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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Rede zur Vorstellung des neuen Buches „Meinungsmache“. Disput mit Lafontaine und Jörges
Datum: 13. November 2009 um 11:11 Uhr
Rubrik: Veranstaltungshinweise/Veranstaltungen, Veröffentlichungen der Herausgeber
Verantwortlich: Albrecht Müller
Gestern Abend wurde das neue Buch in Berlin in der überfüllten Kulturbrauerei vorgestellt. Dabei waren viele Freund/innen der NachDenkSeiten und der Berliner NachDenkSeiten-Kreise. Die Diskussion ist aufgezeichnet und kommt demnächst ins Netz. – Leser/innen haben mir im Gespräch bestätigt, wie sehr „Meinungsmache“ ihnen hilft, die Welt besser zu verstehen. Einer nannte das Buch letzthin schon einen „Augenöffner“. So ist es gedacht. Machen Sie bitte in Ihrem Freundeskreis darauf aufmerksam. Es folgt der Text meiner Einführung. Albrecht Müller.
Albrecht Müller
Einführung zur Vorstellung des Buches „Meinungsmache. Wie Wirtschaft, Politik und Medien uns das Denken abgewöhnen wollen.“
in Berlin, Kulturbrauerei am 12.11.2009 20.00 Uhr in einem Disput zwischen Oskar Lafontaine (Vorsitzender Die Linke) und Hans-Ulrich Jörges (Chefredaktion Stern). Moderation: Sabine Adler (Deutschlandfunk)
Guten Abend,
die große Resonanz auf unsere Buchvorstellung veranlasst mich zu einer Vorbemerkung. Der Kartenservice musste seit dem Wochenende Anfragen abweisen. Die Nachfrage nach Karten war wohl sehr viel größer, als das Palais in der Kulturbrauerei erfüllen kann. Das tut mir leid und ich bitte die Ausgesperrten um Pardon.
Offensichtlich haben die Einladenden
erstens unterschätzt, wie attraktiv die beiden Disputanten Oskar Lafontaine und Hans-Ulrich Jörges sind,
zweitens erreicht die Einladung über unser Internetportal NachDenkSeiten eine große Zahl von politisch äußerst wachen Menschen. Sie begrüße ich ganz besonders, und unter ihnen auch drei der Macher: meinen Mitherausgeber Wolfgang Lieb, unseren Webmaster, Lars Bauer und die Stütze der Hinweise des Tages, Kai Ruhsert.
Drittens ist das Interesse groß, weil viele Menschen merken, dass Meinungsmache und Propaganda inzwischen zum Kern des politischen Geschäftes geworden sind. Die Aktualität meines Buches wird leider jeden Tag neu bestätigt.
Soviel zur Vorbemerkung.
Ich habe das kleine Glück, nicht in der großen Hauptstadt, sondern im Grenzbereich von Elsass und Südpfalz zu leben. Meine Stammkneipe mit dem schönen Namen „Schoggelgaul“ wird von einem Elsässer und Gaullisten namens Jules betrieben. Er spürt die Stagnation der Massenkaufkraft – wie viele deutsche Kneipenwirte, bei denen nicht die Investmentbanker und andere Besserverdienende absteigen; er spürt die Drosselung der Binnennachfrage und damit die Folgen der falschen makroökonomischen Politik. Ihm habe ich ein Exemplar von „Meinungsmache“ zu lesen gegeben. Auch um zu erfahren, wie ein eher Konservativer auf meine Beobachtungen reagiert. – Die Lektüre habe ihn ins Mark getroffen, ließ er mich vor einigen Tagen wissen. Eigentlich sei eine Revolution fällig.
Die Revolution muss es ja nicht gleich sein. Aber ich will in der Tat mit diesem Buch die Menschen dazu ermuntern aufzubegehren, statt sich in die politische Enthaltung zu verabschieden. Damit will ich nicht nur den linken Teil unserer Gesellschaft erreichen, sondern ausdrücklich auch das wertkonservative Bürgertum. Dort merkt man nämlich wenn auch langsam, wie sehr das Vertrauen in die Führungskräfte von Politik und Wirtschaft von diesen missbraucht wird.
Die Wahlbeteiligung hat am 27. September mit 72,2 % den Tiefststand erreicht. Immer mehr Bürgerinnen und Bürger wenden sich von der Politik ab. Sie tun dies, weil sie sich ohnmächtig fühlen und weil sie die politischen Entscheidungen nicht mehr nachvollziehen können oder als gegen sich gerichtet sehen.
Ich gehe in dem Buch „Meinungsmache“ einer wichtigen Ursache des Unbehagens und der von vielen empfundenen Ohnmacht nach: dem Zugriff einer Minderheit von mächtigen Personen und Gruppen auf das Denken der Mehrheit. Vor allem die Arbeitnehmer, die Armen und der Mittelstand haben um vieles weniger zu sagen, als der obere Rest der Gesellschaft.
Heute werden wir ständig zum Opfer von Kampagnen der Meinungsbeeinflussung. Viele dieser Kampagnen werden systematisch geplant, sie sind Teil einer politischen oder geschäftlichen Strategie.
Die Meinungsmache ist neben der Lobbyarbeit das entscheidende Mittel zur Durchsetzung einseitiger Interessen.
Das geschieht im Schulterschluss mit der neoliberalen Bewegung, deren Glauben an die heilsame Wirkung von Privatisierung, Deregulierung, Entstaatlichung und Kommerzialisierung aller Lebensbereiche in politische Entscheidungen umgesetzt wurde. Der Siegeszug der neoliberalen Ideologie wäre ohne begleitende massive Propaganda nicht möglich gewesen. Die Gründung der von der Wirtschaft finanzierten PR-Organisation Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft am 12.10.2000 fällt praktisch mit dem Beginn der so genannten Reformpolitik durch Rot-Grün zusammen.
Wie wir konkret durch Meinungsmache manipuliert werdenund wie damit Politik gemacht wird, das illustriere ich an Dutzenden von Beispielen.
Und ich analysiere in einem eigenen Kapitel die Methoden, mit denen dies erreicht wird. Das Muster ist oft dasselbe: Unser Vertrauen in Experten, in Wissenschaftler und in Medien wird missbraucht. Das fängt bei einfachen Dingen an:
Eine nur kleine wirtschaftliche Belebung wird von den als unabhängig geltenden Professoren zum Aufschwung erklärt, und viele Menschen glauben das, obwohl selbige oder andere Experten eine Woche zuvor das Gegenteil verkündet haben.
Es wird behauptet, die Agenda 2010 sei ein Erfolg, der Generationenvertrag trage nicht mehr, Altersarmut sei unabwendbar, wenn man nicht privat vorsorge. Jetzt wird die Privatvorsorge sogar zur Pflicht gemacht, obwohl man jahrelang den eigenverantwortlichen Menschen gepriesen hat. Wer die Rolle von Meinungsmache begriffen hat, versteht auch solche Bocksprünge. Der angebliche Vorteil der Kapitaldeckung ist so in die Köpfe getrimmt worden, dass sogar die Zumutung möglich ist, die angebliche Eigenverantwortung gesetzlich zu verordnen.
Wir glauben an die verbreitete Glaubenssätzen und Parolen, weil fast alle dasselbe sagen und schreiben und senden: Es wurde immer wieder erzählt, die Finanzkrise komme aus Amerika und sei wie ein Springinsfeld über uns gekommen; es wird gesagt, wir müssten alle Banken retten, denn sie seien systemrelevant. Das ist das Meisterstück an Irreführung und das teuerste obendrein. Wir glauben es, weil die Verantwortlichen die Fakten über die hausgemachte Spekulation, die unseriösen Bankgeschäfte und die Profiteure verschweigen. Auf der Basis dieser Meinungsmache haben wir einen Rettungsschirm von 480 Milliarden aufgespannt. Wir und unsere Kinder werden Hunderte von Milliarden zahlen müssen.
Angela Merkel hat uns damit getröstet, man habe nicht die Banken, sondern die Bürger retten wollen. Das haben viele geglaubt, weil sie dem Wort einer Bundeskanzlerin trauen. Meinungsmache- und NachDenkSeiten-Leser können das nicht glauben. Die von der Bundesbank im September 2008 zusammengestellte und vom Tagesspiegel am 13. September veröffentlichte Liste der Geretteten bestätigt unsere Skepsis: Von den 87 Milliarden staatlich verbürgter Kredite zur Rettung der Hypo Real Estate (HRE) fließen über 40 Milliarden an ausländische Gläubiger, an Banken, Versicherungen, Fonds und andere Einrichtungen; jeweils rund 2 Milliarden an die italienische Unicredit, an die Bayerische Landesbank, an die Deutsche Bank, an die Allianz AG; die Spekulanten beim Westdeutschen Rundfunk haben wir mit 147 Millionen und jene bei der katholischen Kirche haben wir mit 190 Millionen gerettet. – Lauter brave Bürger! Die stattfindende Manipulation wäre manchmal zum Lachen, wenn sie uns nicht so teuer zu stehen käme.
Man mutet uns auch die wendige Korrektur gemachter Meinungen zu. Jahrelang hat man uns erzählt, Konjunkturprogramme seien Strohfeuer. Neuerdings verabschieden die Erzähler selbst Konjunkturpakete. Immerhin ein Fortschritt.
„Keynes ist out“, haben sie uns fast alle erzählt. Vor einem Jahr entdeckte dann der heutige Finanzminister Schäuble, „Keynes sei in“ und er sei dafür, alle Instrumente der Wirtschaftspolitik zu nutzen. Ehrlich gesagt, wenn das ernst gemeint ist, dann ist mir das immer noch lieber als die Starrheit des Sozialdemokraten Steinbrück.
Meinungsmache und Manipulation sind seit Jahrhunderten geläufige Erscheinungen. In jüngster Zeit jedoch entfalten diese Kampagnen eine zerstörerische Wirkung , wie sich an gravierenden Fällen belegen lässt:
Sachlich spricht nichts für die Privatisierung der Bahn und auch nichts für die Trennung von Netz und Betrieb. Und dennoch plant die schwarz-gelbe Koalition genau dieses. Weil ihre Freunde daran verdienen wollen. Weil die Mehrheit unseres Volkes diesem Vorhaben skeptisch gegenübersteht, wird der Börsengang von einem Feuerwerk der Meinungsmache begleitet werden. Und wieder ist eine wichtige gemeinsame Einrichtung zerstört.
Gespielt, gezockt und geplündert wird nicht nur im öffentlichen Bereich, geplündert wird zu Lasten der betroffenen Arbeitnehmer und zu Lasten der Gemeinschaft auch im Bereich der privaten Unternehmen. Deutschland im Ausverkauf. In meinem Buch wird ausgebreitet, wie unter dem Deckmantel des Schlachtrufs „Auflösung der Deutschland AG“ und geölt mit dem gut klingenden Wort „Investor“ ein Unternehmen nach dem anderen an meist ausländische Hedgefonds und Private Equity Unternehmen verkauft worden ist. Meist werden von diesen so genannten Investoren nur 20 % investiert. Die Unternehmen werden über alle Ohren verschuldet. Die Arbeitnehmer gedrückt. Durch Ausweichen auf Steueroasen keine Steuern bezahlt. Die schwarz-gelbe Koalition hat beschlossen, diesen unseligen Prozess fortzuführen. Schon heute sind über 50 % der DAX Unternehmen in der Hand ausländischer „Investoren“. Ein Ausverkauf, an dem eine lange Reihe von ehemaligen deutschen Managern und Politikern mitwirken und üppig daran verdienen. So sehen unsere Eliten aus.
Meinungsmache bestimmt sogar die Koalitionsoptionen. Die Öffnung für schwarz-grüne Koalitionen ist in einem intelligent gesteuerten Meinungsbildungsprozess vorbereitet worden. Das verbreitete Märchen von der Sozialdemokratisierung der Union hat eine der Barrieren auf dem Weg zu Schwarz-Grün weggeräumt. Auch dieser Vorgang wird in „Meinungsmache“ untersucht.
Ein Berliner Journalist und Freund hat mir berichtet, hier in Berlin glaubten fast alle an die Sozialdemokratisierung der Union und auch daran, dass Frau Merkel vom Leipziger Parteitag weg sei. Es ist absehbar, dass uns dieses Phantom erhalten bleiben wird, obwohl der Koalitionsvertrag mit vielen Elementen, vom Einstieg in die Kopfpauschale bis zur forcierten Privatisierungspolitik, und auch das freudige Echo der Wirtschaftsverbände signalisieren, dass das Gerücht von der Sozialdemokratisierung eine grobe Täuschung war und ist.
Meinungsmache bestimmt oft weitgehend das Bild von Personen. Das Bild von Andrea Ypsilanti wurde in einer massiven Propagandaschlacht maßgeblich von Bild und Spiegel mit Unterstützung der politisch Interessierten in der Union und in der SPD gemalt. In einer massiven Kampagne ist sie quasi zur Unperson stilisiert worden. (Am Beispiel von Ypsilanti im Vergleich zu Ulrich von der Saar können Sie die Asymmetrie studieren, die die Meinungsbildung beherrscht.)
Auch Oskar Lafontaine ist ein Beispiel dafür, wie mit vielfältiger und massiver Agitation die gewollten Botschaften unverrückbar verankert werden. Die Geschichtsschreibung wird sich an dieser Meinungsmache orientieren und nicht an seinen Taten. Es ist ihm deshalb anzuraten, kein Herzblut an Geschichtsbücher zu verschwenden.
Nach gängiger politischer Theorie sollten wir vor der Bedrohung und dem Verlust unserer Gedankenfreiheit geschützt werden; das ist schon in Artikel 5 des Grundgesetzes niedergelegt, der das Grundrecht auf Meinungsfreiheit festschreibt. Bei dem Versuch, uns eine eigene und von der Sache und unseren Erfahrungen
geprägte Meinung zu bilden, sollten wir unterstützt werden von den politischen Parteien und den Medien. Sie sollten als grundgesetzlich verbriefte Stützen einer sachlichen Meinungsbildung fungieren. Doch über weite Strecken sind sie selbst zu einem Teil der Propaganda geworden. Viele Journalistinnen und Journalisten stehen unter massivem Druck. Der für Journalisten schlechte Arbeitsmarkt, die Kommerzialisierung vor allem des Fernsehens und des Hörfunks und der Konzentrationsprozess in den Medien werden von Medienkonzernen und Sendern dazu benutzt, die personelle Ausstattung der Redaktionen immer weiter herunterzufahren und gleichzeitig fast nur noch Gefälliges zu bieten.
Hinzu kommt, dass den Medien und den Journalisten heute Public-Relations-Agenturen gegenüber und zur Seite stehen, die über große finanzielle Mittel und über die organisatorische Kapazität zur Gleichschaltung der Meinung verfügen. Diese Public-Relations-Agenturen und die damit verbundenen Beratungsunternehmen sind die eigentlichen Produzenten der Meinungsmache.
Unsere Demokratie befindet sich am Rand ihrer Existenz. Wichtige Voraussetzungen für das Gedeihen demokratischer Willensbildungsprozesse sind nicht mehr gegeben. Vor allem wird uns keine wirkliche Alternative geboten, die Chancen hätte, die politische Macht zu erringen.
Mit der Lektüre dieses Buches wird Sie vermutlich nicht nur Zorn über den Missbrauch Ihres Vertrauens erfassen. Sie werden beim Lesen auch mehr und mehr spüren, dass es Lust bereitet, sich nichts vormachen zu lassen, selbst zu denken und seinen Gedanken wieder eine Stimme zu geben. Sie werden spüren, dass es gut tut, wieder zweifeln zu lernen.
Diese Erfahrung habe ich nicht erfunden. Das berichten mir Leserinnen und Leser von Meinungsmache, und auch täglich die Nutzer der NachDenkSeiten. Viele schreiben, sie hätten schon begonnen zu glauben, was ihnen täglich berichtet wird. Nach Lektüre des Buches würden Sie die Welt mit anderen Augen sehen. Ein Leser nannte das Buch einen Augenöffner. Mein elsässischer Kneipenwirt war geschockt. – So ist es gedacht. Wenn ich mich der Terminologie unserer Kanzlerin und unseres Außenministers bedienen darf, dann so: Mein Buch soll ein Beitrag zur Freiheit sein, ein Beitrag zur Hege der Gedankenfreiheit, ein Beitrag auch dazu, sich dem inflationären Missbrauch des schönen Wortes Freiheit durch die herrschenden Kreise zu entziehen. Und ihnen einfach nicht mehr zu glauben.
Dazu gehört etwas, was ich nicht verschweigen will: Wer kritisch hinterfragen will, muss bereit sein, etwas zu lernen, und sei es nur das, die Erfahrung im Alltag an sich heranzulassen und sie mit den verbreiteten Sprüchen zu konfrontieren. In den „Maximen und Reflexionen“ von Johann Wolfgang von Goethe findet sich ein treffender Satz:
Mit dem Wissen wächst der Zweifel.
Das wäre das Motto meines Buches geworden, hätte ich es früher gekannt. Mit dem Wissen wächst der Zweifel. Ich wünsche Ihnen, dass Sie bei der Lektüre meines Buches diese Erfahrung machen.
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