil neu gefasst werden – und das stößt bei einigen Länderministern auf Protest.
    Quelle: Spiegel Online

  13. Landesbank: Wenig Interesse an Einstieg bei der NordLB
    Sie braucht einen neuen Investor, und zwar schnell: Die NordLB, die Landesbank mit Sitz in Hannover, ist auf der Suche nach einem neuen Investor. Heute endet nicht nur die Bieterfrist. Heute hat die NordLB auch offengelegt, wie das vergangene Quartal gelaufen ist.
    Die NordLB leidet unter den Belastungen durch faule Schiffskredite. Zwar kommt der Abbau des Portfolios in Höhe von jetzt noch 7, 3 Milliarden Euro schleppend voran. Vor allem wegen nötiger Rückstellungen im Zuge des geplanten Jobabbaus brach der Gewinn jedoch um 80 Prozent auf 64 Millionen Euro nach Steuern ein, sagte Vorstandschef Thomas Bürkle anlässlich der Neun-Monats-Bilanz in Hannover.
    Aus eigener Kraft wird die drittgrößte deutsche Landesbank die angestrebte Kapitalquote von mindestens 13 Prozent nicht erreichen können. Bislang sind mehrheitlich das Land Niedersachsen und die Sparkassen in der Region beteiligt – zur Kräftigung des Eigenkapitals wird seit Monaten nach neuen Kapitalgebern gesucht.
    Quelle: Deutschlandfunk
  14. Der Kandidat – Wie sozial ist Friedrich Merz?
    Die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) wirft Merz “Verstöße gegen die Grundsätze guter Unternehmensführung” vor. Der Deutsche Mieterbund sieht Merz in der Verantwortung für “rüde Methoden und Mietwucher” auf dem deutschen Wohnungsmarkt. Im Mittelpunkt der Kritik steht Merz‘ Verantwortung als Aufsichtsratsvorsitzender des deutschen Ablegers von BlackRock, dem weltweit größten Vermögensverwalter.
    Der SdK-Vorsitzende, Markus Kienle, hält die Ämterhäufung in Aufsichtsräten von Merz für problematisch. Der Kandidat für den CDU-Parteivorsitz verstoße “mit der Vielzahl seiner Aufsichtsratsmandate gegen die Grundsätze guter Unternehmensführung”. Der sogenannte Corporate Governance Kodex erlaube maximal fünf Aufsichtsratsmandate, das Amt des Aufsichtsratsvorsitzenden zählt nach diesem Kodex doppelt. Laut SdK übt Merz danach rechnerisch sieben Mandate aus, zwei mehr als erlaubt.
    Aktuell agiert Merz bei gleich drei Unternehmen als Aufsichtsratsvorsitzender, beim Arnsberger Toilettenpapierhersteller WEPA, dem Flughafen Köln-Bonn und der deutschen Sparte des international agierenden Vermögensverwalters BlackRock. Dazu kommen Aufsichtsratsposten bei der Privatbank HSBC Trinkhaus Deutschland und im Verwaltungsrat des Schweizer Zugbauers Stadler Rail. “Herr Merz hat es zur Perfektion gebracht, seine politische Macht für seine anwaltliche Tätigkeit zu nutzen”, kritisiert SdK-Sprecher Kienle. Auf schriftliche Nachfrage teilte Merz mit, dass er im Falle einer Wahl zum CDU-Parteichef alle seine Aufsichtsratsmandate niederlegen werde.
    Der Deutsche Mieterbund macht Merz als Aufsichtsrat von BlackRock mitverantwortlich für steigende Mieten. BlackRock ist größter Anteilseigner bei den drei wichtigsten privaten Wohnungsunternehmen Vonovia AG, Deutsche Wohnen AG und LEG AG. Der Mieterbund wirft den Konzernen, die zusammen rund 700.000 Wohnungen besitzen, “rüde Methoden, Mietwucher und Tricksereien am Rande der Legalität” vor. Für all das trage Merz als Aufsichtsratschef von BlackRock eine Mitverantwortung, so der Vorsitzende des Deutschen Mieterbundes in Nordrhein-Westfalen, Hans-Jochen Witzke. “Wer das für richtig hält und sich daran bereichert, der hat meines Erachtens nicht die Glaubwürdigkeit, die man braucht für ein Amt als Bundeskanzler, nicht mal die eines CDU-Vorsitzenden.”
    Quelle: ZDF

    Anmerkung JK: Wieder einmal eine schöne Reportage über den wichtigsten deutschen Lobbyisten der globalen Finanzindustrie. Interessant, dass Black Rock entsprechende Anteile unter anderem auch am größten deutschen Immobilienkonzern, der Vonovia, hält. Die Praktiken der Vonovia sind inzwischen hinlänglich bekannt. Diese scheinen den Aufsichtsratsvorsitzenden des deutschen Ablegers des weltweit größten Vermögensverwalters aber nicht zu stören. Besonders bezeichnend auch Merz’ Engagement beim Verkauf der maroden Westdeutsche Landesbank. Aus der Reportage: “Merz rechnet jeden Tag ab, selbst samstags und sonntags, 396 Tage ohne Pause mal 5.000 Euro. Merz kassiert vom Steuerzahler fast zwei Millionen Euro – für erfolglose Arbeit.” Andererseits wäre ein Bundeskanzler Merz die Vollendung der “marktkonformen Demokratie”, dann sollte niemand mehr daran zweifeln, dass die Demokratie in Deutschland inzwischen eine Farce ist.


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