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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Von Katalonien bis Mexiko, von Kolumbien bis Brasilien – „Russen überall!”
Datum: 29. April 2018 um 11:45 Uhr
Rubrik: Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik
Verantwortlich: Redaktion
„Die Russen kommen, um uns unser Öl wegzunehmen”, sagt eine männliche Stimme in einer WhatsApp-Sprachnachricht von Anfang Februar dieses Jahres. Von Mobiltelefonen tausendfach zum elektronischen Flächenbrand potenziert, ist die angebliche „Nachricht“ in wenigen Stunden der absolute Trending Topic im größten Teil Mexikos. Der Autor schürt weiter die Angst, doch jetzt mit Anspielungen auf den in allen Umfragen favorisierten Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen am 1. Juli 2018: „Russland kontrolliert das Öl Venezuelas, Lopez Obrador verspricht, die Reform des Energiesektors zurückzunehmen – warum? Natürlich um seinen Willen auf Kosten des Öls der Mexikaner durchzusetzen.” Von Frederico Füllgraf.
Die Meldung strickt an einer bizarren Verschwörungstheorie: Andrés Manuel López Obrador als einen von langer Hand gesteuerten Kandidaten zu denunzieren, Russland die Beeinflussung der mexikanischen Präsidentschaftswahlen zu unterstellen. Nach „Beeinflussung der Wahlen in den USA und Deutschland” und der „Manipulation des Brexits”, nun auch „subversive Aktivitäten” in Mexiko? Bitte etwas Geduld, das war noch nicht alles!
„Russland versucht, in den Wahlkämpfen von Mexiko und Kolumbien zu agitieren“, spekulierte der Staatssender Deutsche Welle unter Berufung auf den ehemaligen stellvertretenden US-Verteidigungsminister Frank Mora (Rusia buscaría agitar campañas electorales en México y Colombia – Deutsche Welle, 21. Januar 2018). Nun werden die Mutmaßungen spukhaft. Mora „sieht“ Russlands lange Finger auch im brasilianischen Wahlkampf, der offiziell noch gar nicht begonnen hat. „Da wird Ähnliches ausgetüftelt”, gaukelte der Amerikaner dem kolumbianischen Sender BLU Radio vor.
Frank Mora, muss man wissen, entstammt einer exilkubanischen Familie aus Florida und diente während der vergangenen zwanzig Jahre unter anderem als Berater des Institute for National Security Studies (INSS), ferner des National Democratic Institute, des US State Department, der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und des Southern Command der US-Streitkräfte.
Der Haken der einbildungskräftigen „Omnipräsenz” der Russen ist: Sie lässt sich nicht beweisen. In Brasilien spiele sich die „Störung durch Desinformationskampagnen“ in sozialen Netzwerken ab, behauptete Mora, und nannte die US-amerikanische Agentur Bloomberg als Quelle. Allerdings, welcher Kandidat davon profitieren soll, wusste der Sicherheitsberater nicht zu sagen.
Grobe Zweideutigkeit auch im Fall Mexikos. Da gäbe es „bis zur Stunde keine Belege”, gestand die britische BBC, stichelte aber im Nebensatz, „doch die Diskussion darüber hält an”. Was als verschleierter Hinweis zu verstehen war, dass das Russen-Narrativ ruhig weitergesponnen werden sollte (“Ahí vienen los rusos”: la guerra sucia en la elección presidencial de México que inquieta a Estados Unidos – BBC Mundo, 8. Februar 2018).
EU-Medien kontra Russia Today: Der Fall Katalonien
Im Zusammenhang mit dem katalonischen Unabhängigkeits-Referendum und den anschließenden Parlamentswahlen eskalierte das Russland-Syndrom zum medialen Schlagabtausch. „Spanien hat vor einer mutmaßlichen Desinformationskampagne in Katalonien gewarnt. Ausgangspunkt sei russisches Territorium, erklärte die spanische Verteidigungsministerin”, war bereits Ende 2017 in der Online-Ausgabe der deutschen Tagesschau zu lesen (Katalonien-Krise. Spanien spricht von russischer Kampagne – Tagesschau, 14.11.2017).
In den sozialen Netzwerken seien gefälschte Nutzerkonten entdeckt worden, die zur Hälfte nach Russland und zu einem erheblichen Teil nach Venezuela zurückverfolgt worden seien, bekräftigte das Handelsblatt. Die spanische Regierung behauptete, staatliche und private russische Gruppen hätten über Twitter und Facebook Carles Puigdemonts Separatisten gefördert.
Spaniens Außenminister Alfonso Dastis erklärte, „Ja, wir haben Beweise”, Verteidigungs-Ministerin Maria Dolores de Cospedal sprach auf einem EU-Ministertreffen in Brüssel von „Belegen”. Doch selbst die Tagesschau signalisierte Vorbehalt: „Beweise legte die Regierung in Madrid bislang allerdings nicht vor.” Dennoch, wo jeder vernünftige Journalist diese „Meldung” als Nicht-Nachricht sofort dahin befördert hätte, wo sie hingehörte – nämlich in den Müll – war sie auch der Tagesschau immerhin einen ganzen Artikel wert. Im Zweifelsfall mit dem Hintergedanken, „vielleicht ist ja doch was dran”?
Mitte vergangenen März kam es schließlich zum Medieneklat. In einer ungewöhnlichen Stellungnahme veröffentlichte der Madrider Presseverband (APM) eine Erklärung zum Schutz des stellvertretenden Chefredakteurs der Zeitung El País, David Alandete, der als Opfer einer angeblichen Hetzkampagne bezeichnet wurde. In der Erklärung beschuldigte APM „russische Medien und andere mit ihnen im Einklang handelnde Organisationen” der „prinzipiellen Diskreditierung und Entwertung dessen, was Alandete publiziert“, was „seine Behinderung bei der Ausübung des freien Journalismus” bedeute.
Der Hauptvorwurf richtete sich gegen das sogenannte Hispano-Russische Observatorium für Eurasien, mit Niederschlag in digitalen Medien wie Democracia Nacional, Digital Sevilla und Iniciativa Debate, zu den zitierten Medien gehörte jedoch auch der Staatssender Russia Today (RT) mit seinen Madrider Korrespondenten.
El País und der postfaktische Journalismus
Den Kern der Polemik bildete die Kritik dieser Medien an der Katalonien-Berichterstattung von El País und umgekehrt, in deren Verlauf Alandete von den digitalen Medien allerdings bar jeder Beweisführung als „CIA-Agent“ beleidigt worden war; ein Vorwurf, an dem sich hingegen RT nicht beteiligte.
„Es ist immerhin … erstaunlich, dass nach den titanischen Bemühungen Alandetes, die Arbeit von Medien wie RT zu diskreditieren – die sich wahnhafter wie unbegründeter Anschuldigungen bediente – er nun als Opfer einer Kampagne der Diskreditierung dargestellt wird, die eigentlich in genau umgekehrte Richtung zielt“, reagierte RT (La Asociación de la Prensa de Madrid acusa de acoso a RT por defenderse del acoso de El País – 16. März 2018). Besonderen Anstoß nahm der russische Sender an dem Absatz der APM-Erklärung, wonach jene “Kampagne” auf Informationen zurückzuführen sei, die El País in den letzten Monaten über die angebliche russische Einmischung in den katalanischen Konflikt und in „andere Wahlprozesse in Europa“ veröffentlicht hat.
Dass El País monatelang vor üblem journalistischen Foulspiel nicht zurückschreckte, ließ sich auf exemplarische Weise von der Überschrift „Rusia ganó el referéndum catalán, según el editorial de ‘The Washington Post’“ (Russland gewann das katalanische Referendum laut dem Leitartikel der ´The Washington Post´ – El País, 03. Oktober 2017) ableiten, womit die spanische Tageszeitung Mutmaßungen der Washingtoner Seilschaft über die angebliche Nutzung der katalanischen Krise als zusätzliches Mittel zur Schwächung des demokratischen Westens durch Russland kolportierte und trotz eines Dementis des konservativen Präsidenten Mariano Rajoy gegenüber dem Radiosender Cadena COPE (Rajoy no tiene “ningún dato” sobre la presunta injerencia del Gobierno ruso – Sputnik, 14. November 2017) weiterhin stur verficht.
„Russen in Mexiko!“
Die anti-russische Dreckschleuder wurde symptomatischerweise im Januar 2018 bedient, als knapp sechs Monate vor den mexikanischen Präsidentschaftswahlen der Politikwissenschaftler, Schriftsteller, ehemalige Bürgermeister Mexiko-Citys und Begründer der Bewegung der Nationalen Erneuerung (Morena), Andrés Manuel López Obrador, bereits mit rund 37 Prozent der Stimmabsichten als Favorit vor seinen konservativen Rivalen Ricardo Anaya (27 Prozent) und José Antonio Meade (25 Prozent) rangierte.
In einem Brief empfahlen die Senatoren Marco Rubio und Bob Menendez dem damals noch amtierenden Außenminister Rex Tillerson, Mexiko und andere lateinamerikanische Länder dazu aufzufordern, zwecks Verhinderung einer angeblichen Wahl-Intervention Russlands sich auf die USA „zu stützen“. Der Demokrat Rubio und der Republikaner Menendez, beide politisch im exilkubanischen Umfeld beheimatet und als enge Lateinamerika-Berater Donald Trumps bekannt (siehe Trumps “militärische Option” gegen Venezuela), warnten die US-Regierung mit der Behauptung, Russland benutze „hoch entwickelte Technologie” zur Beeinflussung der Präsidentschaftswahl in Mexiko (México debe apoyarse en nosotros para evitar injerencia rusa: senadores de EU – El Financiero, 31. Januar 2018).
Einen Monat später brach Tillerson zu einer politischen Blitzreise auf und empfahl tatsächlich den mexikanischen Behörden, ein „wachsames Auge“ auf mögliche Einmischungen Moskaus in die für Juli geplanten Wahlen zu halten. „Wir wissen, dass Russland bei Wahlen auf der ganzen Welt Fingerabdrücke hinterlässt. Ich empfehle, darauf zu achten, was passiert”, ermahnte der im darauffolgenden März schon gefeuerte Minister. Die Scharfmacherei stammte wieder aus den Redaktionsräumen von El País (Tillerson pide a México “prestar atención” ante una posible injerencia rusa en las elecciones – 03. Februar 2018).
Die Mutmaßungen stützten sich zunächst auf einen Bericht des Kolumnisten Javier Tejado von El Universal über eine angebliche Untersuchung in der Nationalen Wahlbehörde (INE). Tejado meldete einen ungewöhnlichen Zugriff auf die Website extramotion.mx von Computern mit einer russischen IP-Adresse. Berater des INE lehnten jedoch die Version ab. Der Zugriff sei nichts Ungewöhnliches, das Portal biete Wahlinformationen für im Ausland lebende Mexikaner an.
Sodann geriet wieder der Fernsehsender Russia Today in die Schusslinie, genauer: John Ackerman, ein eingebürgerter US-Amerikaner vom Institut für juristische Forschungen an der Universidad Nacional Autónoma de México (UNAM). Von einzelnen Journalisten wurde Ackerman als „Moskauer Verbindungsmann“ zum Wahlteam López Obradors bezichtigt, weil der Wissenschaftler öfter als Analyst und Kommentator im spanischsprachigen Dienst von Russia Today aufgetreten war.
Die Unterstellung sollte mit der Spekulation erhärtet werden, dass Ackermans Ehefrau, die Hochschulprofessorin Irma Sandoval, im Fall eines Wahlsieges López Obradors Mitglied seines Regierungskabinetts werden könnte. Für die Gegner des progressiven, favorisierten Kandidaten und virtuellen, künftigen Präsidenten „alles Beweise“ für die angebliche russische Intervention. Hingegen in der Wertung des auf Gröbste verdächtigten Ackerman nichts weiter als „Teil des schmutzigen Krieges im Wahlkampf”.
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