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Titel: Feigheit vor dem Leser – wie die taz Deutschland mal wieder in den Krieg schicken will und sich doch nicht traut, dies klar zu sagen

Datum: 18. September 2018 um 12:39 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik, Militäreinsätze/Kriege, Terrorismus
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Gute Nachrichten haben leider ja bereits Seltenheitswert. Das gestrige Übereinkommen der russischen und türkischen Regierungschefs zur Einrichtung einer kampffreien Zone in der umkämpften syrischen Region Idlib gehört zweifelsohne dazu. Putin und Erdogan sind mit diesem Entschluss beinahe wörtlich den verzweifelten Forderungen der Vereinten Nationen nachgekommen. Auch wenn nun noch viele Fragen offenbleiben, ist dies ein Funken Hoffnung. Ganz anders sieht dies offenbar der Auslandschef der taz. Dominic Johnson bedauerte schon kurz vor der Einigung der beiden Staatschefs in einem überaus zynischen Kommentar, dass nun „ausgerechnet die Türkei“ die „Demokraten“ in Idlib schützen müsse. „Der Westen schaut zu“, „Deutschland führt Scheindebatte“ und wird „nichts tun“, so Johnson in tiefstem Bedauern. So offen hat sich die taz noch nie gegen das Völkerrecht, die Menschenrechte und den ausdrücklichen Wunsch der UN gestellt. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Zu Dominic Johnson lesen Sie bitte auch unsere Artikel „Kriegstreiber in Latzhosen“ und, „Der Offenbarungseid der taz“.

Wenn Dominic Johnson über Idlib schreibt, könnte man glatt denken, die letzte Bastion der Anti-Assad-Kämpfer sei ein Hort von liberalen Demokraten. Doch „die Übriggebliebenen des demokratischen Aufstands von 2011“, die Johnson in Idlib verortet, muss man dort sicherlich mit der Lupe suchen. Weiß Johnson etwa nicht, dass Idlib 2015 von der al-Nusra Front und Ahrar al-Sham überrannt wurde, zwei salafistische Islamistengruppen, die in Deutschland offiziell als Terrororganisationen gelten? 2017 wurden selbst noch die „gemäßigteren“ Islamisten – was auch immer das sein soll – von der al-Nusra-Front aus Idlib vertrieben und seitdem massiv durch nachrückende Islamisten verstärkt. Johnson schreibt selbst, dass Idlib in der Vergangenheit als Rückzugsoption für die „Rebellen“ offenstand, verschweigt dann aber, wer diese „Rebellen“ sind.

Wo sind denn Ihre Demokraten, Mr. Johnson?

Meint Johnson damit etwa die je nach Schätzung zwischen 5.000 und 8.000 Uiguren, die in der Region Idlib vermutet werden; radikalislamistische Extremisten aus dem Osten Chinas, die in Syrien eng mit Al Kaida und Co. zusammenarbeiten? Oder die rund 8.000 Dschihadisten aus dem Kaukasus und Zentralasien; oftmals Veteranen aus dem Tschetschenienkrieg, die sich in Syrien dem IS angeschlossen hatten und sich nach dessen Zerschlagung nach Idlib zurückzogen? Oder spricht Johnson von der Hay’at Tahrir al-Sham, einem der Al Kaida zugerechneten Nachfolger der terroristischen al-Nusra-Front, die rund 37.800 Kombattanten in der Region Idlib stellt? Demokraten hat man in Idlib schon lange nicht mehr gesehen. Dazu gehört wohlweislich auch nicht die unter türkischer Regie neu formierte „nationale Befreiungsfront“, ein Sammelbecken salafistischer Splittergruppen wie der Brigade der Märtyrer des Islams, die zusammen mit offiziellen türkischen Streitkräften den Norden der Region kontrolliert.

Johnsons feiges Lamento

Welche „demokratischen Kräfte“ Dominic Johnson in Idlib eigentlich schützen will, bleibt also offen. Seine Argumentation ist – nicht nur – in diesem Punkt wirr. Wirklich widerwärtig ist indes Johnsons innerer Monolog am Ende seines Textes. Da Johnson offenbar nicht den Mut hat, klar und deutlich zu sagen, was er eigentlich will, lamentiert er lieber vom Weltschmerz zerfressen über die vermeintliche Untätigkeit des Westens. „So weit ist es also schon gekommen“, lässt Johnson den Leser wissen. „Weil niemand auch nur den kleinen Finger zu krümmen bereit ist, um Massenverbrechen an drei Millionen Menschen zu verhindern, muss man auf den türkischen Autokraten setzen“. Von welchem Massenverbrechen spricht Johnson? Zumindest UN und UNHCR und alle anderen neutralen oder humanitären Organisationen sind diesbezüglich diametral anderer Meinung.

UN-Generalsekretär António Guterres warnte beispielsweise erst vor einer Woche in dramatischen Worten vor einem „Blutbad“, wenn Iran, Russland und die Türkei als Schutzmächte des Astana-Abkommens, das die vier „De-Eskalationszonen“ im Land garantiert, zu denen auch Idlib gehört, keine Einigung bezüglich einer Schutzzone rund um Idlib erzielen. „Es gibt keine militärische Lösung des Konflikts. Die Lösung muss eine politische sein“, so Guterres; diese Position teilt übrigens der russische Außenminister Lawrow nahezu wörtlich. Und auch der UN-Syrien-Beauftragte Staffan De Mistura teilt diese Position ausdrücklich. Er warnte jüngst vor einer „ultimativen Niederlage des Vorstellungsvermögens und der Diplomatie“, wenn es dennoch zu einer militärischen Eskalation käme.

Was würden diese – sicher nicht der „Autokratie“ verdächtigen – Spitzendiplomaten wohl sagen, wenn man sie mit Dominic Johnsons kriegslüsternem Lamento konfrontieren würde? Wahrscheinlich wären sie außer sich und würden den ewigen Kriegstreiber Johnson mit Verachtung strafen. Es sei nicht vergessen: Dominic Johnson ist nicht der Auslandschef eines kriegsgeilen Landserheftchens, sondern schreibt für die ehemals friedenspolitisch engagierte taz. Das scheint er jedoch nicht zu wissen.

Natürlich darf es auch in den Medien immer verschiedene Meinungen geben. Was mich aber wirklich wütend macht, ist, dass Schreibtischtäter wie Johnson noch nicht einmal die Cojones haben, klipp und klar zu sagen, was sie eigentlich wollen. Stattdessen drucksen sie lieber herum, werfen mit Buzzwords wie „Demokratie“ um sich und bedauern immer wieder lautstark, dass „der Westen nur zuschaut“ und nichts tut. Aber was soll der Westen denn tun? Sollen deutsche Landser Seit´ an Seit´ mit Al Kaida die „Demokratie“ in Syrien herstellen? Soll die Luftwaffe Bombenteppiche auf Damaskus abwerfen und die Stadt zu einem zweiten Coventry machen? Nein? Aber was soll „der Westen“, was soll Deutschland dann tun, wenn es nicht „nur zuschauen“ soll? Oder geht es gar nicht um Syrien, sondern um Russland? Will der gebürtige Brite Johnson seiner Wahlheimat den Lebensraum im Osten einverleiben, der unseren Vätern, Großvätern und Urgroßvätern „verwehrt“ wurde? Immerhin konnte man ihnen nicht vorwerfen, zu wenig zu tun. Ich würde mir ja gerne mal wünschen, dass der Schreibtischgeneral aus der Rudi-Dutschke-Straße seine Leserinnen und Leser einmal an seinen weiterführenden Gedanken teilhaben ließe. Aber dazu ist er leider zu feige.


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