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Titel: „Einwanderungsland“ – Gedankenloser Applaus für eine fragwürdige Entscheidung
Datum: 8. Oktober 2018 um 16:13 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Bundesregierung, Fachkräftemangel, Innen- und Gesellschaftspolitik
Verantwortlich: Albrecht Müller
Genau vor einer Woche, von Montag auf den Dienstag, haben sich die Koalitionspartner CDU, SPD und CSU darauf verständigt, zur Minderung des sogenannten Fachkräftemangels gut ausgebildete Menschen aus anderen Ländern, auch von außerhalb der EU, zuwandern zu lassen. Man muss fragen, ob dies eine richtige Entscheidung ist. Wichtige Fragen sind nicht gestellt und nicht geprüft worden, offensichtlich weder von der Bundesregierung noch von den Medien. Albrecht Müller.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Das Handelsblatt berichtete „ Die Spitzen von Union und SPD haben eine Einigung im Ringen um die Regeln für die Zuwanderung von Fachkräften erzielt. Das teilte SPD-Chefin Andrea Nahles am frühen Dienstagmorgen nach sechsstündigen Beratungen in Berlin mit. Damit soll Deutschland erstmals ein Einwanderungsgesetz bekommen, das sich an Vorbildern wie etwa in Kanada orientiert. Die Eckpunkte sollen schon am Dienstag vom Kabinett beschlossen werden.“ Besonders freundlich wiederum die Tagesschau. Ab Minute 3:35 wird darüber berichtet, bei Minute 5:27 kommt der Sprecher der Arbeitgeberverbände zu Wort. Die Wirtschaft wünscht den Zugriff auf gut ausgebildete ausländische Fachkräfte. Bei der Tagesschau wird zum Schluss des Beitrags lapidar festgestellt: „Deutschland braucht geordnete Zuwanderung.“ Parteien und Medien plappern das nach, was die Wirtschaft ihnen vorsagt. Prüfen wir doch einfach mal durch, welche Fragen in diesem Zusammenhang gestellt werden müssten, wenn die Politik auch noch ein bisschen vernünftig und gerecht sein wollte:
Wir erleben zurzeit eine Konzentration hier bei uns im Land. Vor allem jüngere, leistungsfähige Menschen ziehen aus Mecklenburg-Vorpommern, aus Sachsen-Anhalt und den anderen mittel- und ostdeutschen Ländern in den Ballungsraum Berlin oder ganz in den Westen. Auch in Teilen Westdeutschlands kennen wir diese Tendenz. Man kann das für absolut unproblematisch halten, einfach als eine Konsequenz der Marktverhältnisse betrachten. Man kann aber auch die ursprüngliche Absicht des Grundgesetzes, der Staat habe für eine gewisse Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse zu sorgen, für richtig halten. In unserem Grundgesetz (Art. 72) wurde den Menschen versprochen, dass der Staat für die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse sorgen wird. 1994 wurde dieses Gebot zwar aufgeweicht, es gilt aber immer noch, dass der Bund für die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse sorgen soll.
Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung hat sich in diesem Beitrag dem Problem gewidmet. Allerdings mit dem Unterton von Zweifeln an der Regelung. Ich bezweifle den Sinn dieser Verpflichtung des Staates, für eine gewisse Einheitlichkeit zu sorgen, nicht. Dafür gibt es vielerlei Gründe: die Ballung bringt Probleme; die Ausdünnung in den Abwanderungsgebieten auch, die Versorgung mit Infrastruktur und öffentlichen Leistungen in den Abwanderungsgebieten verlangt eine gewisse Dichte. Andernfalls funktioniert es nicht mehr.
Richtig brisant wird das Problem inzwischen für Europa. In Europa gibt es Länder, deren Bevölkerung – übrigens wider Erwarten – wächst. Das folgt aus dem Zuzug. Und es gibt Länder, deren Bevölkerung stagniert bzw. sinkt. In Rumänien zum Beispiel – siehe hier – ist die Bevölkerung von 23 Millionen in 1991 auf 19,59 Millionen in 2017 zurückgegangen. In Deutschland stieg die Bevölkerung im gleichen Zeitraum von 80,01 auf 82,7.
Schauen wir uns einmal die Bevölkerungsdichte in verschiedenen Ländern Europas und der Welt an. Hier finden Sie eine Tabelle und eine Grafik mit den Angaben über die Bevölkerungsdichte in den einzelnen europäischen Ländern. Deutschland gehört zusammen mit Großbritannien, Belgien und den Niederlanden zu den Flächenländern mit einer hohen Dichte. In Deutschland leben 226 Einwohner auf 1 km², in den Niederlanden 411. In Frankreich sind es nur 104, in Irland 71, in Lettland zum Beispiel 30, in Kroatien 76 Einwohner pro Quadratkilometer. In Kanada leben 3,6 Einwohner auf 1 km². Diese Ziffer zeigt schon, wie albern der Vergleich der kanadischen Verhältnisse mit den deutschen ist.
Sicher gibt es Menschen, die es toll finden, wenn sie sich ständig unter anderen Menschen tummeln können. Es gibt andere, die es sinnvoll finden, gelegentlich auch noch Freiräume vorzufinden.
Jedenfalls ist es wohl nicht im Sinne eines geeinten und einvernehmlichen Europas, wenn einige Länder die industrielle Produktion und andere wichtige wirtschaftliche Tätigkeiten und damit auch immer mehr Einwohner bei sich konzentrieren und andere Länder quasi hinten runter fallen, keinerlei Zentralfunktionen mehr haben und wegen der geringen Bevölkerungsdichte auch Schwierigkeiten haben, eine einigermaßen gute Versorgung mit öffentlichen Einrichtungen und Gütern der Daseinsvorsorge zu gewährleisten.
Es wird, wie oben erwähnt, schwierig, bei der Abwanderung der aktiven tatkräftigen jüngeren Generation die Versorgung mit der notwendigen Infrastruktur und notwendigen öffentlichen Gütern zu gewährleisten. Die Abwanderung qualifizierter Personen ist zugleich ein Verlust für die abgebenden Völker. Sie haben für die Ausbildung gesorgt. Das hat Geld und Ressourcen gekostet. In der Folge profitieren die Gut-Situierten von den Weniger-gut-Situierten. Und die von Abwanderung betroffenen Regionen leiden bis hinein in ihre Familien und privaten Beziehungen. Darauf hatten wir auf den NachDenkSeiten schon mehrmals hingewiesen. In diesem Beitrag war ich am 17. August dieses Jahres auf dieses Problem eingegangen. Damals war auch schon darauf hingewiesen worden, dass die Abwerbung ein ethisch ausgesprochen problematischer Schachzug ist. Es ist Ausdruck eines tief sitzenden Egoismus.
Die Zuwanderung liegt nicht im Interesse der abhängig arbeitenden Menschen. Sie liegt nicht im Interesse der wohnungssuchenden Menschen. Sie liegt im Interesse der besitzenden und im Interesse der Arbeitskräfte nachfragenden Wirtschaft.
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