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Titel: Senkung der Unternehmenssteuern: Die Lemminge setzen ihren Lauf fort
Datum: 9. Februar 2005 um 9:08 Uhr
Rubrik: Steuern und Abgaben, Wichtige Wirtschaftsdaten, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
In der ARD-Sendung „Sabine Christiansen“ sagte Wirtschaftsminister Clement, Deutschland befinde sich mit seinen Nachbarländern in einem Wettlauf um die Senkung der Steuern und stehe mit einem Satz von 38 Prozent in Europa an der Spitze. Die Unternehmensbesteuerung sei bei uns „zu hoch geraten“.
Der seit Jahren in Gang befindliche Steuersenkungswettlauf soll offenbar blindlings weitergehen, obwohl wir auf diesem Lauf bisher nichts für die Wirtschaftsentwicklung und die Arbeitsplätze gewonnen haben. Im Gegenteil, der Staat blieb mit immer größeren Schulden sitzen, er hatte keine Mittel mehr zur Finanzierung wichtiger Aufgaben und die Konjunktur säuft dadurch immer mehr ab.
Im Oktober 2004 haben die acht Spitzenverbände der Wirtschaft nach der Senkung der nominellen Unternehmenssteuer von 40 auf 38,7% die nächste Runde im Steuersenkungswettlauf eingeläutet. (Nachdenkseiten vom 9.10.04). Wenige Monate später übernimmt der Wirtschaftsminister die Stafette vom Unternehmerlager.
Die effektive Besteuerung auf privates Kapitaleinkommen lag nach Berechnungen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung weit von den nominellen 38,7% entfernt, nämlich bei 22,6%. Im Durchschnitt der EU-15-Staaten liegt sie effektiv bei 29,8%. In Frankreich lag der tatsächliche Wert bei 39,1%, in Großbritannien bei 35,1 und selbst im „Steuerparadies“ Irland bei 29,2%. (Claus Schäfer, in WSI-Mitteilungnen 11/2003 S. 641, www.boeckler.de).
Nach Angaben des Hamburger Welt-Wirtschafts-Archivs hat sich die Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften von 1999 auf 2003 von 20,4% auf 11,4%, bei Personalgesellschaften von 17,5 auf 13,1% und bei den Dividendensteuern von 58 auf 33% gesenkt. (HWWA Wirtschaftsdienst 3/2004, S. 154, www.jarass.com)
Die Körperschaftssteuer ging von 23 Milliarden € im Jahre 2000 auf etwas über 8 Milliarden € in 2003 zurück und die Gewerbesteuer ging im gleichen Zeitraum von 27 Milliarden € auf 24 Milliarden € zurück. (Quelle: Deutsche Bundesbank, zit. nach FR vom 28.1.05)
Die gesamte relative Abgabenbelastung der Unternehmens- und Vermögenseinkommen ist von 1999 auf 2003 von 22,9% auf 15,7% gesunken.(Wirtschaftsdienst ebd.)
Dass bei uns also die Unternehmensbesteuerung „zu hoch geraten“ sei, ist offenbar ein durch ständiges Wiederholen dieser Behauptung unausrottbares Vorurteil in der Politik geworden.
Von 1991 bis 2003 ging der Körperschaftssteueranteil an den gesamten Steuereinnahmen von 6,7% auf 5,8% und der Anteil der Gewerbesteuern gar von 5,1% auf 2,0% zurück. (Quelle: Deutsch Bundesbank, zit. nach FR vom 28.1.05) Wir sind also schon bald soweit, wo uns die „Neocons“ hinbringen wollen, nämlich, dass die Unternehmen gänzlich von Steuern befreit werden und nur noch die unselbständig Beschäftigten und die Konsumenten das staatliche Steueraufkommen bestreiten.
Es mag ja Sinn machen, die massive Diskrepanz zwischen den nominalen Steuersätzen und den effektiven Steuerzahlungen abzuschaffen und es ist auch schlimm, dass kleinere Unternehmen, die die Steuertricks der „Großen“ nicht kennen oder nutzen können benachteiligt sind. Vielleicht wäre sogar weniger wirklich mehr, wenn man die Schimäre des Nominalzinses absenkte und dann der Fiskus aber effektiv zugreifen könnte. Man wundert sich, dass das seit Jahren nicht so gemacht wurde.
Aber es ist Unsinn, im Land mit der drittniedrigsten Steuerquote Europas (so der Kanzler laut SPIEGEL ONLINE) weitere Steuerentlastungen zu fordern.
Nach einem Bericht der Financial Times will der Finanzminister Schwedens, Pär Nuder, im Land mit der wohl höchsten Steuerbelastung in der industrialisierten Welt von 51,4 % gemessen am Bruttoinlandsprodukt die Steuern sogar noch erhöhen, um öffentliche Dienstleistungen zu verbessern. Schwedens Wirtschaft liegt übrigens seit 10 Jahren weit über dem EU-Durchschnitt, im Jahre 2004 bei 4%.
Das Wirtschaftswachstum in Deutschland, dessen Steuern insgesamt fast 10% niedriger liegen als die seines schwedischen Wettlaufpartners, stagniert dagegen seit Jahren und erreichte im letzten Jahr gerade mal 1,7% – und das trotz massiver Steuersenkungen
An welchen Ländern misst sich der Wirtschaftsminister bei seinem Steuerwettlauf? An der relativ „armen“ Volkswirtschaft Estlands oder am erfolgreichen Wohlfahrtsstaat Schweden?
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