Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (JK/JB)
Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:
- Keiner mag uns – warum nur?
Natürlich exportieren wir viel, auch weil wir gute Produkte anbieten. Und natürlich gibt es politisch Argumente dafür, dass deutsche Politiker darauf achten, was mit den Geldern aus Deutschland gemacht wird, die zur Abwendung einer Staatspleite ausgeliehen wurden. Und natürlich kann nicht jeder machen, was er will, wenn man eine gemeinsame Währung teilt. Alles richtig. Trotzdem ist es eine Katastrophe, was deutsche Politverantwortliche in beiden Angelegenheiten seit Jahren getan haben – und wie wenig das hierzulande als Katastrophe wahrgenommen wird.
Es kann auf Dauer einfach nicht gut gehen, wenn ein Land so unfassbar viel mehr Geld damit verdient, dass Leute in anderen Ländern schöne deutsche Autos oder Maschinen kaufen, als das Land selbst Waren aus dem Ausland kauft. Deutschlands entsprechender Leistungsbilanzüberschuss liegt mittlerweile bei atemberaubenden fast 300 Milliarden Euro – so viel Geld muss im Rest der Welt de facto an Kredit aufgenommen werden, um deutsche Waren zu kaufen; weil wir nicht genauso viel im Ausland kaufen.
Selbst wenn es keinen Donald Strafzoll Trump gäbe: So etwas führt früher oder später zur nächsten Schuldenkrise. Und da hilft es auch nicht, zum x-ten Mal darauf zu verweisen, dass die Deutschen halt alle alt werden und zur Vorsorge sparen müssen. Das müssen andere auch. Das ändert nichts daran, dass durch den einseitigen Exporteifer international gefährliche finanzielle Schieflagen entstehen.
Es ist auf Dauer auch absurd zu glauben, dass es gut geht, wenn deutsche Geld- und Lehrmeister in anderen Ländern darauf pochen, dass diese oder jene Regierung nun bitte hier und da ordentlich zu kürzen oder Steuern anzuheben habe – oder der Deutsche Bundestag mit all seiner himmlischen ökonomischen Kompetenz darüber entscheidet, ob die Griechen jetzt genug getan haben, um Geld zu kriegen oder nicht.
All das ließe sich noch ertragen, wenn es ökonomisch wenigstens als gesichert gälte, dass das Kürzen die Wirtschaft stärkt und am Ende wieder alle etwas davon haben – das glauben aber nur noch deutsche Altökonomen und politische Ökonomieamateure.
Unter führenden Experten ist Konsens, dass allzu harsche Austerität kontraproduktiv wirkt – weil der Wirtschaft dabei die Leute abhanden kommen, die genug Geld verdienen, um Waren zu kaufen. Wenn das stimmt, heißt das nichts anderes, als dass frühere deutsche Finanzminister wie Wolfgang Schäuble demokratisch gewählten Kollegen anderer Ländern über Jahre schlechte Politik aufgepresst haben, die alles nur schlimmer macht (und die übrigens die Deutschen selbst auch nicht praktiziert haben – gegen die Sparpakete Griechenlands und Italiens war die Agenda 2010 ein Paradies).
Quelle: Thomas Fricke auf SPON
Anmerkung JK: Auf den NachDenkSeiten finden sich dazu weitere ungezählte Beiträge und Hinweise, die verdeutlichen, dass man sich aus einer wirtschaftlichen Krisensituation nicht heraus sparen kann. Wie auch Fricke in seinem Beitrag aufzeigt endet diese Politik regelmäßig im ökonomischen Desaster – siehe Griechenland. Weshalb wird die Austeritätspolitik dennoch weiter durch die Neoliberalen propagiert? Auf deren absolute ökonomische Beschränktheit zu schließen greift zu kurz. Dazu sollte man reflektieren, dass das Austeritätsdiktat über Griechenland mit einem radikalen Programm zur Privatisierung öffentlicher Infrastruktur verbunden ist. Mit der “Sparpolitik” sollen dem Staat die finanziellen Mittel entzogen werden Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge unterhalten zu können um diese dann privaten “Investoren” zur Ausbeutung zu überlassen. Es geht schlicht und ergreifend darum das Geld der Bürger in den Sektor der Finanzindustrie und letztendlich in die Taschen der Superreichen umzuleiten.
Das ist die Antwort:
“Unerträgliche deutsche Arroganz”: Der Spiegel sorgt mit Spaghetti-Galgen als Symbol für Italien-Krise für Kritik
Für das Titelbild der aktuellen Spiegel-Ausgabe haben sich die Macher das italienische Nationalgericht zu Hilfe genommen: Die Spaghetti. Jedoch nicht ganz so harmlos, wie man sonst von einer Nudel denkt: Statt lediglich um eine Gabel gewickelt, bildet sie am einen Ende einen Galgenstrick. Betitelt ist das Cover in den Farben der italienischen Nationalflagge mit “Ciao amore! Italien zerstört sich selbst – und reißt Europa mit”.
Das Cover des Nachrichtenmagazins sorgt für Empörung. Der Professor und Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, empfindet es als geschmacklos und sieht sich genötigt etwas klarzustellen:
“A terrible way to polarize Europe. Distasteful cover of Der Spiegel, one of Germany’s most important papers.
Be assured: this is certainly not the view of the majority of Germans! #in
— Marcel Fratzscher (@MFratzscher) June 2, 2018“
In einem weiteren Tweet schreibt er, dass Provokation wichtig für die Medien sei, “Respektlosigkeit sollte es jedoch nicht sein”. Ähnlich sieht das der pensionierte Ökonom Stephan Schulmeister, der am österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitut gearbeitet hat.
„ Eine Geschmacklosigkeit der Sonderklasse, in Italien weckt man so die Erinnerung an die deutschen Massaker von Marzabotto etc. wie zuvor in Griechenland an jene von Distomo etc. Diese Dummheit SPIEGELt nicht das Denken der meisten Deutschen, der AfD-Fans aber wohl…
— Stephan Schulmeister (@StSchulmeister) June 2, 2018“
Es sei zudem eine Geschmacklosigkeit der Sonderklasse. Er präzisiert in einem anderen Tweet noch einmal die Klarstellung von Fratzscher: “Die Dummheit SPIEGELt nicht das Denken der meisten Deutschen, der AfD-Fans aber wohl”.
Quelle: Meedia
- Seid willkommen, Verdammte dieser Erde
No Border, No Nation: Wie ein moralisch motivierter Kurzschluss DIE LINKE zu zerstören droht
Offene Grenzen für Menschen in Not und regulierte Einwanderung – das sind die Grundsätze linker Parteien in Europa, wenn es um Flucht und Migration geht. Dieser Konsens enthält – je nach Geschichte und aktueller Lage des jeweiligen Landes – allerlei Variationen. Aber die humanitäre Verpflichtung und die Notwendigkeit, Immigration zu regeln, sind der selbstverständliche Ausgangspunkt.
Die britische Labour Party, die in einem spektakulären Turnaround wieder zu einer linken und starken Partei geworden ist, fordert in ihrem Wahlmanifest „faire Regeln und ein vernünftiges Management der Migration“.[1] Labour stellt sich der doppelten Herausforderung: Was ist unsere moralische Verpflichtung angesichts des mit Flucht und Migration verbundenen Leids, und was ist politisch durchsetzbar? In der Linkspartei ist das seit einiger Zeit anders. Genossinnen und Genossen, die solche Fragen stellen, werden zur Zielscheibe übler Verbalgeschosse, abgefeuert mit dem Gestus überschäumender Gesinnungsethik. Die Bewegung von Menschen sei auf humane Weise nicht regulierbar. Deshalb könne es nur eine Lösung geben: alle dürfen kommen, alle dürfen bleiben. Schleift sofort alle Grenzen, vergesst die Nation. No Border, No Nation.
In dieser Denkweise entspringt das politische Mittel unmittelbar aus dem moralischen Zweck. Jede Abwägung, jede Frage nach den Voraussetzungen und den Folgen vollkommen freier Migration, jede Warnung vor dem Risiko entgrenzter Arbeitsmärkte, jeder Verweis auf andere und wirksamere Möglichkeiten der Bekämpfung von Not und Armut sei eine Abweichung vom Pfad der Humanität. Die No-Border-Fraktion exkommuniziert jeden Einwand. Wer die Bewegung von Menschen in irgendeiner Weise – und sei es auch sanft, großzügig und rechtsstaatlich – steuern will, sei letztlich zum Töten bereit.
In dieser Logik gerät jede andere Position in den Verdacht des gewaltbereiten Wohlstandschauvinismus. Wer das Asylrecht stärken will, aber schrankenlose Immigration ablehnt, ist ein elender Nationalist. Wer wie Union, SPD und auch Grüne an Einwanderungsgesetzen bastelt, die nach Kriterien der Nützlichkeit selektieren, müsste folglich dem Faschismus nahe sein. Und für Seehofer und die AfD gäbe es keinen Begriff mehr. […]
Wagen wir also für die Bundesrepublik durchzubuchstabieren, was die No-Border-Fraktion der Linkspartei verlangt. Die Beschränkung auf Deutschland ist legitim, weil bislang nicht geäußert wurde, dass die Migrationsfreiheit nur dann gelten soll, wenn andere europäische Länder, die ganze EU oder die Gesamtheit der Industrieländer mitziehen. Respice finem – beachte das Ende. Was also könnte geschehen, wenn die Bundesrepublik Deutschland im Alleingang ihre Grenzen schleift und wenn wir der Welt zurufen: „Alle können kommen, alle dürfen bleiben – gewaltfrei und mit Rechtsgarantie“. […]
Seid willkommen, Verdammte dieser Erde. Diese Losung kann, wenn sie vereinend wirken soll, nur bedeuten: starkes Asylrecht plus regulierte Einwanderung. Mit einer sektiererischen No-Border-Position landet DIE LINKE in selbstverschuldeter Isolation. Dieser akademische Verbal-Internationalismus eines sofortigen und unbegrenzten Immigrationsrechts wird die Rechten stärken. Wacht auf, Ihr LINKEN dieses Landes.
Quelle: Hans Thie
Anmerkung Jens Berger: Sehr lesenswert! Sollten Sie (noch) nicht so im Thema sein, schauen Sie sich bitte ruhig auch einmal die Artikel an, die auf den NachDenkSeiten zum Thema erschienen sind.
- Didier Eribon – Nationalismus ist auch ein Problem der Linken
Populisten gelangen in Europa immer öfter an die Macht. Der französische Soziologe benennt die Gründe für ihren Erfolg. Nun plädiert er für ein anderes Europa In Rückkehr nach Reims (Suhrkamp) beschreibt der französische Soziologe Didier Eribon die mühevolle Wiederannäherung an seine proletarische Herkunft. Das Buch wurde im deutschsprachigen Raum zu einem großen Erfolg. Auch deshalb, weil es eine kluge Analyse dessen liefert, war um die Arbeiterschicht heute mehrheitlich rechts wählt. Auf Einladung der Akademie der bildenden Künste und der Universität Wien besuchte Eribon diese Woche Wien und präsentierte sein Nachfolgebuch Gesellschaft als Urteil. 400 Leute seien ge kommen, erzählt er bei unserem Zusammentreffen strahlend.
STANDARD: Beginnen wir mit einem aktuellen Bild aus der Politik: Italien steht vor einer populistischen Regierung. Präsident Mattarella versuchte offenbar umsonst, diese abzuwenden. Welche Assoziationen weckt das bei Ihnen?
Eribon: Die Situation in Italien ist vielschichtig. In Städten wie Genua oder Turin, die in den 1970er-Jahren Hochburgen der Kommunistischen Partei waren, wird heute die Fünf-Sterne-Bewegung oder Lega Nord gewählt. Es ist genau das passiert, was ich in Rückkehr nach Reims beschrieben habe. Die Linke hat aufgrund eigener Fehler verloren. Mattarella wollte die EU vor der Bedrohung der beiden Bewegungen schützen – man kann das durchaus verstehen. Doch er hätte damit auch jene EU-Politik gestärkt, die primär neoliberal ausgerichtet ist. Die Prekarisierung hat die Menschen erst dazu gebracht, für die Populisten zu stimmen. Was dieses Bild also nahelegt, ist, dass wir ein anderes Europa brauchen: eines, das auf Arbeiterrechten aufbaut; ein soziales, kulturelles Europa, nicht dieses neoliberale, das Menschen Lebensgrundlagen nimmt.
Quelle: Der Standard
- »Wir müssen aufhören, unsere eigenen WählerInnen zu demobilisieren«
Der LINKE-Politiker Wulf Gallert über die Europa-Politik seiner Partei und die Wahlen zum EU-Parlament 2019 […]
„Nicht erst seit heute, und ich prognostiziere das auch für die nächsten Jahre, hat die LINKE eine ziemliche Breite in der Positionierung zur europäischen Integration. Es gibt die klare Pro-Haltung von Katja Kipping oder von Gregor Gysi, es gab den Antrag für eine »Republik Europa«, auf dem letzten Bundesparteitag, dagegen die Standpunkte von Sahra Wagenknecht oder Fabio De Masi. Es gibt die Debatte um »Plan B« oder die Frage, wie wir die Position von Jean-Luc Mélenchon und dessen Identifikation mit dem Nationalstaat als Alternative zur EU einschätzen.
[…] Also müsste ganz klar ein pro-europäischer Wahlkampf geführt werden mit dem Anspruch, die gegenwärtige EU zu verändern?
Ich denke schon. Und das ist auch möglich. Wir haben nicht das Problem, dass unsere potenzielle Wählerschaft in zwei völlig konträre Gruppen auseinanderfällt. Nämlich die einen, die hundert Prozent Pro-Europa sind und den Nationalstaat überwinden wollen, und die andere, die die EU als neoliberales Teufelswerk betrachtet und meint, beispielsweise Sozialpolitik ließe sich nur auf nationalstaatlicher Ebene organisieren. Die große Mehrheit ist aufgeschlossen gegenüber der europäischen Integration, auch wenn sie vollkommen zu Recht den Zustand der Europäischen Union kritisiert. […] Die europäische Integration ist für viele linksorientierte Menschen auch die Antwort auf Nationalismus, eine Positionierung gegen Rassismus und den Aufschwung der Rechten. Und gerade für den Osten Deutschlands gibt es noch einen anderen Zugang zur Europäischen Union: Wir haben mit den europäischen Strukturfonds seit zwanzig Jahren viele Milliarden Euro in die Sanierung der Regionen gesteckt.
Quelle: Neues Deutschland
Anmerkung unseres Lesers T.S.: In der schwersten Krise der EU, nach CETA, Erpressung von Regierungen in Italien und Griechenland, massiver Militarisierung der EU, dreckigen Deals mit Erdogan und Einstellung von Seenotrettung und vor allem wirtschafspolitisch immer verrückteren Vertragstexten (von Maastricht-Kriterien bis Six-pack, Two-Pack etc) soll also ein pro-europäischer Wahlkampf geführt werden. Wen Gallert erreichen möchte, wird deutlich: nur die liberale Mittelschicht, die in etwas verbohrter Weise das Heil in der EU sieht, aber oft gar nicht benennen kann, wieso. Die AfD und andere freuen sich, wenn DIE LINKE als EU-kritische Kraft ausfällt. Hier sieht man auch, welche Auswirkungen die Fixierung der Parteivorsitzenden Kipping/Riexinger auf die urbanen Mittelschichts-Milieus hat. Statt überzeugend realistische linke Positionen zu vertreten, passt man sich an den Mittelschichts-Mainstream an.
Aus unerklärlichen Gründen bauen die Ostlandesverbände in der Linken den Wahlverlierer und Frauenversteher Wulf Gallert übrigens als neuen Europaexperten auf und wollen ihn kommendes Jahr auf die Bundesliste zur Europawahl parken. Hast Du nen Opa… Dass Herr Gallert dafür wenig geeignet ist, zeigt dieses Interview. Er scheint die Debatte um einen Plan B, die sich nach der Erpressung der griechischen Syriza-Regierung durch die Troika gebildet hat, nie verstanden zu haben. Der Grundsatz von Plan B ist „Wir versuchen, auf EU-Ebene Dinge zu verändern. Wenn dies nicht klappt, weil es im Rat der EU zu viele Veto-Spieler gibt, um die Grundlagen/Verträge zu ändern, dann gehen wir zur Not unilaterale Wege und führen solche EU-Gesetze, die gegen eine linke Politik stehen, nicht mehr aus.“ Das ist eine sinnvolle Strategie, um auch die eher pro-EU eingestellten Mittelschichtler „abzuholen“ und anhand von Sachpolitik zu erden. Für Gallert scheint das böser Nationalismus zu sein. Irre. Kürzlich war zu lesen, dass ein Drittel der wirtschaftspolitischen Forderungen von Corbyns Labour Programm gegen EU-Recht verstoßen würden – was als positiver Nebeneffekt des Brexits für die Briten nun ein kleineres Problem ist. Aber was heisst das für uns: Wie wäre es mit einer voll in öffentlicher Hand befindlichen Bahn oder Post, die über profitable Bereiche eine Grundversorgung in allen Ecken des Landes quersubventionieren und ermöglichen könnte. Dafür müsste man den liberalisierten irren Wettbewerb auf der Schien und im Paketwesen beenden, der eh nur zu Lasten der Beschäftigten und des Service geht. Beides ist aber mit EU-Recht nicht vereinbar! Opportunistischen Wohlfühl-Linken wie Gallert ist das wohl zu konkret. Sie schwafeln von pro-europäisch und dass man die EU ja reformieren könne, sagen aber NIRGENDWO, wie genau das passieren soll – haben also überhaupt KEINE STRATEGIE, wie man mit den realen Machtverhältnissen und Vertragswerken der EU umgehen möchte. Schließlich: Dass die marktliberale Politik der EU einer der Gründe für den Aufstieg rechter Kräfte in Osteuropa ist, ist Herrn Gallert ebenso unbekannt, wie die Tatsache, dass die von ihm gelobten Strukturfonds auch als Druckmittel eingesetzt werden (Stichwort: Makroökonomische Konditionalität siehe hier). Zum Schämen.
- Vom progressiven Neoliberalismus zu Trump
Trump ist das Poster Child einer globalen Krise. Lösen kann sie nur die Linke.
Man muss befürchten, als Schwätzerin abgetan zu werden, wenn man heute von „der Krise“ spricht. Zu sehr wurde dieser Begriff durch endloses Gerede banalisiert. Und doch haben wir es in einem ganz präzisen Sinne mit einer Krise zu tun, deren Ende wir einen Schritt näher kommen, wenn es uns gelingt, ihren Eigencharakter und ihre Dynamik genau zu bestimmen. Vielleicht erhaschen wir gar einen Blick auf Auswege aus der gegenwärtigen Sackgasse: durch politische Neuaufstellung hin zur gesellschaftlichen Transformation.
Wir haben es auf den ersten Blick mit einer politischen Krise zu tun, eine Krise, die ihre spektakulärste Form wohl in den USA angenommen hat: Donald Trump, die Umstände seiner Wahl, seine Präsidentschaft und die Konflikte, die sie umgeben. Doch fehlt es auch anderswo nicht an Entsprechungen: das britische Brexit-Debakel; der Legitimitätsverlust der Europäischen Union und der Absturz der sozialdemokratischen und Mitte-Rechts-Parteien, auf die sie sich stützte und weiterhin stützt; der grassierende Erfolg rassistischer und fremdenfeindlicher Parteien in Ost- und Mitteleuropa sowie autoritärer, teils proto-faschistischer Kräfte in Lateinamerika, Asien und im Pazifikraum. Träfe es der Begriff der politischen Krise, so wäre sie keine amerikanische, sondern eine globale.
Quelle: Ada
- Why the Left Should Embrace Brexit
Remainers claim that Brexit will be an economic apocalypse. But it provides the opportunity for a radical break with neoliberalism.
[…]The Left’s anti-Brexit hysteria, however, is based on a mixture of bad economics, flawed understanding of the European Union, and lack of political imagination. Not only is there no reason to believe that Brexit would be an economic apocalypse; more importantly, abandoning the EU provides the British left — and the European left more generally — with a once-in-a-lifetime opportunity to show that a radical break with neoliberalism, and with the institutions that support it, is possible.
Quelle: Jacobin
- Italiens deutsche Falle
In Rom benennt eine Koalition die Fehler der Währungsunion. Da sind die Besserwisser aus dem Norden gleich zur Stelle Italiens deutsche Falle
Italiens Koalition, die nun wohl doch keine Regierung bilden kann, hat Deutschland und große Teile Nordeuropas verbal schon wieder in den Griechenland-Modus versetzt: Der Norden sei solide, der Süden marode und unberechenbar. Die Klügeren unter den nördlichen Besserwissern heben lediglich warnend den Zeigefinger ob der drohenden Konsequenzen südlicher Ausgaben-Orgien, die dumpfbackigen Besserwisser sprechen unverhohlen von südlichen „Schnorrern“, gefährlichen Populisten und rechtsradikalen Feinden der Demokratie. Der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger, der bei Letzteren immer ganz vorne mitmischt, hofft gar, dass „die Märkte“ italienischen Wählern den rechten Weg weisen.
Das alles ist großer Unsinn. Diesen aber verbreiten die nördlichen Besserwisser nicht bewusst, sondern reflexartig: weil sie nach Jahren der Verdrängung einfach nicht mehr zu erkennen imstande sind, wie groß ihr Anteil an der italienischen und an der südeuropäischen Misere ist. Würden sie nur einen Hauch von Makroökonomik verstehen, müssten sie sehen, dass sie selbst Italien eine Falle gestellt haben, die dem Land nur „radikale“ Optionen belässt.
Italiens Wirtschaft hat sechs Jahre Rezession hinter sich. Die dringlichste Aufgabe einer neuen Regierung ist es, diese Wirtschaft zu beleben. Doch wie belebt man eine Wirtschaft, die am Boden liegt? Jeder Ökonom, der volkswirtschaftliche Gesamtrechnung beherrscht, weiß, dass man dafür einen Impuls braucht. Ein solcher Impuls kann aus verschiedenen Richtungen kommen. Doch allen Impulsen ist gemein, dass sie darauf beruhen, dass jemand Geld ausgibt, das er – um es in der Sprache der Dumpfbacken zu sagen – nicht hat. …
Quelle: Heiner Flassbeck in der Freitag
- Ökonomenverband hält Kollegen für rückwärtsgewandt
chim Wambach, der Vorsitzende des Vereins für Socialpolitik, hält das Potenzial der sogenannten pluralen Ökonomik für begrenzt. „Inhaltlich hat uns die plurale Ökonomik nicht weitergebracht“, sagte Wambach im Interview mit WELT AM SONNTAG.
„Bei der Umweltökonomik, der Energieökonomik, im Finanzbereich oder auch der Finanzwissenschaft, da kommt nichts von den Pluralen“, so Wambach weiter. Der Verein für Socialpolitik ist der wichtigste Ökonomenverband im deutschsprachigen Raum. Achim Wambach leitet neben dem Verein auch die Monopolkommission und das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim.
Die plurale Ökonomik wirft den herrschenden Denkschulen in der etablierten Volkswirtschaftslehre Einseitigkeit, Praxisferne und Konformitätsdruck vor. Seit der Finanzkrise hat sie vermehrte Beachtung und Zulauf gefunden.
Achim Wambach hält der pluralen Ökonomik im Interview Rückwärtsgewandtheit vor: „Wenn es darum geht, die nun in den Fokus gerückten Probleme anzupacken – etwa die Beurteilung von systemischen Risiken oder die Auswirkungen der neuen Bankenregulierung –, da hilft die Reaktivierung alter Denkschulen nicht weiter“, sagte er WELT AM SONNTAG. „Dafür braucht man eine ordentliche ökonomische und ökonometrische Ausbildung.“
Quelle: Welt
Anmerkung JK: Der „Verein für Socialpolitik“ ist einer der schärfsten Verfechter der neoliberalen Ideologie in Deutschland. Es ist geradezu eine groteske Verdrehung der Realität, wenn dessen Vorsitzender, Ökonomen, die sich nicht an der neoliberalen Denkschule orientieren, vorwirft sie seien rückwärtsgewandt. Die „ordentliche ökonomische und ökonometrische Ausbildung“ der Mainstreamökonomen hat die Welt 2008 in die schlimmste Finanzkrise seit der Weltwirtschaftskrise von 1929 gestürzt, das neoliberale Austeritätsdiktat über Griechenland hat die griechische Volkswirtschaft vollständig ruiniert und die Gesellschaft zerrüttet, aber wie die Attacken auf die neue italienische Regierung zeigen, hat man rein gar nichts dazu gelernt. Da stellt sich die Frage wer nun „rückwärtsgewandt“ ist.
- So umfährt Deliveroo Mitbestimmung
Im Februar hatte sich bei dem Lieferdienst eine Mitarbeitervertretung gegründet. Deliveroo hat nun die Verträge aller Betriebsräte auslaufen lassen.
Vor wenigen Wochen war für Orry Mittenmayer alles vorbei: Die türkisfarbene Thermobox, mit der der 25-Jährige mehr als ein Jahr lang durch Köln geradelt war, hat er an das Unternehmen zurückgegeben. In der App, die ihm von Schicht zu Schicht die Route von den Restaurants zu den Kunden wies, wurde sein Profil deaktiviert. Mittenmayer war Anfang Mai nicht nur seinen Job als Essenskurier los. Mit seinem Vertragsende war vorerst auch der Versuch gescheitert, erstmals in Deutschland eine Mitarbeitervertretung bei Deliveroo zu organisieren.
Mittenmayer war einer von fünf Mitarbeitern, die erst im Februar von den Fahrerinnen und Fahrern von Deliveroo in Köln in einen Betriebsrat gewählt wurden. Jetzt, nur zwei Monate später, verlässt Mittenmeyer als letzter der fünf Betriebsräte das Unternehmen.
Essenslieferunternehmen wie Deliveroo expandieren derzeit stark auf dem deutschen Markt und gelten als Avantgarde einer neuen Digitalwirtschaft: Die Arbeit wird vor allem über Internetplattformen oder Apps koordiniert, die den Einsatz der Mitarbeiter steuern. Die Fahrer arbeiten oft selbstständig oder mit Zeitvertrag. Betriebsräte zu gründen, die die Interessen der Mitarbeiter gegenüber dem Unternehmen vertreten, ist bei Digitalunternehmen mit ihren vielen Kurzzeitjobbern schwierig.
Umso erstaunlicher war, dass es im Februar doch gelang. Die Initiatoren hatten allerdings schon im Vorfeld den Eindruck, dass Deliveroo in Köln keine Mitarbeitervertretung will: Mittenmayers Kollege, der die Betriebsratsgründung mit vorangetrieben hatte, bekam kurz darauf eine Abmahnung. Den Arbeitsvertrag mit ihm hat Deliveroo wenig später auslaufen lassen. Über die Gründe wollte sich Deliveroo im März gegenüber ZEIT ONLINE nicht äußern. Man nehme keine Stellung zu einzelnen Mitarbeitern. Auffällig war auch, dass im internen Mitarbeiterchat eine Nachricht verschwand, mit der die Initiatoren auf die Betriebsratsgründung aufmerksam gemacht hatten. Deliveroo hatte auf Nachfrage von ZEIT ONLINE keine Erklärung dafür genannt, gegenüber dem ZDF führte das Unternehmen später technische Gründe für das Verschwinden der Nachricht an.
Quelle: Zeit
Anmerkung JK: „Essenslieferunternehmen wie Deliveroo … gelten als Avantgarde einer neuen Digitalwirtschaft …“. Was soll an der nackten Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft “avantgardistisch“ sein?
- Einmal Arbeiterkind, immer Arbeiterkind?
Die Erleichterung nach der letzten Abiturprüfung währte für Lena Mädje nicht lange. Nur kurz nach der Anfangseuphorie war die Frage wieder da, die schon länger an ihr zerrte: Was soll ich denn werden? Und: Schaffe ich ein Studium überhaupt? „Ich wollte das Bestmögliche aus meinem Abschluss rausholen. Ich wusste nur nicht, wie. Denn das Bestmögliche meiner Familie war Handwerk“, sagt sie. Lenas Vater ist gelernter Elektriker, ihre Mutter Sekretärin im örtlichen Pfarramt. Die Familie lebt in Bremerhaven, dem Fleckchen Deutschlands also, in dem laut aktuellem Schuldenatlas die meisten verschuldeten Menschen leben. Jeder Fünfte in der Seestadt kann seinen finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommen. Schnell steht fest: Die Tochter soll studieren. Als Erste ihrer Familie. Von 100 Kindern aus Nichtakademikerfamilien schaffen nur 21 den Sprung an die Universität. Haben die Eltern dagegen eine Hochschulbildung, sind es 74. Dieses Ungleichgewicht liegt allerdings nicht nur an finanziellen Hindernissen.
Lena Mädjes Geschichte kann in Deutschland hunderttausendfach erzählt werden, weiß Katja Urbatsch, Gründerin und Geschäftsführerin der gemeinnützigen Organisation Arbeiterkind: „Wenn man aus einer nichtakademischen Familie kommt, muss man erst mal auf die Idee kommen, dass man überhaupt studieren kann“, sagt sie. „Viele sehen das gar nicht als Option, weil ihre Vorbilder in der Familie alle eine Ausbildung gemacht haben. Und wenn man sich dann doch dazu entschließt, kommen schnell Zweifel und Ängste. Man steht vor einem riesigen Berg.“
Selbst aufgewachsen in einer nichtakademischen Familie, gründete sie vor zehn Jahren das Informationsnetzwerk Arbeiterkind, um Studieninteressierten den Weg an die Uni zu erleichtern. Heute beraten und begleiten mehr als 6000 Ehrenamtliche aus 75 lokalen Gruppen Studieninteressierte und informieren über Hochschulstrukturen und Wege, ein Studium zu finanzieren. Nur sechs Prozent der Studierenden bekommen Geld aus einem Stipendium oder Förderprogramm. Die meisten erhalten Unterstützung von den Eltern und stocken oftmals mit Nebenjobs oder Bafög auf. Wer die Finanzierung nicht stemmen kann, bricht ab. Studierende aus Nichtakademikerfamilien tun das überdurchschnittlich häufig. „Es gibt so eine Grundannahme, dass eine Familie ihren Nachwuchs immer ideell und finanziell unterstützen kann und auch immer ein Interesse daran hat, dass das Kind sehr weit im Bildungssystem kommt. Und unsere Erfahrung ist, dass es sehr häufig eben nicht so ist“, sagt Katja Urbatsch.
„Ich wollte frei und ungebunden studieren“
Quelle: FAZ
Anmerkung JK: Leider nichts Neues, leider sind keinerlei Anzeichen zu sehen, dass sich dies ändert. Eigentlich ein Leib- und Magenthema für die SPD, aber aus dieser Richtung kommt dazu schon lange nichts mehr. Lieber huldigt man der „schwarzen Null“.
- Auch schmutziges Geld lässt die Immobilienpreise steigen
Die Angst vor steigenden Mieten und Verdrängung trieb im Frühjahr Tausende in Berlin unter dem Motto „Mietenwahnsinn stoppen“ auf die Straße. In München fordert ein buntes Bündnis aus Initiativen und Fachleuten angesichts der explodierenden Bodenpreise eine radikale Reform des Bodenrechts.
Ganz offensichtlich ist in diesem Land etwas in Bewegung geraten, das die politischen Mehrheiten in Bund und Ländern bisher nicht angemessen aufgegriffen haben. Drei Viertel der Deutschen machen sich aufgrund der steigenden Mieten Sorgen, die eigene Wohnung zu verlieren. Dabei gehört das Grundrecht auf Wohnen selbstverständlich zu einer menschenwürdigen Existenz. Genauso wie das Recht auf Essen, auf Mobilität und Kommunikation. Auch Menschen mit kleinem Geldbeutel sollen dort leben können, wo Freunde, Kitas und Jobs sind, ohne lange Wege. Stadtviertel, in denen Arme und Reiche, Einheimische und Eingewanderte, Junge und Alte Tür an Tür wohnen, sind unabdingbar für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.
Wenn aber Wohnraum zur Ware verkommt, wenn Boden- und Immobilienpreise explodieren und soziale Wohnbauprojekte an Grundstücksknappheit und Baulandspekulation scheitern, dann ist auch der Zusammenhalt in Gefahr. Politisch wird nun zurecht darum gerungen, Instrumente zu finden, mit denen die Symptome dieser Wohnungskrise gelindert werden können: von einer echten Mietpreisbremse und einer Kappung der Modernisierungsumlage über eine Stärkung des Kündigungsschutzes bis hin zu deutlicheren Investitionen für den sozialen Wohnungsbau.
Quelle: Tagesspiegel
Dazu: Spekulation mit Bauland
In deutschen Großstädten fehlen Wohnungen. Die Preise für Eigentumswohnungen steigen genau wie die Mieten, ein Ende ist nicht in Sicht. Wohin führt das? Zwar werden die letzten Baulücken geschlossen, Quartiere nachverdichtet. Doch das innerstädtische Bauland reicht nicht aus, um den Bedarf zu decken. Umso ärgerlicher, wenn es Baugrundstücke gibt, die brach liegen und die Besitzer gut daran verdienen. Sie brauchen nichts zu tun als abzuwarten. Innerhalb weniger Jahre lassen sich Gewinne von mehr als 100 Prozent erzielen. Fast ohne Risiko, dazu völlig legal. Mit dramatischen sozialen Folgen. Schon heute sind die Innenlagen der Großstädte für Normalverdiener kaum noch bezahlbar. Wer sind diese Spekulanten und was unternimmt die Politik gegen sie?
Quelle: Bayerischer Rundfunk
- Axa kündigt Tausende Verträge über lebenslange Rente
Der Versicherer Axa hatte 2006 eine scheinbar gute Idee. Immer mehr Menschen klagten darüber, dass sie sich keine Berufsunfähigkeitsversicherung leisten konnten oder wegen Vorerkrankungen keine bekamen. Deshalb brachte der Versicherer die Unfall-Kombirente auf den Markt und verkaufte sie bis 2010.
Sie zahlt nur in bestimmten Fällen: Wenn ein Unfall oder bestimmte schwere Krankheiten wie Krebs zur Invalidität führen, gibt es, so das Versprechen der Axa, eine lebenslange Rente zwischen 500 Euro und 3000 Euro, je nach Beitragshöhe. Bei anderen Gründen wie zum Beispiel psychischen Erkrankungen leistet die Versicherung nicht, das wird in den Bedingungen klar gesagt. Dennoch schlossen Tausende von Kunden die Police ab. Besser ein reduzierter Schutz als gar keiner, so war offenbar ihre Überlegung. Doch heute kündigt die Axa alle laufenden Verträge. Sie kann sich die versprochene lebenslange Rente nicht mehr leisten.
“Aufgrund des medizinischen Fortschritts steigen die Kosten in Ihrem Tarif Jahr für Jahr erheblich an”, schreibt Vorstand Thierry Daucourt im April 2018 den Kunden. Dazu kommen die niedrigen Zinsen, klagt er. “Dies führt dazu, dass wir unser Leistungsversprechen in diesem Tarif nicht mehr aufrechterhalten können.” Die Axa hat sich verrechnet. Die Konsequenzen sollen die Kunden tragen.
Quelle: Süddeutsche Zeitung
- Alternde Bevölkerung lässt Staatsschulden und Sozialbeiträge explodieren
Die Experten haben sich einen passenden Tagungsort ausgesucht. Die zehn Mitglieder der Rentenkommission werden sich am Mittwoch in der Berliner Repräsentanz der Evangelischen Kirche Deutschlands zu ihrer konstituierenden Sitzung treffen. Wie sehr die Experten göttlichen Beistand für ihren Auftrag gebrauchen können, eine Rentenreform zu entwickeln, zeigt eine neue Studie der Bertelsmann Stiftung. Der Ökonom Martin Werding hat darin untersucht, wie Rentensystem und Sozialstaat im Lichte der demografischen Entwicklung aufgestellt sind – und kommt zu dramatischen Ergebnissen.
„Die öffentlichen Finanzen in Deutschland sind aufgrund des ausgeprägten demografischen Wandels unter dem geltenden Recht langfristig nicht tragfähig“, heißt es in der Studie, die dem Handelsblatt vorliegt. Staatsverschuldung und Sozialbeiträge werden demnach in den kommenden Jahrzehnten „regelrecht explodieren“.
So würden die Sozialbeiträge ohne politische Reformen bis 2040 von heute 40 auf fast 50 Prozent steigen, das Staatsdefizit auf sechs Prozent im Jahr
klettern. Bis 2060 würde der Schuldenstand sogar auf 208 Prozent anwachsen – Deutschland wäre damit höher verschuldet als Griechenland heute. […]
Unabhängig davon steht schon jetzt fest: Zwischen 2020 und 2035 wird Deutschland stark altern. Während 2020 auf drei Erwerbsfähige nur ein über 65-Jähriger kommt, wird das Verhältnis 2035 ausgeglichen sein.
Quelle: Handelsblatt
Anmerkung unseres Lesers S.N.: Der Artikel ist die reinste Panikmache. Da werden munter Fakten durcheinander geworfen: Im Jahr 2035 wird nicht ein über 65-Jähriger auf einen Erwerbsfähigen kommen. Der Altenquotient liegt dann bei 50%, was bedeutet, dass auf einen über 65-Jährigen zwei Erwerbsfähigen kommen. Und warum man mit 65 rechnet und nicht mit 67, oder warum man nicht Erwerbstätige in Relation zu Nichterwerbstätigen insgesamt setzt, bleibt das Geheimnis der Studienautoren. Aber auch in der “Studie” geht es nebulös zu: Angeblich steigen Staatsschulden und Beitragssätze zugleich an. Bei den Tragfähigkeitsanalysen wird jedoch impliziert, dass die Einnahmen von Staat und Sozialversicherungen c.p. in % des BIP konstant bleiben. Es ist also ein “entweder” Steuern/Beitragssätze rauf “oder” Staatsschulden rauf und kein UND. In der Studie gibt es keine Zahlen dazu, wie die GRV-Beitragssätze bei eingefrorenen Einnahmeanteil am BIP aussehen. Hohe GRV-Beitragssätze würden weniger netto vom Lohn bedeuten – warum das nicht auch für mehr private Vorsorge gilt, bleibt schleierhaft. Ansonsten wird noch mit ein paar Milliardenbeträgen zum Bundeszuschuss rumgeworfen, aber bewusst vermieden, die in Relation zum BIP zu setzen. Auch die Annahme, dass die Kapitalmarktzinsen ab 2020 wieder steigen, ist rein spekulativ: In der Schweiz und in Japan liegen die Zinsen schon sehr lange sehr niedrig und dank der schwarzen Null und eventueller EZB-Aktivitäten könnte das auch in Deutschland noch lange so bleiben. Die entsprechende Tragfähigkeitslücke wird bis 2060 mit ca. 9% des BIP angegeben. Das ließe sich ganz ohne Staatsverschuldung lösen, wenn die deutsche Abgabenquote von heute 36% des BIP auf das Niveau Dänemarks mit 46% angehoben werden würde. Idealerweise über eine Wertschöpfungsabgabe, das Verjähren von Verlustvorträgen nach 5 Jahren, eine höhere Besteuerung von Vermögen und Erbschaften sowie eine Finanztransaktionssteuer.
- Warum die imperiale Lebensweise die Klassenfrage ausblenden muss
Das Konzept der „imperialen Lebensweise“ besagt, dass „die allermeisten Menschen hierzulande auf Kosten der Natur und der Arbeitskräfte anderer Weltregionen“ leben, so Ulrich Brand und Markus Wissen in ihrem Beitrag (LuXemburg 1/2018). Dies gelte trotz der großen „Unterschiede, die vor allem vom Einkommen abhängen“. Wie begründen die Autoren ihre These? In ihrem Buch führen sie aus, dass die imperiale Lebensweise ihrem Wesen nach „die Möglichkeit eines überproportionalen Zugriffs auf Natur und Arbeitskraft“, d.h. auf ein „Außen“ im globalen Maßstab beinhalte, was wiederum voraussetze, „dass andere auf ihren proportionalen Anteil verzichten“ (Brand/Wissen 2017, 14). Aber warum können sich die einen überproportional die Produkte der Arbeit anderer aneignen und überdurchschnittlich viele natürliche Ressourcen verbrauchen? Welche Mechanismen gewährleisten dies? Diese Fragen sind nicht unbedingt neu; aber in dem Buch von Brand und Wissen findet man weder eine systematische Auseinandersetzung mit früheren Versuchen, sie zu beantworten, d.h. mit den verschiedenen Wellen der Diskussion über den Imperialismus, noch befriedigende neue Antworten. Innovativ ist sicherlich der Versuch, ökologische und soziale Gesichtspunkte in einer Theorie des globalen Kapitalismus zu verbinden. Zu begrüßen ist auch der Versuch, die Kritik an der kapitalistischen Produktionsweise durch eine Kritik der Konsumnormen und der Lebensweise zu erweitern, die Analyse des Alltagslebens und der Subjektivierung in eine Theorie des globalen Kapitalismus einzubeziehen. Ich sehe aber in der Konzeption der imperialen Lebensweise drei systematische theoretische Probleme, die auch gravierende strategische Implikationen haben.
Quelle: Luxemburg
Anmerkung unseres Lesers C.B.: Ein wichtiger Text, der die Tendenz einiger hypermoralischer Linker allen Bewohnern der Industriestaaten eine gleichgroße kollektive Schuld für die Ausbeutung der Welt zuzuschieben zurechtrückt.
- Linke Dialektik gegen rechte Parolen
Wagenknecht und Lafontaine werden im September die neue Sammlungsbewegung gründen. Einer der Vordenker und Unterstützer im Hintergrund ist der Dramaturg Bernd Stegemann vom Berliner Ensemble.
Bernd Stegemann ist kein Revolutionär, sondern Dialektiker. Aber an diesem heißen Tag Mitte Mai sitzt der Autor und Professor für Dramaturgie im Garten des Berliner Ensembles (BE) und sagt: „Sahra Wagenknecht hat so viele politische Talente, sie ist klug, klar, analytisch und kann jeden politischen Diskurs prägen. Das muss man jetzt mal in Machtpolitik umsetzen.“
Stegemann arbeitet als Dramaturg im BE und lehrt an der Ernst-Busch-Hochschule für Schauspielkunst. Er sitzt bei knapp 30 Grad auf seinem Holzstuhl im Schatten mit einem Gesicht, das vor allem Neugierde zeigt, schelmisch sieht es zudem aus, als würde Karlsson vom Dach, der weltbeste Dialektiker, mal wieder einen Streich planen.
In gewisser Weise ist das auch so. Denn Stegemann hat es satt, immer nur klug daherzureden und daherzuschreiben, was er in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ oder der „Zeit“ oft macht. Er hat sich nun entschlossen, der von Sahra Wagenknecht und ihrem Ehemann Oskar Lafontaine angedachten linken Sammlungsbewegung beizutreten. Er grinst: „Weiß selbst nicht so genau, was da meine Rolle ist.“ Ein Satz als ironisches Understatement. Denn seine Rolle ist die des intellektuellen Vordenkers. Dementsprechend selbstbewusst gibt sich Stegemann, wenn er sagt, dass die linke Idee wieder eine Erzählung brauche, die für mehr Menschen als bisher attraktiv werden müsse.
Quelle: Der Tagesspiegel
- Pop: Der brave Traum vom Ausbruch
Wie Revolverheld und Mark Foster den Alltag erträglicher machen – und damit die Revolution verhindern.
Popmusik gilt als unpolitisch. Doch in den täglichen, subtilen Botschaften der Radiohits steckt die Gefahr des komatösen Einlullens. Sie geben vor, aus dem Leben auszubrechen, halten uns aber genau darin fest.
Pendlerinnen erleben das täglich auf dem Weg zur Arbeit. Autobahn, gleichbleibende Landschaften über unzählige Kilometer hinweg, und Revolverheld plätschert dazu vor sich hin. Ohne es bewusst wahrzunehmen, summt man mit, bewegt die Beine, spürt das erhebende Gefühl, wenn endlich die Geigen einsetzen. So ertappe ich mich auch ständig als Mitfahrerin dabei, den deutschen Pop nicht einfach über mich ergehen zu lassen, sondern dabei – auf der Autobahn – ein merkwürdiges Gefühl von Freiheit zu verspüren. Natürlich mache ich mich als Linke darüber lustig, sonst wäre es ja nicht ertragbar. Und gleichzeitig muss ich zugeben, dass es mich berührt – aber wieso?
Angefangen darüber nachzudenken habe ich im Auto meines Cousins, hinter mir meine Schwester, es lief „Lass’ uns gehen“ von Revolverheld. Wir sind auf dem Weg von einer Groß- in eine Kleinstadt und es tönt: […]
Quelle: Ada
- Die Unterhosen-Wichtel-Linke
Die radikale Linke weiß, was sie heute und was sie übermorgen tun will, aber für morgen hat sie keinen Plan. Genau wie die Unterhosenwichtel aus South Park.
Ich liebte South Park. Wie viele junge Amerikaner (und zu einem gewissen Grad auch Amerikanerinnen) war der krude, pubertäre Humor der TV-Serie für mich Ende der 90er und Anfang der 2000er eine Art Offenbarung. Die Bereitschaft, mit den Tabus des etablierten Fernsehens zu brechen, indem sie die vulgäre Alltagssprache des Schulhofs verwendete und Ikonen aus Kultur und Politik aggressiv verarschte, sprach mir als 12-Jährigem aus der Seele. Das vage Gefühl, dass so gut wie alle Figuren im amerikanischen Establishment alberne, scheinheilige Schwindlerinnen waren, wurde Woche für Woche bekräftigt, und bestärkte mein Vertrauen in die eigenen gesellschaftskritischen Instinkte. Es wäre nicht ganz übertrieben zu behaupten, ich sei mit South Park groß geworden.
Es dauerte bis ich kapierte, dass die Macher von South Park keine Linken waren und die Serie gleichermaßen konservative wie fortschrittliche Inhalte verspottete. Es wurde schwieriger, meine eigene sozialistische Gesinnung mit den rechts-libertären, oft chauvinistischen Einstellungen der Serie zusammen zu bringen, und ich wandte mich anderen, aufgeklärteren Unterhaltungsmedien zu. Doch was man als Teenager konsumiert, prägt bekanntlich den eigenen Geschmack und die Weltanschauung für den Rest des Lebens. Vielleicht ist das der Grund, warum ich bei der heutigen radikalen Linken immer noch an South Park denken muss. […]
Ungeachtet aller berechtigter Kritik bieten die Kampagnen um Bernie Sanders oder Jeremy Corbyn ein paar Anhaltspunkte, wie es klappen könnte. Durch eine populäre Sprache und die Zuspitzung auf eine Handvoll Forderungen, die eine gesellschaftliche Mehrheit ansprechen und gleichzeitig die Gegnerinnen dieser Interessen klar erkenntlich machen, haben sie eine neue Diskussion über Sozialismus entfacht und die politischen Verhältnisse in ihren Ländern stark herausgefordert.
Gleichzeitig haben sie die Notwendigkeit der Politik innerhalb des bestehenden Systems bewiesen, um überhaupt die Mehrheit der Menschen zu erreichen. Wir sind uns zwar den Grenzen dieses Systems bewusst, werden aber kaum unsere noch-nicht-radikalen Freundinnen und Geschwister überzeugen, wenn wir auf diese Arena von Anfang an verzichten oder sie als reine Propagandabühne betrachten. Die allermeisten Menschen erwarten Ergebnisse von der politischen Beteiligung und wenn sie keine sehen, werden sie in ihre eigene Welt zurückkehren. Beispiele davon gibt es in der Geschichte genug.
Quelle: Ada
- Joschka Fischer warnt vor dem Ende der EU
Glaubt man dem ehemaligen Bundesaußenminister Joschka Fischer, steht die EU kurz vor dem Zerfall. Bei einem Vortrag in Berlin zeichnet er düstere Szenarien und gibt nur einen Funken Hoffnung. (…)
Bedrohungen für das europäische Projekt kämen jedoch auch von außen, betont Fischer. “Man kann sagen, ein Komet ist eingeschlagen, ein Komet namens Donald Trump.” Der US-Präsident habe die transatlantische Nachkriegsordnung komplett verändert. Die Frage der Sicherheit und Verteidigung Europas werde nicht mehr selbstverständlich gewährleistet von den USA. “Dass die Vereinigten Staaten Deutschland Schutz gewähren, während es sich vom Krieg erholt”, sei ebenso vorüber, wie die Annahme dass die USA bereitwillig “Frieden und Freiheit liefern und letztlich auch die deutsche Einheit”, sagt Fischer. “Das alles ist dahin und wird nicht wiederkehren.”
Europa stehe vor einer gänzlich neuen Weltlage und müsse dringend lernen, dass es nicht nur ein “Gebilde” sein kann, sondern eine “Macht” sein müsse, “die ernst genommen wird, wenn es um Sicherheit geht”, sagt Fischer. “Doch wie soll das funktionieren, wenn in Deutschland Hubschrauberpiloten nicht trainieren können, weil die Maschinen nicht einsatzbereit sind, die U-Boote nicht auslaufen können und nur sechs Eurofighter bundesweit abheben können?” Die verteidigungspolitischen Bemühungen seien völlig unzureichend, kritisiert er. “Das konnten wir uns erlauben, als wir im Windschatten der USA standen. Aber in Zukunft geht das nicht mehr.” (…)
Doch Joschka Fischer ist nicht bloß ins Regierungsviertel gekommen, um die dunklen Wolken am Horizont zu deuten. Der französische Präsident Emmanuel Macron habe ein gutes Beispiel dafür gegeben, wie man dem aufstrebenden Nationalismus Einhalt gebieten könne. “Mit seiner Strategie hat er Le Pen abgedrängt, das kann ich nur zum Nachahmen empfehlen”, sagt er. Die Antwort auf die Krise der EU dürfe nicht heißen, dass sich die europäischen Staaten auf ihren nationalstaatlichen Rahmen zurückbesinnen.
Quelle: n-tv
Anmerkung Christian Reimann: Der ehemalige Vorgsetzte von Herrn Fischer, Bundeskanzler a.D. Gerhard Schröder wußte bereits als Ministerpräsident, dass es manchmal besser sei, “einfach mal den Mund zu halten”. Das wünschen sich nun vermutlich nicht Wenige auch von diesem Herrn Fischer, oder?
War es nicht dieser Herr Fischer als Bundesaußenminister, der Deutschland am Jugoslawien-Krieg mitwirken ließ? Fordert er deshalb nun trainings-, aber wohl auch kampffähiges Material für die Bundeswehr?
Und: Kann es sein, dass dieser Fischer nicht verstehen will (oder kann?), dass dieser neue Präsident in Frankreich offenbar den deutschen Sozialabbau nachahmen möchte, der hierzulande wohl nicht gänzlich unschuldig am Erstarken der AfD sein dürfte? Sind die Ideen des Präsidenten Macron wirklich zum Wohle der Mehrheit der Bevölkerung in der EU? Zweifel dürften berechtigt sein, dass im Rahmen der EU Standards gesenkt werden sollen und insbesondere die europäische Arbeitnehmerschaft zu leiden hätte, oder?