Heute unter anderem zu folgenden Themen: Neue Bevölkerungsprognose: Über die Sinnhaftigkeit von Modellrechnungen in die ferne Zukunft; Klausur verhauen; USA machen mit Steuerfahndung in der Schweiz ernst; Ackermans Hängematte; Skandale um und in der NSH; Hessische Steuerfahnder-Affäre; Die Kopfpauschale – ein Milliardengrab; Betrug mit der Kurzarbeit; Stromkonzerne kündigen weitere Preiserhöhung an; die Alterung der Gesellschaft ist ein altes Problem; Bologna-Reform: Jetzt räumen sie Fehler ein; USA: Land der begrenzten Mahlzeiten; USA/China; Kritik an Israels Siedlungsplänen. (RS/WL)
- Neue Bevölkerungsvorausberechnung: 2060 wird jeder Dritte 65 oder älter sein
Das Statistische Bundesamt (destatis) hat neue Zahlen zur Bevölkerungsentwicklung vorgelegt. Laut der Berechnung des Amtes werden im Jahr 2060 nur noch 65 bis 70 Millionen Menschen in Deutschland leben. Derzeit sind es rund 82 Millionen.
Quelle: Tagesschau.de
Dazu schickt uns unser Leser Gerd Bosbach, Professor für Statistik und empirische Wirtschafts- und Sozialforschung folgenden Brief an die lieben Fachleute:
Bei Betrachtung der Präsidentenrede auf der PK hat mich einiges erzürnt. War es vielleicht nur Zorn über eigenes Unverständnis oder doch über das Dargestellte?
Auch Antworten auf Teile würden mich freuen.
- Ständige wurden absolute Zahlen genutzt, obwohl die Aussage zum Bevölkerungsanteil passte.
Beispiel: Rückgang der Erwerbsfähigen von heute 50 auf später 33 Mio.. Bei einem Bevölkerungsrückgang von 20 % ist die Reduktion auf 40 Millionen Erwerbsfähigen überhaupt keine zusätzliche Belastung. Nur der Rest ist zu bewältigen.
Aber der Präsident stellte explizit den Rückgang der absoluten Zahlen um 34% als das Problem dar.
(Analog behandelte er die Zahlen zum Rückgang der Kinder und Jugendlichen von 16 auf 10 Millionen. Die Anteilsbetrachtung von 19 auf 16 % ist m.E. richtig, aber nicht so dramatisch.)
- Vermischung von dynamischen und statischen Betrachtungen bei den Hochbetagten. Als Grundlage der Daten wird von einer um 7 bis 8 Jahren älteren Bevölkerung ausgegangen. Bei der dramatisch dargestellten Steigerung des Anteils der Hochbetagten wird aber heute wie 2060 hochbetagt mit über 80 Jahren definiert. Müsste hochbetagt (und damit pflegebedürftig assoziiert) nicht 2060 später beginnen? Oder werden wir nur krank älter?
- Natürlich wirken Prozesse über 52 Jahre massiv. Zur Vorstellung der realen Belastung müsste das aber auf Veränderung pro Jahr umgerechnet werden. So ist das Absinken des Erwerbsfähigenanteils bis 2060 von 17 % eine jährliche Belastung von 0,35%. Wäre das nicht realistischer?
Ansonsten muss ich lauthals beklagen, dass der Bierpreis in Köln um 380% gestiegen ist – seit meinem ersten Kneipenbier 1968.
Übrigens, selbst bei der Präsidentenrechnung mit den absoluten Zahlen ergibt sich ein jährliches Absinken der Erwerbsfähigen von 0,8%.
Gerade wenn Sie die demografische Entwicklung für ein Problem halten, warum bedarf es der aufgeführten statistischen Tricks bei der Darstellung? Oder habe ich etwas Wichtiges übersehen?
Wie gesagt, ich würde mich freuen von Ihnen auch auf einen der drei Punkte Antwort zu erhalten.
Siehe dazu auch:
Auf die Frauen kommt es an
Sowohl die Hypothesen als auch die daraus folgenden Schlüsse sind allerdings nicht unumstritten. Zu den Kritikern der Bevölkerungsstatistik gehört der Koblenzer Professor für Empirische Wirtschafts- und Sozialforschung Gerd Bosbach. Er bemängelt vor allem zwei Punkte. Zum einen sei eine Prognose über einen so langen Zeitraum sehr unzuverlässig. Auch in vergangenen Zeiten habe es Entwicklungen gegeben, die unmöglich vorhersehbar waren, wie etwa neue Möglichkeiten der Familienplanung durch die Antibabypille oder der Trend zur Kleinfamilie. Das erwähnt auch Amtsleiter Roderich Egeler: Mögliche Auswirkungen von Familienpolitik oder die zu erwartende Migration aufgrund des Klimawandels könnten nicht mit einbezogen werden.
Zum anderen zweifelt Bosbach daran, dass es dramatische Auswirkungen hätte, selbst wenn die Szenarien der Wiesbadener zuträfen. „Die Alterung der Gesellschaft ist kein völlig neues Problem, sondern ein altes, das wir bislang hervorragend gemeistert haben, etwa durch Arbeitszeitverkürzungen und Steigerungen der Produktivität“, sagt Bosbach. Außerdem benötige eine insgesamt geschrumpfte Gesellschaft ohnehin weniger Erwerbstätige.
Dass schrumpfende oder langsamer wachsende Gesellschaften nicht per se ein Problem darstellen müssen, sondern im Gegenteil auch von Vorteil sein können, betont auch der Bericht des UN-Bevölkerungsfonds.
Quelle: Tagesspiegel
Siehe auch:
- «Wir sind seit 1870 im Alterungsprozess»
Gerd Bosbach wiegelt ab: «Wir sind seit 1870 im Alterungsprozess», sagte er. Und trotz Veralterung, trotz steigender Zahl von Rentnern habe die Arbeitszeit seit Beginn des vergangenen Jahrhunderts immer wieder reduziert werden können.
«Richtig verärgert» sei er über die Darstellung des Rückgangs der Zahl der Menschen im Erwerbsalter, sagte der Wissenschaftler weiter: Den Angaben des Statistikamtes zufolge gehe deren Zahl von heute 50 Millionen bis 2060 auf 33 bis 36 Millionen zurück, nämlich 34 Prozent. Bezogen auf die Gesamtbevölkerung, deren Zahl sich bis 2060 ebenfalls reduziere, seien es aber nur 17 Prozent. Wenn man dazu berücksichtige, dass sich die Berechnung über einen «riesigen» Zeitraum von 52 Jahre erstrecke, komme man auf einen Rückgang von jährlich 0,35 Prozent – «das kann man sogar mit schlechten Produktivitätszahlen ausgleichen».
Quelle: Yahoo Nachrichten
Dazu passt:
- Deutsche altern gesünder
Obwohl die Zahl der Pflegebedürftigen weiter steigt, ist das Risiko, im Alter bettlägerig oder hilfsbedürftig zu werden, gesunken. “Die Deutschen altern gesünder”, lautet das Fazit des aktuellen Pflegereports der Gmünder Ersatzkasse (GEK).
Quelle: Tagesspiegel
- Klausur verhauen
Bundeskanzlerin Angela Merkel bleibt ihrem Stil auch in der neuen “christlich-liberalen Koalition der Mitte” treu. Die Inszenierung ist wichtiger als die Inhalte. Zwei Tage lang hat Merkel ihr Kabinett nun im beschaulichen Meseberg, nördlich von Berlin, zusammengerufen. Als “Klausur” ist die Veranstaltung überschrieben gewesen. Zu Beginn ein Gruppenbild in feudaler Umgebung, steht am Ende wenig mehr, als dass es “intensiv” gewesen sei, “dicht”, und offenbar gut fürs innerkoalitionäre Betriebsklima
Quelle: FR
- Die ersten 400 Verfügungen sind zum Versand bereit
Das Amtshilfegesuch der USA in Sachen UBS-Kundendaten sprengt die bisherigen Grenzen in der Schweiz. In der Vergangenheit gab es laut den Schweizer Behörden im Schnitt lediglich rund 3 Gesuche pro Jahr um internationale Amtshilfe in Steuerfragen. Nun muss die Schweiz innerhalb Jahresfrist im Fall UBS/USA etwa 4450 Dossiers behandeln. Laut Angaben der US-Steuerbehörden haben sich 14 700 Steuersünder freiwillig angezeigt. Ein großer Teil davon scheint die Schweiz zu betreffen. In den neuen Doppelbesteuerungsabkommen fällt die Unterscheidung zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung dahin – beide Delikte sind künftig amtshilfefähig. Dafür müssen Amtshilfegesuche im neuen Regime die Namen der verdächtigten Kunden oder spezifische Angaben zu deren Identifikation enthalten. Im Fall UBS/USA genügten nach Interpretation der Behörden und zum Teil auch des Bundesverwaltungsgerichts konkrete Anhaltspunkte zu einem Handlungsmuster einer ungenannten Personengruppe.
Quelle: NZZ
Anmerkung WL: Daran könnte sich der deutsche Gesetzgeber und die Steuerbehörden ein Beispiel nehmen.
- USA bleiben hart bei Bankdaten
Im Ringen um ein Abkommen zur Übermittlung hochsensibler Bankdaten aus Europa an amerikanische Terrorfahnder sind die USA nicht mehr zu grundlegenden Zugeständnissen an die Europäische Union bereit. Das geht aus einem neuen Entwurf für das umstrittene Abkommen hervor, der der FR vorliegt. Demnach gelang es der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft bei Nachverhandlungen lediglich, kosmetische Änderungen durchzusetzen.
Quelle: FR
Anmerkung WL: Bei der Abwehr der terroristischen Gefahr gibt es kein Steuergeheimnis, dagegen scheint der Schaden bei Steuerbetrug harmlos.
- Ackermanns Idee
Der Chef der Deutschen Bank will, dass der Staat einen Banken-Rettungsfonds einrichtet. Das wäre ein gutes Geschäft für die Steuerzahler. In den USA gibt es so etwas schon, dort übernimmt die Federal Deposit Insurance Corporation diese Aufgabe.
Quelle: Zeit-Online
Dazu Claus Hulverscheidt in der Süddeutschen Zeitung:
Ackermanns Hängematte
Staaten und Banken sollen gemeinsam einen Hilfsfonds für Banken auflegen, fordert Josef Ackermann. Dabei müssten sich die Institute eigentlich selbst gegen Krisen versichern.
Quelle: SZ
Anmerkung RS: Jawohl, das sollen sie! Eine Frage hätte ich aber noch: Soll ein solcher Fonds kapitalgedeckt sein? Wenn ja, wo wird das Kapital investiert – in Investmentfonds etwa, damit der Fonds genauso erkrankt, wie die Banken, die er retten soll?
James Galbraith hat schon einmal gefordert, on der FDIC könnte man allerdings schon einiges übernehmen, nämlich, insolvente „systemrelevante“ Banken in den Staatsbesitz (nach seinem Vorschlag die oben erwähnte FDIC) zu nehmen, die Einlagen zu sichern, und die Banken zu sanieren und dann entweder wieder privatisieren oder schließen.
Apropos „systemrelevante“ Banken…
- Deutschlands wirklich dümmste Bank
Häme und Spott erntete die Staatsbank nach der Pannenüberweisung an Lehman. Nun legt ein Gerichtsurteil erstmals die peinlichen Umstände der Zahlung offen
Quelle: FTD
- Tagebuch von Werner Marnette belastet Kieler Regierung – Ex-Wirtschaftsminister bezichtigt Ministerpräsident Carstensen der Lüge
Der ehemalige Wirtschaftsminister von Schleswig-Holstein, Werner Marnette, erhebt im Zuge der Krise bei der HSH Nordbank erneut schwere Vorwürfe gegen Ministerpräsident Peter Harry Carstensen und Finanzminister Rainer Wiegard (beide CDU). Wie das Hamburger Magazin stern in seiner neuen, am Donnerstag erscheinenden Ausgabe berichtet, bezichtigt Marnette seinen Parteifreund Carstensen, auf Anfragen des Parlaments die Unwahrheit gesagt zu haben. Seinem früheren Kabinettskollegen Wiegard wirft er vor, er habe “seit Herbst 2008 alles versucht, jegliche Information über die tatsächliche Situation der HSH zurückzuhalten, zu verzögern beziehungsweise einer kritischen Prüfung zu unterziehen”.
Quelle: Stern
- HSH-Chef Nonnenmacher offenbar stärker in Omega-Geschäft verwickelt
Wie das Nachrichtenmagazin „Stern“ am Mittwoch vorab berichtete, hatte Nonnenmacher im April 2008 Aufsichtsräten von der Transaktion berichtet und dabei die Risiken des Deals verharmlost. Das gehe aus Unterlagen hervor, die dem „Stern“ vorliegen. Nonnemacher war damals Finanzvorstand der HSH Nordbank.
Laut Sitzungsprotokoll des Risikoausschusses gab Nonnenmacher an, das Risiko aus Omega belaufe sich nach der teilweisen Rückabwicklung „aufgrund der hohen Kreditqualität der einzelnen Papiere auf nur 19,5 Millionen Euro“. Man stelle diese Transaktion den Aufsichtsräten lediglich „aufgrund der Überschreitung der formalen Reportinggrenze“ vor. „Ökonomisch gesehen“ bestünden keine erhöhten Risiken, sagte Nonnenmacher laut „Stern“ damals. Die Bank gebe heute an, dass Nonnenmacher bei der Sitzung kurzfristig den zuständigen Risikovorstand vertreten musste. Bei der Präsentation habe es sich nicht um seine Berechnungen gehandelt.
Quelle: Hamburger Abendblatt
- Ohrfeige für Finanzminister Weimar
Das Urteil des Berufsgerichts für Heilberufe in Gießen ist eine Ohrfeige für den hessischen Finanzminister Karlheinz Weimar und seinen Oberfinanzpräsidenten Mario Vittoria: Jetzt steht fest, dass der Nervenarzt, der jahrelang für das Land Hessen als Gutachter tätig war, fehlerhafte Expertisen erstellt und gegen seine Sorgfaltspflicht verstoßen hat. Und zwar genau in den Fällen jener Steuerfahnder, die für so viel öffentliches Aufsehen gesorgt haben.
Das Urteil ist ein Paukenschlag, weil das Land Hessen stets erklärt hatte, die Entfernung der vier Fahnder aus dem Dienst sei mit rechten Dingen zugegangen. Diese litten unter Verfolgungswahn, war noch im Sommer aus dem Finanzministerium zu hören – welch perfide Umdeutung der Realität. In Wahrheit drängte das Land vier gesunde, leistungsfähige Beamte aus dem Dienst, weil sie weiterhin bei Großsteuerbetrügern und Banken Geld eintreiben wollten. Stattdessen erklärte man sie für verrückt und nahm die Zerstörung ihrer Existenz in Kauf. Dieses Vorgehen fällt auch auf Ministerpräsident Roland Koch zurück, an den sich die Fahnder mehrfach gewandt hatten.
Quelle: FR
Anmerkung Orlando Pascheit: Mit anderen Worten: Es besteht der Verdacht, dass bestimmte Personen im Staatsapparat mit Rücksicht auf den Bankenstandort (?) Personen und Institutionen geschont haben und auf die Eintreibung von Steuern verzichtet haben. Wo leben wir? In einer Bananenrepublik? Wann endlich werden staatsanwaltliche Ermittlungen aufgenommen? Wann treten die Herren Weimar und Vittoria zurück?
Es kann nicht angehen, dass in globalen Gipfeltreffen über die Zähmung des Finanzkapitals verhandelt wird, aber vor Ort sogar Steuerfahnder zurückgepfiffen werden.
Dazu:
- Hessischer Steuerfahnder-Prozess: Wer aufmuckt, ist ein Psycho-Fall
Ex-Steuerfahnder Rudolf Schmenger nimmt die Nachricht von der Verurteilung seines Peinigers nicht mit Jubel auf: “Im Vergleich zu dem Schaden, den dieser Arzt angerichtet hat, sind 12.000 Euro Bußgeld ein überschaubarer Betrag”, sagt Schmenger. “Es sind Menschen diffamiert und Familien zerstört worden.” Auch für den Staat sei der Schaden weitaus höher: “Vier bestens ausgebildete Steuerfahnder stehen nicht mehr zur Verfügung.”
Quelle: FR
Mehr dazu:
Steuerfahnder-Affäre: “Sie waren einfach zu unbequem”
Für die Opposition steht fest: Vier Frankfurter Steuerfahnder wurden per Gefälligkeitsgutachten zu krankhaften Querulanten gestempelt. Deshalb müsse der Finanzminister sie rehabilitieren. Doch der schweigt.
Dem Frankfurter Psychiater war von der Landesärztekammer vorgeworfen worden, dem Land Hessen mit den Gutachten dabei geholfen zu haben, die Beamten loszuwerden. Die Kammer hatte daraufhin das Verfahren beim Berufsgericht für Heilberufe angestrengt. Auch die Frankfurter Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den Psychiater wegen des Vorwurfs, unrichtige Gesundheitszeugnisse ausgestellt zu haben
Quelle: HR-online
- Die Kopfpauschale – ein Milliardengrab
Teures schwarz-gelbes Projekt: Die von CDU und FDP geplante Kopfpauschale werde bis zu 39 Milliarden Euro kosten, warnt SPD-Experte Lauterbach in einer neuen Studie.
Quelle: SZ
- Alterssicherung: Rürup kritisiert Koalitionsvertrag
Die von der neuen Bundesregierung geplanten Maßnahmen im Bereich der Sozialpolitik hat der ehemalige Darmstädter Finanzwissenschaftler und Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Bert Rürup, als “durchweg wenig konkret” kritisiert. In einem Kommentar für die Zeitschrift “Wirtschaftsdienst” hält es der jetzige Chefökonom eines Finanzvertriebs für fragwürdig, wie das im Koalitionsvertrag vereinbarte Modell eines “steuerfinanzierten Alterseinkommens oberhalb der Grundsicherung, das aber gleichzeitig bedarfsabhängig sein soll”, aussehen könnte. Für riskant hält Rürup die Vereinbarung der Koalitionspartner, das Verfahren zur Rentenberechnung für den westlichen und östlichen Teil Deutschlands bereits in der jetzigen Legislaturperiode zu vereinheitlichen. “Eine systematische und kostenneutrale Lösung dürfte viele Bürger in den neuen Ländern enttäuschen”, warnt Rürup. Denn nicht wenige Ostdeutsche erwarteten von der Neuregelung eine “deutliche Rentenerhöhung”, obwohl dies mit “neuen Ungleichbehandlungen und zusätzlichen Belastungen in Milliardenhöhe” verbunden sei. Im Jahresgutachten 2008 des Sachverständigenrats hatte sich Rürup noch für eine Lösung dieses Problems bis zum Jahr 2019 ausgesprochen.
Ebenfalls scharfe Kritik übt Rürup an fehlenden Aussagen zu den jüngsten rentenpolitischen Maßnahmen der früheren Bundesregierung. Der durch das zweimalige Aussetzen des Riesterfaktors in der Rentenanpasssungsformel sowie durch die Rentengarantie entstandene “rentenpolitische Scherbenhaufen” würde im Koalitionsvertrag mit keinem Wort erwähnt, ätzt Rürup. Offenbar setze die neue Regierung hier auf das “Prinzip Hoffnung”. Der Ökonom hatte schon im vergangenen Jahr gemahnt, das von Union und SPD versprochene Nachholen der ausgesetzten Stufen auf der “Riester-Treppe” ab 2012 erfordere von der künftigen Regierung “ein hohes Maß an politischer Standfestigkeit”.
Quelle 1: Ihre Vorsorge
Anmerkung Martin Betzwieser: Das übliche Lobbyisten-Gedudel – diesmal wieder vom AWD-Innendienstmitarbeiter Bert Rürup. „Allerdings stellt sich die Frage, warum gerade beim kleinsten Sozialversicherungszweig diese kapitalgedeckte Ergänzung obligatorisch sein soll, während man es in der sehr viel wichtigeren Alterssicherung bei der Freiwilligkeit belässt. Aus Gründen der Effizienz und um nicht noch weitere Portabilitätsprobleme aufzuwerfen, sollte die Regierung stattdessen über eine Ausweitung des Förderrahmens bei der Riester-Rente und der betrieblichen Altersvorsorge nachdenken, um dort eine Art „Pflege-Riester“ zu integrieren.“ Nebenbei ist interessant, dass Rürup noch eine E-Mail-Adresse bei der TU Darmstadt zu haben scheint.
Quelle 2: Wirtschaftsdienst [PDF – 70 KB]
- Regierung rechnet langfristig mit Rentensteigerungen
Die Bundesregierung geht von langfristig weiter steigenden Renten aus. Trotz der sich für die beiden kommenden Jahre abzeichnenden Renten-Nullrunden sind nach Modellrechnungen auf mittlere Sicht Rentenerhöhungen von durchschnittlich gut 1,6 % jährlich bis zum Jahr 2023 zu erwarten. Der Beitragssatz bleibt zunächst bis 2014 bei 19,9 Prozent stabil, sinkt danach auf 19,8 Prozent im Jahr 2015 und dann weiter auf 19,4 Prozent im Jahr 2016. Auf diesem Niveau verharrt er dem Bericht zufolge bis zum Jahr 2020. “Anschließend steigt der Beitragssatz wieder an, zunächst auf 20,2 Prozent im Jahr 2021, dann auf 20,5 Prozent im Jahr 2022. Für 2023 wird ein Beitragssatz von 20,6 Prozent erwartet.
Quelle: FR
Anmerkung Orlando Pascheit: Und im Übrigen wird es morgen regnen.
- Der Betrug mit der Kurzarbeit nimmt zu
Die Bundesagentur für Arbeit registriert immer mehr Betrugsfälle beim Kurzarbeitergeld. Bundesweit könnten bis zu 40.000 Beschäftigte involviert sein.
Anfang dieser Woche registrierte die Bundesagentur für Arbeit (BA) schon 578 Unternehmen, die mutmaßlich zu Unrecht staatliche Unterstützung kassiert haben.
Das Schema der Missbrauchsversuche ist meist ähnlich und recht simpel: Während ein Mitarbeiter offiziell pausiert und sein Chef für ihn Kurzarbeitergeld beantragt, geht er in Wahrheit im Betrieb einfach weiter seinen Aufgaben nach. In Krisenzeiten, in denen der Verlust des Jobs droht, lassen sich einige Beschäftigte offenbar auf solche Tricksereien ein.
Quelle: Die Zeit
Anmerkung WL: Wo bleibt eine vergleichbare Medienkampagne etwa der Bildzeitung, wie sie gegen die angeblichen Hartz-IV-Betrüger gefahren wurde?
- Justizministerin für Arbeitnehmer-Datenschutz
Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) dringt auf ein Arbeitnehmer-Datenschutzgesetz. «Wir brauchen eine sicherere Rechtsgrundlage. Wir sollten alles dafür tun, um die Grauzonen zurückzuführen», sagte sie am Montag im Deutschlandradio Kultur mit Blick auf die Debatte über Bluttests bei Neueinstellungen. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar nannte dies einen «sehr großen Fortschritt» gegenüber früheren Regierungen. «Ich erwarte jetzt wesentliche gesetzliche Klarstellungen, die bisherige Unsicherheiten beseitigen», sagte Schaar dem «Tagesspiegel» (Dienstag). So sollten die durch Bluttests gewonnenen medizinischen Daten nur erhoben und gespeichert werden dürfen, wenn dies für bestimmte Anforderungen an einem Arbeitsplatz notwendig ist. «Jemand, der Arzt oder Pilot werden will, muss mehr Auskünfte über sich selbst zulassen als jemand, der im Sekretariat arbeiten will», sagte Schaar. Es dürfe keine «Standardtests» geben. Auch diskriminierende Fragen nach sexueller Orientierung oder Gewerkschaftszugehörigkeit müssten unterbleiben.
Auch Leutheusser-Schnarrenberger unterstrich, die Arbeitgeber hätten «kein absolutes Auskunftsrecht». Bestimmte Fragen seien generell unzulässig. Die Ministerin nannte als Beispiel die Frage, ob eine Frau entbunden habe oder ob sie Verhütungsmittel nimmt. Schaar forderte zudem nach den jüngsten Datenschutzpannen bei der Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit (BA) eine «Stiftung Datenschutz». Diese solle ähnlich wie die «Stiftung Warentest» Dienstleistungen und Produkte testen. «Allerdings würde ich mir wünschen, dass solche Tests nicht nur für Firmen und Produkte, sondern auch für Behörden eingeführt würden», sagte Schaar der «Hannoverschen Allgemeinen Zeitung».
Quelle: Arbeitsrecht-Newsticker
Anmerkung Martin Betzwieser: Richtig. Aber wie werden Bewerber/innen und neue Mitarbeiter/innen schon reagieren können, wenn von ihnen Auskünfte zu Krankheiten und intimen Details sowie Blutproben verlangt werden? Und wie werden die immer schwächer werdenden Interessenvertretungen reagieren können? Es war politisch gewollt, Arbeitnehmerrechte zu stutzen, den Kündigungsschutz und die Befristungsregelungen immer weiter zu liberalisieren. Da kann der Wunsch nach Intimsphäre und informelle Selbstbestimmung ganz schnell wieder beim Jobcenter enden – und dort in einer Leistungssperre.
- Noch längere Ladenöffnungszeiten: Einkaufen bis Mitternacht
Bei ihrem Wettlauf um längere Öffnungszeiten stoßen die Lebensmittelhändler nun tief in die Nacht vor – Edeka und Rewe testen den Ladenschluss um 24 Uhr. Die Arbeitnehmer schlagen Alarm.
Quelle 1: Süddeutsche
Anmerkung Martin Betzwieser: Der im Artikel zitierte Hubertus Pellengahr (Geschäftsführer des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels) wird ja 2010 neues Alphatier bei der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und damit neuer Kanzlerinnenflüsterer. Wer weiß, was da noch auf uns zukommen wird (…)
Quelle 2: Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft
- Stromkonzerne kündigen saftige Preiserhöhung an
Viele Verbraucher müssen bald deutlich mehr für Strom zahlen: Deutschlands fünftgrößter Versorger EWE verlangt ab Januar im Schnitt 14 Prozent mehr Gebühren. Auch Vattenfall will seine Preise erhöhen. Die Konzerne schieben die Schuld auf die erneuerbaren Energien.
Quelle: Spiegel
Anmerkung RS: Alle Jahre wieder.
- Verwüstete Erinnerung: Urteil in Karlsruhe
Der Volksverhetzungsparagraph ist ein Sonderrecht gegen die Neonazis – und trotzdem verfassungsgemäß. Das ist in Ordnung, weil das Grundgesetz eine besondere Geschichte hat.
Quelle: SZ
- Bologna-Reform: Jetzt räumen sie Fehler ein
Jahrelang war alles auf dem besten Weg. Die Einreden gegen die Bologna-Reform an den deutschen Universitäten wurden als Dokumente ewiggestriger, nostalgischer oder einfach nur lobbyistischer Gesinnung von änderungsunwilligen Professoren abgetan. Jetzt aber wird eingeräumt. Die Kultusministerkonferenz hat neulich eingeräumt, es gebe Korrekturbedarf. Jetzt räumt der Vorsitzende des Wissenschaftsrats, Peter Strohschneider, „handwerkliche Fehler“ bei der Einführung der Bachelor-Studiengänge ein. Auch der Präsident der KMK, Mecklenburg-Vorpommerns Wissenschaftsminister Henry Tesch (CDU), räumt ein, die Proteste von Studenten seien richtig, sofern sie auf konkrete Verbesserungen der „unmittelbaren Studienbedingungen“ zielen. Und als ob es auf einer Verabredung beruhte, schließen sich dem auch die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz und die Bundesbildungsministerin beim Einräumen an. Noch wird gern hinzugefügt, in Bausch und Bogen dürfe man die Bologna-Reform nicht ablehnen.
Handwerkliche Fehler, konkrete Verbesserungen, nicht in Bausch und Bogen – das Kleingedruckte zeigt die Rechthaberei im Großen und Ganzen. Es heißt: Die Baupläne stimmen, nur der Handwerker hat gepfuscht. Konkrete Verbesserungen, weil allgemein ja nichts gegen Bologna zu sagen ist und, das will man mitteilen, ja auch nicht die fürs Allgemeine zuständige Politik, sondern die fürs Konkrete zuständigen Hochschulen versagt haben. Die Absichten waren doch bestens. Man will es sich selbst, vor allem aber allen anderen – denn womöglich wäre es ja ein Rücktrittsgrund -, nicht eingestehen, dass fast nichts, was die Bologna-Reformen in Aussicht gestellt haben, eingetreten ist.
Für eine nüchterne Lageanalyse wäre das Eingeständnis vorauszusetzen, dass die Reform nicht handwerklich und aufgrund von Unzulänglichkeiten oder Übereifer vor Ort scheitert, sondern an ihrer Undurchdachtheit und ihren windigen Zielen, für die der Begriff „Ökonomisierung der Hochschule“ noch viel zu optimistisch ist, weil er eine klare Absicht unterstellt.
Quelle: FAZ
Dazu:
Studenten rebellieren gegen Bildungschaos
Daneben gibt es die Abteilung “Freibier für alle” aus der eher altlinks-bildungsfundamentalistischen Richtung: Jeder soll jederzeit überall alles studieren dürfen, so viel, so lange und wo er will.
Und die Abteilung “Völker hört die Signale”: Dazu gehört klassischer Politschwulst – gegen “neoliberale” Einflüsse, gegen die Ausrichtung der Bildung nach “kapitalistischer Verwertungslogik” und ähnlich anstrengende Sprachstanzen.
Quelle: Spiegel
Anmerkung WL: Dieser Artikel ist an und für sich belanglos, weil uninformiert und oberflächlich.
Ihn sollten nur diejenigen Studierenden lesen, die montags immer noch mit dem Spiegel unterm Arm herumlaufen und meinen sie könnten damit ihre Intellektualität bekunden.
- Last Man Standing: Politische Gestaltungsmacht vs. gelebte Ohnmacht
Die Meinungsmache ging ordentlich weiter, jetzt wieder im stern, worauf ja auch schon Albrecht Müller selbst auf den Nachdenkseiten hingewiesen hatte.
Den stern-Artikel gab es hier: In ihm demontierte ein gewisser Tilman Gerwien die Präsentation von “Meinungsmache” letzten Donnerstag hier in Berlin. Vielleicht war das Ganze witzig oder ironisch gemeint, immerhin lief es unter der Überschrift “Abwasch der Woche”, die so was implizieren konnte; das entzog sich meiner Kenntnis. Da er aber sämtliche Tatsachen vollkommen verdrehte und sämtliche Teilnehmer außer Hans-Ulrich Jörges als realitätsfremd darstellte, war eine Antwort fällig.
Quelle: The man with a horn blows
- Land der begrenzten Mahlzeiten
Amerika leidet Hunger: Knapp 50 Millionen US-Bürger können sich nicht ausreichend ernähren – es fehlt an Geld. Besserung ist nicht in Sicht.
Quelle: SZ
- Schöne Worte, wenig Einigkeit
Chinas Präsident Hu Jintao hat bei seinem Treffen mit US-Präsident Barack Obama daran festgehalten, dass auf dem UN-Klimagipfel in Kopenhagen nächsten Monat ein neues Klimaschutzabkommen ausgehandelt werden muss. Nach einem Bericht[1] der in Hongkong erscheinenden South China Morning Post lehnte Hu es ab, Obamas Vorschlag für eine Verschiebung der Verhandlungen zu unterstützen. Angesichts des Zeitdrucks und der großen Meinungsverschiedenheiten auf den Vorbereitungskonferenzen erscheint die US-Position die naheliegendere zu sein und wurde zuletzt auch vom dänischen Premierminister Lars Lokke Rasmussen unterstützt, der Gastgeber der Dezember-Konferenz sein wird.
Quelle: Telepolis
- Heftige Kritik an Israels neuen Siedlungsplänen
Israel plant den Bau neuer Häuser im Osten Jerusalems. Das Stadtplanungsamt reichte bei der Regierung einen Antrag für den Bau von 900 neuen Wohneinheiten in der jüdischen Siedlung Gilo ein. Die USA und die Palästinenser kritisierten das Vorhaben scharf.
Quelle: NZZ
Anmerkung Orlando Pascheit: Eine halbwegs gütliche Lösung im Palästinakonflikt schwindet immer mehr und nicht nur am Ölberg ziehen dunkle Wolken auf. Solange der palästinensisch-israelischen Konflikt nicht gelöst wird, wird er in der muslimisch – arabischen Welt als Symbol der Mobilisierung für den Kampf gegen den Westen dienen. Kaum zu fassen, wie wenig die USA bzw. der Westen insgesamt den Palästinakonflikt als wesentliches Politikfeld im Kampf gegen den Terror wahrnehmen wollen. Es ist natürlich auch anspruchsvoller als Bombenabwerfen in Afghanistan oder Pakistan, da ein mehr als befreundeter Staat beteiligt ist.