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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Vor 5 Jahren kassierte das Bundesverfassungsgericht die Studiengebührenfreiheit
Datum: 25. Januar 2010 um 9:33 Uhr
Rubrik: Bundesverfassungsgericht, Verfassungsgerichtshof, Hochschulen und Wissenschaft
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Am 26. Januar 2005, hat das Bundesverfassungsgericht § 27 Absatz 4 des Hochschulrahmengesetzes für nichtig erklärt und die Studiengebührenfreiheit abgeschafft. Zahlreiche CDU-regierten Länder haben auf das Urteil nur gewartet und Studiengebühren eingeführt. Zum 5-jährigen Jahrestag, dieses Paradigmenwechsels, der die Hochschulbildung von einem öffentlichen Gut zu einem privates Investment in das „persönliche Humankapital“ umkehrte, erinnere ich an meine damalige Kritik „Studiengebührenentscheidung des Bundesverfassungsgerichts – ein politisches Urteil“ .
Ich habe daran nichts zu korrigieren und alles, was damals nur prognostiziert werden konnte, ist so eingetreten, wie es zu erwarten war.
Die Website „Studis Online“ veröffentlicht aus Anlass dieses „Jubiläums“ einen Buchbeitrag von mir, der die Ausrichtung der Hochschulen auf die Einwerbung von Drittmitteln und Studiengebühren skizziert. Wolfgang Lieb
Die Wirklichkeit hat das Urteil widerlegt
Paragraph 27 Abs. 4 Hochschulrahmengesetz lautete:„Das Studium bis zum ersten berufsqualifizierenden Abschluss und das Studium in einem konsekutiven Studiengang, der zu einem weiteren berufsqualifizierenden Abschluss führt, ist studiengebührenfrei.“
Diese Regelung wurde vor fünf Jahren vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt.
Eigentlich müsste das damalige Urteil inzwischen revidiert werden, denn seine Annahmen sind alle nicht eingetreten bzw. von der Politik nicht erfüllt worden. Die Karlsruher Richter unterstellten damals:
„Vor allem aber ist anzunehmen, dass die Länder bei Einführung von Studiengebühren in eigenverantwortlicher Wahrnehmung der verfassungsrechtlich begründeten Aufgabe zu sozialstaatlicher, auf die Wahrung gleicher Bildungschancen bedachter Regelung den Belangen einkommensschwacher Bevölkerungskreise angemessen Rechnung tragen werden.“
In Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hamburg und im Saarland gibt es Studiengebühren, in keinem dieser Länder gibt es eine Regelung (sprich ein kompensierendes Stipendienprogramm) zur Wahrung gleicher Bildungschancen einkommensschwacher Bevölkerungskreise. In den meisten dieser Länder müssen sogar BAföG-Empfänger Studiengebühren bezahlen. In Hessen sind die Gebühren inzwischen wieder abgeschafft und vielleicht werden sie wegen der politischen Veränderungen auch im Saarland fallen. Man darf gespannt sein, ob die Grünen als Regierungspartner genau so umfallen wie in Hamburg die GAL.
Regelungen zur Wahrung gleicher Bildungschancen fehlen bis heute
Damals gehörte es zur Propaganda der Gebührenbefürworter, dass die Studiengebühren sozialverträglich sein und von einem entsprechenden Stipendienprogramm arrondiert werden müssten. Das war nichts als ein schönes Versprechen.
Das „nationale Stipendienprogramm“, das von der schwarz-gelben Bundesregierung jetzt eingeführt werden soll, ist nichts als eine Luftnummer. Erstens richtet es sich nicht auf sozial Benachteiligte und zweitens sind seine Ausstattung und seine Konstruktion geradezu lächerlich:
Bund und – wenn sie denn mitmachen – die Länder wollen nur von Universitäten und Fachhochschulen bei Wirtschaft und Privaten eingeworbene Stipendien in Höhe von 300 Euro im Monat bis zur Hälfte bezuschussen. Der Bund will also gerade ein Viertel oder 75 Euro pro Stipendiat tragen. Die Frankfurter Rundschau hat schon einmal bei Wirtschaftsverbänden rundgefragt. Das Interesse hält sich dort offenbar in engen Grenzen und selbstredend ist ein denkbares finanzielles Engagement der Wirtschaft von den jeweiligen Unternehmens- und Brancheninteressen bestimmt. Stipendien also vor allem für künftig brauchbare Mitarbeiter.
Abgesehen davon, dass dieses Stipendium nicht im Ansatz bedarfsdeckend ist, wird das „Ziel, die Studienanfängerquote weiter zu steigern“ und eine Förderung von bildungspolitisch Benachteiligten mit solchen Begabtenstipendien jedenfalls nicht erreicht.
Ein ähnliches Modell läuft seit dem Wintersemester 2009/2010 in NRW. Gerade einmal 1.400 Stipendien sind an rd. 300.000 Studierende vergeben worden, das sind 0,3 Prozent. Wie bei den meisten der elf Begabtenförderungswerke erreichen diese Begabten-Stipendien vor allem jene, die ohnehin bessere Startchancen haben.
Zusätzliche Einnahmen?
Als Begründung wurde damals auch angenommen, dass Studiengebühren den Hochschulen eine dringend notwendige zusätzliche „Einnahmequelle“ verschafften. Laut Bildungsbericht wurden nach Einführung von Studiengebühren in den damals noch 7 Ländern im Jahr 2007 ca. 700 Millionen vereinnahmt. (Was sicherlich viel zu hoch gegriffen ist.) Dies entsprach 4% der Ausgaben für die staatlichen Hochschulen (ohne Hochschulkliniken).Die Richter konnten damals sicherlich nicht ahnen, dass die Steuern zwischenzeitlich um ein mehrfaches dieser „Einnahmen“ gesenkt und vor allem war auch für Karlsruhe unvorstellbar, wie viel die knappen Öffentlichen Kassen über Nacht zur Rettung der Banken zur Verfügung stellen würden.
Überall wurde die Zustimmung der Hochschulen zu Studiengebühren damit erkauft, dass die Einnahmen zusätzliche zur staatlichen Ausstattung ausschließlich der Verbesserung des Studiums dienen sollten. Ob sich die Haushaltssituation der Hochschulen tatsächlich ein wenig verbessert hat, ist eine offene Frage. Selbst wenn Mittel aus dem Hochschulpakt (zur Bewältigung des demografisch bedingten Anstiegs der Studienbewerber) die Haushalte ein Stück weit verbesserten, so reichen diese Mittel bei weitem nicht aus, um die zusätzlich erforderlichen Studienplätze auszufinanzieren. Bezogen auf die Zahl der Studierenden stehen die Hochschulen also, was die staatlichen Zuschüsse anbetrifft, eher schlechter da als 2005. Die staatlichen Zuschüsse sind auch keineswegs etwa mit den gestiegen Personal-, Energie oder sonstigen laufenden Kosten erhöht worden, real also gesunken.
Einige Hochschulen hatten es offenbar auch nicht so eilig, die Gebühren einzutreiben, weil etwa wie in Gießen die Verwaltungen überlastet waren.
Mit zweifelhaften Studiensollten die Wohltaten der Studiengebühren bewiesen werden. Wenn überhaupt kamen diese „Einnahmen“ nur teilweise den Gebührenzahlern zugute: In NRW waren von den „Einnahmen“ nur 73,6 % für die Hochschulen verfügbar. Abgezogen werden musste der Verwaltungsaufwand (minus 1,4%), Rückstellungen (minus 7,2%) und Abzüge für einen Ausfallfonds (minus 17,8%). Für die Aufstockung des Lehrpersonals wurden gerade mal ein Fünftel an den Universitäten und 14,4% an den Fachhochschulen eingesetzt. Für Tutoren- und Mentorenprogramme 13,6% an den Unis und 10% an den FHS. Der Rest der Einnahmen floss in ganz unterschiedliche Verwendungen – häufig in die ganz normale Grundausstattung. An einigen Hochschulen werden die Studiengebühren dafür aufgebracht, die Studiengebühren für sozial Benachteiligte zu finanzieren. Das ist „Umverteilung im Armenhaus“.
Immer wieder hört man davon, dass Studiengebühren zweckentfremdet werden, um Haushaltslöcher zu stopfen. An der Uni in Ulm sollten sogar die steigenden Heizkosten aus den Gebühren bezahlt werden. An der Fachhochschule Niederrhein wurde ein Großteil der Studiengebühren insgesamt 6 Millionen einfach „gebunkert“. Vielfach werden Gebühren zur Deckung der durch den Bologna-Prozess sprunghaft gestiegenen Kosten für die zahllosen Prüfungen eingesetzt.
Barriere für die Studienaufnahme empirisch erhärtet
Ob die Einführung von Studiengebühren, „zu einer Verunsicherung derjenigen führe, die in den nächsten Jahren ein Studium aufnehmen wollten“, was in letzter Konsequenz zu einem Rückgang der Zahl der Studienanfänger führen könne, und ob die „Studierneigung für das ganze Bundesgebiet“ unterstütze, ob damit „bildungsferne Bevölkerungskreise an das Hochschulstudium herangeführt“ werden könnten, für alle diese Argumente der Gebührengegner bestünden – so das damalige Urteil – „jedoch zurzeit keine hinreichenden Anhaltspunkte“.
Welche Barriere die privaten Kosten für die Aufnahme eines Studiums darstellen, hätte man auch schon 2005 man aus der historischen Entwicklung ablesen können, nämlich darin, dass sich seit der Verbesserung des BaföG durch die Bundesregierung im Jahre 1999 der Anteil der Studierenden pro Jahrgang bis 2006 von 27,7 auf 35,7% erhöht hat.
Anhaltspunkte für die Abschreckungswirkung von Studiengebühren gibt es inzwischen in hinreichender Zahl und mit empirischer Absicherung:
Nach Darstellung des „9. Studierendensurveys“ wiederholt sich bei allen Notenstufen im Zeugnis der Hochschulberechtigung mehr oder weniger eindeutig die Verringerung der Studiensicherheit mit abnehmender sozialer Herkunft.
Nach Erhebungen des deutschen Studentenwerks bezeichnen 40% der Studierenden ihre Studienfinanzierung als unsicher . Die Kosten für ein Studium sind also für einen großen Teil der Studierenden von vorneherein eine Risikobarriere. Gerade für Schüler, die über ein Studium nachdenken, haben Studiengebühren eine besonders hohe Abschreckungswirkung, deshalb ist der Anteil derer die Studiengebühren ablehnen mit 88% besonders hoch.
Während für Schüler bei denen ein Elternteil Akademiker/in ist die Finanzierung für 26 % ein Problem darstellt, sind die Kosten für Kinder aus nichtakademischem Elternhaus für 36% ein Problem (Ch. Heine vom HIS in einer noch nicht veröffentlichten Expertise für die Hans-Böckler-Stiftung)
Obwohl es die Bildungsministerin nicht wahrhaben wollte, haben die Autoren des renommierten Hochschulforschungsinstitut (HIS) in einer von Frau Schavan selbst in Auftrag gegebenen Studie ermittelt: “Durch die Einführung von Studiengebühren verzichtet eine nennenswerte Zahl von Studienberechtigten auf das ursprünglich beabsichtigte Studium”, heißt es in der Zusammenfassung. Um bis zu 18.000 Studienberechtigte halten die Studiengebühren von einem Studium ab. Jeder vierte Studienberechtigte gibt an, im Jahr 2008 kein Studium aufzunehmen. 69 Prozent habe sich wegen Studiengebühren gegen ein Studium entschieden, bei den Frauen liege der Anteil sogar bei 75 Prozent. (HIS-Studie, Studienberechtigte 2008 Abb. 3.3 S. 16 zu finden unter Hochschul-Informations-System GmbH ).
(Siehe zu Milieuspezifischen Bildungsbarrieren nach Einführung von Studiengebühren [PDF – 401KB])
Studiengebühren sind aber nicht nur eine Barriere zur Aufnahme eines Studiums, sie sind auch mitursächlich für Studienabbrüche. 19% der Studienabbrecher scheitert letztlich an der Finanzierung des Studiums (HIS-Studie, zu finden gleichfalls unter Ursachen des Studienabbruchs in Bacherlor- und herkömmlichen Studiengängen unter Hochschul-Informations-System GmbH)
Fazit: Die sozialwissenschaftliche und die empirische Evidenz, dass Studiengebühren auch eine (vor allem soziale) Barriere für die Aufnahme und den Abschluss eines Studiums darstellen, ist jedenfalls deutlicher, als der phantastische Glaube daran, dass durch Steuersenkungen wirtschaftliches Wachstum gesteigert werden könnte. Mit der Umsatzsteuersenkung für die Hoteliers verzichtet die Bundesregierung auf eine Milliarde Steuereinnahmen. Das 300 Millionen mehr, als durch Studiengebühren eingenommen werden. Einige Tausend Hoteliers sind für die schwarz-gelbe Bundesregierung aber offenbar ein wichtigerer „Wachstumsfaktor“ als weit über 2 Millionen Studierende. Soviel zur „Bildungsrepublik Deutschland“.
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