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Titel: Journalisten im Dickicht des Dünkels
Datum: 20. November 2018 um 14:45 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Chancengerechtigkeit, Medienkritik, Soziale Gerechtigkeit, Ungleichheit, Armut, Reichtum
Verantwortlich: Tobias Riegel
Wie unter einem Brennglas zeigt ein aktuelles Interview mit einer prominenten Journalistin die Ursachen für das Niveau der Berichterstattung vieler großer Medien: Ein aus dem eigenen Werdegang abgeleiteter verengter Redakteurs-Blick auf das Soziale. Ein Hang zur emotionalen Meinungsmache, der Neutralität als „absurd“ abtut – während Zuspitzung und Fake News bei den politischen Gegnern beklagt werden. Sowie das Betrauern einer Zeit, in der Fakten angeblich „noch gezählt“ hätten – während gleichzeitig die Empirie und der Wert der kalten Fakten diffamiert werden. Von Tobias Riegel.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Die Medienkritik hat sich in den letzten Jahren stark entwickelt. Auch wenn es noch nicht für die Mehrheit der Bürger gilt: Zahlreiche Menschen sind mittlerweile sensibilisiert und stehen der Berichterstattung der großen deutschen Medien distanziert gegenüber. Scharfe und fundierte Medienkritik ist gerechtfertigt und sie hat nichts mit den „Lügenpresse“-Rufen von Pegida gemein. Diese fundierte Kritik schlägt sich aber nicht in der Berichterstattung nieder. Darum wäre es trotz langsam um sich greifender Erkenntnis fatal, die Medienkritik als „abgeschlossen“ oder „überflüssig“ zu betrachten. Sie muss kontinuierlich fortgeführt werden. Interessante Ansätze zur Analyse und Blicke auf die Selbstsicht großer Medien liefert nun ein aktuelles und bedenkliches Interview mit Anja Reschke.
Anja Reschke ist eine unter Kollegen hoch geachtete Journalistin. Die Moderatorin der Sendungen „Panorama“ und „Zapp“ ist auch Leiterin der Abteilung Innenpolitik des NDR Fernsehens. Sie wurde in jüngerer Vergangenheit mit mehreren „wichtigen“ Medienpreisen geehrt. Vor allem seit einem Kommentar gegen „rechte Hass-Sprache“ im Internet im Jahr 2015 gilt sie als eine der Galionsfiguren des einst als „linksliberal“ beschriebenen Milieus.
„Gerechtigkeit liegt im Auge des Betrachters“
Man kann also mutmaßen, dass ihre Haltungen zur sozialen Gerechtigkeit und zu den Defiziten der deutschen Medienlandschaft sowie ihre Äußerungen zur medialen Selbstwahrnehmung exemplarisch für weite Teile des etablierten deutschen Journalismus stehen. Das ist sehr bedenklich. Denn man muss Reschkes Einlassungen zum Thema soziale Gerechtigkeit als entweder naiv oder grob verzerrend bezeichnen. Gerechtigkeit sei „nichts, was man absolut messen“ könne. Gerechtigkeit sei auch kein Zustand, den man herstellen könne, „sondern letztlich immer ein Gefühl. Es liegt stets im Auge des Betrachters: Ist es gerecht, wenn jeder das Gleiche hat?“ Reschke steht mit der Verbreitung dieser so falschen wie medial akzeptierten Sicht nur exemplarisch für weite Teile der deutschen Presselandschaft.
Sie findet, dass es in Deutschland „ziemlich gerecht“ zugeht. Schließlich hätten die Menschen theoretisch „die gleichen Chancen, werden in Notlagen aufgefangen, haben alle den gleichen Zugang zu Bildung und gleiche Möglichkeiten, etwas aus ihrem Leben zu machen, Eigentum zu erwerben, ein Amt zu erwerben, Politik zu gestalten“. Immerhin: „Dass wir im Einzelnen oftmals Ungerechtigkeiten haben, sehe ich natürlich.“
Gerechtigkeit als Naturgewalt und als ein Zustand, der sich nicht herstellen lasse. Ungerechtigkeit als Ausnahme und als bloßes individuelles „Gefühl“, das nicht zu messen ist. Angeblich gleiche Bildungs- und Aufstiegs-Chancen für alle: Es stört Reschke nicht, dass sie sich mit dieser Darstellung in Widerspruch zu zahlreichen jüngeren Untersuchungen zur strukturellen Ungerechtigkeit und Ungleichheit befindet, etwa zu dieser oder dieser. Denn Reschke mag keine empirischen Untersuchungen und das sagt sie auch unverblümt: „Bei Statistiken gehen bei mir immer sofort die Alarmglocken an.“ Vielleicht, weil diese Untersuchungen Reschkes Sicht von der nur gefühlten Ungerechtigkeit fundamental widersprechen?
Es ist erstaunlich, dass eine Redakteurin mit solchen Ansichten als progressiv gelten kann. Das zeigt einmal mehr den Bedeutungsverlust des Wortes „links“, denn würde sich Reschke nicht wie viele ihrer neoliberal geprägten Kollegen so einordnen? Marktradikalismus und das Leugnen sozialer Ungerechtigkeit gilt schon lange nicht mehr als „rechts”.
Fake-News gefährlicher als soziale Spaltung?
Konkret geht es in dem Interview auch um eine Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung zur relativ höheren Armut in Ostdeutschland, die Reschke mitsamt der dort angesprochenen Benachteiligten vom Tisch wischt: „Was sagt diese Statistik? Vermutlich gibt es mehr Reiche in West- als in Ostdeutschland, der Osten ist wirtschaftsschwächer als der Westen, was auch durch die Geschichte bedingt ist. (…) Anhand so einer Statistik würde ich nicht pauschal urteilen, dass es eine Gerechtigkeitslücke gibt.“
Statt dessen zieht Reschke diese Gerechtigkeitslücke pauschal in Zweifel, wie eingangs zitiert. Es gebe zudem andere Prioritäten: „Für mich ist im Moment die gefährlichste Spaltung, die zwischen Fake-News und Fakten. Die führt dazu, dass wir keine gemeinsame Grundlage mehr haben, auf der wir diskutieren. Wahrheit gilt nichts mehr, weil jeder sich seine gefühlte Wahrheit zusammenschraubt.“ Hier beschwert sich eine emotional argumentierende Redakteurin, die Fakten generierende Statistiken unter Generalverdacht stellt, über „gefühlte Wahrheiten“. Auch diese Spaltung lässt sich bei vielen anderen Redakteuren beobachten.
Die unhaltbare, aber weit verbreitete Losung, dass die Fake News erst mit US-Präsident Donald Trump in die Welt gekommen sind, wird ebenfalls von Reschke aufgefrischt: „Früher war es wichtig, dass man Politiker dahingehend überprüft, ob sie lügen oder nicht.“ Die großangelegten und mutmaßlichen Fake-News-Kampagnen auch deutscher Medien zur Ukraine oder zu Syrien werden von Reschke nicht mitgedacht, fallen sie doch in die Zeit vor Trump.
Guter Lokaljournalismus wiegt politische Meinungsmache nicht auf
Wer so von seinem Berufsstand eingenommen ist, leugnet noch das Offensichtliche, etwa den Vertrauensverlust des eigenen Mediums: „Mein Eindruck ist ja, dass es diese pauschale Glaubwürdigkeitskrise bei ARD und ZDF nicht gibt. Wenn man zum Beispiel die Leute über den NDR befragt: Die lieben ‚ihren‘ NDR, der über ‚ihre‘ Region berichtet. (…) Die Vorwürfe kommen immer nur bei Politik und vor allem bei Migrationsthemen. Ich denke, wir sind in keiner Glaubwürdigkeitskrise, sondern in einer Demokratiekrise.“ Dass es neben den großen Kampagnen etwa gegen Russland viel guten Journalismus etwa auf lokaler Ebene gibt, wurde nie bestritten. Das eine wiegt das andere aber nicht auf, wie Reschke sich das wünscht.
Selbstbewusst streift Reschke schließlich das “Korsett“ der unparteiischen Distanz ab: „Ich glaube, das ist eine falsche Erwartungshaltung. Diese fixe Idee der neutralen Berichterstattung halte ich für absurd.“ Auch politische Einflussnahme gibt es in Reschkes Welt nicht: „Ich bezweifle aber stark, dass die Mitgliedschaft in irgendwelchen Thinktanks wirklich einen so großen Einfluss auf das Programm hat, wie in manchen Kreisen gemutmaßt wird. Die Strippenzieher im Hintergrund, das ist mir zu verschwörungstheoretisch.“
Zentrale Defizite der Presselandschaft
In dem Interview versammelt Anja Reschke hier wie unter einem Brennglas zahlreiche Ursachen für das Niveau der Berichterstattung vieler großer Medien und für den Unwillen, auf die massive und berechtigte Kritik zu reagieren: Ein aus dem eigenen Werdegang abgeleiteter und verengter Redakteurs-Blick auf das Soziale – Ungerechtigkeiten können nur „gefühlt“ sein in einem Land, „dem es doch gut geht“. Der in diesem Interview und anderen aktuellen Medienbeiträgen offenbar werdende kalte Blick auf Benachteiligte zeigt, wie sehr Reschke und viele ihrer Kollegen scheinbar im Dickicht des eigenen Dünkels verstrickt sind.
Dazu kommt ein Hang zur emotionalen Meinungsmache, der Neutralität im Interview als „absurd“ diffamiert – während Zuspitzung und Fake News bei den politischen Gegnern beklagt werden. Und es wird eine Zeit betrauert, in der Fakten angeblich „noch gezählt“ hätten – während gleichzeitig die Empirie und der Wert der kalten Fakten diffamiert werden. Zu guter Letzt wird eine bewährte Taktik angewandt: mit (angeblicher) Naivität das Offensichtliche abzuwehren.
Wenn sich im Verhältnis der Bürger zu den großen Medien wieder echtes Vertrauen bilden soll, dann müssten einige der von Reschke hier exerzierten Mechanismen als erstes abgestellt werden.
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