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Titel: Saunazüge, Klimawandel & Stuttgart21. Oder – Wie die Deutsche Bahn die Fahrgäste vergrault und sich die Zukunft verbaut

Datum: 7. August 2018 um 12:45 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Globalisierung, Stuttgart 21, Verbraucherschutz, Verkehrspolitik
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In diesem Sommer ist es wieder soweit: Täglich werden in den Fernverkehrszügen der Deutschen Bahn nach offiziellen Bahnangaben mehr als 100 Wagen abgesperrt, weil Klimaanlagen ausgefallen sind. Der Bahnkonzern hat dafür – Ordnung muss sein! – auch „ein spezielles Absperrband entwickelt“. In einzelnen Reisezugwagen sind alle Sitzplätze mit Plastikband abgesperrt – das sieht dann aus wie in einem „Tatort“ mit Titel „Tod im Sauna-Zug“. Täglich fallen im Fern- und Nahverkehr auch Züge komplett aus – wegen unterschiedlicher Defekte. An einem einzigen Tag im Juli gab es 19 Fernzüge mit Komplettausfall und weitere 32 Fernverkehrszüge, die „auf Teilstrecken ausgefallen waren“. Ab Temperaturen von 25 Grad Celsius wird bei der DB die „Sommerstufe“ ausgerufen, was u.a. heißt, dass ausreichend „Notfallwasser“ an Bord sein muss, um Fahrgäste zu versorgen, „falls es zum Komplettausfall kommt.“ In einem solchen Fall wird „die Fahrt im nächstgelegenen Bahnhof gestoppt“, so eine Bahnsprecherin laut Bericht im Berliner Tagesspiegel (vom 31. Mai 2018).
Wenn im Wilden Westen galt, „Ein toter Indianer ist ein guter Indianer“, so gilt bei der Deutschen Bahn: „Ein ausgefallener Zug ist ein guter Zug“. Ausgefallene Züge erscheinen erst gar nicht in der Pünktlichkeitsstatistik. Sie gelten dann statistisch betrachtet als pünktliche Züge. Von Winfried Wolf.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Pünktlichkeit derjenigen Fernzüge, die dann tatsächlich auch unterwegs waren, lag an einem letzten Tag im Juli laut Angaben eines Bahnmitarbeiters „bei unter 60 Prozent“ (n-tv-Bericht vom 3. 8.2018). In der letzten Juli-Woche fuhren laut Bericht der ARD-Sendung hr-iNFO vom 27. Juli 2018 „weniger als 70 Prozent der ICE und IC nach Plan“. Bahnoffiziell sieht es etwas besser aus. Da lag die Pünktlichkeitsquote im Juli im Durchschnitt bei 77,4 Prozent. Oder auch: Fast ein Viertel der Fernverkehrszüge war in diesem Monat mehr als 6 Minuten verspätet. Wobei die offizielle Statistik als schöngefärbt gilt; sie lässt sich meist nicht mit der Wahrnehmung der Fahrgäste in Übereinstimmung bringen.

Es sei daran erinnert, dass Bahnchef Lutz im Februar 2018 eine „Fünf-Punkte-Strategie“ vorstellte, mit der der Schienenverkehr „hitzebeständiger“ gemacht werden sollte. Lutz damals:

„Es geht darum, […] die Züge robuster zu machen. Im Sommer haben wir mit höheren Hitzeperioden zu rechnen.“

Lutz´ Worte vom Februar aber heißen: Wir erleben erneut – wie seit vielen Jahren – dass die Worte der Bahn-Offiziellen wertlos sind. Wir erleben die Bahnmisere mit Ansage. Doch obgleich jeder Pendler, der die Bahn nutzt, und jeder Mensch, der regelmäßig in Fernverkehrszügen unterwegs ist, von dieser Misere der Bahn und davon, dass sich die Verhältnisse von Jahr zu Jahr verschlechtern, berichten kann, hält der Bahnkonzern stur mit Schönwetter-Meldungen dagegen. Und viele Medien übernehmen solche Berichte. So meldete dpa am 2. August: „Klimaanlagen der Bahn halten Sommerhitze bislang stand“.

Die Misere im Schienenverkehr ist nur zu einem geringen Teil der Hitze geschuldet. Bei Zügen in Ländern mit höheren Temperaturen gibt es oft deutlich weniger Ausfälle. Es geht schlicht darum, dass die DB viel zu wenig in Qualität und Komfort investiert. So sind die Klimaanlagen nur bis zu einer „Innentemperatur von 35 Grad“ ausgelegt. Und dann ist viel zu viel veraltetes und altersschwaches Wagenmaterial unterwegs – auch dies das Resultat einer Politik des Sparens an der falschen Stelle.

Nicht gespart wird bei den Auslandsengagements. DB Engineering & Consulting (DB E&C), eine Tochter der Deutschen Bahn, kündigte im Juli 2017 an, in Bälde „neue Büros in China, Indien, Malaysia, Singapur und Australien“ zu eröffnen. Da geht es dann um „eine Metro in Katar“, um „den effizienten Kohletransport von 50 südafrikanischen Minen zu einem Hafen am Indischen Ozean“, um „ein Hochgeschwindigkeitsprojekt zwischen Mekka, Dschidda und Medina“ in Saudi Arabien oder um „den Ausbau einer Güterverkehrstraße im Nordosten von Indien“.

Es ist kaum vorstellbar, dass die Deutsche Bahn bei diesen Auslandsprojekten eine derart miese Qualität abliefern kann, wie sie sich eine solche im deutschen Schienennetz sehr oft dort leistet, wo sie über eine quasi monopolartige Stellung verfügt: im Fernverkehr, bei der S-Bahn Berlin und vor allem bei der gesamten Schienen-Infrastruktur. Nicht vorstellbar ist es beispielsweise, dass die Klimaanlagen beim Bahnprojekt in Saudi Arabien einfach so mal kollabieren und komplett ausfallen dürfen, wie sie dies in Deutschland bei wesentlich niedrigeren Temperaturen in Serie tun. Bei einer Güterverkehrstraße im Norden von Indien darf man sich nicht ein derart skandalöses Versagen leisten, wie dies im August in Rastatt zu beobachten war, als die DB einen Tunnelbau unter der Schienenhauptverkehrsachse bei laufendem Betrieb vorantrieb, es zum Einsturz kam, der gesamte Personen- und Güterzugverkehr sieben Wochen lang unterbrochen war – und eine überzeugende Entschädigung der Güterverkehrsspediteure bis heute nicht stattgefunden hat. Und dann bei der Metro in Katar darf man sich sicher nicht solche Scherze leisten wie jüngst bei der S-Bahn in Berlin, einer DB AG-Tochter. Diese Stadtbahn befindet sich in einem derart miserablen Zustand, dass Ausfälle ganzer Züge seit Jahren an der Tagesordnung sind. Da die Pünktlichkeitsquoten miserabel und die Verspätungen oft nicht mehr einzuholen sind, schlug der S-Bahn-Berlin-Chef Peter Buchner im Juni 2018 allen Ernstes vor, dass „stark verspätete Züge an zwei Stationen ohne Halt vorbeifahren“ sollten. Damit sollten „ Verspätungen auf dem S-Bahnring aufgeholt werden“.  Großzügiger Weise sollten in einem solchen Fall „betroffene Fahrgäste im Zug informiert werden“; diese hätten dann „in einen nachfolgenden Zug umsteigen müssen“ (Berliner Morgenpost vom 17.7.2018). Nachdem Buchner diesen Vorschlag als hoch innovativ vorgestellt hatte, wurde er derart mit Spott, Hohn und Protesten eingedeckt, dass er das Vorhaben aufgab. Dennoch wird damit ein weiteres Mal deutlich, zu welch verzweifelten Maßnahmen das Management der Bahn zu greifen bereit ist, weil das systematische Fahren auf Verschleiß schlicht zu katastrophalen Umständen geführt hat.

Natürlich fehlt Geld nicht überall im deutschen Schienenverkehr. Beim größten Schieneninfrastrukturprojekt, das die Deutsche Bahn AG überhaupt betreibt, spielen Kosten offensichtlich keine Rolle. 1995 wurde Stuttgart 21 mit 4 Milliarden projektiert … allerdings waren es damals DM. Bei der Volksabstimmung 2011 war der gleiche Betrag bereits in Euro umgerubelt. Damals hieß es: Das Projekt sei bei „4,5 Milliarden Euro Gesamtkosten gedeckelt“. Alles, was über dem Betrag liege, sei „unwirtschaftlich“. Da handle es sich, so der damalige Bahnchef Rüdiger Grube, um eine „Sollbruchstelle“. Nur zwei Jahre später ließ derselbe Bahnchef den Betrag ungerührt auf 6,5 Milliarden Euro erhöhen und diesen vom Aufsichtsrat absegnen. Sein Nachfolger, der aktuelle Bahnchef Richard Lutz, legte dem DB-AG-Aufsichtsrat im Februar 2018 eine neue Stuttgart21-Kostenrechnung in Höhe von 8,2 Milliarden Euro vor. Der Aufsichtsrat nickte dies ein weiteres Mal brav ab. Nur zwei Monate später, im April 2018, gestand Lutz im Verkehrsausschuss ein, dass Stuttgart 21 „komplett unwirtschaftlich“ sei. Das Projekt würde der DB einen „Verlust in Höhe von 2,227 Milliarden Euro“ bringen. Wobei ein Projekt, das „komplett unwirtschaftlich“ ist, natürlich nicht einen einmaligen Verlust beschert. Vielmehr würde es im Fall einer Inbetriebnahme von Stuttgart 21 Jahr für Jahr Verluste geben – eine Begrenzung der Verluste nach oben ist nicht ernsthaft berechenbar.

Und wie sieht das Thema „Stuttgart 21 und Klimawandel“ aus? Richard Lutz ließ Anfang 2018 speziell für die Bahn „die Auswirkungen des Klimawandels durch das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) untersuchen.“ Lutz bilanzierte dann wie folgt: „Die Deutsche Bahn ist wie kein anderes Unternehmen von den Effekten des Klimawandels betroffen“. Dabei würde sich „die Zahl der Extremwetterlagen in Deutschland deutlich erhöhen“. Ausdrücklich nannte der Bahnchef auch eine zu erwartende massive Zunahme von „Starkregen“. Nun gibt es in Deutschland zwei Städte, die von Starkregen und damit von Überflutungen besonders bedroht sind. Das sind Wuppertal und Stuttgart.

Ende Mai war es soweit – in Wuppertal. Aus einem Bericht der „Rheinischen Post“ vom 31. Mai 2018:

“´Hier geht gerade die Welt unter´, sagte am Nachmittag eine städtische Mitarbeiterin aus Wuppertal. Enorme Regenmassen und Hagel hatten in kürzester Zeit große Teile der Innenstadt unter Wasser gesetzt. An einigen Stellen sollen die Fluten 70 Zentimeter hoch gewesen sein. Ungefähr eine Stunde soll der Starkregen angehalten haben. Teilweise fielen nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes (DWD) in Wuppertal bis zu 90 Liter Regen pro Quadratmeter. […] In der Wuppertaler Innenstadt lief das Einkaufszentrum Cityarkaden voll Wasser. […] An der Uni am Haspel stürzte ein rund 50 Quadratmeter großes Dach ein. […] Wegen des Unwetters stellte die Deutsche Bahn im Raum Wuppertal den Bahnverkehr ein. ´Die Züge stehen alle am Bahnsteig´, sagte ein Bahnsprecher in Düsseldorf. Teilweise seien die Gleise vom Regen überspült worden. […] Auch die Schwebebahn fuhr nicht.“ (Rheinische Post online vom 30. Mai 2018).

Und wann ist Stuttgart an der Reihe? Am 15. August 1972 – das war lange bevor es das Wort „Klimawandel“ gab – gab es in Stuttgart die bislang heftigste Starkregen-Sturzflut mit massiven Überschwemmungen. Sie forderte sechs Tote und 31 Verletzte. Das war eine deutliche Warnung.

Und wie reagieren die Verantwortlichen? Mit Stuttgart21 wird die Überflutungsgefahr für die baden-württembergische Landeshauptstadt in geradezu zynischer Weise erhöht. An der engsten Stelle des Ausflusses aus dem Stuttgarter Talkessel wird mit dem Stuttgart21-Tiefbahnhof ein gigantischer Betonriegel gebaut, der den Hochwasserabfluss weitgehend abriegelt. In dem Appell an den Bundestag „Stoppen Sie Stuttgart 21 jetzt“ heißt es dazu:

„Der geplante S21-Bahnhofstrog durchschneidet sämtliche vier Abwasser-Hauptkanäle aus der Innenstadt, weswegen diese ´gedükert´ – wie bei einem Siphon unter dem Bahnsteigtrog durchgeführt – werden müssen. Die Abflussleistung wird damit deutlich eingeschränkt; das Überflutungsrisiko enorm gesteigert.“

Dass der Straßenverkehr und der Flugverkehr ganz entscheidend zur Klimaerwärmung beitragen, ist sattsam bekannt. Dass ausgerechnet die Schiene, dasjenige Verkehrsmittel, das unter den motorisierten Verkehrsarten das Klima und die Umwelt theoretisch am wenigsten belastet, auf den Klimawandel wenig vorbereitet ist, ist eine Tragödie. Dass die Deutsche Bahn AG mit Stuttgart 21 offensiv dazu beiträgt, dass der Klimawandel sich beschleunigt – indem die Kapazität des Stuttgarter Verkehrsknotens um gut 30 Prozent reduziert, die Aufheizung des Stadtklimas durch die geplante Bebauung des aktuellen Gleisvorfelds erhöht und die Überschwemmungsgefahren für die Stuttgarter Innenstadt gesteigert werden – dies ist ein Skandal.

APPELL „Stoppen Sie Stuttgart 21 jetzt!“

Der Appell an den Bundestag „Stoppen Sie Stuttgart 21 jetzt“ wurde auf den Nachdenkseiten am 31. Juli erstmals, eingeleitet von einem Beitrag von Tom Adler (Gemeinderat in Stuttgart), Albrecht Müller (Herausgeber der Nachdenkseiten und Winfried Wolf (Buchautor) vorgestellt. Siehe: stuttgart21-ausstieg-jetzt.de

Damit wird zu Spenden aufgerufen, um am Ende der Sommerpause des Parlaments die Publizierung des Appells in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zu ermöglichen. Von dem Spendenziel in Höhe von 50.000 wurden bis zum 7. August 2018, also in einer knappen Woche, 24.000 Euro oder 48 Prozent erreicht. Wir danken allen, die spendeten. Und bitten alle, die das Anliegen unterstützen, um neue Spenden und darum, dazu beizutragen, dass das erstaunliche Momentum der Kampagne erhalten bleibt.


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