NachDenkSeiten – Die kritische Website

Titel: Diskussion um Wehrdienst und „Dienstpflicht“: Soziale Segnung, Gespensterdebatte oder Instrument zum Lohndrücken?

Datum: 6. August 2018 um 13:31 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, CDU/CSU, Innen- und Gesellschaftspolitik
Verantwortlich:

Die Debatte um eine „Dienstpflicht“ wird bewusst unscharf und verwirrend geführt. Zudem werden harte soziale Fragen romantisierend verzerrt – so erregen einige Äußerungen den Verdacht, dass zwangsverpflichtete jugendliche Billig-Arbeiter die Löhne in den Pflegeberufen niedrig halten sollen. Gar nicht berührt werden grundsätzliche Fragen nach De-Militarisierung und Existenzberechtigung der Bundeswehr. Von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Debatte um eine „allgemeine Dienstpflicht“ hat bisher vor allem eines angerichtet: Verwirrung. Geht es beim Vorstoß von CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer um eine Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht, der dann auch die Frauen unterworfen sein sollen? Geht es um eine Verpflichtung zum momentan selbstgewählten „Bundesfreiwilligendienst“? Und soll die jetzt diskutierte „Dienstpflicht“ überhaupt verpflichtend sein? Die mutmaßlich bewusst unscharfe Definition des Vorhabens spricht dafür, dass wir Zeuge eines Sommerloch-Theaters zur Stärkung des innerparteilichen Zusammenhalts der CDU werden. Noch deutlicher wird der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Ulrich Schneider, der eine allgemeine Dienstpflicht für rechtlich fragwürdig hält und die Diskussion als „Gespensterdebatte“ bezeichnet.

Etwas ins Detail ging der CDU-Abgeordnete und Vorsitzende des Reservistenverbandes der Bundeswehr, Oswin Veith. In der „FAZ“ beschrieb er, zu was die jungen Menschen nach dem Schulabgang künftig verpflichtet werden könnten: Er nannte Wahlmöglichkeiten von der Bundeswehr über das Technische Hilfswerk bis zu Diensten in der Gesundheitsversorgung und der Pflege. Auch CDU-Vize Thomas Strobl befürwortet eine zwölfmonatige Dienstpflicht: Junge Menschen sollten die Möglichkeit bekommen, ihren Dienst auch in sozialen, ökologischen oder kulturellen Einrichtungen zu leisten, wie das ZDF meldet.

Sollen jugendliche Billig-Arbeiter die Löhne in den Pflegeberufen drücken?

Die Konsequenz aus Veiths und Strobls Äußerungen wäre zugespitzt eine Wehrpflicht, der man sich ohne „Gewissensprüfung“ entziehen könnte, wenn man zwölf Monate hilft, den Pflegenotstand abzumildern. Das erregt den Verdacht, dass hier durch zwangsverpflichtete jugendliche Billig-Arbeiter die Löhne in den Pflegeberufen niedrig gehalten werden sollen. Diese Sorgen greift der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter auf, wenn er der „Stuttgarter Zeitung“ sagt, ein verpflichtender Gesellschaftsdienst dürfe „weder Arbeitsplätze ersetzen noch stumpfer Selbstzweck sein“. Zerstreuen allerdings kann er die Bedenken nicht – denn wie sollten die von ihm genannten Aspekte verhindert werden?

Genau das, was Kiesewetter als Gefahr skizziert, ist mutmaßlich Motiv etwa für FDP-Funktionäre, ein Vorhaben zu unterstützen, das den angeblich „liberalen“ Zielsetzungen der Partei eigentlich widerspricht. So meldet die Nachrichtenagentur dpa: Im Gegensatz zu Parteichef Christian Lindner, der eine Dienstpflicht abgelehnt hat, sagte Bremens FDP-Fraktionschefin Lencke Steiner der „Bild“-Zeitung: „Ich bin persönlich für ein verpflichtendes Jahr, egal ob Wehrpflicht oder soziales Jahr. Es ist wichtig, früh Verantwortung zu übernehmen und zu lernen für andere einzustehen.“

Romantisierung und Realität: „Bufdis“ erhalten 390 Euro im Monat

Diese romantisierende Verzerrung eines schlecht bezahlten und „echte“ Arbeitsplätze bedrängenden Pflichtjahrs betreibt auch die „taz“ in einem „Pro und Kontra“ zum Thema: „Ein ‚Gesellschaftsjahr‘ zwischen Schule und Berufseinstieg bietet die Möglichkeit, einmal beiseitezutreten. Etwas auszuprobieren, das man für sinnvoll hält. Etwa einem querschnittsgelähmten Studenten im Wortsinne ein Jahr unter die Arme zu greifen.“ Der Kontra-Beitrag rückt das aber wieder zurecht und sieht „eine Jugend, die gegen supermiese Bezahlung mindere und niedrige Arbeit ‚für die Gesellschaft‘ verrichten soll, und sich das Ganze obendrein selbst als ‚selbstlos etwas Gutes tun‘ verkaufen muss“.

Wie sehr die verpflichteten Jugendlichen potenziell die Löhne in den sozialen Bereichen bedrohen würden, in denen sie laut Initiatoren eingesetzt werden sollen, davon vermitteln die Bedingungen für den bestehenden „Bundesfreiwilligendienst“ eine Ahnung: „Soweit die Freiwilligen Unterkunft, Verpflegung und Arbeitskleidung oder entsprechende Geldersatzleistungen erhalten, erbringen die Einsatzstellen diese Leistungen. Sie zahlen für den Bund auch das vereinbarte Taschengeld und leisten die Sozialversicherungsbeiträge. Das Taschengeld und die übrigen Leistungen werden zwischen den Freiwilligen und ihrer Einsatzstelle abgesprochen. Das Taschengeld hat eine Obergrenze von derzeit 390 Euro monatlich für eine Vollzeitbeschäftigung.“

Taktik statt Inhalt

Kramp-Karrenbauer hat ihren Vorstoß am Wochenende mit Anregungen von der CDU-Basis begründet. Laut „FAZ“ will sie, dass die CDU ausführlich darüber debattiert, ob die Wehrpflicht wiederaufleben oder eine allgemeine Dienstpflicht für Männer und Frauen eingeführt werden soll. Das soll eine der Leitfragen für den programmatischen Reformprozess der CDU sein, der im Herbst beginnen wird. Nach zwei Jahren Diskussion soll das Ergebnis im Jahr 2020 in das Wahl- und Regierungsprogramm der Partei einfließen.

Die Frankfurter Journalisten zielen wie viele andere Medien weniger auf den Inhalt des Vorschlags ab als auf die taktische Raffinesse Kramp-Karrenbauers: „Die CDU-Generalsekretärin geht auch aus taktischer Sicht geschickt vor. Sie macht mit ihrem Vorstoß den eher traditionell orientierten Anhängern der CDU ein Angebot und kommt zugleich Bestrebungen von Abgeordneten aus dem konservativen Teil der Partei zuvor, die mit dem Thema wiederbelebte Wehrpflicht und/oder allgemeine Dienstpflicht auf sich aufmerksam machen wollen.“

Ist eine allgemeine Wehrpflicht grundsätzlich des Teufels?

Nicht von der Debatte berührt wird die grundsätzliche Akzeptanz einer „starken“ Bundeswehr. Für konsequente Pazifisten stellt sich die Frage nach Freiwilligen- oder „Bürger“-Armee nicht, da sie Militarisierung grundsätzlich ablehnen. So lange das (wiederum mit vielen anderen Fragen behaftete) Fernziel einer de-militarisierten BRD nicht erreicht ist, sollte die Debatte über die Ausgestaltung einer mutmaßlich noch lange existierenden deutschen Armee aber durchaus detailliert geführt werden.

Zu dieser Debatte zählt auch die Frage, ob eine Freiwilligen-Armee tatsächlich als fortschrittlicher zu bezeichnen ist als eine solche mit allgemeiner Wehrpflicht. Bei Letzterer müsste das Problem der lohndrückenden Zivildienst-Leistenden gelöst werden. Ein Blick auf andere reine Freiwilligen-Armeen zeigt aber deren Entwicklung zu einem „Unterschichten-Heer“: Sozial benachteiligte Jugendliche lassen sich unter anderem von Ausbildungsmöglichkeiten locken und müssen in der Konsequenz die militärische Drecksarbeit leisten. Kinder aus „gutem Hause“, die wegen ihrer Herkunft diesen Druck nicht spüren, können dagegen ihr Leben schonen.


Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/

Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=45347