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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Hinweise des Tages
Datum: 12. Januar 2010 um 8:23 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich: Kai Ruhsert
Heute unter anderem zu folgenden Themen: Schlecker macht Zeitarbeit endlich zu einem Thema; Schäuble bereitet auf Kürzungen vor; Falschspiel im Amt; Bundesbanker über überzogene Gewinnerwartungen; verschleppte Finanzaufsicht; das Trio Infernale der Rating-Agenturen; der eingebildete Kranke; Was macht die Schweinegrippe; unbesetzte Studienplätze auf der langen Bank; Ursula von der Leiharbeit; Springers Welt; Ansehensverlust in Afghanistan. (KR/WL)
Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
Anmerkung KR: Bei aller Verachtung für diesen Umgang mit Arbeitnehmern, in einem Punkt hat Schlecker recht: “Es sei befremdlich, dass Politiker, deren Parteien seit langem stets die Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse gefordert und gesetzlich gefördert haben, nun hier – offenkundig aus populistischen Motiven – mit einzustimmen scheinen”.
Anmerkung WL: … und am 9. Mai sind Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen. Vielleicht hätte die ZEIT noch fragen können, durch welche sozialen Leistungen sich die Menschen entmündigt vorkommen. Sie werden doch gerade durch Hartz-IV entmündigt.
Dazu:
Anmerkung AM: Während der Weihnachtspause auf den Nachdenkseiten brachte die FR ein Interview mit dem Bundesbankvorstand Hans-Helmut Kotz, das bemerkenswert war, weil es die Gefahr des Renditewahns trotz Bundesbank-Geschwurbels ziemlich klar zum Ausdruck gebracht hat.
Beachtlich auch diese Bemerkung zur Aufgabe der Finanzwirtschaft:
„Das Ziel der Aufsicht sind nicht niedrige Renditen, sondern ein robustes Finanzsystem, das seiner eigentlichen Aufgabe genügt, nämlich zuverlässig zwischen Sparern und Investoren zu vermitteln.“
Anmerkung KR: Die Versuchung, den Grund für die Verzögerung zu erraten, ist unwiderstehlich: Konnten die Experten, die das Gesetz schreiben sollen, von ihren Arbeitgebern nicht schnell genug freigestellt werden? Oder läuft gerade ein Ausschreibungsverfahren für die externe Erstellung eines Formulierungsvorschlags, und es sind noch nicht genügend Angebote von Anwaltskanzleien eingetroffen?
Anmerkung KR: Ein guter Überblick über das Rating-Unwesen; zwar schon vom 16. November 2009, aber dennoch lesenswert.
Anmerkung KR: Doch etwas weiter unten heißt es dann: „Allerdings rechnet das Ministerium nicht damit, dass die Entflechtung oft angewendet werden könnte. So erwartet es keine zusätzlichen Ausgaben des Kartellamtes für die neue Aufgabe. Auch heißt es in der Begründung, in der Praxis werde „der Bedarf für einen Rückgriff auf eine Entflechtungsbefugnis vielleicht eher eine untergeordnete Rolle spielen“.
Siehe dazu auch:
Widerstand gegen Entflechtungsgesetz: Stromkonzerne starten Gegenschlag
Die deutschen Stromkonzerne wehren sich gegen das Gesetz zur Zerschlagung von Unternehmen, das Wirtschaftsminister Brüderle vorantreibt. Ihre Lobbyisten haben Bedenken beim Ministerium vorgebracht Zudem ließen die Konzerne eine Studie anfertigen, mit der sie untermauern wollen, dass Brüderles Entflechtungsgesetz nicht notwendig ist. Rainer Brüderle (FDP) verteidigte seinen Gesetzentwurf, der es dem Staat erlaubt, als äußerstes Mittel auch Unternehmen zu zerschlagen, wenn der Wettbewerb nicht anders hergestellt werden kann. Der Minister sagte der FTD: “Wenn ein Unternehmen eine wirtschaftlich bedenkliche, marktbeherrschende Stellung gewinnt, muss der Staat die Möglichkeit erhalten, dieses Unternehmen zu entflechten.” Durch das Gesetz solle der Staat diese Kompetenz erhalten. Das Entflechtungsgesetz des Wirtschaftsministers sollte auch gegen Banken eingesetzt werden. Das fordert Patrick Adenauer, Präsident des Verbandes der Familienunternehmer. “Das Bundeskartellamt muss unsere Marktwirtschaft nicht nur vor der marktbeherrschenden Dominanz einzelner Konzerne schützen”, sagte er gestern. Die Möglichkeit der Entflechtung müsse von den Kartellwächtern auch als “scharfes Schwert” gegen die Finanzbranche eingesetzt werden.
Quelle: FTD
Anmerkung Orlando Pascheit: Klar: Mister Mittelstand steht für die steuerliche Entlastung kleinerer und mittlerer Unternehmer sowie die Lockerung des Kündigungsschutzes, und er ist ein Gegner des Mindestlohns. Dennoch dürfen wir sehr gespannt sein, ob Rainer Brüderle in dieser Frage die gleiche Hartnäckigkeit auszeichnet oder ob er einknickt.
Passend dazu:
Quelle: Message
Anmerkung WL: Diese Werbeanzeige wurde ohne Kennzeichnung (und mit Kommafehlern) als Anzeige im redaktionellen Teil auf Seite 4 der Ausgabe 01.2010 der „Hochschulzeitschrift“ aud!imax abgedruckt. Die Zeitschrift erscheint laut Wikpedia 9 Mal im Jahr mit einer Auflage von 415.000 Exemplaren. Thematische Schwerpunkte sind Studium, Karriere und Lifestyle. Und zum Lifestyle gehört wohl Reklame für Red Bull.
Anmerkung WL: Überall, wo Probleme auftauchen, liegen der Bundesregierung entweder keine Informationen vor oder sie verweist auf die Zuständigkeit der Länder bzw. der Hochschule. Was nützt es, wenn etwa die Bundesregierung gegen eine Quote bei der Zulassung zum Master ist, doch die Länder und die Hochschulen tun und lassen können, was sie wollen? Zum Chaos bei der Hochschulzulassung siehe “Vom Versagen der Politik und der Scheu vor Verantwortung” [PDF – 79 KB].
Anmerkung WL: Selbst dem gewiss Agenda-freundlichen Spiegel ging das zynische Gesülze von der Leyens wohl zu weit.
Siehe dazu Hartz IV von unten. Ein Leser, der aus verständlichen Gründen nicht genannt werden möchte, schreibt uns:
Ich weiß nicht, ob die pauschale Erhöhung des Regelsatzes von 298 (Sozialhilfe) auf seinerzeit 345, aktuell 359 Euro (Alg II), den kompletten Wegfall der Einmalleistungen wirklich kompensieren kann; sicher scheint mir hingegen, dass wohl kaum ein “Hartz IV”-Empfänger 50 Euro/Monat zurücklegt, um ggf. davon eine neue Waschmaschine/Kühlschrank/Brille etc. finanzieren zu können, wie es das Konzept der pauschalierten Abgeltung eigentlich vorsieht, weil es auch so schon schwierig genug ist, mit diesem Betrag über die Runden zu kommen.
Aber das ist auch nicht das Hauptproblem, das ich mit dieser tollen Arbeitsmarktreform habe. Ich glaube, dass von dem Prinzip “Fördern & Fordern”, das sich in der Theorie ja erst mal ganz vernünftig anhört, in der Praxis meistens nur “Fordern” übrig bleibt, weil die Arbeitsplätze, in welche die ehemaligen, arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger hinein vermittelt werden sollten, in ausreichender Anzahl gar nicht vorhanden sind.
Ersatzweise gibt es dann die berühmt-berüchtigten, weitgehend sinn- & perspektivlosen “Maßnahmen” (ABM/SAM/MAE), welche de facto nur den mit der Durchführung beauftragten Trägern nützen und die Statistik schönen (zu dieser Thematik gibt es einen ausgezeichneten Beitrag des WDR mit dem Titel “Die Armutsindustrie”). Die erhoffte “Brückenfunktion” zum ersten Arbeitsmarkt existiert jedenfalls definitiv nicht, genau so wenig wie der “Klebeeffekt” bei der Zeitarbeit.
Und auch viele “Erfolge” von Hartz IV erweisen sich bei näherer Betrachtung als statistische Taschenspielertricks, wenn z.B. insbesondere im Einzelhandel aus einem sozialversicherungspflichtigen Vollzeitjob drei Minijobs mit Aufstockeranspruch gemacht werden, weil das für den Arbeitgeber nebenkostenmäßig günstiger ist, dann sind per saldo auf dem Papier zwei zusätzliche Arbeitsplätze entstanden, auch wenn diese “prekär” sind und mit Steuergeldern subventioniert werden müssen, weil das Einkommen unter Grundsicherungsniveau liegt.
Doch mir ist klar, dass Sie diese Argumente allesamt aus dem FF kennen, höchstwahrscheinlich sogar viel besser als ich und mit vielen statistischen Erhebungen fundiert. Womit ich punkten kann ist, dass ich beide Seiten des ARGEn-Schreibtisches aus eigener Erfahrung kenne: Seit einiger Zeit bin ich selber (wieder) Alg II-Bezieher, war aber auch schon mal 12 Monate Arbeitsvermittler in einem Berliner Jobcenter, und zwar in einem auf arbeitsuchende Akademiker spezialisierten Team. Meine “Kundschaft” bestand aus ca. 260 Menschen mit technisch-naturwissenschaftlicher Ausbildung, also hauptsächlich Ingenieure wie mir selbst, davon die meisten jenseits der Senilitätsgrenze von 40 Jahren.
Es ist mir in der gesamten Zeit nicht gelungen, auch nur einen einzigen davon auf dem ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln – und zwar nicht nur nicht in ausbildungsadäquate Jobs – aber ich glaube nicht, dass das an mangelndem Engagement und/oder Unfähigkeit meinerseits bzw. der fehlenden Flexibilität meiner damaligen “Kunden” lag. Die meisten wären, genau wie ich selber, liebend gern dem ultimativen Appell unseres damaligen Superministers Clement gefolgt, dass ein Ingenieur notfalls auch einen anderen und schlechter dotierten Job akzeptieren müsse (bei den wenigen “Kunden”, die mir in dieser Zeit abhanden gekommen sind, handelte es sich zumeist um frischgebackene Uniabsolventen in aktuell gefragten Berufen, die nur übergangsweise Alg II beantragt hatten, während sie sich in eigener Initiative auf Stellenanzeigen für qualifizierte Jungfachkräfte in der FAZ oder SD, die der BA von den jeweiligen Arbeitgebern gar nicht erst gemeldet werden, beworben haben).
So viel zum angeblicenh Fachkräftemangel, der regelmäßig von Arbeitgebervertretern (“Hundt & Sau”) in den Medien beklagt wird. In Wahrheit wollen die aber nur keine älteren Mitarbeiter (wieder-)einstellen und ggf. auf eigene Kosten nachqualifizieren. Die Hartz IV-Fehlkonstrukteure sind m.E. von der unausgesprochenen Unterstellung ausgegangen, dass die (Langzeit-)Arbeitslosen nur zu faul oder zu anspruchsvoll seien, und wenn man denen gehörig Beine macht, dann klappt’s schon mit dem neuen Job (schließlich hat unser damaliger Basta-Abkanzler ja auch alle Lehrer pauschal als “faule Säcke” diffamiert, was ich aus eigener Anschauung nur partiell bestätigen kann; ich hatte nämlich auch schon mal einen 12monatigen ABM-Job an einer Berliner Realschule mit 80%igem türkisch-arabischem Migrationshintergrund, und mit den dortigen Lehrern hätte ich trotz aller Privilegien des Beamtenstatus nicht unbedingt tauschen wollen).
Die Mammutbehörde BA kam mir in ihren hierarchischen Organisationsstrukturen und bürokratischen internen Betriebsabläufen immer vor wie eine zentralistische Planwirtschaft à la DDR im Kleinen: In Nürnberg sitzt das “Politbüro” und erlässt in völliger Unkenntnis der Realitäten vor Ort und auf der Basis manipulierter Statistiken (jeder Teamleiter weiß, dass er nur Karriere machen kann, wenn er zumindest auf dem Papier die geforderten Vorgaben erreicht) weltfremde Dekrete.
Im Jobzentner hatte ich übrigens eine Kollegin mit über 30jähriger Berufserfahrung als Arbeitsvermittlerin, und diese hat immer gesagt: “Ich hätte schon ‘ne Menge Ideen, was man hier besser machen könnte, aber auf mich hört ja keiner. Im Gegenteil, mit Änderungs- & Verbesserungsvorschlägen macht man sich bei den großen ‘Strategen’, die alles besser wissen, obwohl sie von der Praxis vor Ort keine blasse Ahnung haben, nur unbeliebt. Stattdessen muss ich mir jetzt von irgendwelchen überbezahlten BWL-Yuppies von McKinsey & Roland Berger, die frisch von der Uni kommen und von unserer Aufgabenstellung Null Ahnung haben, erklären lassen, wie ich meine Arbeit, die ich seit über 30 Jahren mache, effektiver gestalten muss.”
Herr Weise hätte mit Sicherheit einen größeren Erkenntnisgewinn, wenn er mal anonym eine Woche lange in einem Jobcenter in einem “sozialen Brennpunkt”, wo die Praktiker an der Basis all diese tollen theoretischen Schreibtischkonzepte umsetzen müssen, hospitieren würde, anstatt nur die Excel-Tabellen & PowerPoint-Präsentationen seiner Referenten zu studieren. Aber ich weiß, dass man sich mit solchen Vorschlägen, erst mal das gigantische Erfahrungspotenzial der eigenen Mitarbeiter zu nutzen, bevor man für teures Geld fragwürdige “externe Expertise”, die oft nur aus rhetorisch aufgeblasenen Binsenweisheiten besteht, einkauft, lächerlich macht und bestenfalls ein mitleidig-süffisantes Grinsen erntet (es sei denn, man heißt Roland Berger und faselt etwas von “Kaizen”).
Ich könnte wahrscheinlich noch stundenlang weiterschreiben, aber ich möchte Sie nicht langweilen. Mir ist bewusst, dass ich ein wenig zu polemisch-pointierten Übertreibungen & Zuspitzungen tendiere, aber das ist so meine persönliche Methode, meinen Frust durch rhetorische Provokationen abzureagieren.
Dazu auch:
Dabei war es doch eindeutig der Nationalsozialismus und nicht der Nationalkapitalismus, der die Menschheit in Unglück und Vernichtungswahn gestürzt hat.
Quelle: Die Welt Online
Anmerkung WL: So viel Geschichtsverfälschung, so viel Großmannssucht und so viel ideologisch bornierten Unsinn findet man selten in einer Rede, und die „prominenten“ Zuhörer auf dem Neujahrsempfang der Welt-Gruppe dürften daher wohlgefällig geklatscht haben (siehe das Video).
Der National-„Sozialismus“ habe die Menschheit in Vernichtungswahn gestürzt. Sind nicht die Sozialisten und Sozialdemokraten zuerst im Gefängnis oder KZ gelandet? Wer, wenn nicht die nationalkonservativen Kapitalisten à la Hugenberg, Krupp als späterer „Wehrwirtschaftsführer“, Friedrich Flick oder antisemitische Bankiers haben Hitlers Wahlkämpfe finanziert und ihm zur Macht geholfen? Wer hat sich denn am Eigentum der umgebrachten Juden bereichert?
Nur 26 Prozent der noch Beschäftigten würden es vorziehen, sich bei Arbeitslosigkeit selbstständig zu machen, 45 Prozent würden lieber Arbeitslosengeld beantragen. Das überrascht den Springer-Chef. Das ist das Perfide an diesen Managertypen, die keinen Tag in ihrem Leben selbstständig waren, sondern sich zwecks Karriere hemmungslos angepasst haben, als Handlanger von Kapitalgebern gelandet sind und dann den Kult der Selbstständigkeit predigen – wohl wissend, dass sie für unternehmerische Fehlleistungen nie zur Verantwortung gezogen, sondern mit Millionenabfindungen noch belohnt werden.
Würde Döpfner nur einmal statt in seiner Karosse mit der Berliner U-Bahn fahren, dann würde ihm der „Versorgungsstaat“ und „Fürsorgestaat“ in seiner brutalen Wirklichkeit begegnen.
Selbst das Grundgesetz dürfen diese Systemveränderer von oben als „Dokument der Selbsteinhegung“ verunglimpfen.
Nicht ein „Exzess zu großer Freiheit“ habe zur Finanzkrise geführt, sondern Amerika als einer „der am stärksten regulierten Finanzplätze“, und in Deutschland waren es natürlich die Landesbanken. Döpfner leugnet glatt, dass Deregulierung jahrzehntelang die Devise für den US-Finanzmarkt war. War es nicht Alan Greenspan, der eingestehen musste, dass er die Fähigkeiten des Marktes überschätzt hat?. Und dann natürlich der Sündenbock „Staatsbanken“.
Waren die HRE, die Commerzbank, die IKB Staatsbanken? Waren die Landesbanken nicht die Trottel, die den Investmentbankern hinterherliefen (siehe dazu „Die Landesbanken sind die schlimmsten“)?
Steuersenkungen jedenfalls seien das bessere Konjunkturprogramm als Staatsintervention und Subvention. Denn spätestens seit Hermann Josef Abs wüssten wir: „Eine Million Steuerzahler verhalten sich vernünftiger als eine öffentliche Hand“. Da hat Döpfner unfreiwillig Recht: Die Mehrheit der Steuerzahler hält nämlich die Steuersenkungen der schwarz-gelben öffentlichen Hand für absolut „unvernünftig“.
Anmerkung WL: Wie auch immer man eine Umfrage in einem Land im Krieg bewerten mag.
Quelle: Frankfurter Rundschau
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