Unter anderem zu folgenden Themen: Produktionsverlagerung von Daimler – der Widerspruch zwischen Betriebswirtschaft und falscher Wirtschaftspolitik; Urlaubsansprüche in Europa; Bienenstiche gegen abgearbeitet Arbeitnehmer; Afghanistan; Betreuungsrückschritt; gläserne Arbeitslose; Privatisierung – die europäische Enteignung; Streit ums Mietrecht; Eilt: Transaktionssteuer; Triumph der Putsch-Politik. (WL)
- Proteste im Daimler-Werk Sindelfingen: “Kurz vor der Explosion”
- Big savers got us into this mess, as well as big spenders
- Überlebt die Eurozone die wirtschaftliche Erholung?
- Deutschland gehört beim gesetzlichen Urlaubsanspruch zu den Schlusslichtern in Europa
- Der Bienenstich-Paragraf
- Afghanistan-Krieg
- Betreuungsgeld ist ein sozial- und gleichstellungspolitischer Rückschritt
- Personal in privaten Kliniken hat deutlich mehr Betten zu versorgen als in öffentlichen Häusern
- Bei der BA haben 57.000 Mitarbeiter Zugriff auf sensible Daten von Arbeitslosen
- Wie die Europäer enteignet werden. Das “Schwedische Modell”
- Ladenöffnung an allen vier Adventssonntagen in Berlin nicht verfassungsgemäß
- Schwarz-Gelb droht Streit ums Mietrecht
- Eilt: Unterschrift unter eine Petition zur Einführung einer Transaktionssteuer
- Honduras: Triumph der Putsch-Politik
- Enorme Lust auf direkte Demokratie
Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
- Proteste im Daimler-Werk Sindelfingen: “Kurz vor der Explosion”
„In Sindelfingen hat sich die Lage nach dem Beschluss zur Verlagerung der C-Klasse-Montage dramatisch zugespitzt.” Die Situation in Sindelfingen droht außer Kontrolle zu geraten”, sagte der baden-württembergische IG-Metall-Bezirksleiter Jörg Hofmann der Stuttgarter Zeitung. IG Metall und Betriebsräte seien aber “keine Ordnungsmacht, die den Schaden beseitigt, den der Vorstand angerichtet hat”. Hofmann forderte das Management auf, den Beschluss zur Verlagerung zurückzunehmen. “Wir sehen bis heute keine andere überzeugende Lösung, als dass die C-Klasse hier bleibt”, sagte er. Ein Vorstand könne sich immer korrigieren, wenn er die Gefühlslage der Menschen vollkommen falsch eingeschätzt habe. Den Vorwurf, dass die Gewerkschaft den Kampf zu spät aufgenommen habe, wies Hofmann zurück: “Vielleicht hat man unterschätzt, mit welcher Kaltschnäuzigkeit die Entscheidungsträger ausgestattet sind…“
Quelle: StZ
Anmerkung WL: Das Problem ist, dass dieser Konflikt letztlich nicht auf betrieblicher oder betriebswirtschaftlicher Ebene zu lösen ist, sondern dauerhaft und grundsätzlich nur auf politischer Ebene. Das entscheidende wäre, in Deutschland wieder eine ausgeglichene Leistungsbilanz anzustreben und von der extremen Exportorientierung der Wirtschaftspolitik der letzten Jahre abzukehren. Ich verweise auf meine Anmerkung zu Hinweis Ziffer 7 vom 3.12.09
Siehe dazu auch:
- Big savers got us into this mess, as well as big spenders
German and Chinese thrift built up a glut that fed bankers and bubbles. A world-sized fix means rebalancing global trade.
Quelle: Guardian
Die Exportüberschüsse der Deutschen und in deren Umkehrung die Leistungsbilanzdefizite der importierenden Ländern, sind im Übrigen nicht nur gegenüber den USA ein Problem sondern auch innerhalb der EU.
Siehe:
- Überlebt die Eurozone die wirtschaftliche Erholung?
Die wirtschaftliche Erholung, mit der man in der Eurozone im Jahr 2010 rechnet, könnte neue Spannungen mit sich bringen. Im Extremfall könnten manche Länder sogar den Ausstieg aus der Gemeinschaftswährung in Erwägung ziehen. Obwohl der Euro den Handel vereinfacht, schafft er erhebliche Probleme für die Geldpolitik. Schon vor seiner Geburt fragten manche Ökonomen (einschließlich ich selbst), ob eine Gemeinschaftswährung für eine derart heterogene Gruppe von Ländern überhaupt wünschenswert wäre.
Die gegensätzlichen Bedingungen in Deutschland und Spanien veranschaulichen das Problem. In Deutschland beträgt die Arbeitslosenrate momentan etwa 8 Prozent, während sie in Spanien mit etwa 19 Prozent mehr als doppelt so hoch liegt. Und Deutschland verzeichnete in den 12 Monaten bis letzten August einen Außenhandelsüberschuss von 117 Milliarden Euro, wohingegen Spanien in den letzten 12 Monaten ein Außenhandelsdefizit von 56 Milliarden Euro anhäufte. Hätte Spanien immer noch die Peseta und Deutschland die D-Mark, würden die Unterschiede in den Handelsbilanzen zu einer Aufwertung der Mark und einer Abwertung der Peseta führen. Durch die schwächere Peseta würde die Nachfrage nach spanischen Exporten angekurbelt und Spaniens Importe verringert, wodurch wiederum die Binnennachfrage gestärkt und die Arbeitslosenzahlen verringert würden. Da die von der EZB festgesetzten Zinsen aktuell bei weniger als 1 Prozent liegen, besteht kein großer Unterschied zwischen der aktuellen Geldpolitik und dem, was die Bank von Spanien machen würde, könnte sie ihre eigenen Zinssätze festlegen. Wenn in der Eurozone allerdings die Erholung einsetzt, entschließt sich die EZB möglicherweise, die Zinsen anzuheben, bevor dies für Spanien günstig wäre, wodurch sich die Arbeitslosigkeit in diesem Land verschärfen könnte. Spanien und andere Länder der Eurozone mit hoher Arbeitslosigkeit werden sich vielleicht gegen diese Politik stellen, aber trotzdem mit einer strafferen Geldpolitik konfrontiert sein, wenn die EZB aufgrund des allgemeinen Zustands der Eurozone den Zeitpunkt für eine Erhöhung der Zinssätze für geeignet befindet.
Spanien ist nicht das einzige Land, das einen Anreiz hätte, aus der WWU auszusteigen. Griechenland, Irland, Portugal und sogar Italien werden oft als Länder genannt, die von einer eigenen unabhängigen Geldpolitik und der Möglichkeit, ihre jeweiligen Währungen wettbewerbsfähiger zu gestalten, profitieren würden. Die immer weiter auseinander klaffenden Zinsspreads zwischen deutschen Staatsanleihen und denen anderer Länder zeigen, dass man dieses Risiko auf den globalen Anleihemärkten ernst nimmt. Diese unterschiedlichen Erträge spiegeln das am Markt empfundene Ausfallsrisiko oder das Risiko einer effektiven Abwertung im Zusammenhang mit einem Austritt aus dem Euro wider. Ein Austritt aus der WWU hätte selbstverständlich sowohl technische als auch politische Implikationen. Die wirtschaftlichen und politischen Risiken reichen möglicherweise, um gegenwärtige Mitglieder der WWU von einem Austritt abzuhalten. Allerdings könnte ein Verbleib in der Eurozone für manche mit beträchtlichen Kosten verbunden sein. Aufgrund der Unmöglichkeit, nationale Wirtschaftsprobleme innerhalb des WWU-Rahmens zu lösen, kommt vielleicht irgendwann das eine oder andere Land zu dem Schluss, dass diese Kosten einfach zu hoch sind.
Quelle: project-syndicate.org
Anmerkung Orlando Pascheit: Martin Feldstein ist ein alter Euro-Skeptiker, dennoch sind seine Überlegungen bedenkenswert. Ein Austritt Italiens aus der Währungsunion mag sehr unwahrscheinlich sein, obgleich auch dort diese Diskussion gerade seitens der Industrieverbände immer wieder aufflammt, aber die Volkswirtschaften Osteuropas sollten diese Überlegungen sehr ernst nehmen. Etliche angesichts der Krise von einer starken Abwertung ihrer Währung betroffenen Osteuropäer mögen im Betritt zur Eurozone die Lösung vieler Probleme sehen (hohe Fremdwährungsschulden), aber der Aufholprozeß gegenüber dem europäischen Kern erfordert weit über gegenwärtige Krise hinaus eine expansivere Wirtschaft- und Geldpolitik als die Defizitkriterien und die EZB zulassen würden. Zumal das Auslandskapital nach dieser Krise nicht mehr im bisherigen Umfang zufließen wird. Ein Beitritt in die Europäische Währungsunion könnte die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit und die daraus resultierenden Handelsbilanzdefizite (siehe Spanien) auf lange Sicht zementieren.
- Deutschland gehört beim gesetzlichen Urlaubsanspruch zu den Schlusslichtern in Europa
Mit 20 Tagen zählt Deutschland zu den Ländern, in denen der gesetzliche Anspruch am geringsten ist. In der Realität haben deutsche Arbeitnehmer jedoch deutlich mehr Urlaubstage, als der Gesetzgeber vorschreibe.
Arbeitnehmer in Deutschland haben einer Untersuchung zufolge mit den geringsten gesetzlichen Urlaubsanspruch in Europa. Während den Deutschen lediglich 20 Tage Urlaub im Jahr gesetzlich garantiert sind, sind es in Finnland oder Frankreich 30 Tage, teilte die Unternehmensberatung Mercer mit. In Litauen, Russland und Großbritannien seien es je 28 Tage. Genauso niedrig wie in Deutschland ist die Zahl vorgeschriebener Urlaubstage demnach aber in der Schweiz, Italien, Tschechien und den Niederlanden. In den meisten deutschen Tarifverträgen seien allerdings 30 Urlaubstage vorgesehen, erklärte Mercer.
Mit 30 Tagen Mindesturlaub gehörten Finnland und Frankreich nicht nur in Europa sondern auch weltweit zur Spitze, teilte Mercer mit. Ebenfalls 30 vorgeschriebene Urlaubstage gebe es nur noch in Brasilien. Das einzige der über 40 Länder untersuchten Länder, in dem es keine gesetzlich festgelegte Mindestzahl von Urlaubstagen gebe seien die USA. In der Praxis hätten Angestellte dort aber jährlich 15 Tage frei.
Arbeitnehmer in China haben der Untersuchung zufolge nach dem ersten und bis zum zehnten Arbeitsjahr in einem Unternehmen per Gesetz Anspruch auf fünf Urlaubstage. Danach stünden in China Arbeitnehmern jährlich zehn Tage zur Erholung zur Verfügung, teilte Mercer mit.
Quelle: AOL Finanzen
- Der Bienenstich-Paragraf
Immer wieder entledigen sich Firmen mit derartigen Bagatellkündigungen unliebsamer Mitarbeiter. Rechtspolitiker fordern deshalb neue Gesetze. Michael Hildebrandt ist ein einfacher Mann, der immer hart gearbeitet hat. Als er in seinem erlernten Beruf als Maschinenschlosser keinen Job mehr fand, sattelte er zum Lageristen um. Jahrzehntelang stapelte er Möbel, sortierte Autoersatzteile, hievte in einem Lebensmittelgroßmarkt schwere Kisten in Regale. Jetzt, im Alter von 58 Jahren, ist er plötzlich arbeitslos. Die norddeutsche Großhandelsfirma Citti hat ihn gefeuert, weil er aus einem zu Bruch gegangenen Karton eine Milchschnitte gegessen hatte. Der süße Snack kostet im Supermarkt 26 Cent. Hildebrandts Schicksal reiht sich nahtlos ein in eine Serie spektakulärer Rausschmisse, die in den vergangenen Monaten die Öffentlichkeit empörten: Einer 58-jährigen Konstanzer Altenpflegerin wurde fristlos gekündigt, weil sie sechs Maultaschen mitnehmen wollte, die eigentlich für die Mülltonne bestimmt waren. Eine Sekretärin sollte trotz 34-jähriger Betriebszugehörigkeit fliegen, weil sie von einem für Gäste bestimmten Imbiss eine Frikadelle und zwei halbe Brötchen verspeiste. Ein Oberhausener Industriearbeiter sollte den Laufpass bekommen, weil er sein Handy an einer Steckdose der Firma auflud – was einen Schaden von 0,014 Cent verursachte.
Einen Rausschmiss wegen Winzdelikten begründen Firmen oft mit dem entstandenen Vertrauensverlust. Der Stuttgarter Arbeitsrechtler Stefan Nägele hält das in den meisten Fällen für einen Vorwand. Der Fachanwalt, der vor Gericht sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer vertritt, hat bei zahlreichen Prozessen eine ganz andere Erfahrung gemacht: “Gekündigt werden nur die, die man loswerden will. Bei zehn anderen passiert beim gleichen Delikt überhaupt nix.” Was die Frage nahelegt, ob Lagerarbeiter Hildebrandt bei Citti auf einer Art schwarzen Liste stand. Sandra Thomsen, die Personalchefin der Großhandelsfirma, will dazu aus “grundsätzlichen Erwägungen” nichts sagen. Jedoch: Andere Kollegen, die sich laut Hildebrandt ebenfalls aus dem beschädigten Karton bedienten, sind bei Citti noch immer in Lohn und Brot. Fest steht: Michael Hildebrandt war zum Zeitpunkt seiner Kündigung längst nicht mehr so fit wie bei seinem Firmeneintritt 2001. Nachdem er im Lebensmittellager jahrelang schwere Paletten hatte stemmen müssen, hielt er den Job aufgrund eines Bandscheibenvorfalls nur noch mit Hilfe starker Tabletten durch. Ein Arzt bescheinigte ihm degenerative Veränderungen an der Halswirbelsäule, an den Schultern und den Knien sowie Schäden an der Lendenwirbelsäule mit Lähmungserscheinungen an beiden Unterschenkeln.
Quelle: Spiegel Online
- Afghanistan-Krieg
- Das Lachen der Minderheit
Der Bundestag hat das deutsche Kriegsmandat verlängert. Es ist die Entscheidung einer politischen Parallelgesellschaft, die zeigt, was sie von der wahren Mehrheit hält
Über den Ausgang der Entscheidung (hier die Liste der namentlichen Abstimmung) hatte es vorher keinen Zweifel gegeben: Die deutschen Soldaten bleiben ein weiteres Jahr in Afghanistan, der Kriegseinsatz, um den so viel Wortakrobatik betrieben wird, damit er nicht so genannt werden muss, geht weiter. Fortsetzung findet damit auch der politische Autismus einer Minderheit, die sich für eine Mehrheit hält: 446 Abgeordnete votierten für eine Verlängerung, 148 Parlamentarier stimmten dagegen oder enthielten sich.
Gleich darauf trat Hans-Christian Ströbele ans Mikrofon und wies auf die Mehrheiten außerhalb des Parlaments hin, auf das, was die Bevölkerung von dem Bundeswehreinsatz hält. In einer aktuellen Befragung haben sich sieben von zehn für einen schnellstmöglichen Abzug ausgesprochen. Man kann es drehen und wenden wie man will: Das Abstimmungsergebnis vom Donnerstag kehrt diese Verhältnisse in ihr Gegenteil um.
Quelle: der Freitag
- Guttenberg zu Afghanistan: Ein Schachtelsatz, der die Routine zerreißt
“Ich darf in aller Klarheit sagen, dass Oberst Klein mein volles Verständnis hat angesichts anhaltender Gefechte, in denen auch deutsche Soldaten verwundet wurden”, hebt er an. Guttenberg spricht davon, dass der Oberst, unter dessen Kommando auch deutsche Soldaten gefallen seien, “von der Angemessenheit seines Handels ausgegangen ist”.
Der Minister wählt außerordentlich verschachtelte Sätze, aus denen er mitunter keinen rechten Ausweg findet. “Ich zweifle nicht im Geringsten daran, dass er gehandelt hat, meine Damen und Herren, um seine Soldaten zu schützen”, stellt er aber schließlich klar. Jeder, der jetzt aus der Distanz “laut oder leise” Kritik übe, solle sich das bewusst machen.
“Wie viel leichter scheint es jetzt, sich ein Urteil über diese Frage der Angemessenheit zu bilden aus der Distanz mit auch für mich zahlreichen neuen Dokumenten mit neuen Bewertungen, die ich am 6. November dieses Jahres noch nicht hatte”, nähert sich der Verteidigungsminister dem Punkt. Das entscheidende Wort “Angemessenheit” presst er dabei so gequält hervor, dass auch ein Tränenausbruch nun nicht mehr überraschen würde.
In einem weiteren Schachtelsatz kommt Guttenberg schließlich zu jenem Eingeständnis, das entscheidend sein wird für seine politische Zukunft: “Aus heutiger, objektiver Sicht im Lichte aller auch mir damals vorenthaltener Dokumente” sei der Angriff ” militärisch nicht angemessen” gewesen. Parteifreunde danken dem Minister danach herzlich für seine Erklärung. Das ist dann wieder Routine.
Quelle: SZ
Siehe dazu auch:
- Nicht von der schnellen Truppe
Warum dauert es eigentlich immer so lange, bis ein Politiker mal etwas zugibt, was so ungefähr jeder einzelne Nicht-Politiker längst weiß? Nun hat Herr zu Guttenberg seine Meinung zum Bombenangriff auf zwei Tanklaster nahe Kundus geändert und die Attacke für “nicht angemessen” erklärt. Weil ihm neue Erkenntnisse vorliegen. Dabei hat der Isaf-Oberkommandierende General McCrystal schon kurz nach der Attacke genau dies gesagt. Weil nämlich ein Angriff, bei dem mehr als hundert Zivilisten und vielleicht auch einige wenige Taliban getötet werden, gar nicht angemessen sein kann.
Quelle: FR
Anmerkung Orlando Pascheit: Dazu hätte Guttenberg gar keine Geheimberichte lesen müssen, sondern einfache Pressemeldungen, wie sie z.B. auf den NDS zusammengestellt werden. – Natürlich war Herr zu Guttenberg informiert, er hat jetzt nur seine in der Kritik stehende Reaktion korrigiert. Man könnte das angesichts des bisher üblichen Politikerverhaltens schon wieder als Leistung bezeichnen.
- Betreuungsgeld ist ein sozial- und gleichstellungspolitischer Rückschritt
“Um Wahlfreiheit zu anderen öffentlichen Angeboten und Leistungen zu ermöglichen, soll ab dem Jahr 2013 ein Betreuungsgeld in Höhe von 150,- Euro, gegebenenfalls als Gutschein, für Kinder unter drei Jahren als Bundesleistung eingeführt werden.” (Koalitionsvertrag, Kapitel III Sozialer Fortschritt)
Die Verbände sind sich einig, dass ein Betreuungsgeld grundsätzlich kontraproduktiv ist und fordern daher dessen Streichung aus den Planungen der Regierungskoalition.
- Wahlfreiheit wird dadurch hergestellt, dass genügend qualitativ hochwertige und gebührenfreie bzw. kostengünstige Ganztagsbetreuungsplätze zur Verfügung stehen. Auch 2013 werden nach gegenwärtigem Stand des Ausbaus nicht ausreichend Kita Plätze für Unter Dreijährige vorhanden sein. Insbesondere die Tagesbetreuung wird den Bedarf nicht decken.
- Die Konzeption des Betreuungsgeldes verstößt gegen grundlegende Prinzipien der Elternautonomie: Eine Entscheidung, wie Eltern ihre Kinder betreuen, sollte nicht prämiert, honoriert oder bestraft werden. Genauso wenig darf der Staat über ein Gutscheinsystem andeuten, einkommensarme Eltern könnten nicht verantwortungsbewusst und im Interesse der Kinder haushalten.
- Populistische Äußerungen in Bezug auf arme Familien mit und ohne Migrationshintergrund sind menschenfeindlich, negieren die Anstrengungen vieler Familien und verhindern deren Förderung und Integration umso mehr. Ein flächendeckendes Angebot an Kita Plätzen für alle Kinder sowie Angebote der Familienbildung sind der richtige Schritt auch zu mehr Bildungs- und Chancengerechtigkeit.
- Das Betreuungsgeld setzt darüber hinaus auch für Frauen falsche Signale – nämlich nach der Geburt eines Kindes länger aus ihrer Erwerbstätigkeit auszusteigen. So verfestigen sich traditionelle Geschlechterrollen und der Wunsch der Familien auf eine gleichberechtigte Verteilung der Sorge- und Erziehungsaufgaben bleibt unberücksichtigt.
Das Betreuungsgeld widerspricht den Prinzipien einer modernen Gesellschaft in hohem Maße. Es konterkariert die gleichstellungspolitischen, sozialpolitischen und familienpolitischen Ziele, für die sich die Interessenvertretungen seit vielen Jahren einsetzen.
Der Ausbau der Kinderbetreuung muss höchste Priorität haben. Dabei geht es nicht nur um Plätze für unter Dreijährige, sondern auch um Ganztagsplätze für 3-6jährige Kinder, die vielerorts noch nicht vorhanden sind. Wir fordern die Bundesregierung auf, ihre Bemühungen darauf zu konzentrieren und das für das Betreuungsgeld vorgesehene Budget dafür zu verwenden.
Quelle: BdWi
- Personal in privaten Kliniken hat deutlich mehr Betten zu versorgen als in öffentlichen Häusern
In keinem anderen europäischen Land sind in den letzten beiden Jahrzehnten so viele Krankenhäuser privatisiert worden wie in Deutschland. Seit Anfang der 1990er Jahre hat sich der Anteil privater Kliniken mehr als verdoppelt und beträgt mittlerweile über 30 Prozent. Im gleichen Zeitraum ist der Anteil öffentlicher Krankenhäuser stark zurückgegangen und liegt mit 32 Prozent nur noch knapp über dem der privaten Kliniken. Die größte Gruppe bilden mittlerweile mit 37,5 Prozent die freigemeinnützigen Krankenhäuser. Dabei handelt es sich vor allem um kirchliche Einrichtungen (siehe auch die Grafiken im Anhang zu dieser PM).
Während ein Arzt in einem größeren öffentlichen Haus im Jahr 2008 rechnerisch im Durchschnitt an 780 Tagen belegte Betten zu versorgen hatte, kamen auf seinen Kollegen in einer größeren privaten Klinik 936 Belegtage – und damit rund 20 Prozent mehr (siehe Grafik im Anhang). In größeren freigemeinnützigen Häusern waren es im Durchschnitt sogar 1056 Belegtage pro Arzt.
Auch die Pflegekräfte hatten in privaten Häusern erheblich mehr zu tun: Im Jahresschnitt 2008 hatten sie an 493 Tagen belegte Betten zu versorgen, während es in öffentlich getragenen Kliniken 419 Belegtage waren.
Der andauernde Privatisierungstrend bei den Krankenhäusern könnte allerdings durch eine wachsende Privatisierungsskepsis innerhalb der Bevölkerung gestoppt werden. Ein Beispiel dafür berichten die Forscher aus Niederbayern: Im Rottal-Inn-Kreis haben sich erst vor wenigen Wochen fast 90 Prozent der Bürger bei einem Bürgerentscheid gegen den Verkauf der örtlichen Kreiskrankenhäuser ausgesprochen.
Quelle: WSI [PDF – 147 KB]
- Bei der BA haben 57.000 Mitarbeiter Zugriff auf sensible Daten von Arbeitslosen
Derzeit haben etwa 57.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Zugriff auf Datensätze von Arbeitssuchenden, in denen Informationen etwa über gesundheitliche Einschränkungen, das individuelle Leistungspotenzial, das Arbeits- und Sozialverhalten sowie die familiäre und finanzielle Situation enthalten sind. Dies geht aus der Antwort der Bundesregierung (17/97) auf eine Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen (17/18) hervor. Hintergrund der Anfrage war Kritik von Personalräten der Bundesagentur für Arbeit (BA), die laut Fragesteller die Praxis im Umgang mit den Daten als ”Verletzung des Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung und des Sozialdatenschutzes“ kritisiert hatten. ”
In einem ersten Schritt wurden die Zugriffsrechte auf diejenigen beschränkt, die in den Grundsicherungsstellen fachlich tätig sind“, schreibt die Bundesregierung, ”weitere datenschutzrechtliche Korrekturen sind für Dezember 2009 und April 2010 vorgesehen.“ Ab Dezember 2009 würden die Zugriffsrechte stark eingeschränkt, heißt es weiter. ”Mit den persönlichen Betreuerinnen und Betreuern von Bewerberinnen und Bewerbern sowie deren Vertreterinnen und Vertretern werden auf die im Rahmen des Vier-Phasen-Modells erhobenen Daten nur noch maximal 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zugreifen können“, schreibt die Bundesregierung. Vier-Phasen-Modell ist der Name des Verfahrens, mit dem seit Mitte August 2009 die für die Bearbeitung notwendigen Angaben von Arbeitslosen und Hilfebedürftigen erfasst und gespeichert werden. Zudem würden lesende Zugriffe auf diese Daten vollständig protokolliert und somit nachvollziehbar gemacht, heißt es in der Antwort.
Bündnis 90/Die Grünen wollten auch wissen, wie viele Arbeitgeber auf die Jobbörse der Bundesanstalt für Arbeit zugreifen können, in der laut Fragensteller Bewerbungsunterlagen von 3,8 Millionen Arbeitssuchenden gespeichert sind. ”Laut Auskunft der BA lassen sich wöchentlich etwa 1.700 Arbeitgeber neu in der Online-Jobbörse registrieren“, schreibt die Bundesregierung. Seit dem 30. Oktober 2009 würden alle neu registrierten Arbeitgeber überprüft werden, rund zwei Prozent der neu angelegten Benutzerkonten seien wieder deaktiviert worden.
Quelle: Deutscher Bundestag
- Wie die Europäer enteignet werden. Das “Schwedische Modell”
Großbritannien wurde das abschreckende Beispiel für den Unfug, das Eisenbahnsystem zu zerschlagen und zu privatisieren. Kürzlich meldete die Frankfurter Rundschau 3.7.09, daß die britische Regierung gezwungen ist, für die längste Strecke London-Edinburgh den Ausverkauf rückgängig zu machen, weil der private Betreiber den Anforderungen nicht entsprechen kann. Aus Berlin/Brandenburg wird bekannt, daß die Firma VEOLIA sich bei der Verkehrs-Ausschreibung übernommen hatte. Die längste Eisenbahnstrecke in Schweden von Malmö über Stockholm nach Luleå wurde von der Regierung der Firma VEOLIA anvertraut. Denn ab 1.Juli 2009 wurde die bürgereigene Schwedische Staatsbahn SJ “entreguliert”, d.h. privatisiert. In den Medien wurden bisher keine kritischen Berichte veröffentlicht. Ausnahme: DAGENS NYHETER veröffentlichte am 1.7.09 die Stellungnahme von Reichstagsabgeordneten der Sozialdemokratie, der Linkspartei und der Grünen sowie dem Vorsitzenden der Gewerkschaft öffentlicher Dienste SEKO:
“Wir machen die Entregelung des schwedischen Eisenbahnverkehrs rückgängig!” (Auszugsweise Übersetzung).
Quelle: LabourNet
- Ladenöffnung an allen vier Adventssonntagen in Berlin nicht verfassungsgemäß
Hier der Wortlaut des Urteils des Bundesverfassungsgerichts.
Quelle: Bundesverfassungsgericht
- Schwarz-Gelb droht Streit ums Mietrecht
Das Mietrecht solle sozial bleiben: Ilse Aigner lehnt deutlich kürzere Kündigungsfristen offenbar ab. Damit brüskiert die Verbraucherschutzministerin den Bündnispartner FDP – im Kabinett drohen neue Auseinandersetzungen.
Quelle: Spiegel Online
Anmerkung WL: Wir haben demnächst Wahlen in NRW und allmählich muss der Union aufgegangen sein, dass die teilweise vernichtende Kritik auch von sonst ungewohnter Seite, Wirkung zeigen wird
- Eilt: Unterschrift unter eine Petition zur Einführung einer Transaktionssteuer
Die Frist für die Erreichung des Quorums von 50.000 Mitzeichnungen/Unterstützungen mit der Folge, dass das Thema in einer öffentlichen Ausschusssitzung behandelt wird und der Hauptpetent Rederecht hat, endet am 05.12.2009, 24.00 Uhr.
Die Mitzeichnungsfrist für diese Petition läuft am 25.12.2009, 24.00 Uhr, ab.
Text der Petition
Der Deutsche Bundestag möge beschließen: Bundesregierung und Bundestag werden aufgefordert, eine Finanztransaktionssteuer einzuführen und dafür einzutreten, dass sie auch von anderen Ländern umgesetzt wird. Diese Steuer bezieht alle spekulationsrelevanten Finanztransaktionen ein. Bis diese Steuer EU- oder weltweit umgesetzt ist, sollen auf nationaler Ebene vorbereitende Schritte unternommen werden, z.B. unterstützende parlamentarische Entschließungen oder die Einführung einer Börsenumsatzsteuer.
Quelle 1: Deutscher Bundestag
Quelle 2: Steuer gegen Armut
- Honduras: Triumph der Putsch-Politik
Die USA und ihre lateinamerikanischen Freunde scheinen die neuen Verhältnisse anerkennen zu wollen
In Honduras zeigt die um ihren Machterhalt kämpfende Oberschicht dieses armen, zentralamerikanischen Landes der Staatengemeinschaft die kalte Schulter. Als Präsident Manuel Zelaya, der sich politisch nach links entwickelt hatte, in ein Flugzeug gesetzt und außer Landes gebracht wurde, verlangten so gut wie alle Staaten Lateinamerikas, die USA und die EU die Rücknahme seiner Absetzung. Ohne entsprechenden Druck sind gute Ratschläge aber nichts wert. Selbst Zelayas heimliche Rückkehr nach Honduras, wo er in Brasiliens Botschaft unterkam, brachte nichts. Vorigen Sonntag wurden Präsidentschaftswahlen durchgeführt, die der Konservative Porfirio Lobo gewann.
Als minimales Zugeständnis hatten internationale Vermittler, darunter hochrangige US-Emissäre, den Putschisten das Versprechen abgerungen, Zelaya bis zur Amtseinführung Lobos Ende Jänner ins Präsidentenamt zurückkehren zu lassen. Doch soeben lehnte das Parlament von Honduras Zelayas symbolische Rückkehr mit großer Mehrheit ab.
Quelle: der standard
Anmerkung WL: Und die Bundesregierung, vor allem die „freiheitliche“ FDP schlagen sich auf die Seite der Putschisten.
Es war schon immer so, dass für den Wirtschaftsliberalismus Demokratie gegenüber dem Erhalt der Besitzverhältnisse nachrangig ist.
- Enorme Lust auf direkte Demokratie
Die Abstimmung über die Minarettinitiative hat in den Nachbarländern den Ruf nach direkter Demokratie verstärkt. Insbesondere wollen viele über Minarette abstimmen. Andere warnen vor Gefahren für den Rechtsstaat.
Quelle: NZZ
Anmerkung Orlando Pascheit: Offensichtlich hat die Abstimmung in der Schweiz entscheidende Versäumnisse der Integrationspolitik, aber auch der politischen Willensbildung in ganz Europa offen gelegt.