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Titel: Was Starautor Bob Woodward so alles nicht über seinen Präsidenten Donald Trump verrät.

Datum: 18. September 2018 um 8:40 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, Rezensionen, USA
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Am 11. September erschien das Buch “Fear – Trump in the White House“ auf Deutsch. Es gab freundliche, sehr freundliche Besprechungen – typisch die Besprechung im Deutschlandfunk hier. Wir haben den langjährigen Korrespondenten und Büroleiter des „Spiegel“ in Washington, Siegesmund von Ilsemann, dafür gewonnen, dieses Buch für die NachDenkSeiten zu besprechen. Seine Besprechung ist so ganz anders ausgefallen als zum Beispiel im „Deutschlandfunkkultur“. Die NachDenkSeiten würden ihren selbstgesteckten Auftrag verfehlen, würden sie Ihnen nicht eine kritische, eigenständige Sicht der Dinge bieten. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Männer machen Geschichte
Was Starautor Bob Woodward so alles nicht über seinen Präsidenten Donald Trump verrät.
Von Siegesmund von Ilsemann (fast drei Jahrzehnte SPIEGEL-Redakteur und von 1990 bis 1998 Korrespondent und Büroleiter des Magazins in Washington)

Bob Woodward ist angekommen. Seit Deep Throat ihm und seinem Washington-Post-Kollegen Carl Bernstein die finstersten Geheimnisse aus Nixons White House anvertraut hatte und es den beiden daraufhin 1974 gelang, zum ersten Mal in der US-Geschichte einen Präsidenten an den Rand einer Amtsenthebung und damit zum Rücktritt zu bringen, thront Woodward im Olymp des investigativen Journalismus der USA.

Kein Wunder, dass Amerika Kopf steht, als ausgerechnet am 11. September, dem Jahrestag der schlimmsten Demütigung der Nation, die sich so gern als gottgewählt bezeichnet, Woodwards neuester Bestseller auf den Markt geworfen wird. Auf 420 Seiten entsteht in “Fear – Trump in the White House” ein erschütterndes Bild der Chaostage im Weißen Haus. Auf eine Million Exemplare hatte der Verlag Simon & Schuster  die geplante Erstauflage bereits versiebenfacht, noch ehe das Opus überhaupt seinen Weg in die Buchläden gefunden hatte.

Vielleicht, so barmt das wachsende Anti-Trump-Lager in Washington, gelingt dem Meister ein zweiter Präsidentensturz.

Ein Grund für diesen Hype: Robert Upshur „Bob“ Woodward wird verehrt, vergöttert in jenem Amerika, das noch immer glaubt, mit den freiesten, den kritischsten, den furchtlosesten Journalisten der Welt die eigene Regierung und die vieler anderer Nationen unbestechlich überwachen zu können. Woodward ist einer, der diesen Mythos nährt, auch wenn der längst nur noch als Märchen aus den Es-war-einmal-Tagen durchs amerikanische Nationalepos geistert.

Starautor Woodward kennt sie alle, die Granden der politischen Hautevolee Washingtons. Noch wichtiger aber – alle, wirklich alle kennen den inoffiziellen Historiographen der US-Präsidenten oder gieren danach, ihn kennenzulernen.

Kaum jemand verweigert sich der Einladung zum Tête-à-tête mit Woodward. Denn wer vom Doyen des investigativen Journalismus der USA zum Gespräch gebeten wird, darf glauben, dass er womöglich Bedeutendes beizutragen hat zu Woodwards Berichten über Macht und Mächtige am Potomac. Sogar sein jüngstes “Opfer” wollte schließlich doch noch sein Scherflein beitragen zum Polit-Bestseller der Saison. Aber als der amtierende Präsident beim Autor anrief, um seine Sicht zum “richtig schlechten Buch über mich” (Trump) beizusteuern, befand sich das Manuskript bereits auf dem Weg zur Druckerei.

Wie viel ist eine Biographie wert, die auskommt ohne ausführliche Gespräche mit dem Portraitierten? Was bedeutet es, wenn nur über, nie mit ihm geredet wird?

Nun, man darf schon darauf bauen, dass all die Skandale und Skandälchen, Anekdoten und Enthüllungen, die Woodward für sein jüngstes Werk zusammengetragen hat, aus irgendwelchen Quellen sprudelten. Akribisch, wie stets, wird der Autor auch diesmal jede Begegnung, jedes Gespräch wortwörtlich aufgezeichnet haben. Hunderte Tondokumente liegen in seinem Archiv – mit allem, was ihm seine Informanten zugetragen haben. Man kann ihm glauben, was er schreibt.

Fatal nur – man muss es ihm auch glauben, denn Woodward zitiert (auch das wie immer) oft sogar seine wichtigsten Quellen anonym. Vieles bleibt unkontrollierbar, gesagt von ungenannten Mitarbeitern, namenlosen Insidern oder stammt aus den ominösen “einflussreichen Kreisen”, ohne dass der Leser je erfährt, wer diese Menschen sind, die mit ihrem Wissen über den amtierenden Präsidenten hausieren gehen.

Werden da alte Rechnungen beglichen, persönliche Verletzungen nachgetragen? Und wie soll angeblich Erlebtes von nur Gehörtem oder Gerauntem unterschieden, wie gewichtet werden? Derlei Fragen verschwinden nur allzu oft unter dem Teppich des Glaubens, dem Mantel des Vertrauens, die Woodward seinen Lesern ausbreitet.

Anonyme Zitate sind zwar nichts Ungewöhnliches für die Journaille.
Aber mit steigender Zahl gerät selbst die Trump-Biographie der Edelfeder zur Glaubensfrage.

All die Verbalinjurien, Schimpfwörter und Beleidigungen, mit denen Protagonisten im Weißen Haus fortwährend von Washingtons Starautor zitiert werden, passen zwar wunderbar zum erratischen Agieren der Regierung eines irrlichternden Präsidenten, wie es uns tagtäglich vorgeführt wird. Aber da allzu oft – gerade, wenn es wirklich spannend wird, – Ross und Reiter ungenannt bleiben bei den Attacken gegen Trump, strapaziert Woodward den Vertrauensvorschuss seiner Gläubigen allzu sehr.

Zu diesem historiographischen Manko gesellt sich ein zweites. Der Beichtvater der Mächtigen und ihrer Taschenträger hebt die Personen seines Interesses, diesmal Donald Trump, auf Sockel. Egal, welche Legende er um sie strickt, ob positiv, ob negativ, alles trägt bei zur Denkmalsbildung. In dem Maß, wie er die Macht, die Mittel und die Möglichkeiten der Portraitierten und deren Umgang damit überhöht, verleiht er seinen Biographien Wucht, Wichtigkeit und manchmal schon fast einen Anstrich des Seherischen.

Damit stellt Woodward sich in die unselige Tradition einer Geschichtsschreibung, die der deutsche Historikerpapst Heinrich von Treitschke bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in das Dogma goss: “Personen, Männer sind es, welche die Geschichte machen.”

Es ist die gnadenlose Personalisierung von Politik, die den Blick dafür verstellt und meist auch verstellen soll, welches die gesellschaftlichen Ursachen sind für den Aufstieg der “Mächtigen” und deren Taten.

Kaum ein Wort bei Woodward über jene, auf deren Schultern Trump ins Weiße Haus getragen wurde, keines über die gesellschaftlichen Ströme in dieser Nation der Auserwählten, die ausgerechnet ihn, diesen narzisstischen “Moron”, ins mächtigste Amt der freien Welt gespült haben, in dem er nun dargestellt wird wie ein Usurpator.

Dabei hätte Woodward nur 100 Meilen westwärts der Route 66 folgen müssen, um im Shenandoah Valley jene “White Trash” gescholtene Unterschicht zu finden, auf der Trumps Präsidentschaft nicht unwesentlich gründet. Ein Besuch im “bible belt” der Südstaaten hätte Augen öffnen und der Analyse Tiefe verleihen können – dort wo die Menschen in der wortwörtlichen Auslegung der Heiligen Schrift jene Zuversicht suchen, die ihnen Gesellschaft und Politik schon seit Jahrzehnten verweigern. Oder eine Fahrt durch den “rust belt”, den verödeten Industriegürtel weiter im Norden der USA, wo der amerikanische Traum nur noch wie ein Zombie aus den leeren Fensterhöhlen schier endloser Fabrikruinen glotzt.

Der Autor hätte sich der Frage stellen müssen, warum seit Jahrzehnten die Präsidenten des selbsterklärten Musterlands der Demokratie von kaum mehr als einem Viertel der Wahlberechtigten ins Amt gehoben werden. Die Frage, was aus jener Hälfte der Wahlberechtigten wird, die längst von institutionalisierter Politik Abschied genommen haben, ließ die Eliten unberührt, die sich in schöner Regelmäßigkeit an den Machthebeln vom Kongress und im Weißen Haus abgewechselt haben.

Dabei hätte jedermann sie sehen können – die schwer bewaffneten Gruppen, die sich an Wochenenden in die Wälder schlagen, um die Verteidigung ihrer weißen Traum-Welt zu üben. Milizen, Nationalisten und arische Frontkämpfer rüsten sich überall im Land zum Endkampf gegen mehr oder weniger imaginäre Feinde: Aus dem Süden sehen sie ein Millionenheer ausgehungerter Hispanics anrücken, das die Wohlfahrt im Land der Guten und Gerechten bedroht (ein Hoch auf Trumps Mauer); aus Norden schweben angeblich schwarze Hubschrauber der UN allnächtlich aus, um die Machtübernahme in den USA vorzubereiten.

Über die neuen Wege direkter Kommunikation entwickelten sich solche Zellen von Verirrten und Verwirrten immer öfter zu Kristallisationskernen in einem sich rasch verdichtenden Netz der Staatsverdrossenen, Verschwörungsgläubigen und Hoffnungslosen. Seit die Immobilienkrise und die Folgen der Globalisierung auch in der Mittelschicht den Glauben an den amerikanischen Traum millionenfach zerstörten, hat sich die Zahl derer vervielfacht, die sich von der Politik verlassen und verraten fühlen. Sie alle warteten nur darauf, dass sich jemand, irgendjemand ihrer annimmt, ihnen das verspricht, an das sie schon lange nicht mehr glauben, aber dennoch hören wollen.

Es ist dieses Reservoir von über 100 Millionen amerikanischen Nichtwählern, denen der Politikbetrieb in Washington vermutlich weniger bedeutet als jede Doku-Soap im Fernsehen, das jemand wie Trump mobilisieren konnte. Es ist das andere Amerika jenseits der Aufmerksamkeitsspanne von Parteipolitik, unbeobachtet von den meisten Medien, unbeachtet in internationalen Diskussionszirkeln, Talkshows und Expertenrunden, unberichtet von Tagesschau und Heute. Es ist das unbekannte Amerika, das plötzlich ins Scheinwerferlicht tritt – und uns erschreckt.

Für die Trumpisten schürt all das, worüber die Rechtgläubigen der institutionalisierten amerikanischen Politik ihre Nasen rümpfen, das Feuer unter ihrem Kessel, erhöht den Druck, den ihr Triumphator mit einem einzigen Tweet entfesseln kann. Sie werden angetrieben, nicht entmutigt von allem, was ihrem Wortführer an Ungehörigem und Schändlichkeiten nachgesagt wird. Es ist genau das, was sie hören wollen in ihrer Wut auf eine Politik, die schon so lange nicht mehr die ihre ist.

Doch weder davon noch von der Art und Weise, wie Donald Trump sich dieses Potential erschließen konnte, verrät uns Bob Woodward auch nur ein Sterbenswörtchen. Geht es nach ihm, delektieren wir uns lieber pharisäerhaft an den Absonderlichkeiten und Absurditäten eines Präsidenten, wie er in unserer (der besseren) Alten Welt angeblich kaum vorstellbar scheint.

Wenn wir da nur nicht – erneut – einem folgenschweren Irrtum aufsitzen. Aber darüber kann dann ja Bob Woodward oder ein anderer Autor süffige Bücher schreiben.


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