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Titel: Anne Will: „Objektiver“ Journalismus von der Atlantik-Brücke

Datum: 17. April 2018 um 11:25 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Lobbyorganisationen und interessengebundene Wissenschaft, Medienkritik, Strategien der Meinungsmache
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Albrecht Müller hat bereits gestern in seinem Artikel „Die politische Linie der ARD wird von USA und NATO bestimmt“ einen kritischen Blick auf die letzte Sendung von Anne Will geworfen. Einen Beleg dafür, wie tief die Redaktion von Anne Will bereits in die transatlantischen Strukturen eingebunden ist, zeigt auch die vertiefende Beobachtung der Sendung von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Am vergangenen Sonntag gaben sich bei Anne Will fünf Gäste die Ehre. Drei von ihnen sind Mitglieder der Atlantik-Brücke. Ist das ein Problem? Ja, ist es. Ausgewogenheit und Meinungsvielfalt sieht anders aus. Aber noch schlimmer ist: Anne Will informiert ihre Zuschauer in der Sendung nicht über die Mitgliedschaft der drei Gäste in dem Elitezirkel. Wäre diese Information notwendig gewesen? Ja, wäre sie.

„Angriffe des Westens auf Syrien – wie gefährlich ist die Konfrontation mit Russland?“ lautete das Thema am Sonntagabend bei Anne Will. Ein wichtiges Thema, das spätestens seit dem Fall Skripal und der sich zuspitzenden Situation in Syrien wieder ganz oben auf ist. Was darf ein Zuschauer des öffentlich-rechtlichen Fernsehens erwarten, wenn dieses Thema in einer der bekanntesten politischen Talkshows des Landes diskutiert wird? Natürlich: Ausgewogenheit, Meinungsvielfalt. Also genau das, was ein Journalismus leisten muss, der, soweit möglich, sich um Objektivität bemüht.

Doch was an diesem Abend in der Sendung geboten wurde, war in vielerlei Hinsicht ein journalistischer Offenbarungseid. Ein erster Blick auf die Gästeliste genügt, um festzustellen: Meinungsvielfalt sieht anders aus. Zu Gast waren Norbert Röttgen (CDU, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages), Wolfgang Ischinger (Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz), Alexander Graf Lambsdorff (Stellvertretender Fraktionsvorsitzender der FDP im Bundestag), Golineh Atai (Korrespondentin im ARD-Studio Moskau) und Jan van Aken (Linkenpolitiker und ehemaliger UN-Waffeninspekteur). Anders gesagt: Bis auf van Aken war für jeden politischen Beobachter auf den ersten Blick zu erkennen, wie die Diskussion verlaufen würde: Während van Aken etwas zurückhaltender mit der (Vor-)Verurteilung Russlands sein und auf die Einhaltung des Völkerrechts verweisen würde, würden die anderen Gäste das Gegengewicht bilden.

Und so kam es dann auch. Das kann man nun gut oder schlecht finden. Nur: Mit einem Journalismus, der versucht, eine hochkomplexe politische Gemengelage aus unterschiedlichen Perspektiven und mit unterschiedlichen Standpunkten in einer Diskussionsrunde, die ernstgenommen werden möchte, abzubilden, hatte der Polit-Talk nichts zu tun. Aber vielleicht liegt hier auch ein Denkfehler vor. Wollte man das Gegenteil erreichen und möglichst eine unausgewogene Zusammensetzung erreichen, dann lässt sich sagen: Ziel erreicht.

Doch bleiben wir sachlich. Das medienkritische Portal „Übermedien“ hat sich die Teilnehmer der Sendung etwas genauer angeschaut und stellt fest: Röttgen, Ischinger und Graf Lambsdorff sind Mitglieder der Atlantik-Brücke. Atlantik-Brücke? Nun, das ist ein „ziemlich ehrenwerter Verein.“ Darüber waren sich zumindest Claus Kleber (Chef des ZDF-„Heute-Journals“) und Sigmar Gabriel (damals noch Außenminister) im November des vergangenen Jahres bei Maybrit Illner (ab Minute 57:20) einig. Das kann man so sehen. Schließlich heißt es in der Selbstbeschreibung des Vereins:

Die 1952 gegründete Atlantik-Brücke hat das Ziel, die Zusammenarbeit zwischen Deutschland, Europa und Amerika auf allen Ebenen zu vertiefen. Die transatlantische Zusammenarbeit ist und bleibt gerade in schwierigen Zeiten ein entscheidender Faktor für die globale Ordnung und Stabilität. Jetzt, da nationalistische Strömungen weltweit an Zuspruch gewinnen, sieht sich die Atlantik-Brücke umso mehr ihrem Auftrag verpflichtet. Sie setzt sich für Multilateralismus, offene Gesellschaften und freien Handel ein. Als gemeinnütziger und überparteilicher Verein stärkt die Atlantik-Brücke den Austausch zwischen Politik und Unternehmen, aber auch zwischen jungen Führungskräften und Vertretern der Zivilgesellschaft jenseits der Parteilinien. Die Atlantik-Brücke bietet eine Plattform für unterschiedliche Perspektiven und eine lebendige Debatte.

Soweit die eine Seite. Nun zur anderen. Anne Zetsche, Historikerin und Gastwissenschaftlerin am John-F.-Kennedy-Institut in Berlin, hat zu dem Eliten-Verein ihre Doktorarbeit geschrieben. Im Interview mit den NachDenkSeiten sagte sie im vergangenen Jahr, dass über „diesen Zirkel … schon seit den 1950er Jahren demokratisch nicht-legitimierte Privatpersonen Einfluss auf die Politik Deutschlands und der USA nehmen“. Und Zetsche weiter: „Aufgrund der besonderen Mischung der Mitglieder fungierten die beiden Organisationen auch als Lobbyorganisationen (deep lobbying) für die transatlantische Partnerschaft/Gefolgschaft und für die Nato“.

Das klingt plötzlich schon etwas anders. Gar nicht mehr so harmlos. Nun kann man sich einen Auszug der Mitgliederliste anschauen und darf die Frage aufwerfen: Wo liegt denn jetzt genau das Problem? Es gibt doch immerhin eine Vielzahl von Elitenzirkeln. Und sollen etwa wirklich alle Mitglieder eines Zirkels genau eine Meinung haben? Ist es nicht so, dass man auch erwarten darf, dass es unter den 500 Mitgliedern der Atlantik-Brücke auch unterschiedliche Meinungen gibt?

Man muss nicht alle 500 Mitglieder der Atlantik-Brücke kennen, um diese Frage beantworten zu können. Alleine schon der gesunde Menschenverstand führt uns zu dem Schluss: Natürlich! Wenn 500 Menschen in so einem Verein zusammenkommen, gibt es auch unterschiedliche Ansichten. Aber wie nun? Wo liegt denn dann das Problem? Warum sollte man Anne Will dafür kritisieren, dass drei Gäste bei ihr zu Gast waren, die Mitglieder bei der Atlantik-Brücke sind?

Machen wir uns nichts vor: Die Formulierung „unterschiedlicher Meinung sein“ ist dehnbar wie ein Kaugummi. Man kann unterschiedlicher Meinung zu einem bestimmten Thema sein, aber im Großen und Ganzen doch wiederum ganz nah politisch zusammen sein. Und genau so ist es eben bei einem Zirkel wie der Atlantik-Brücke. Hier gibt es, wie überall, wo Menschen zusammenkommen, eine gewisse Meinungsvielfalt, aber Ansichten, die sich wirklich fundamental politisch entgegenstehen, dürften sich dort schwer finden lassen. Diese Aussage kann jeder Leser selbst überprüfen: Schauen Sie sich die Namen auf der Mitgliederliste an und denken Sie darüber nach, wo sie die entsprechenden Akteure meinungspolitisch positionieren. Sie werden feststellen: Das Meinungsspektrum ist eng, um nicht zu sagen: sehr eng gefasst.

Doch soweit müssen wir gar nicht gehen. Für die Kritik an „Anne Will“ genügt es, sich die „Diskussion“, wie sie am Sonntag in der Sendung verfolgt werden konnte, anzuschauen, um zu erkennen: Hier saßen sich keine Akteure gegenüber, die völlig unterschiedliche Ansichten vertraten. Im Gegenteil: Man war sich im Wesentlichen einig. Sollte die Redaktion von Anne Will allen Ernstes beabsichtigt haben, auf diese Weise Meinungsvielfalt in den Polit-Talk zu tragen, dann ist der Versuch auf ganzer Linie gescheitert. Anders gesagt: Drei Mitglieder der Atlantik-Brücke, aber eine Meinung.

Doch die Zusammensetzung der „Diskussionsrunde“ ist nur das eine. Das andere ist: Warum hat Anne Will ihre Zuschauer nicht über diese doch sehr spezielle Mitgliedschaft von gleich drei ihrer Gäste informiert? Das Portal meedia.de hat beim Norddeutschen Rundfunk (NDR) nachgefragt und folgende Antwort erhalten:

In den Vorstellungstexten auf der Internetseite von Anne Will war schon im Vorfeld der Sendung in den jeweiligen Kurzbiografien der Gäste nachzulesen, dass Wolfgang Ischinger, Norbert Röttgen und Alexander Graf Lambsdorff Vorstands-Mitglieder der „Atlantik-Brücke e.V.“ sind – genauso wie z. B. die Information, dass Graf Lambsdorff auch Mitglied im deutsch-russischen Dialogforum „Petersburger Dialog e.V.“ ist oder Jan van Aken Gründer und Leiter einer NGO zur Ächtung biologischer Waffen.

Auf meedia.de heißt es weiter:

Weiter schreibt der Sender, dass es für Außenpolitiker durchaus üblich sei, in einer oder mehrerer solcher Organisationen Mitglied zu sein, “dies verpflichtet allerdings nicht auf eine gleichlautende Meinung”. Zudem müsse sich die Redaktion bei den Inserts (den Einblendungen mit Infos zu Gästen während der Sendung) auf eine gewisse Anzahl pro Gast festlegen. “Alle weiteren relevanten Informationen finden sich auf der Homepage, auf die während der Sendung mehrfach hingewiesen wird.“

So einfach kann man es sich natürlich auch machen. Aber erinnern wir uns an den Auftritt des Nahost-Experten Michael Lüders bei Will im April des vergangenen Jahres. Lüders, der vor allem durch seinen kritischen Blick auf den Krieg in Syrien bekannt ist, hatte in der Sendung keinen leichten Stand. Der Kommunikationswissenschaftler und Journalismusforscher Uwe Krüger twitterte zur Anne-Will-Sendung:

Das ist vor allem bemerkenswert vor dem Hintergrund, wie @annewill vor einem Jahr mit dem Nahost-Experten Michael Lüders umgegangen ist, den sie als “nicht neutralen Geschäftsmann” diskreditierte.

Damals sagte Will zu Lüders:

Wir haben Sie heute bewusst nicht als einen neutralen Nahost-Experten vorgestellt, sondern als Autor und als Politik- und Wirtschaftsberater. Sie sind, muss man sagen… ein Geschäftsmann, der sein Wissen an Firmen verkauft, die im Nahen und Mittleren Osten ihre Geschäfte machen wollen. Spielen Ihre wirtschaftlichen Interessen da eine Rolle, wenn Sie sagen oder behaupten, dass es der Westen sei, der Syrien ins Chaos gestürzt hat?

Im Interview mit den NachDenkSeiten antwortete Lüders auf die Frage, ob die Anmerkungen von Will nicht legitim seien:

Grundsätzlich ja, aber der Ton macht die Musik. Wäre es Frau Will um die Sache gegangen, nicht lediglich um Diffamierung, so hätte sie sicher auch erwähnen können, dass der Mitdiskutant John Kornblum, vorgestellt lediglich als ehemaliger US-Botschafter in Berlin, als Deutschland-Chef der amerikanischen Investmentbank Lazard gewirkt hat. Heute sitzt er, unter anderem, im Aufsichtsrat von Thyssen Krupp, von Motorola Europa und der Bayer AG, laut Wikipedia. Mitdiskutant Michael Wolffsohn ist Mitglied im Beirat Ost der Deutschen Bank. Das aber wurde mit keinem Wort erwähnt.

Wenn man sich anschaut, wie Will versucht, die „Hintergründe“ von Lüders zu durchleuchten, um ihre Zuschauer über eine mögliche Interessenverwicklung ihres Gastes aufzuklären, kann man nur noch staunen. Wo war und ist dieser kritische Journalismus, wenn es um Gäste geht, die „gefällige“ Positionen vertreten? Am Sonntagabend wäre in der Sendung der Verweis auf die Mitgliedschaft der Gäste in der Atlantik-Brücke angebracht gewesen, genauso wie eine kritische Einordnung dieser Mitgliedschaft hätte erfolgen müssen. Doch das ist offensichtlich zu viel verlangt.

Und das verwundert nicht. Neben der Zusammensetzung der Runde ist neben vielen Kritikpunkten an der Moderation vor allem ein Sachverhalt aufgefallen, der kaum zu ertragen ist. Mehrmals wurde in der Runde darüber gesprochen, ob der Angriff der USA gegen Ziele in Syrien gegen Völkerrecht verstoßen hat. Anne Will, eine ausgebildete Journalistin, stellte ihren Gästen folgende Frage: „War es ein Verstoß gegen das Völkerrecht?“.

Im Prinzip tritt in dieser einen Frage das gesamte Versagen des politischen Journalismus in Deutschland, wie er zu oft zu beobachten ist, offen zu Tage. Man muss kein Experte für Völkerrecht sein, um die entsprechenden Artikel der UN-Charta, die bei der von Will gestellten Frage die entscheidende Rolle spielen, zu verstehen. Der ehemalige Richter am Bundesverwaltungsgericht, Dieter Deiseroth sagte in einem NachDenkSeiten-Interview zum Angriff der USA auf Syrien vom 7. April des vergangenen Jahres:

Völkerrechtswidrig war und ist dieser Militärschlag, weil er unter Anwendung von militärischer Gewalt die territoriale Integrität des UN-Mitgliedsstaates Syrien gravierend verletzt und damit tatbestandlich gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot nach Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta verstoßen hat. Dieser militärische Gewaltakt vermag sich auf keinen völkerrechtlichen Rechtfertigungsgrund zu stützen.

Kann man von einer der prominentesten politischen Journalistinnen Deutschlands erwarten, dass sie sich im Vorfeld der Sendung über die Frage, ob der Angriff völkerrechtswidrig war, genau informiert? Kann man von ihr erwarten, dass sie, wenn sie sich informiert, zu dem Schluss kommt: Ja, dieser Angriff war rechtswidrig? Kann man von Anne Will erwarten, dass sie ihren Gästen eine Frage stellt wie zum Beispiel: „Der Angriff gegen Syrien verstößt gegen das Völkerrecht. Herr Röttgen, warum verurteilt die Bundesregierung diesen Bruch des Völkerrechts nicht?“

Nein. Das kann man nicht erwarten. Das muss man erwarten. Die Erwartungen wurden nicht erfüllt.


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