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Titel: Kritischer Journalismus in der ZEIT: Frau Merkel, wieviele SMS verschicken Sie am Tag?
Datum: 6. Juni 2018 um 11:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, Medienkritik, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Redaktion
Stellen Journalisten die wirklich wichtigen, zwingend notwendigen Fragen an Politiker? Mitunter ja. Oft leider nicht. DIE ZEIT hat in einem Beitrag unter der Überschrift „Jetzt mal ehrlich, Frau Merkel“ 25 Fragen an die Bundeskanzlerin formuliert. Wer sich die Fragen anschaut, sieht schnell: Hier spiegelt sich in verdichteter Form der kritikwürdige Zustand des Journalismus unserer Zeit wider. Die wirklich kritische Perspektive ist eine Seltenheit. Fokussiert wird auf Nebensächlichkeiten und persönliche Befindlichkeiten.
Ein Beitrag von Marcus Klöckner.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Seit geraumer Zeit erleben wir in vielen westlichen Demokratien ein enormes Spannungsverhältnis zwischen „den Eliten“ bzw. Politikern und „den Bürgern“. Immer wieder besagt die Diagnose, dass es einen Bruch zwischen „denen da oben“ und „denen da unten“ gibt.
Der Bruch zwischen politischen Eliten und den Bürgern hat auch sehr viel damit zu tun, dass Journalisten großer Medien kritische Fragen, die aus der Bevölkerung kommen, nicht, zu selten oder mit zu wenig Nachdruck stellen.
Geradezu mustergültig zeigt sich anhand von Fragen, die die Redaktion der ZEIT (auch online erschienen) ausgearbeitet hat und die an Angela Merkel adressiert sind, dass der Journalismus unserer Zeit große Probleme damit hat, die Kommunikation von „unten“, aus der Bevölkerung aufzunehmen und an die Politik heranzutragen.
Anlass für die Fragen der Wochenzeitung ist eine 60-minütige Fragerunde, der sich Angela Merkel am heutigen Mittwoch im Parlament stellen muss. Die Redaktion der ZEIT schließt sich also der Fragerunde an und stellt in einem Artikel 25 eigene Fragen an Merkel.
Unter der Überschrift: „Jetzt mal ehrlich, Frau Merkel“, versehen mit der Unterzeile: „Was wir schon immer von der Kanzlerin wissen wollten“, finden sich die Fragen.
Bevor wir auf diese genauer eingehen, an Sie liebe Leserinnen und Leser der NachDenkSeiten die Bitte: Überlegen Sie sich selbst einmal, welche Fragen Sie Angela Merkel stellen würden, wenn Sie die Möglichkeit dazu hätten. Und dann bitte vergleichen Sie Ihre Fragen mit den nun folgenden.
Zoomen wir in die Fragen rein.
Die Fragen 4, 5, 7, 12, 14, 15, 17, 18, 20, 22, 23, 25 sind weitestgehend politisch entleert. Viele von ihnen fokussieren stark auf die persönliche Ebene. Hier versuchen Journalisten zum großen Teil Emotionen rauszukitzeln und private Empfindungen und Gedanken der Kanzlerin zum Vorschein zu bringen. Ein Teil der Fragen mutet geradezu grotesk an und sie ließen sich problemlos als ein Stück Realsatire einordnen (man fühlt sich an einen großartigen satirischen Beitrag von John Oliver erinnert. Der britische Satiriker setzt sich darin kritisch mit dem Journalismus auseinander. Gegen Ende des Beitrags sieht man, wie ein Journalist das Thema Korruption in seiner Stadt aufgreifen möchte. Doch sein Themenvorschlag stößt auf kollektive Ablehnung in der Redaktion. Stattdessen sind seine Kollegen völlig begeistert von einer Geschichte über einen Waschbär, der wie eine Katze aussieht. Oder ist es eher eine Katze, die einem Waschbär ähnelt? Eine wichtige Frage, der man unbedingt nachgehen muss.)
Wovor Merkel nun Angst hat, wie viele SMS sie an ihren Ehemann täglich verschickt, welchen Traum Merkel als Kind hatte, der nie wahrgeworden ist usw. usf. sind Fagen, die beispielhaft einmal mehr zeigen, wie Journalisten durch ein Interesse an Belanglosigkeiten den kritischen politischen Journalismus ins Abseits drängen.
Man sollte hier nicht den Fehler machen und über den Artikel und die Fragen mit einem müden Lächeln hinwegsehen und sie einfach nur als einen Schnellschuss der Redaktion betrachten, der nicht sonderlich gut überlegt wurde oder nur mit einem Augenzwinkern zu verstehen ist.
Wer die Berichterstattung der Medien beobachtet und sich mit dem gelieferten Journalismus auseinandersetzt, hat kaum eine andere Wahl, als zu der Ansicht zu kommen, dass die Fragen einen exemplarischen Abriss dessen liefern, wie in Redaktionen gedacht und welche Prioritäten gesetzt werden.
Von 25 Fragen, die die Redaktion an die Politikerin Merkel stellt (als „Anwalt der Öffentlichkeit“), sind 12 unpolitisch. 13 haben eine politische Dimension, aber nur 3 davon darf man als einem kritischen Journalismus würdig betrachten. Viele der politischen Fragen gehen nicht auf konkrete Probleme der Bürger ein, bewegen sich auf einer „gefälligen“ Ebene, zielen auf abstraktere politische Probleme, die vor allem auf die persönlichen Überzeugungen der Akteure im journalistischen Feld selbst schließen lassen und verweisen zudem noch auf eine Unbelehrbahrkeit in den Redaktionen, endlich eine andere Gewichtung in der Berichterstattung vorzunehmen. Und zu alledem ignoriert man die Interessen der Ärmsten im Land gleich 25 Mal hintereinander. Da ist man eher daran interessiert, warum Merkel Schäuble nicht dazu gedrängt hat, dass Deutschland 2 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes für Verteidigungsausgaben ausgibt, als dass man danach fragt, warum Merkel in ihren vielen Jahren als Kanzlerin die Armut im eigenen Land und speziell die Kinderarmut nicht bekämpft hat.
Dass überhaupt Fragen wie die hier besprochenen Journalisten in den Sinn kommen, lässt tief blicken. Doch das ist nur das eine. Das andere ist (und das ist erschreckend): Offensichtlich haben die Verantwortlichen in der Redaktion kein Qualitätsproblem bei den Fragen entdeckt.
Wer nun meint, die hier angestellten Überlegungen seien nicht zutreffend, dem sei ein Blick in das Forum unter dem Artikel empfohlen. Zur „Gegenprobe“ lese man die kritischen Anmerkungen und Fragen der Leser. Die Diskrepanz zwischen den Fragen, die Journalisten der ZEIT Merkel gestellt haben und den Fragen, die die Leser stellen, ist groß. Aber: Bei aller Kritik an diesem so harmlos, spielerisch wirkenden Artikel, er hat durchaus auch seinen Wert. Er ist eine Fundgrube, wenn es darum geht, anschaulich zu erfahren, wie berechtigt die Kritik am Journalismus unserer Zeit doch ist.
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