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Titel: Dementiert der DGB das SPIEGEL-Interview mit DGB-Chef Michael Sommer?
Datum: 19. Februar 2005 um 11:09 Uhr
Rubrik: Gewerkschaften, Hartz-Gesetze/Bürgergeld, Medien und Medienanalyse, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Die Homepage des DGB liefert nachträglich eine Kurzfassung des Interviews des DGB-Vorsitzenden mit dem SPIEGEL. Dieser Text mutet wie eine glättende Interpretationshilfe an, um die Proteste gegen die “Kapitulation“ Michael Sommers vor der Agenda 2010 und den Hartz-„Reformen“ abzufangen. Man hat in der DGB-Zentrale wohl einen Schreck bekommen und versucht jetzt zu retten, was kaum noch zu retten ist.
Vergleicht man die Kurzfassung mit dem Wortlaut des Interviews, so fällt auf, dass fast alle Aussagen Michael Sommers weggelassen wurden, in denen er von sich aus – ohne Hinweis auf die Zwänge politisch geschaffener Tatsachen – bisherige gewerkschaftliche Positionen preisgibt. So lautet der erste Satz der Kurzfassung: „DGB-Chef Sommer sagte, er habe von seiner Kritik an der Agenda 2010 nichts zurückzunehmen“, er müsse aber zur Kenntnis nehmen, dass „dieser Weg…unumkehrbar eingeschlagen“ sei. In dem Text auf der Homepage wird aber tunlichst verschwiegen, dass Michael Sommer im Interview kritiklos nachredete, was die Befürworter der Agenda-Politk ständig als Begründung vorgeben:
„Ich akzeptiere, dass sich die Grundlagen des Sozialstaates durch die demografische Entwicklung, die anhaltende Massenarbeitslosigkeit und die Globalisierung stark verändert haben“ und dass sich daraus die Notwendigkeit ergebe, „den Sozialstaat gründlich umzugestalten“. Wo bleibt da die bisherige Kritik aus dem Gewerkschaftslager, dass mit dem Schreckbild einer „Überalterung“ maßlos übertrieben wird, dass der demografische Wandel, durch mehr Beschäftigung oder einen höheren Frauenanteil an den Erwerbstätigen oder zur Not auch durch eine Heraufsetzung des Renteneintrittalters und vor allem durch eine Umverteilung der Produktivitätszuwächse zwischen jung und alt weitgehend aufgefangen werden könnte.
Auch bei der – obwohl noch nicht einmal vollzogen, von Sommer aber offensichtlich vorweg akzeptierten – Reduzierung der Sozialsysteme auf eine „Grundversorgung“ tut die Kurzfassung so, als müsse der DGB eben notgedrungener Maßen mit den von der Politik getroffenen Entscheidungen leben. Im Interview ist der Tonfall aber ein völlig anderer: „Wir brauchen (bei der Rente) eine Ergänzung durch kapitalgedeckte Systeme“, die Umlagefinanzierung könne morgen keine umfassende Altersversorgung mehr abdecken. Die Riesterrente werde „das Modell auch für andere Zweige der Sozialversicherung werden“, sagte Sommer dem Spiegel.
Wo bleibt da die bisherige Kritik der meisten Gewerkschaften, dass ein (künftig alle Einkommen einbeziehendes) Umlageverfahren nach wie vor das sicherste, das billigste und das effizienteste Altersversicherungssystem ist und dass die kapitalgedeckte Rente für den einzelnen nicht nur erheblich teurer, sondern wie sich mehr und mehr auf der ganzen Welt zeigt, die weitaus unsicherere Alterssicherung darstellt.
Die Einlassungen Sommers zum Gesundheitswesen im SPIEGEL werden in der Kurzfassung vorsichtshalber gleich weggelassen, denn dass er dabei ganz offen die bisherigen Prinzipien des Solidarsystems der Krankenversicherung verlassen hat und darüber spekuliert, ob wir Gesundheitsleistungen künftig eben auch „privat finanzieren“, ist gewiss eine klare Absage an gewerkschaftliche Positionen.
Natürlich wird in der Homepage des DGB die kämpferische Frage Sommers zitiert, ob die Arbeitnehmer für den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung von 6,5% „eigentlich noch eine angemessene Gegenleistung bekommen,…wenn alles, was nach einem Jahr Eintritt in die Arbeitslosigkeit passiert, Sozialhilfe ist“.
Wirklich kämpferisch wäre es gewesen und wirklich eine empfindliche Stelle von Hartz IV hätte der DGB-Vorsitzende getroffen, wenn er darauf hingewiesen hätte, dass es ungerecht ist und bleibt und dass es dem Versicherungsprinzip widerspricht, wenn Menschen, die jahrzehntelang einbezahlt haben, nach einem Jahr Arbeitslosigkeit nicht einmal ihre einbezahlten Versicherungsbeiträge zurück erstattet bekommen.
Ob die Arbeitslosenversicherung künftig gesenkt und durch einen höheren Steueranteil finanziert wird, verbessert die Situation der nach einem Jahr Arbeitslosigkeit in die Bedürftigkeit Fallenden kein Stück.
Warum hat Sommer nicht wenigstens das dänische Modell angesprochen, wo zwar ein vergleichbarer Druck auf Arbeitslose zur Aufnahme einer neuen Beschäftigung ausgeübt, wo aber immerhin bis zur Wiedereinstellung 90% des früheren Nettogehalts weitergezahlt wird.
Dass Sommer in dem Interview so unklug war, den üblen Vorwurf von Seiten der „Reformer“ gegenüber den Gewerkschaften, mit dem sie als „betonköpfige Bewahrer“ beschimpft werden, selbst in den Mund zu nehmen, verschweigt natürlich die Kurzfassung des DGB. Um den Eindruck zu verwischen, der DGB-Chef habe sich auf ganzer Linie den politischen Verhältnissen angepasst, werden unter der Überschrift „manchmal ist Blockade der richtige Weg“ seine kämpferischen Töne gegen ein weiteres Schleifen der Tarifautonomie, also des rudimentärsten aller Gewerkschaftsrechte zitiert.
Auch der harte aber hilflose Vorwurf an die Deutsche Bank „da schlägt Geiz in Gier um“ ist eher eine verbale Ablenkung von der vorher eingestandenen „Kapitulation“ vor dem Agenda-Kurs als der Versuch, eine gewerkschaftliche Gegenposition gegen den um sich greifenden Raffgier-Kapitalismus zu entwickeln.
Die Diskrepanz zwischen der vom DGB herausgegeben Kurzfassung und dem Wortlaut des Interviews ist bemerkenswert. Offenbar sind die zahllosen Proteste gegen das SPIEGEL-Interview nicht ohne Wirkung geblieben. Aber machen wir uns nichts vor, auch eine nachträgliche „Glättung“ der Aussagen des DGB-Vorsitzenden ändert nichts daran, dass diese so gemeint sind, wie sie gesagt worden sind. Interviews mit dem Spiegel werden vom Interviewpartner Wort für Wort autorisiert bevor sie veröffentlicht werden. Michael Sommer wusste oder hätte es wenigstens wissen müssen, auf welche Positionen man ihn künftig festnageln wird – von Seiten der „Reformer“ aber auch von Seiten der Gewerkschafter.
Die Systemveränderer jubeln auch schon, so etwa Otto Graf Lambsdorff im Kölner Stadtanzeiger vom 18.2.05: „Der Deutsche Gewerkschaftsbund bewegt sich. DGB-Chef Michael Sommer hat es im „Spiegel“ dieser Woche noch einmal gesagt: Die Strukturen des Sozialstaates müssen umgebaut, über seine Aufgaben und Ziele muss neu geredet werden. Das ist erfreulich klar.“
Quelle: DGB [PDF] »
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