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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Der Feiertag – eine gute Gelegenheit, etwas nüchterner auf den Beginn der Bundesrepublik und auf Adenauer zu blicken
Datum: 3. Oktober 2018 um 8:19 Uhr
Rubrik: einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, Innen- und Gesellschaftspolitik, Lobbyismus und politische Korruption
Verantwortlich: Redaktion
Die Mehrzahl der Westdeutschen hat vermutlich mit Glanz in den Augen auf Konrad Adenauer geblickt. Dass dieser die Chance, schon Anfang der Fünfzigerjahre die beiden Teile Deutschlands zu vereinen, missachtete und fahren ließ und dass er zuallererst dem Großen Geld verbunden war, haben wir und unsere Kinder weder in der Schule noch aus den Zeitungen und im Fernsehen erfahren. Werner Rügemer liefert zum „Tag der deutschen Einheit“ mit dem folgenden Text ein Stück der notwendigen Aufklärung über Adenauer, seinen allumfassenden Opportunismus und das Große Geld. Über die verpassten Chancen zulasten unserer „Brüder und Schwestern im Osten“ folgt dann mehr bei nächster Gelegenheit und aus eigener Erfahrung. Albrecht Müller
„Meinetwegen auch Hitler“
Konrad Adenauers politische „Mitte“: Von der deutschen Monarchie zum transatlantischen Kapitalismus
Von Werner Rügemer
Konrad Adenauer hat alle politischen Regime des 20. Jahrhunderts erlebt und mitgeprägt: Die Monarchie (als Spitzenbeamter und Oberbürgermeister der Frontstadt Köln), die Weimarer Republik (u.a. als Präsident des Preußischen Staatsrats), den Nationalsozialismus (durch seine privilegierte Untätigkeit), die unmittelbare Nachkriegszeit (CDU-Gründung) und schließlich die Bundesrepublik (Gründungskanzler). Diese politischen Regime und die Rollen Adenauers sehen sehr unterschiedlich aus, aber sie haben eines gemeinsam: Sie sicherten den Bestand des Kapitalismus in Deutschland und Westeuropa. Es ist aufschlussreich, wie unterschiedlich diese Rollen, subjektiv verortet in der politischen „Mitte“, aussehen können und doch dasselbe Ziel haben. Dabei waren „Deutschland“ und „das deutsche Volk“ für Adenauer immer nationalistische und populistische Parolen – aber das Territorium für das Kapital in Deutschland war nie festgelegt, sondern hatte bewegliche Grenzen. [1]
„Meinetwegen auch Hitler“
Nach seiner Abwahl als Kölner Oberbürgermeister im März 1933 und nach der Regierungsübernahme durch Hitler fand Adenauer Aufnahme im Benediktinerkloster Maria Laach in der Eifel. Dessen Abt, sein Freund Ildefons Herwegen, predigte öffentlich den Segen Gottes auf Hitler herab. Von dort schrieb Adenauer im Juni 1933 an seine Freundin Dora Pferdmenges, Gattin des Gesellschafters der Bank Sal. Oppenheim und Aufsichtsratsmitglied der Dresdner Bank: Meine Partei, das katholische Zentrum, hat versagt, weil es sich „in den letzten Jahren nicht rechtzeitig mit neuem Geiste erfüllt“ hat. „Meines Erachtens ist unsere einzige Rettung ein Monarch, ein Hohenzoller oder meinetwegen auch Hitler, erst Reichspräsident auf Lebenszeit, dann kommt die folgende Stufe. Dadurch würde die Bewegung in ein ruhigeres Fahrwasser kommen“. [2]
Der christliche Monarchist Adenauer konstatierte also, dass die bürgerlichen Honoratiorenparteien wie auch seine eigene Partei nicht in der Lage gewesen waren, angesichts der Stärke der Arbeiterbewegung und der Massendemokratie, den Kapitalismus als System zu retten. Die brutalere Variante der Hitler-Diktatur war für ihn dann die nächstliegende. Er bejahte sie als die nach den Umständen einzig mögliche Lösung.
Politische Mitte
Diese Beurteilung der Lage hat eine lange Vorgeschichte. Gehen wir zunächst nur kurz zurück.
Im Februar 1932 hatte Adenauer in seiner letzten Wahlkampfrede seine Partei, das Zentrum, als politische Mitte definiert: „Seit dem Jahre 1918 hat sich Deutschland nicht mehr in einer so gefahrvollen Situation befunden wie jetzt. Zwei radikale Lager stehen sich gegenüber: Auf der einen Seite die radikalisierte Rechte mit einer privaten Armee, auf der anderen Seite die Kommunisten, die außerordentlich gefährlich sind, nicht nur wegen ihrer Organisation, ihrer Waffen und Hemmungslosigkeit, sondern noch gefährlicher wegen ihrer geistigen Ideen, die sie ins Volk schleudern. Zwischen diesen beiden Lagern stehen eigentlich nur wir… Es ergibt sich daher für uns eine Aufgabe von mindest so großer Bedeutung wie 1918/19, die Aufgabe, eine Mitte zu sammeln, die absolut notwendig ist, damit das Volk nicht in zwei Teile zerfällt; alles zu tun, was die Gegensätze mildert und beseitigt… In diesem Wahlkampfe kann es sich nicht darum handeln, ob es dem einen oder anderen Stande schlechter geht; in diesem Wahlkampfe handelt es sich um viel größere und höhere Dinge, es handelt sich um die Gesamtexistenz des Deutschen Volkes.“ [3]
Wie sah nun die „Mitte“ aus, die Adenauer sammeln wollte? Aus seiner Rede geht schon hervor, dass er die SPD und die Gewerkschaften nicht meint. In der Mitte zwischen KPD und NSDAP gab es für ihn nur das katholische Zentrum. Da gab es also gar nichts zum Sammeln.
Er musste also doch woanders sammeln. Deshalb näherte sich Adenauer ab Mitte 1932 auch formell der NSDAP in verschiedenen Formen.
Nachdem im Staat Preußen ab Mai 1932 nach der Wahl aus SPD und Zentrum keine Regierung mehr zustande kam, forderte Adenauer: Zur Überwindung der Krise müssen „alle konservativen Kräfte zwischen Zentrum und NSDAP“ versammelt werden. [4] Zur Sammlung der Mitte gehörte dann also die NSDAP und Adenauer bezeichnete sie beschönigend als „konservativ“!
Am 6. August 1932 schrieb er: „Die Zentrumspartei verlangt dringend den Eintritt der Nationalsozialisten in die Reichsregierung. Sie wird bereit sein, alsdann diese Regierung zu tolerieren. Der Begriff des Tolerierens ist dehnbar zwischen positiver Mitarbeit und Gewehr bei Fussstehen.“ [5]
Wir sehen also auch einen extremen biegsamen Opportunismus innerhalb dessen, was ihm als „konservativ“ galt: Mit den Nazis konnte man z.B. entweder abwarten oder auch positiv zusammenarbeiten. Das alles mündet folgerichtig in das „Meinetwegen auch Hitler“.
Mit der Sozialdemokratie gegen die Arbeiterbewegung
Adenauer konnte bei Bedarf auch anders, jedenfalls kurzzeitig, aber für dasselbe Ziel. Wir gehen jetzt etwas weiter zurück. Er hatte die Situation von 1933 mit der von 1918/19 verglichen. 1918 war durch die verbreitete Kritik am Krieg und am Kaiserreich und durch die Arbeiter- und Soldatenräte und Streiks der Bestand des Kapitalismus durchaus gefährdet.
Adenauer war schon vor dem 1. Weltkrieg der höchste Beamte in Köln (Erster Beigeordneter), im Krieg wurde er 1917 zum Oberbürgermeister gewählt. Er war verantwortlich für die kriegswirtschaftliche Steuerung der Stadt. Köln war die Festungs- und Frontstadt im Westen gegen den Erzfeind Frankreich. Adenauer war überzeugter Monarchist und hetzte gegen Frankreich. Von Köln aus starteten zu Kriegsbeginn 1914 die ersten Bombardierungen der Kriegsgeschichte von Städten aus der Luft. Zeppeline flogen von hier mit ihren Bomben zu den Abwürfen über Lüttich und Antwerpen, dann auch London. Nach Köln hatte die Ruhr- und die Chemieindustrie ihre Produktionsstätten verlagert.
Adenauer gehörte zum Kreis der Durchhaltepolitiker und Durchhalteindustriellen, die trotz drohender Niederlage keine Friedensverhandlungen, sondern weiter ihre Kanonen und Giftgase verkaufen wollten. Über die Toten des britischen Bombardements an Pfingsten 1918 sagte Adenauer: „Sie sind gestorben für Deutschland“. Er hoffte auf die neue Offensive im Westen und forderte in der Stadtvertretung die Kölner Bevölkerung auf, „alle Unbilden des Krieges weiterhin mit Ausdauer und Vaterlandsliebe zu ertragen.“ [6]
Zum Durchhalten machte er Zugeständnisse an die Sozialdemokratie und an die Arbeiter. Obwohl die SPD nach dem preußischen Kommunalwahlrecht keine Sitze im Kölner Stadtrat hatte, verzichteten Adenauer und die beiden Parteien der Liberalen und des Zentrums 1916 auf die Aufstellung eigener Kandidaten und ließen drei SPD-Mitglieder reinrutschen, darunter den beredten Chefredakteur des SPD-Organs „Rheinische Zeitung“, Wilhelm Vollmann. Adenauer traf sich mit Gewerkschaftsführern. Er unterstützte die Erhöhung der Löhne in der Rüstungsindustrie. Aus dem Stadthaushalt finanzierte er Essen für die Kinder von Rüstungsarbeiterinnen.
Rettung der Stadt Köln vor der Revolution
Als im November 1918 Matrosen mit dem Zug nach Köln kommen wollten, forderte Adenauer den Kommandanten der Festung Köln auf, die Matrosen auf offener Strecke aufzuhalten. Er riskierte ein Blutbad. [7] Aber der Festungskommandant konnte der Aufforderung nicht nachkommen, denn seine Offiziere und Soldaten waren weggelaufen. Die Matrosen stiegen am Hauptbahnhof aus und wurden begeistert begrüßt. Adenauer schaltete blitzschnell um. Er stellte dem Arbeiter- und Soldatenrat das Rathaus zur Verfügung, Telefon, Schreibkräfte und Lebensmittel inklusive. Er förderte aber auch die Übernahme der Führung des Arbeiter- und Soldatenrats durch die SPD-Funktionäre Wilhelm Sollmann und Johannes Meerfeld. Aber gleichzeitig gründete er den parallelen Wohlfahrtsausschuss. Da holte er Sollmann auch dazu, außerdem das Zentrum, Unternehmer und die Industrie- und Handelskammer. Hier wurden die praktischen Maßnahmen durchgeführt. Man ließ den Arbeiter- und Soldatenrat im Rathaus sich totlaufen und dann durch die britische Besatzungsregierung auflösen.
Adenauer rühmte sich, so mit der Sozialdemokratie die Stadt Köln vor der Revolution gerettet zu haben. Aber er begrüßte die Weimarer Demokratie keinesfalls, sie war eine Notlösung. Er hing immer noch der Monarchie an. Er kritisierte öffentlich die „schändliche, verhängnisvolle Flucht“ von Kaiser Wilhelm II. ins Exil, [8] das ihm in der niederländischen Monarchie gewährt worden war.
Während der Weimarer Republik arbeitete der Kölner OB mit der rechten Sozialdemokratie im Stadtrat zusammen, mit Sollmann, Meerfeld und dem späteren DGB-Vorsitzenden Hans Böckler. Er machte zwei rechte Sozialdemokraten zu Dezernenten. Der eine, Meerfeld, bekam noch die Ehrendoktorwürde der Universität dazu. Ab Mitte der 1920er Jahre hielt er die SPD dann allerdings schrittweise auf Distanz.
Taktisches Bündnis mit der KPD, Bewunderung für Mussolini
Wenn es gar nicht anders ging, dann paktierte Adenauer auch mit den Kommunisten, jedenfalls einmal. Es ging um eines der Renommierprojekte des Oberbürgermeisters, den Bau einer neuen Verkehrsbrücke über den Rhein, die Mülheimer Brücke. Die Ausführung einer modernen Hängebrücke, die von den befreundeten Konzernen Felten & Guilleaume und Krupp gebaut werden sollte, war teuer. Die SPD lehnte ab. Adenauer fing die große Fraktion der KPD ein mit dem Argument, in Leningrad würde die Sowjetregierung nur noch solche modernen Hängebrücken bauen. So brüskierte er seine getreuen SPD-Bündnispartner wie Wilhelm Sollmann, den Fraktionschef im Stadtrat, brachte aber das Projekt durch.
Gegen Ende der Weimarer Republik kamen aber die rein taktischen Bündnispartner SPD und KPD für die rettende Sammlung der Mitte gegen Hitler überhaupt nicht mehr infrage. Gleichzeitig stieg seine Bewunderung für Mussolini. Adenauer drängte ihn, mit einem Stand an der großen internationalen Presseausstellung „Pressa“ 1928 in Köln teilzunehmen – übrigens: auch die aufstrebende Sowjetunion bekam einen großen Pavillon. 1929 gratulierte er Mussolini zum Abschluss des Lateranvertrages mit dem Vatikan und zur Etablierung des Katholizismus als Staatsreligion. Adenauer setzte zudem die Berufung Carl Schmitts, des späteren „Kronjuristen Hitlers“, als hochbezahlten Professor an der Kölner Universität durch.
Wir kommen nun zu der bestimmenden Konstante im politischen Leben Adenauers.
Die Konstante: enge Beziehungen zu den führenden Kapitalisten
Im persönlichen und politischen Leben Adenauers gab es in allen Regierungsformen in Deutschland und bei allen taktischen Manövern eine Konstante: die enge, vielfach auch ganz persönliche Beziehung zum Spitzenpersonal des rheinischen, dann des deutschen und danach auch des US-Kapitals.
Köln war seit Mitte des 19. Jahrhunderts der Standort der vier Investmentbanken, die die Industrie im Ruhrgebiet, teilweise auch in Luxemburg und Belgien finanzierten: Sal. Oppenheim, Schaafhausen, J. H. Stein und Levy. Sie finanzierten z.B. in Luxemburg den Stahlkonzern ARBED und die Banque International de Luxembourg (BIL). Adenauers erste Förderer waren Louis Hagen, der Eigentümer der Bank Levy, Rheinbraun-Chef Paul Silverberg und Joseph Neven DuMont, der Eigentümer der mit dem preußischen Königshaus und Reichskanzler Bismarck eng verbundenen Kölnischen Zeitung. Hagen war bis 1932 Präsident der Kölner IHK, Silverberg war dessen Nachfolger. Beide wurden mit jeweils fünf Dutzend Mandaten die Aufsichtsratskönige der Weimarer Republik.
Auch die Rüstungsindustriellen des Ruhrgebiets wie Gustav Krupp, August und Ernst Thyssen, Hugo Stinnes und der Chef des Chemiekonzerns Bayer, Carl Duisberg, waren gegen Ende des 1. Weltkriegs mit dem Kölner Oberbürgermeister befreundet. Sie hatten Betriebe in die Frontstadt Köln verlegt und setzten sich ab 1917 für die Fortsetzung des Krieges ein. Sie erzwangen die Absetzung des für Friedensverhandlungen geneigten Reichskanzlers Bethmann-Hollweg.
Ab 1921 erhielt Adenauer hochdotierte Aufsichtsratsposten: bei RWE, Rheinbraun, Deutsche Lufthansa, Deutsche Bank, Ruhrgas und in einer Reihe kommunaler Unternehmen. Mit den Tantiemen wurde er nicht nur der reichste Politiker des Deutschen Reiches, sondern bestückte auch eine dicke schwarze Kasse zur populistischen Landschaftspflege: Spenden an Karnevals-, Krieger- und Frauenvereine, an Polo- und Aeroclubs, an „notleidende Beamte“. [9]
In zwei Industriellengruppen beriet Adenauer in einer Art Nebenregierung die politische Umgründung des Deutschen Reiches, gegen die Weimarer Republik. Zum einen im Bund zur Erneuerung des Reiches. Zum anderen im ähnlich zusammengesetzten Reichswirtschaftsrat mit Duisberg, Ernst von Borsig (Borsigwerke) und Albert Vögler (Vereinigte Stahlwerke): Man setzte sich u.a. im Preußischen Staatsrat gegen Verstaatlichungen durch die Reichsregierung und für die Privatisierung etwa der Reichsbahn ein.
August Thyssen schrieb ihm 1925: „Hoffentlich kommt bald die Stunde, wo Sie mit tüchtigen Leuten an die Spitze der Regierung treten, die unsere Bedürfnisse verstehen.“
1927 gründete Adenauer mit dem Kabelfabrikanten Guilleaume von Felten & Guilleaume, dem Braunkohle-Chef Silverberg, dem Kaufhausunternehmer Alfred Tietz und den Bankiers Oppenheim, Hagen, von Schnitzler und dem Freiherrn Kurt von Schröder (beide in der Bank J.H. Stein) die Kölner Sektion des Rotary Clubs. Von Schröder wird ab Ende 1932 die Kanzlerschaft Hitlers einfädeln.
Adenauer agierte mit den Ruhrindustriellen ebenfalls in der Deutschen Kolonialgesellschaft (DKG) und forderte als deren Vizepräsident die Rückgabe der deutschen Kolonien. Bei der Ausstellung Pressa 1928 prangte auf großem Plakat ein Ausspruch von Adenauer: „Wir müssen für unser Volk mehr Raum haben und daher Kolonien“. Daneben hingen zwei Landkarten, eine mit dem Umriss Deutschlands und der Überschrift „60 Millionen ohne Raum“; daneben die Landkarte Afrikas mit der Überschrift „Raum ohne Volk“.
Ab 1921 war Adenauer Präsident des Preußischen Staatsrats. Er betrieb ihn als eine Art Nebenregierung, z.B. im Verhältnis zu Mussolini, zu dem der Reichsaußenminister Gustav Stresemann Distanz hielt. Adenauer setzte mit Mussolini, gegen die Reichsregierung, das Italienische Kulturinstitut in Köln durch und ließ es aus der Stadtkasse finanzieren – es war das einzige derartige Institut in Deutschland vor 1933.
Prinzipiell kein Widerstand gegen den Nationalsozialismus
Adenauer lehnte jeglichen Widerstand gegen den Nationalsozialismus prinzipiell ab. Wegen seiner Prominenz suchten ihn Vertreter aller Widerstandsrichtungen auf: KPD, Zentrum, christliche Gewerkschafter, Gördeler-Kreis mit Stauffenberg. Adenauer lehnte jegliche Zusammenarbeit ab.
Er hielt engen persönlichen Kontakt mit Pferdmenges, dessen Bank Oppenheim bzw. dann ab 1939 Bank Pferdmenges kriegswichtig und an Arisierungen beteiligt war; mit Carl Duisberg, dem IG Farben-Chef; mit Friedrich Flick und ab 1940 mit dem neuen Deutsche-Bank-Chef Hermann-Josef Abs.
Adenauer erhielt vom nationalsozialistischen Regime – durch die Vermittlung Hermann Görings – nicht nur seine Oberbürgermeister-Pension, sondern auch die Erstattung für seine enteignete Villa in Köln. Er hielt Verbindungen zu ausländischen Unternehmern aufrecht, konnte ins Ausland reisen, in der Schweiz Urlaub machen, Gäste empfangen, Auslandssender hören. Er war über die Judenverfolgung in Deutschland und im Ausland zeitnah informiert, er stabilisierte das Unrechtssystem durch seinen prominenten Nicht-Widerstand und machte sich mitschuldig. [10]
Nach dem 2. Weltkrieg:
Gegen Linke in der CDU, gegen SPD, Verbot der KPD
Nach dem Krieg beschwor Adenauer wieder die Mitte zwischen Linken und Rechten. Er wandte sich aber scharf gegen die Linke, nicht nur gegen SPD und KPD, sondern auch gegen die gewerkschaftlich orientierte Linke innerhalb der CDU, zum einen durch die Demagogie des Ahlener Programms: Die Aussage, dass „das kapitalistische Wirtschaftssystem den staatlichen und sozialen Interessen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden“ sei, glaubten Adenauer und sein Mitverfasser Pferdmenges selbst überhaupt nicht, aber sie mussten 1947 zunächst die antikapitalistische Stimmung der gewerkschaftsnahen CDU-Basis berücksichtigen. Zwei Jahre später, in den „Düsseldorfer Leitsätzen“, dem Programm für die erste Bundestagswahl 1949, waren solche Formulierungen vollständig verschwunden.
Zum anderen halfen die US-Militärregierung und die CIA. Sie sorgten u.a. dafür, dass der wichtigste Konkurrent um den CDU-Vorsitz, der gewerkschaftsnahe Ex-Kanzler des Deutschen Reiches und ebenfalls Zentrumspolitiker, Joseph Wirth, ausgebootet wurde, etwa durch Verweigerung von Visa: Erst 1948, als alles entschieden war, durfte Wirth aus der Schweiz, wohin er, im Unterschied zu Adenauer, ins Exil gegangen war, in die Westzonen ausreisen.
Im Kanzleramt traf sich Adenauer mit seinem Küchenkabinett aus Pferdmenges, Abs, Günter Henle (Klöckner) und dem BDI-Präsidenten Berg häufiger als mit seinen Ministern. Er stimmte insbesondere seine Außenpolitik, aber auch die Entlassung von verurteilten Unternehmern mit dem US-Hochkommissar John McCloy (Weltbank, Rockefeller, Chase Manhattan) ab. Dabei ging es auch um den nachträglichen Transfer der Gewinne der US-Niederlassungen in Deutschland, die für die Nazis ab 1933 produziert hatten: Ford, General Motors, IBM, Standard Oil, Coca Cola und viele weitere.
Adenauer hatte seit dem Dawes-Plan (1924) engen Kontakt mit Wall-Street-Bankern. Für die Stadt Köln hatte er Kommunalanleihen an der Wall Street aufgenommen und nicht zurückgezahlt. Für die Ansiedlung von Ford gewährte er am Stadtrat vorbei heimliche Steuervorteile und förderte die Gründung der US-Handelskammer.
Adenauers Intimfreund und Finanzberater Pferdmenges organisierte dann ab 1948 zusammen mit dem BDI-Präsidenten Berg die heimliche Bespendung der für die Adenauer-Regierungen erforderlichen Parteien CDU, FDP, Deutsche Partei und BHE. [11] Auch diese Konstellation wird wieder als Sammlung der „Mitte“ ausgegeben, obwohl sie nach rechts offen und gegen Links gerichtet war.
Da die neu gegründete Bundesrepublik Deutschland zunächst außenpolitisch durch die Hohen Kommissare der Westalliierten vertreten wurde, hatte der neugegründete Staat kein Außenministerium. Das Auswärtige Amt wurde deshalb erst 1951 neu aufgebaut, und zwar unter Adenauer, der zusätzlich das Amt des Außenministers übernahm. Deshalb erhielt dieses Ministerium einen noch höheren Anteil an Ex-Nazis.
Adenauer ließ nicht nur die SPD und dann vor allem den aufstrebenden Politiker Willy Brandt überwachen und diskriminieren, sondern er ließ auch grundgesetzwidrig die Kommunisten verfolgen und die KPD verbieten. [12]
Dreimal Separatstaat: Voller Erfolg beim dritten Versuch
Für Adenauer und seine Freunde aus Banken und Industrie waren die jeweiligen Grenzen Deutschlands nicht verbindlich, sondern zweitrangig. Beim Ruf nach deutschen Kolonien hatten Adenauer und seine Freunde in der Deutschen Kolonialgesellschaft das auch schon demonstriert. Sie experimentierten mit weiteren veränderten staatlichen Grenzen, zunächst nach dem 1. Weltkrieg im nahen Westeuropa, innerhalb des Deutschen Reiches und dann nach dem 2. Weltkrieg auch transatlantisch.
Dafür warb Adenauer beim Wahlvolk populistisch mit dem „Deutschland“-Klischee. Der Toten aus dem britischen Bombenkrieg über Köln gedachte er tröstend als „gestorben für Deutschland“. Er appellierte bis zur Bundesrepublik an das deutsche Volk als Einheit, propagierte deutsche Interessen, „Treue dem deutschen Volke!“ und „Liebe dem deutschen Vaterland!“
1. Rheinischer Separatstaat
Gegen die Demokratisierung der Weimarer Republik – Verstaatlichungen, 8-Stunden-Tag, Legalisierung der Gewerkschaften und Betriebsräte – experimentierten Adenauer und seine Unternehmens- und Bankiersfreunde und das gehobene katholische Milieu im Rheinland mit Konzepten eines rheinischen Separatstaates und einer eigenen Notenbank. Am deutschen Außenministerium vorbei nahm der führende Ruhrindustrielle Hugo Stinnes 1923 Adenauer mit nach Paris, um auszuloten, ob in der französischen Regierung Interesse an einer westeuropäischen Wirtschaftsunion bestehe. Frankreich und das Ruhrgebiet sollten mit Belgien und Luxemburg in eine Zoll- und Wirtschaftsunion zusammengefasst werden. [13] So sollte der Versailler Vertrag durch eine grenzüberschreitende, halbstaatliche Selbstorganisation des Kapitals unterlaufen werden: Der bisherige deutsche Staat und seine Grenzen waren kein Essential. Aber insbesondere wegen der Ablehnung durch die Bank of England und die französische Nationalbank – auf deren Beziehungen der Separatstaat und seine Notenbank angewiesen gewesen wäre – ruderte man pragmatisch schnell zurück zum „Deutschen Reich“ in seinen bisherigen Grenzen.
2. Preußischer Staat als Separatstaat innerhalb des Deutschen Reiches
Aber auch innerhalb des Deutschen Reiches wurden gegen die Weimarer Verfassung (halb)staatliche Grenzen eingezogen. Der Preußische Staat bestand innerhalb des Deutschen Reiches als eigener Staat weiter, mit eigener Regierung, mit Landtag und einem Oberhaus, dem Staatsrat. Dieser preußische Teil- und Separatstaat umfasste zwei Drittel des deutschen Territoriums. Er war für Adenauer der monarchistische Wurmfortsatz, ein Staat im Staate, ein innerer Gegenstaat innerhalb des Deutschen Reichs und ein Bollwerk gegen die Weimarer Demokratie. Adenauer war von Anfang bis Ende, von 1921 bis 1933, Präsident des Preußischen Staatsrates. Er hielt an dieser Funktion fest, während er Angebote für eine Kanzlerschaft des Deutschen Reiches ablehnte. Im Staatsrat plädierte Adenauer früher als sonstwo für die Zusammenarbeit des Zentrums mit der NSDAP. Gleichzeitig spielte der geübte Demagoge populistisch mit kritischen Spitzen gegen das protestantische Preußen, mit dem man als guter Katholik nichts zu tun haben wolle. Im Verhältnis zum faschistischen Staat Mussolinis machte Adenauer als Kölner Oberbürgermeister seine eigene Außenpolitik gegen die distanzierte Haltung des Reichsaußenministers Stresemann.
3. Separatstaat Bundesrepublik Deutschland
Nach 1945 lehnte Adenauer, in Übereinstimmung mit den westlichen Alliierten und insbesondere mit der US-Regierung und den US-Konzernen, die Erhaltung eines deutschen Gesamtstaates bedingungslos ab. Ein neues staatliches Gebilde, der westdeutsche Teil- und Separatstaat, war für die Rettung des deutschen und westeuropäischen Kapitals vor Demokratisierung und Enteignung sowie für die Interessen des US-amerikanischen Kapitals entscheidend. Dafür wurde Deutschland gespalten, wurden staatliche und wirtschaftliche Funktionen auch transnational und transatlantisch an die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, an die Europäische Gemeinschaft, dann an die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und die Europäische Union, an die Europäische Atomunion sowie an die NATO (sie hat neben der militärischen auch eine parlamentarische Ebene und wirtschaftliche Aufgaben) übertragen, ohne demokratische Legitimation.
Von Werner Rügemer jetzt erschienen: Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts. Gemeinverständliche Notizen zum Aufstieg der neuen Finanzakteure. Köln 2018, Papyrossa-Verlag, 357 Seiten, 19,90 Euro.
[«1] „Populistisch“ bedeutet: Dem Volk (populus) bzw. dessen Mehrheit werden Gemeinsamkeiten vorgegaukelt (Deutschland als auch soziale Einheit) und damit Versprechungen gemacht (Arbeitsplätze, Wohlstand, Frieden, Heimat, Sicherheit für alle), die durch die politische und wirtschaftliche Praxis gar nicht eingehalten werden können oder sollen.
[«2] Freundschaft in schwerer Zeit. Die Briefe Konrad Adenauers an Dora Pferdmenges 1933 – 1949. Bonn 2007, S. 68
[«3] Adenauer im Dritten Reich, hg. von Hans Peter Mensing. Berlin 1991, S. 53f.
[«4] Henning Köhler: Adenauer. Eine politische Biographie. Berlin 1994, S. 268
[«5] Günther Schulz (Hg.): Konrad Adenauer 1917 – 1933, Köln 2007, S. 184
[«6] Mario Kramp: 1914: Vom Traum zum Albtraum. Köln 2014, S. 84
[«7] Werner Biermann: Konrad Adenauer. Ein Jahrhundertleben. Berlin 2017, S. 109
[«8] Biermann ebd. S. 113
[«9] Werner Rügemer: Colonia Corrupta, Köln 2015, 8. erweiterte Auflage, S. 35ff.
[«10] Werner Rügemer: 1933 – Kölns Oberbürgermeister Konrad Adenauer wird durch einen Bankier abgelöst, in: Ders.: Bis diese Freiheit die Welt erleuchtet. Köln 2017, S. 79ff.
[«11] Werner Rügemer: Colonia Corrupta. Köln 2015 (8. Auflage), S. 15ff.
[«12] Josef Foschepoth: Verfassungswidrig! Das KPD-Verbot im kalten Bürgerkrieg. Göttingen 2017
[«13] Peter Wulf: Hugo Stinnes. Wirtschaft und Politik 1918 – 1924. Stuttgart 1979, S. 34 und 57 S. 493 und 201
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