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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Wahlanalyse für die SPD – viel zu kurz gesprungen, rausgeworfenes Geld
Datum: 26. Juni 2018 um 16:44 Uhr
Rubrik: SPD, Wahlen
Verantwortlich: Albrecht Müller
„Aus Fehlern lernen“ ist die am 11. Juni vom Generalsekretär der SPD veröffentlichte Wahlanalyse überschrieben. Bei einer ersten Durchsicht fand ich die Analyse so unzureichend, dass NachDenkSeiten-Leser damit am besten gar nicht belästigt werden sollten. Aber diese „Analyse“ wird offenbar ernstgenommen. In meiner Regionalzeitung zum Beispiel heißt es, „Fehler und Defizite werden konkret beschrieben“. Ja sogar die PL, die Parlamentarische Linke, befasst sich damit und hat zwei der fünf Autoren der Untersuchung für kommenden Donnerstag zu einem Gespräch eingeladen. Offenbar gibt es Menschen, die diese Analyse ernstnehmen. Deshalb hier eine Analyse der Wahlanalyse. Albrecht Müller.
Zunächst zu Ihrer Information die Links zu den entsprechenden Dokumenten:
Eine Analyse der Bundestagswahl 2017
Dieses Dokument enthält eine Einleitung des SPD-Generalsekretärs Klingbeil. Dann wird auf das folgende PDF-Dokument verlinkt.
Am Ende meiner Analyse gebe ich die Schlussfolgerung der Autoren der Wahlanalyse wieder. Diese befindet sich auf Seite 106 und 107 des Textes „Aus Fehlern lernen“.
Die Autoren der Wahlanalyse
sind Jana Faus, Horand Knaup, Michael Rüter, Yvonne Schroth und Frank Stauss.
Was sie zu einer solchen Analyse „Aus Fehlern lernen“, was die SPD in der Tat dringend nötig hat, im besonderen befähigt, wird weder im Text noch in der Einleitung des Generalsekretärs der SPD, Klingbeil, und auch sonst nicht verlautbart und erkennbar.
Die Autoren haben eine große Zahl von Personen interviewt. Die Äußerungen der interviewten Personen sind in die Analyse eingeflossen. Man muss den Eindruck gewinnen, dass es besser gewesen wäre, die Autoren der Analyse hätten selbst etwas mehr nachgedacht.
Wer sich nämlich mit der Geschichte der SPD und der Bundesrepublik Deutschland seit 50 Jahren beschäftigt und den Niedergang von 42,7 % im Jahre 1969 – dem Jahr des ersten Kanzlerwechsels von Kiesinger (CDU) zu Willy Brandt (SPD) – , wer den Niedergang vom Spitzenergebnis mit 45,8 % im Jahr 1972 bis heute verfolgt, wer die in dieser Zeit getroffenen politischen Entscheidungen und Unterlassungen und die verschiedenen Wahlkämpfe beobachtet oder wenigstens nachträglich analysiert, der oder die wird auch ohne Interviews dritter Personen vieles zum Thema „Aus Fehlern lernen“ aufschreiben können. Jene zum Beispiel, die wegen der Beteiligung der Regierung Schröder am Kosovo-Krieg und anderen militärischen Aktionen aus der SPD ausgetreten sind, oder jene, die wegen der Agenda 2010 und der Teilprivatisierung der Altersvorsorge die SPD verlassen haben, könnten vermutlich sehr viel mehr zu einer Analyse des Niedergangs beitragen als die Interviewpartner der fünf Autoren der Studie.
Ich nenne einige Beispiele:
Wenn diese Medienbarriere besteht, dann hat man nur dann eine Chance, wenn man sich – bei aller Freundlichkeit gegenüber Medien – dadurch von ihnen unabhängig macht, dass man Hunderttausende von Menschen als Multiplikatoren gewinnt und mobilisiert. Das ist im kleinen Rahmen zuletzt 1998 gelungen, in wirklich großem Stil 1972. Schon damals gab es eine Medienbarriere, schon damals hat das „Große Geld“ den aus seiner Sicht historischen Fehler des Machtverlustes von 1969 durch Einsatz vieler Millionen korrigieren wollen. Und damals ist es nur dank der Mobilisierung Hunderttausender von Sympathisanten, Mitgliedern und Nichtmitgliedern der SPD, gelungen, die Wahl zu gewinnen. Dies ist nicht nur meine Analyse, sondern das Ergebnis der Analyse von Frau Noelle-Neumann von Allensbach, die dieses nach der damaligen Wahl, als Sympathisantin der Union bedauernd, feststellte.
Der Aufbau von Gegenöffentlichkeit wäre also heute noch mehr ein zentrales Instrument, ja geradezu eine Notwendigkeit, wollte man aus Fehlern lernen und wieder gewinnen.
Das waren einige Ergebnisse des Nachdenkens über die Ursachen des Niedergangs der Sozialdemokratie und darüber, was man aus den letzten Bundestagswahlen hätte lernen können und für die kommenden Wahlen lernen könnte.
Schauen Sie sich die am Ende dieses Textes wiedergegebenen Seiten 106 und 107 der Wahlanalyse an. Der Text nennt die „Schlussfolgerungen“ aus der Analyse.
Da wird verlangt, dass das Denken in Lagern, also hier Seeheimer und dort Netzwerker und dann noch die Parlamentarische Linke, aufgegeben wird. Wie soll das denn gehen? Und dann wird viel über die Organisation im Willy-Brandt-Haus philosophiert. Die Führungsspitze müsse verschlankt werden und Verantwortung müsse neu definiert und zugeschrieben werden. Das Kompetenzgerangel müsse ein Ende haben. Im Text selbst wird der Kampa, d. h. der Auslagerung der Wahlkampftätigkeit, in ein eigenes Gehäuse das Wort geredet. Dabei wird übrigens die Situation im Jahre 1998 sehr falsch dargestellt. Die Analytiker sind der Propaganda des Müntefering-Lagers, dass für sich die strategische Leistung jenes Wahlkampfs in Anspruch nimmt, auf den Leim gegangen. In diesem Fall muss ich Bodo Hombach und Gerhard Schröder vor diesem Raubzug in Schutz nehmen.
Der Prozess der Entscheidung über die Kanzlerkandidatur müsse neu geklärt werden. Diese Schlussfolgerung findet sich dann auch in manchen Medienberichten wieder. Lächerlich, gemessen an den wirklichen Problemen und Notwendigkeiten, die ich oben skizziert habe.
Die Probleme der Menschen müssten konkret gelöst werden. Eine tolle Erkenntnis. Hier das Fazit zum Kapitel gute Regierungsführung:
„Fazit:
Die Fähigkeit, gute Regierungsarbeit zu betreiben, Probleme zeitnah abzuarbeiten oder – noch besser – sie gar nicht erst entstehen zu lassen, ist in Deutschland unzureichend ausgebildet. Das gilt auch für die SPD. Sie könnte sich ein Beispiel an ihren kommunalen Spitzen nehmen. Eine Imagekorrektur wird auch sozialdemokratischen BundespolitikerInnen nur gelingen, wenn sie dem Lösen von Problemen eine höhere Priorität einräumen als Spiegelstrichen in Leitanträgen und Parteiprogrammen.“
Soll diese billige Polemik helfen?
Allianzen müssten gepflegt werden, heißt es weiter im Text. Und auch dabei geht es dann vor allem um Organisatorisches. Neue Kooperationen mit der „Zivilgesellschaft“ seien zwingend erforderlich. Was ist das, die Zivilgesellschaft? Ein modischer Begriff. Ein Füllsel für den Fall, dass man nicht weiter weiß.
Immerhin steht in der Schlussfolgerung auch noch, dass die SPD sich in wesentlichen Fragen der Zeit ein Profil erarbeiten müsse. Dieser Forderung kann man zustimmen.
25. Januar 2017 um 9:46 Uhr
Der zweifache Schock: Schulz soll Kanzlerkandidat und obendrein Parteivorsitzender werden.
Die gestern bekannt gewordenen Entscheidungen der SPD-Führung wurden in Medien und von den meisten interviewten Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten begrüßt. In meinem Umfeld war man eher schockiert. Es folgen Fragen und Ergebnisse des Nachdenkens über diesen Vorgang. Das vorläufige Fazit: Martin Schulz wird uns leider keine Alternative zu Frau Merkel bringen. Albrecht Müller. …
Die Wahlanalyse hat auch zur Folge, dass in öffentlichen Verlautbarungen der damalige SPD-Vorsitzende Gabriel zum Sündenbock erklärt wird. Gabriel trägt eine große Verantwortung für das aktuelle Desaster der SPD. Die schlechten Wahlergebnisse und der Niedergang dieser Partei fingen jedoch nicht mit Gabriel an.
Im Kapitel 2 mit dem Titel „Volkspartei ohne Volk. Der Wahlkampf aus Sicht der Wahlforschung“ wird durchgehend mit Umfrageergebnissen für den Zeitraum 2013-2018 gearbeitet. Siehe hier zum Beispiel:
Die massiven Einbrüche bei den Wahlergebnissen der SPD lagen aber alle viel früher. Vielleicht muss man die SPD-Wahlanalytiker und ihre Konsumenten einfach mal mit den Wahlergebnissen der letzten vier Jahrzehnte konfrontieren, von 2017 rückwärts bis 1980:
CDU/CSU – SPD
Man muss nur eine Legislaturperiode weiter zurückgehen, also über 2013 hinaus rückwärts, dann entdeckt man schon, dass die SPD im Jahre 2009 mit dem Kandidaten Steinmeier und 23 % der Zweitstimmen ja nicht so sehr viel besser abgeschnitten hat als jetzt mit Martin Schulz und seinen 20,5 %.
Man entdeckt weiter, dass die SPD 1980 immerhin noch 42,9 % erreicht hat – das war nicht so viel wie 1972 und 1969 – aber immerhin. Sie erzielte dann in der Regierungszeit von Kohl schlechte Ergebnisse und schaffte dann 1998 mit 40,9 % noch einmal den Kanzlerwechsel. Dann ging‘s bergab. Der amtierende Kanzler Schröder hatte 2002 schon 6,7 % der Zweitstimmen verloren. Das war die Rache für die Agenda 2010, für seine Steuerpolitik zugunsten der Gutverdiener und Vermögen und für den Kosovo-Krieg.
Das kann man doch bei einer Analyse nicht außen vor lassen. Es war auch das Ergebnis eines unglaublichen Schachzugs – des willentlichen Abbruchs der Legislaturperiode im Jahre 2005 um ein Jahr. Eigentlich, um die Agenda 2010 zu retten. Dieses Von-der-Fahne-gehen haben viele Wählerinnen und Wähler, selbst wenn nicht reflektiert und durchdacht, der SPD und ihrem Bundeskanzler und Parteisekretär Müntefering übelgenommen. Und dann machte die SPD-Führung Schröders Assistenten im Bundeskanzleramt, den ehemaligen Chef des Bundeskanzleramtes Steinmeier, auch noch zum Kanzlerkandidaten. Die SPD verlor dann zwischen 2005 und 2009 11,2 % der Zweitstimmen.
Wenn man im Jahre 2018 eine Analyse mit dem anspruchsvollen Titel „Aus Fehlern lernen“ schreibt, dann kann man doch an diesen Vorgängen nicht vorbeigehen!
Was übrigens vor 1998 war, interessiert in dieser hier untersuchten Wahlanalyse nicht. Klar, man kann nicht verlangen, dass Wahlanalytiker ein halbes Jahrhundert voll im Blick haben. Aber bei einem solchen Thema muss man dann, wenn man richtige Empfehlungen abgeben will, wenigstens ein bisschen über den eigenen Horizont hinwegblicken.
Die Kurven für den Verlauf der Wirtschaftskompetenz, der arbeitsmarktpolitischen Kompetenz und der Kompetenz für die Zukunftsfragen sind durchgehend zwischen 2002 und 2013 abgestürzt.
Abbildung 6 der Analyse gibt eine Grafik der Forschungsgruppe Wahlen wieder. Sie ist überschrieben mit „Wichtigste Probleme“. Es mag ja sein, dass die Sorge der Menschen um den Frieden und die Angst vor einem kriegerischen Konflikt mit Russland bei einer Umfrage nicht zum Tragen kommt. Kann aber auch sein, dass danach gar nicht gefragt worden ist.
Wie auch immer – wenn man eine Profilplanung und Themen- und Konfliktplanung für den nächsten Wahlkampf machen will, dann darf man an diesem Thema nicht vorbeigehen. Auch wenn man die Gründe des Niedergangs seit 1980 oder 1972 oder meinetwegen auch erst seit 1998 analysieren will, dann kann man doch an der Außenpolitik nicht vorbeigehen. Die Friedenspolitik war sozusagen ein Alleinstellungsmerkmal der SPD. Sie hat dieses zerstört. Das Thema wäre für eine Wahlanalyse wichtig, wenn sie die Gegenwart und Zukunft mitbestimmen sollte. Denn das, was der sozialdemokratische Außenminister Heiko Maas zur Zeit macht, kommt einer Fortsetzung des radikalen Ruins eines wichtigen thematischen Profils der SPD gleich.
„Selbst das Thema Mindestlohn konnte der SPD nicht eindeutig zugeordnet werden, ein Problem, welches die SPD als kleinerer Koalitionspartner besonders hart trifft: Sie wurde für wenig populäre Dinge in Mithaftung genommen, war aber auch bei der Durchsetzung populärer Dinge immer nur mit dabei.“
Es ist richtig, dass man als kleinerer Koalitionspartner Schwierigkeiten hat, seine Politik gut zu verkaufen. Aber erstens gilt im konkreten Fall auch, dass der durchgesetzte Mindestlohn große Schwächen hat und außerdem die Kenner sehr genau wissen, wie lange die SPD gebraucht hat, diese Reform durchzusetzen und dass sie dies eben nicht getan hat, als sie noch die Kanzlerschaft innehatte. Also an der Verkaufe alleine liegt das nicht. Zweitens kann man sich auch als Juniorpartner anders positionieren. Man muss dann allerdings den Mut haben, in offensive Auseinandersetzungen mit dem größeren Partner einzutreten. Dafür, dass das geht, gibt es gute Belege in der früheren großen Koalition von 1966-1969.
In diesem Zusammenhang ist auch noch an die Verantwortung für die Umgestaltung der Altersvorsorge zu erinnern. Auch wenn man sich sehr gut verkauft, kann man aus dem, was gerade die neue SPD-Vorsitzende und frühere Arbeitsministerin Nahles mit der Rentenversicherung angestellt hat, keine Erfolgsgeschichte machen.
Ich zitiere von Seite 30 der Wahlanalyse:
Lediglich 33 Prozent der Befragten bewerteten eine Koalition von SPD und Linkspartei positiv. Rot-rot-grün wurde mit 61 Prozent noch deutlicher abgelehnt. Eine Koalition ins Spiel zu bringen, die vom Wahlvolk nicht gewollt wird, ist häufig der direkte Pfad in die Niederlage. …
Das bezog sich auf die Landtagswahl im Saarland. Und weiter zur Bundeskonstellation:
Nach wie vor gilt, dass eine rot-rot-grüne Koalition im Bund auf mehr Ablehnung als Zustimmung stößt (siehe Abbildung 26). Das Dilemma für die SPD: Einserseits ist sie gut beraten, das Vorhaben nicht explizit anzukündigen, andererseits muss sie eine realistische Machtperspektive aufzeigen.
Die entscheidende Passage ist von mir gefettet. Sie zeigt, wie schlecht die SPD von solchen Analytikern beraten ist. Denn wenn eines sicher ist: ohne ein klares Bekenntnis und eine strategische Öffentlichkeitsarbeit zugunsten einer „realistischen Machtperspektive“ wird sich das Meinungsbild nicht ändern.
Im Laufe meines politischen Lebens, auch als Wahlkampfberater und Wahlkampfmacher, hatten wir häufig Situationen, bei denen es für die eigene Position keine Mehrheit gab. Dann haben wir darum gekämpft und haben die Mehrheit erobert. Ein gutes Beispiel dafür ist die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze. Dafür gab es 1968, als die SPD auf ihrem Nürnberger Parteitag in einer harten Auseinandersetzung sich zu diesem notwendigen Schritt bekannte, keine Mehrheit. Ohne die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze wäre die gesamte Ostpolitik aber nicht möglich gewesen. Keine Verständigung mit Tschechien, keine Verständigung mit Polen, keine Verständigung mit der Sowjetunion.
Wie kann man nur so hasenfüßige Analysen machen! Analysen ohne Zukunftsperspektiven. Und das schreiben die Analytiker ja selbst auch noch auf! Von einem Dilemma zu reden, macht doch keinen Sinn. Da muss man von solchen Analytikern erwarten, dass sie wenigstens andeuten, dass man eine solche Konfliktsituation auflösen kann, zum Beispiel durch ein offensives Bekenntnis zu Rot-Rot-Grün. Offensichtlich haben die Analytiker Angst vor dem Rausschmiss durch die von den Seeheimern bestimmte Vorstandsverwaltung der SPD.
Eines kann man abschließend festhalten. Wenn sich die SPD-Führung auf solchen Analysen abstützt, dann wird sie den weiteren Absturz nicht verhindern können und nicht aus dem 20-%-Ghetto herauskommen.
„Zum guten Schluss
Schlussfolgerungen
Es liegen viele Herausforderungen vor der Parteiführung. Sie ernsthaft und konzentriert anzugehen, wird ein Kraftakt, den die Parteiführung nicht alleine wird stemmen können. Alle Mitglieder auf allen Ebenen müssen ihren Beitrag dazu leisten. Manche der Vorschläge werden leicht zu realisieren sein, andere werden auf Widerstände stoßen. Parteiführung und Parteivorstand dürfen Kritik nicht ignorieren, und doch sind sie gefordert, mutig voranzugehen. Es muss klar sein: Nach der Wahl ist vor dem Wahlkampf. Die Vorbereitung einer erfolgreichen Wahlkampagne beginnt am Tag Eins nach der gerade stattgefundenen Wahl.
— Verkrustungen aufbrechen
Das Denken in Lagern und Flügeln, in Parlamentarische Linke und Seeheimer, in Netzwerker, Refos und Stamokap ist eine Sichtweise von gestern. Dahinter steckt ein Politikverständnis, das außerhalb der Partei niemand mehr versteht und das nicht mehr vermittelbar ist. Der Respekt im internen Umgang, auch in der Auseinandersetzung, muss sich von einer Leerformel zu einer gelebten Selbstverständlichkeit entwickeln.
Die kollektive Verantwortungslosigkeit, die die letzten Jahre geprägt hat, muss ein Ende finden. Deshalb muss die Führungsspitze in Präsidium und Parteivorstand verschlankt und Verantwortung neu definiert und zugeschrieben werden. Klar muss aber auch sein: Jeder Genosse, jede Genossin – vom einfachen Mitglied bis hinauf zum Präsidiumsmitglied – trägt Verantwortung für den Zustand der Partei, im Guten wie im Schlechten.
Das Willy-Brandt-Haus braucht einen komplett neuen Zuschnitt. Es muss zuallererst in der Lage sein, Kampagnen zu organisieren, nicht Jubiläen, Podiumsdiskussionen und Preisverleihungen. Diesem Ziel ist alles andere unterzuordnen. Dazu gehört eine Politik der flachen Hierarchien, der offenen Türen, der Weitergabe von Wissen und der vertrauensvollen Kommunikation. Dafür muss die Parteizentrale in ein kommunikatives Kraftzentrum umgerüstet werden, falls nötig inklusive gebäudetechnischer Umbauten.
In den Arbeitsbereichen der Parteizentrale müssen Personalentwicklung, Personalaufbau und Qualifizierung der Beschäftigten und Führungskräfte vorangetrieben werden. Maßnahmen für ein strukturiertes Ein- und Aussteigen neuer MitarbeiterInnen muss festgeschrieben werden.
Die Parteischule sollte modifiziert, die Kooperation mit der Friedrich-Ebert-Stiftung und den Bildungsträgern der Landesparteien intensiviert werden. Neue Ortsvereins- und Unterbezirksvorsitzende sollten Qualifizierungsangebote erhalten, ebenso wie KandidatInnen der Landtage, des Bundestages und des Europäischen Parlaments – und zwar frühzeitig und verpflichtend. MandatsträgerInnen erfahren auf Wunsch Coaching und Begleitung bei der Parlamentsarbeit.
Das Kompetenzgerangel unter den verschiedenen Kraftzentren im WBH muss ein Ende haben. Eine kampagnenfähige Partei braucht ein strategisches Zentrum. Ein Zentrum, das eingespielt und divers besetzt ist.
Der Prozess der Entscheidung über die Kanzlerkandidatur muss neu geklärt werden. Der Personalvorschlag muss von der Parteiführung gemacht werden, bei mehreren KandidatInnen muss die Entscheidung von den Mitgliedern getroffen werden.
Sollten mehrere KandidatInnen im Rennen sein, müssen sie an der Kampagnenentwicklung beteiligt werden, die Wahlkampfleitung muss Prokura haben, unterschiedliche Kampagnen entwickeln zu können.
— Neue Kommunikationsstrategie
Unabdingbar ist die (Wieder-)Entdeckung einer strategischen Kommunikation. Dazu gehört ein/e profilierte/r KommunikationschefIn, der durchdeklinierte Einsatz von Begriffen, Sprache und Bildern. Das Agenda-Setting und Framing muss unabhängig von Wahlkampagnen zum Alltagsgeschäft werden. Dazu gehört eine konsequent auf 360 Grad ausgerichtete Kommunikationsstruktur. Das Nebeneinander von Presse, Social-Media, Targeting, Öffentlichkeitsarbeit, Werbung und analoger Kommunikation muss beendet werden. Das WBH muss rund um die Uhr kommunikationsfähig sein. Dazu gehört auch eine substanziell ausgestattete Social-Media-Task-Force.
— Den pragmatischen Mittelweg verlassen
Die SPD muss sich wieder eine Haltung zulegen und daraus Politik ableiten. Sie muss sich in den wesentlichen Fragen der Zeit wieder ein Profil erarbeiten. Die SPD wird, kann und muss es nicht allen WählerInnen und auch nicht allen GenossInnen Recht machen. Keine Haltung erkennbar werden zu lassen, um niemanden zu verschrecken, führt dazu, am Ende alle zu verlieren.
— Koordination Bund – Länder – Kommunen
Trotz der dramatischen Niederlage hat die SPD in vielen Kommunen, Ländern und im Bund eine Gestaltungsmacht. Die Möglichkeiten aus der Regierungsbeteiligung müssen enger koordiniert und sichtbarer genutzt werden.
— Allianzen pflegen
Die SPD muss wieder Bündnisse suchen, auch neue Bündnispartner. Wenn die SPD für Kampagnen prominente UnterstützerInnen sucht, muss sie den Kontakt langfristiger und ernsthafter pflegen als bisher. Auch neue Kooperationen mit der Zivilgesellschaft sind zwingend erforderlich: Das gilt flächendeckend, aber besonders für die Regionen, in denen die SPD strukturell gar nicht mehr in der Lage ist, sich als kümmernder Ansprechpartner zu präsentieren.
Auch innerhalb der Partei braucht es neue Bündnisse, besonders für die Landesverbände, die deutliche strukturelle Probleme aufweisen. Helfen kann der Aufbau einer permanenten Campaign-Gruppe. Enthusiastische und erfahrene Leute, die bereits Monate vor der Wahl in die Landesverbände entsendet werden, um diese (wieder) kampagnenfähig zu machen.
— Probleme konkret lösen
Das Lösen von lebensnahen Problemen muss einen höheren Stellenwert bekommen. Das setzt einen wacheren, schnelleren und auch unkonventionelleren Politikstil voraus. Die SPD wird nur Vertrauen und Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, wenn sie auf konkrete Herausforderungen konkrete Lösungen anbieten kann, wenn sie einen brennenden Ehrgeiz entwickelt, auf sich abzeichnende Mängel und Engpässe früher, schneller und effizienter zu reagieren.
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