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Titel: Leserbriefe zum Interview mit Janine Wissler in der ZEIT und dem Leserkommentar dazu.

Datum: 21. Juni 2018 um 10:00 Uhr
Rubrik: Innen- und Gesellschaftspolitik, Leserbriefe
Verantwortlich:

Zu diesem Beitrag in den Hinweisen des Tages vom 13. Juni gab es einige diametral gegensätzliche Zuschriften, die im Folgenden erscheinen, garniert mit einigen Anmerkungen der Redaktion. Es ist wichtig, dass diese Debatte geführt wird, denn in Schwarz-und-Weiß-Positionen zu verharren, führt in der Migrationsfrage, wie auch bei anderen Debatten, nicht weiter. Solange auf der Welt die derzeitigen Ungleichheiten und Konflikte weiter bestehen, wird es Migration und Flucht geben und genauso gibt es keine Lösung, bei der Alle vor Freude aus dem Häuschen geraten. Es sollte aber zumindest versucht werden, eine Politik anzustreben, die so human wie möglich ist, im Inneren, wie im Äußeren, für Ankommende wie für schon Ansässige. Davon sind wir leider weit entfernt, obwohl mit gutem Willen sicher viel mehr möglich wäre. Vielen Dank an die Leser, die uns geschrieben haben. Zusammengestellt von Moritz Müller.

1. Leserbrief

Liebe Redaktion,

Es hat mich doch sehr verwundert, dass Ihr den Leserbrief von Roland Kahl zu dem Zeit-Interview mit Janine Wissler abgedruckt habt. Wenn man sich die Aussagen von Janine Wissler mal genau durchliest, gibt es keinerlei Grund für die dort erfolgende Generalabrechnung mit der “offene Grenzen”-Position. Schließlich ist Janinie Wissler offenbar sehr nahe dran an konsensfähigen Positionen, mit der keineswegs eine neoliberale Arbeitsmarktpolitik durch die Hintertür gutgeheißen wird. Ganz anders als die Parteivorsitzende Katja Kipping, wo ich voll und ganz die gestrige Kommentierung von Jens Berger teile.

Herzliche Grüße
Karl-Heinz Peil

Antwort Jens Berger:

Lieber Herr Peil,

es ist ja schon richtig, dass Frau Wissler zum Glück nicht derart intrigant und verbohrt agiert wie Frau Kipping. Aber wenn ich mir solche Formulierungen …

Sein Ziel ist, dass Freizügigkeit ein universelles Menschenrecht ist. Dieses linke Selbstverständnis zu formulieren, dass der Mensch zählt und nicht der Pass, dass kein Mensch illegal ist, finde ich wichtig und entscheidend, auch wenn es erst mal um Zwischenschritte dorthin geht. 

… durchlese, ist Kritik an der Position doch wohl angebracht. „Freizügigkeit als universelles Menschenrecht“ ist doch kein „linkes Selbstverständnis“. Genau diese Formulierung habe ich sehr konkret schon vor mehr als zwei Jahren kritisiert – damals trug sie Christoph Butterwegge in einem Gastartikel bei uns vor. Kipping und Co. greifen diese Phrase übrigens auch gerne auf. 

beste Grüße
Jens Berger


2. Leserbrief

Liebes NDS Team,

Roland Kahl spricht mir und fast allen meinen Bekannten aus der Seele! Danke für den Mut, auch mal solche Meinungen zu Wort kommen zu lassen.

Viele herzliche Grüße H.N.


3. Leserbrief

Sehr geehrter Herr Müller,

der Kommentar des Mitlesers Roland Kahl, den Sie heute bei der Meldung Nr. 4 des Tages vollständig und ohne Kommentierung veröffentlichen, verlangt meinen vehementen Widerspruch.

Erstens halte die ich apodiktische Feststellung, „dass zu viel Zuwanderung der Hauptgrund für den Einzug der AfD in den Bundestag war“, für in gefährlicher Weise verkürzt und damit falsch. Es sollten doch vielmehr – um Herrn Kahls Diktion zu verwenden – sogar die Naivsten begriffen haben, dass nicht einfach zu viel Zuwanderung, sondern zu wenig öffentliche Mittel relativ zur Zahl der Zuwanderer, zu den Gefühlen von Überforderung, Zu-Kurz-Gekommen-Sein und Ungerechtigkeit geführt haben, die sich in den Wahlerfolgen der AfD äußern. Hätten wir eine vernünftige Sozial- und Wirtschaftspolitik mit hinreichenden Mindestlöhnen und sozialer Sicherung, dann bräuchten die Systemverlierer in ihrer Abstiegsangst die Zuwanderer nicht als Konkurrenz und Bedrohung zu sehen. Und hätten wir hinreichende Kapazitäten für die Bearbeitung von Asylanträgen, für Unterbringung und Ausbildung von Flüchtlingen, dann würden die Neubürger viel schneller von der Last zur Stütze.

Das führt mich zu zweitens: Herrn Kahls Aussage „Die bisherigen Zuwanderer kosten entgegen den unrealistischen Szenarien der Linken und Grünen den Sozialstaat mehr, als sie bringen. Das Argument, dass sich das ändert, wenn sie alle arbeiten würden, greift ins Leere, weil es so viele Jobs einfach nicht gibt.“ perpetuiert letztlich neoliberale Denkfehler, indem sie die Nachfrageseite ignoriert. Zusätzliche Wirtschaftsteilnehmer bieten aber nicht nur Arbeit an, sie fragen auch Leistung nach. In einem vernünftig organisierten, ausgewogenen Wirtschaftssystem befänden sich die beiden Seiten stets im Gleichgewicht, egal wie viele Menschen daran teilnehmen.

In diesem Lichte ist dann auch Herrn Kahls Vorwurf zu sehen, Katrin Göring-Eckardts Aussage: „Wir bekommen Menschen geschenkt“ sei „maximal naiv“. Ich verteidige die Dame nur äußerst ungern, aber selbstverständlich hat sie recht. Gesellschaftlicher Reichtum entsteht nur und ausschließlich durch Arbeit. Hätten wir – ich wiederhole mich – ein vernünftiges, ausgewogenes Wirtschaftssystem, dann müssten wir aus dem Häuschen sein vor Freude darüber, dass ausgerechnet Menschen in der Blüte ihrer Arbeitskraft auf eigene Kosten und Risiko herbeiströmen, um hier zu arbeiten. Dass wir das nicht sind und sein können, beweist nur, wie völlig verkorkst unser Wirtschaftssystem ist.

Letzteres aber weiß man als Linker eigentlich. Und als Linker sollte man eigentlich – per definitionem – den Anspruch haben, dieses hirnrissige System durch ein intelligenteres zu ersetzen, in dem nicht mehr die Ärmsten jedweder Herkunft zu leiden haben.

Ich teile weitgehend Ihre Kritik an der undurchdachten Utopie von „offene Grenzen für alle“ von Kipping und Ko. Aber einfach nur Aussperren nach CSU-Manier löst auch keine Probleme. Ohne staatliche Investitionen und Umverteilung von oben nach unten lässt sich Zuwanderung nicht stemmen, aber mit solchen Maßnahmen können Zuwanderer tatsächlich wertvoll werden.
 
Es würde mich freuen, wenn Sie diesen Einwand auf den Nachdenkseiten veröffentlichen könnten. Mit freundlichen Grüßen,
Konrad Lehmann


4. Leserbrief

Hallo,

seid ihr gehackt worden oder woher kommt diese (in der Tat dumpf-nationalistische) Anmerkung des Lesers Roland Karl? Und warum in dieser Länge?

An die rethorischen Fragen des Kollegen Reimann habe ich mich mittlerweile gewöhnt, sie regen ab und zu auch zum Nachdenken an.Kleiner Tipp: in Überdosis führen sie dazu, überlesen zu werden.

Die Kommentare von J.K. oder J.A. sind meistens auch lesbar. Aber meine schon öfters gestellte Frage: wer kommentiert da?

Ihr nehmt für euch in Anspruch, transparent zu sein. Dann erklärt mir bitte, wer dafür verantwortlich ist, dass ein derartig xenophober Kommentar wie der des Herrn Roland Kahl in dieser Länge auf den NachDenkSeiten erscheinen konnte.

Ich erwarte schon eine Antwort!

Kurt David

Antwort Jens Berger:

Lieber Herr David,

die Entscheidung, welche Leserkommentare und –anmerkungen veröffentlicht werden, trifft die für die jeweiligen Hinweise des Tages zuständige Redaktion; erkennbar an den Namenskürzeln am Ende der Einleitung. Bei stark polarisierenden Themen, wie der Migrationspolitik, ist es natürlich immer schwer, meinungsstarke Anmerkungen auszuwählen, die für unsere Leserschaft interessant, informativ und anregend sind und gleichzeitig eine Position vertreten, die repräsentativ für die Leserschaft ist. Diese Anmerkungen und Kommentare drücken dabei selbstverständlich immer die Meinungen der genannten Leser und nicht die Meinungen der Redaktion aus. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein. Um – gerade bei solch polarisierenden Themen – bei eifrig debattierten Themen ein breiteres Meinungsspektrum innerhalb unserer Leserschaft abzubilden, veröffentlichen wir regelmäßig Zusammenstellungen der Leserbriefe. So intransparent finde ich das nicht. Die Anmerkung von Herrn Kahl habe übrigens ich veröffentlicht – nicht, weil ich sie in allen Nuancen teile. Ich bin da eher bei Herrn Lehmann aus Leserbrief #3. Aber dennoch – das zeigen ja auch die zustimmenden Zuschriften – scheint die Anmerkung bei einem Teil unserer Leser große Zustimmung zu finden. Im Rahmen einer innerhalb der Leitplanken offenen Debatte sollte man diese Argumente daher m.E. auch debattieren. Denn das Ausblenden anderer Meinungen hat noch niemanden klüger gemacht; die offene Debatte hingegen schon. „Xenophob“ finde ich die Anmerkung übrigens nicht.

p.s.: Was die Länge der Anmerkungen in den Hinweisen des Tages angeht, bin ich ganz bei Ihnen.

p.p.s.: Haben Sie bitte auch Verständnis, dass wir einige Anmerkungen anonymisiert mit den Initialen des Kommentatoren angeben. Es ist leider nicht so, dass jeder Arbeitgeber bzw. Geschäftspartner es schätzt, wenn seine Mitarbeiter bzw. Geschäftspartner offen kritische Positionen zu politischen oder gesellschaftlichen Themen äußern. Wenn unsere Leser/Helfer lieber anonym bleiben wollen, ist das für uns ok; solange wir wissen, wer sich hinter den Initialen verbirgt.

Beste Grüße
Jens Berger


5. Leserbrief

Liebes NDS-Team,

was Herr Kahl in seinem Leserbrief schreibt, kann ich nur unterschreiben.Die Naivität, die der Selbstdestruktion von Deutschland und Europa bez. der Migrationspolitik entgegengebracht wird, ist erschreckend. Ich möchte diesbezüglich auf das Buch von Prof.Sieferle hinweisen, es hat den Titel:DAS MIGRATIONSPROBLEM-Über die Unvereinbarkeit von Sozialstaat und Masseneinwanderung. Es geht dabei genau um die Themata, die Herr Kahl anspricht. Diese werden in hervorragender und intelligenter Weise analysiert. Es ist sehr verwunderlich, dass man über dieses Buch so gut wie nicht spricht,wahrscheinlich ist man sofort” Nazi”, wenn man sowas liest.Es dürfte doch wohl den meisten Bürgern nun klar werden,dass man unseren  Noch-Sozialstaat nicht bis ad ultimum expandieren kann.oder man macht es und wird dann Zeuge, wie Deutschland seinen letzten Beitrag zur Weltgeschichte liefert. Michel Houellebecq läßt grüßen!!

Wie sagte Prof. Sieferle so eindrücklich:”Es wird irgendwann deutlich werden, dass eine Welt von no orders,no nations zugleich auch eine Welt von no welfare sein muß”.Verabschieden wir uns also endlich von der “Naivität” einer “empathischen und sentimentalisierten Flüchtlingsdebatte” Beschäftigen wir uns lieber mit den Realitäten und überwinden die Sprachverbote…….

Mit freundlichen Grüßen
S.Kreilinger

Anmerkung Moritz Müller: Wie kann man einen Staat, oder ein System, welches Waffen in alle Welt verkauft, dessen Partner offen Kriege anzetteln und dessen Reichtum auch auf unfairem Handel beruht, einen „Sozialstaat“ nennen? Und die Fähigkeit zur Empathie zeichnet den Menschen doch aus. Dies „naiv“ zu nennen, ist eigentlich schade.


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