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Titel: Ein „Auswurf afrikanischer und asiatischer Wilder“ wurde im Ersten Weltkrieg abgeschlachtet. Von den Kolonialmächten – einfach mal so.
Datum: 6. April 2018 um 9:51 Uhr
Rubrik: Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Militäreinsätze/Kriege, Wertedebatte
Verantwortlich: Redaktion
Heiko Flottau, erfahrener Journalist und Autor, kommt im folgenden Bericht auf Ereignisse zu sprechen, die uns weder im Geschichtsunterricht noch in der politischen Debatte über den Umgang mit anderen Völkern vermittelt worden sind und werden. Die NachDenkSeiten bringen seinen Bericht, auch wenn es um ein weit zurückliegendes Geschehen geht, gerne und mit Absicht. Gerade das Verhalten der politisch Verantwortlichen und die Medienberichterstattung und Kommentierung zu den aktuellen Vorgängen um Giftanschlag und militärische Interventionen all überall auf der Welt sind geprägt von der Vorstellung, der Westen sei der Garant der Menschenrechte und der Demokratie. „Wir sind die Guten“ – das ist die vorherrschende Grundmelodie. Der Bericht von Heiko Flottau zeigt, wie verlogen diese Vorstellung ist. Albrecht Müller.
Von Heiko Flottau
England, Frankreich und Deutschland rekrutierten im Ersten Weltkrieg mehrere Millionen Menschen aus ihren Kolonien für den Militärdienst – einen „Auswurf afrikanischer und asiatischer Wilder“, wie der Soziologe Max Weber schrieb. Hier die Zusammenfassung eines Beitrages aus “Lettre International”.
Ist es ein Zeichen immer noch verbreiteter eurozentrischer Sichtweise und von kaschiertem Rassismus, dass über den Ersten Weltkrieg fast nur von den europäischen Opfern (etwa 20 Millionen Tote, 21 Millionen Verletzte) gesprochen wird, nicht aber von den Opfern, welche die kolonisierten Völker unter dem Zwang des europäischen Imperialismus bringen mussten? Die europäische Kulturzeitschrift „Lettre International“[1] hat in ihrer gerade erschienenen Ausgabe Nr.120 vom Frühjahr 2018 einen Aufsatz veröffentlicht, welcher die vergessene, wohl auch gern unterdrückte Seite dieses Abschlachtens offenlegt. Bezeichnenderweise ist der Autor kein Europäer, sondern ein Inder, Pankai Mishra, „Reporter, Romancier und Essayist“, wie ihn die Lettre-Redaktion vorstellt.
Wie weit der Rassismus seinerzeit auch unter Intellektuellen verbreitet war, zeigt das eingangs zitierte Zitat Max Webers vom „Auswurf afrikanischer und asiatischer Wilder“, von denen er in der Frankfurter Zeitung vom 18.September 1917 schrieb. Max Weber war immerhin zusammen mit dem Journalisten Theodor Wolff und Hugo Preuß, dem Autor der Weimarer Verfassung, Mitbegründer der linksliberalen „Deutschen Demokratischen Partei“ (DDP), aus der auch der erste Präsident der Bundesrepublik Deutschland, Theodor Heuss, kam. Gemeint mit den von Max Weber so abschätzig bezeichneten Menschen waren, schreibt Autor Pankai Mishra, „die Millionen indischer, afrikanischer, arabischer, chinesischer, vietnamesischer Soldaten und Arbeiter, die zu dieser Zeit in den Stellungen der Westfront und an etlichen Nebenschauplätzen des Ersten Weltkrieges kämpften oder arbeiteten.“ Rekrutiert seien diese Menschen von den Kriegsteilnehmern, weil ihnen die Arbeitskräfte ausgegangen seien.
Wie weit dieser Rassismus verbreitet war, belegt Autor Pankai Mishra mit einem Zitat des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson. Dieser habe in einer Kabinettssitzung im Jahre 1917 gesagt, er wolle „die weiße Rasse wider die gelbe“ stärken, der weißen Kultur ihre Vorherrschaft über die gelbe garantieren und „der weißen Kultur die Vorherrschaft über den Planeten sichern“. Wilson sei in der Wahrnehmung des Westens als liberaler Politiker in die Geschichte eingegangen, der die Freiheit und Unabhängigkeit bis dahin unterdrückter Völker befürwortet habe. Doch auf der Friedenskonferenz von Versailles Anfang 1919 habe Wilson ganz anders gehandelt. Dort sei Wilsons Liberalismus nichts als Bemäntelung „weißer Vorherrschaft“ gewesen, denn die Unabhängigkeitsbestrebungen afrikanischer und asiatischer Völker seien dort „verächtlich abgewiesen“ worden.
Tatsächlich wurde etwa der Nahe Osten unter die Siegermächte aufgeteilt – entgegen den Versprechen, welche eben diese Alliierten den Arabern gegeben hatten. Versprochen war die Gründung eines arabischen Staates, zumindest aber die Schaffung eines arabischen Staatenbundes. Weil, so hieß es etwa in Artikel 22 des Vertrages des im Juni 1917 gegründeten Völkerbundes, die Völker der Region der Bürde der Modernität noch nicht gewachsen seien, müsse die zivilisierte Welt vorerst die Verantwortung für diese Völker übernehmen. Syrien etwa kam unter das Mandat Frankreichs, Palästina unter das Mandat Großbritanniens.
Ganz in diesem Sinne habe der deutsche Reichstag im Jahre 1920 von „diesen Wilden“ als einer „schauerlichen Gefahr“ gesprochen. Von dieser Äußerung war es natürlich nicht weit bis zu Adolf Hitlers Verschwörungstheorie, die er in seinem Buch „Mein Kampf“, darlegte. Danach seien es die Juden, welche „den Neger an den Rhein bringen, immer mit dem gleichen Hintergedanken und klaren Zielen, durch die dadurch zwangsläufig eintretende Bastardierung, die ihnen verhasste weiße Rasse zu zerstören …“
Ungezählte Bücher über den Weltkrieg befassten sich, schreibt Autor Pankai Mishra, mit dem Abschlachten Deutscher, Franzosen und Briten an der Westfront. Vergessen werde dabei aber, dass sich diese Mächte auf kolonialem Territorium durchaus nicht immer in die Quere gekommen seien, einander auch mal Territorien zugeteilt hätten, um, letzten Endes, die Vorherrschaft der weißen Kultur über den Globus zu gewährleisten. Hannah Arendt habe in ihrem Werk „Ursprünge und Elemente totalitärer Herrschaft“ dargelegt, dass „die Europäer im Zuge ihrer Eroberung, kolonialen Besiedlung und Ausbreitung großer Teile Asiens, Afrikas und Amerikas die Menschheit in Herren- und Sklavenrassen einteilten“. So sei es gekommen, dass das „Weißsein zur neuen Religion“ geworden sei – wie es William Edward Burghhardt du Bois, (1868-1963), amerikanischer Vertreter der Bürgerrechtbewegung, formuliert habe.
Angesichts des Wiederaufflammens des Rassismus und der Ausgrenzung anderer Kulturen als „nicht vereinbar“ mit der Kultur der weißen, westlichen Völker sei der Erste Weltkrieg „keineswegs ein so tiefer historischer Bruch“ gewesen, wie in Europa allgemein formuliert werde. Er sei vielmehr, wie Chinas bedeutender moderner Intellektueller, Lian Cichao schon 1918 geschrieben habe, „Übergang und Vermittlung zwischen Vergangenheit und Zukunft.“ Tatsächlich ragt dieser Rassismus bis in unsere Tage hinein. Der Deutsche Carl Hagenbeck gründete in Hamburg nicht nur Hagenbecks Tierpark, er war auch Veranstalter zahlreicher so genannter Völkerschauen, die in den 1920-er Jahren gang und gäbe waren. Wikipedia schreibt in einem Beitrag zu diesen Völkerschauen:
„Mit der Blüte des Kolonialismus gegen Mitte des 19. Jahrhunderts erlebten die Völkerschauen in Europa einen großen Aufschwung. Menschen aus fremden Kulturen wurden im Zoo oder im Zirkus sowie auf Jahrmärkten, Volksfesten, in Varietes und auf Gewerbe- und Kolonialausstellungen in möglichst naturgetreuer Kulisse präsentiert. Auch Nichtkolonialmächte organisierten Völkerschauen: Auf der Schweizerischen Landesausstellung im Sommer 1896 in Genf war neben einem Village suisse ein Village noir mit 230 Sudanesen zu sehen, die der Kälte zum Trotz in Lehmhütten hausten.“
Und der deutsche AFD-Bundestagsabgeordnete Alexander Gauland sagte im Jahre 2016 über den dunkelhäutigen Fußballspieler Jerome Boateng vom Fußballclub FC Bayern München in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben.“
Am kommenden 11.November wird, wie in jedem Jahr, des Endes des Ersten Weltkrieges gedacht. Dieses Mal werden exakt einhundert Jahre vergangen sein, seitdem das große Abschlachten endete. Autor Pankai Mishra ordnet den kommenden „Remembrance Day“ so ein:
„Die Liturgie des Remembrance Day leugnet … nicht nur die grausame Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs, sondern auch das Andauern dieser Grausamkeit bis ins 21. Jahrhundert. Mit dem hundertsten Jahrestag des Kriegsendes stellt sich uns eine anspruchsvolle Aufgabe, nämlich zu erkennen, wie sehr die Vergangenheit auch unsere Gegenwart prägt und unsere Zukunft bedroht – wie das endgültige Abdanken der weißen Kultur von der Vorherrschaft und das gleichzeitige forschere Auftreten der bisherigen finster-trägen Völker in den westlichen Ländern einige sehr alte politische Leidenschaften entfacht hat.“
Pankai Mishra erinnert auch an die Opfer, welche die zwangsrekrutierten Kolonialvölker im Krieg gebracht haben. Mehr als vier Millionen nicht-weiße Menschen, so der Autor, hätten in Europa, in Sibirien, in Ostasien, im Nahen Osten, vom Afrika südlich der Sahara bis zu den südpazifischen Inseln gekämpft:
„In Mesopotamien stellten indische Soldaten über die gesamte Dauer des Krieges die Mehrheit der alliierten Arbeitskraft, und ohne sie hätte es weder die britische Besatzung des Zweistromlandes, noch die erfolgreiche Kampagne in Palästina gegeben. Sikh-Soldaten halfen sogar den Japanern, die Deutschen aus ihrer chinesischen Kolonie Qingdao zu vertreiben.“
Schließlich: nach Ende des Krieges hätten sich engagierte (nicht-weiße) Intellektuelle gefragt, wo denn nun ihr Anteil am Sieg bleibe, ob denn, so muss man diese Frage interpretieren, nun ihre Diskriminierung beendet werde. Autor Pankai Mishra:
Schwarze Amerikaner „fragen sich nun immer vernehmlicher Wo ist unser Anteil? Die Antwort war eine Welle gewalttätiger Übergriffe auf Schwarze in allen Teilen der Vereinigten Staaten. (Auch Wilson fürchtete, daß der von auswärts zurückkehrende amerikanische Neger versucht sein könnte, den Bolschewismus ins Land zu schmuggeln). 1919 metzelten britische Soldaten in Amritza Hunderte bewaffnete indische Demonstranten nieder und trugen so zur Wandlung Gandhis vom emsigen Kollaborateur des britischen Empires zu dessen unbeirrbarem Gegner bei. Nur ein Jahr später schlugen die Briten mit dem ersten massiven Luftbombardement der Geschichte einen irakischen Aufstand nieder.“
Autor Pankai Mishra behandelt auch den Zusammenhang zwischen Imperialismus und den sozialen Spannungen in einzelnen europäischen Ländern. Der Brite Cecil Rhodes – Gründer Rhodesiens (heute Zimbabwe), Vertreter der Meinung, die Briten seien die „erste Rasse“ der Welt und Befürworter einer Vereinigung der USA und Großbritanniens zwecks Bildung einer gemeinsamen Weltregierung – schrieb 1895, der Imperialismus sei eine „Lösung für die sozialen Probleme“. Wörtlich:
„Um die 40 Millionen Einwohner des Vereinigten Königreiches vor einem blutigen Bürgerkrieg zu bewahren, müssen wir koloniale Staatsmänner neue Ländereien erwerben und darauf die überzählige Bevölkerung ansiedeln, auch um neue Märkte für die in den Fabriken und Bergwerken erzeugten Güter zu schaffen. … Wer einen Bürgerkrieg verhindern will, muß sich zum Imperialismus entschließen.“
Autor Pankai Mishra schließt mit einer düsteren Feststellung. Das „Weißsein“ habe in der Geschichte verschiedene Herrschaftsformen angenommen – Kolonialismus, Sklaverei, Rassentrennung, Gettoisierung, rassistische Einwanderungsgesetze, neoimperialistische Kriege, Massenverhaftungen. Des Autors Resume: „Mit Trump an der Macht ist sie (diese unheilvolle Geschichte, Anm.d.Autors) in ihre letzte und desperateste Phase eingetreten. Wir können die furchtbare Möglichkeit nicht mehr von der Hand weisen, die James Baldwin beschrieb, dass nämlich die Gewinner der Geschichte nicht lassen könnten von dem, was sie ihren Gefangenen gestohlen hätten.
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