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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 10. November 2009 um 8:53 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Heute unter anderem zu folgenden Themen: Mehr Kleingeld durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz; wir kauften die DDR; die Welt ist vom Kapitalismus enttäuscht; Banken verrichten Gottes Werk; PPP-Geschichten; Automaten an der Kasse; Linke beraten vor dem SPD-Parteitag; Georg Elser, ein Held; Nachhilfe für Streber; Unikliniken als Profit-Center. (KR/MB/WL)

  1. Wachstumsbeschleunigungsgesetz: Mehr Kleingeld
  2. Jens Berger: 20 Jahre Mauerfall – wir kaufen uns eine DDR
  3. BBC-Studie zum Kapitalismus: Die Systemfrage
  4. Goldman-Sachs-Chef: “Banken verrichten Gottes Werk”
  5. G20-Treffen: Tobin-Steuer immer populärer
  6. PPP im Straßenbau
  7. Das Kölner Umgehungsgeschäft
  8. Bezahlautomaten: Kasse, bitte!
  9. Kluft zwischen niedrigen und mittleren Löhnen in Vollzeitjobs wächst weiter
  10. SPD-Linke beraten in Kassel über Wege aus der Krise
  11. Hitler-Attentäter Georg Elser: Kein Terrorist – ein Held
  12. Lohengrin und Maueröffnung?
  13. Mit Nachhilfe zum Abi: “Je besser die Noten, desto höher der Status”
  14. Vom Untergang der Unikliniken
  15. Zu guter Letzt: Profiteure

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Wachstumbeschleunigungsgesetz: Mehr Kleingeld
    Vor allem Familien mit höheren Einkommen und Unternehmen profitieren von den Plänen der Koalition. Für den normalen Bürger hat das „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ vor allem dann direkte Folgen im Portemonnaie, wenn er Kinder hat.  Nach Berechnungen des Bundes der Steuerzahler beträgt beispielsweise die jährliche Entlastung für ein Doppelverdiener-Paar mit einem Kind bei 20 000 Euro Jahreseinkommen 240 Euro; Gutverdiener in der gleichen Lebenssituation mit 300 000 Euro Jahresbrutto können 435 Euro mehr behalten. Für den Staat bedeutet diese Familienförderung Mehrausgaben beziehungsweise Mindereinnahmen von rund 4,4 Milliarden Euro im Jahr.
    Mit weiteren 2,4 Milliarden Euro jährlich schlagen Veränderungen bei der Unternehmensteuer zu Buche. Wichtigste Maßnahmen sind hier die Lockerung der „Zinsschranke“ – gemeint ist damit die Möglichkeit, Zinsaufwendungen von der Steuer abzuziehen. Auch die „Konzernklausel“ wird so verändert, dass beispielsweise Umstrukturierungskosten innerhalb verbundener Unternehmen ebenfalls wieder steuerabzugsfähig sind.
    Erleichtert werden soll auch das Erben. Für entferntere Verwandte – Nichten und Neffen – soll die Erbschaftsteuer je nach Vermögen 15 bis 43 Prozent betragen statt 30 bis 50 Prozent. Frei von Erbschaftsteuer bleibt, wer ein Unternehmen weiterführt und fünf Jahre lang die Arbeitsplätze hält; bisher lag die Grenze bei sieben Jahren. Auch die Lohnsumme als Maßstab für die Ernsthaftigkeit des Unternehmenserben wird reduziert. Die jetzt auf den Weg gebrachten Entlastungen sind nicht die einzigen, die zum 1. Januar auf die Bürger warten. Noch von der großen Koalition sind bereits rund 14 Milliarden Euro weitere Steuervorteile beschlossen worden. Besonders für Gutverdiener mit Familie summieren sich beide Entlastungsgesetze auf recht erkleckliche Beträge.
    Quelle: Tagesspiegel

    Dazu der Kommentar:

    Fromme Wünsche, hübsche Wohltaten
    Die Milliarden, die der Staat verschenkt, werden ihm noch schmerzlich fehlen. Zugrunde liegt der milliardenschweren Steuerentlastung die Philosophie dieser Regierung, wonach Entlastungen Wachstum schaffen oder stützen, das dem Staat alsbald viel mehr Steuern einbringen wird. Diese Philosophie ist nach den jüngeren Erfahrungen mit Steuerentlastungen aber nur ein frommer Wunsch, ein Glaubenssatz. Die sprudelnden Steuereinnahmen kamen entweder später oder nie.  Die sympathische Kindergeld-Optik wird ihn und die Bundesregierung wieder einholen. Auch wenn alle Eltern, die in den Genuss der 20 Euro oder mehr kommen, sich freuen: Weil die Entlastung dem Muster folgt, dass mehr bekommt, wer mehr verdient, ist erstens der Effekt für Wachstum und Konjunktur ungewiss. Zweitens aber wird sich die soziale Schräglage für die Staatsfinanzen rächen. Wir leben in einem Land, in dem jedes sechste Kind von Hartz IV lebt, die allesamt von dieser Kindergelderhöhung nichts haben.
    Es ist nicht die Zeit, den öffentlichen Sektor weiter zu schwächen, der sich in die Geiselhaft der Finanzjongleure begeben musste. Nicht nur des Geldes wegen. Die Frage ist nicht beantwortet, warum auf einmal Milliarden für Banken da waren, wo Millionen für Schulen oder Kindergärten nicht aufgebracht werden konnten.
    Quelle: Tagesspeigel

  2. Jens Berger: 20 Jahre Mauerfall – wir kaufen uns eine DDR
    Die Geschichte der „Wiedervereinigung“ ist eine Geschichte des übereilten Abwirtschaftens der DDR und eine Geschichte der verpassten Gelegenheiten. Natürlich bleibt der 9.November 1989 als einer der glücklichsten Tage der deutschen Geschichte in unser aller Erinnerung. Das Volk der DDR hatte sich gegen ein abgehalftertes System gewehrt. Nicht dank der Westverbündeten, sondern dank der Sowjetunion blieb diese Revolution unblutig. Schade, dass diese historische Sternstunde heute dank der Interessenpolitik einiger Weniger ein wenig verblasst ist.
    Quelle: Spiegelfechter
  3. BBC-Studie zum Kapitalismus: Die Systemfrage
    Es war nicht alles schlecht im Kapitalismus – wird es vielleicht in ferner Zukunft einmal heißen. Heute lassen die Menschen an diesem Wirtschaftssystem kaum ein gutes Haar, wie eine Umfrage im Auftrag der BBC in 27 Ländern ergeben hat: Nur elf Prozent der Befragten sind der Meinung, dass der Kapitalismus so funktioniert, wie er ist. Das größte Vertrauen in die ungezügelte Wirtschaft fanden die Meinungsforscher ausgerechnet in einem Land, in dem die Krise viele Menschen um Jobs und Häuschen gebracht hat: In den USA sagen 25 Prozent, der Kapitalismus sei voll in Ordnung. Außer in Pakistan (21 Prozent) liegt die Zustimmung sonst überall bei weniger als 20 Prozent. Die weltweite Studie lege den Schluss nahe, “dass das Vertrauen in die freien Märkte in den vergangenen zwölf Monaten der Wirtschafts- und Finanzkrise einen schweren Schlag erlitten hat”, schreibt BBC-Korrespondent James Robbins. Der Chef des mit der Studie beauftragten Meinungsforschungsunternehmens Globe Scan, Doug Miller, sagte: “Offenbar war der Fall der Berliner Mauer 1989 doch nicht der Kantersieg der kapitalistischen freien Marktwirtschaft, der er damals zu sein schien.”
    Glaubt man der Studie, bricht die Weltrevolution demnächst in Frankreich aus: Mit 43 Prozent wünschten sich dort die meisten Menschen einen Systemwechsel, gefolgt von Mexiko (38 Prozent), Brasilien (35 Prozent) und der Ukraine. Die Kritik an der Marktwirtschaft ist zwar in den 27 Ländern der Studie unterschiedlich stark ausgeprägt. Fast überall aber fanden die Forscher eine Mehrheit für ein stärkeres Eingreifen von Regierungen. “Einige Elemente des Sozialismus, etwa die gleiche Verteilung des Wohlstands durch die Regierung, sprechen viele Leute auf der Welt weiter an”, sagte Steven Kull von der Universität von Maryland, die an der Studie beteiligt war. Im Schnitt sind 67 Prozent der Meinung, der Staat solle eine aktivere Rolle dabei spielen, den Wohlstand gleichmäßiger zu verteilen. In 22 der 27 Länder spricht sich eine Mehrheit für mehr Staat aus. Latein- und Südamerikaner vertrauen von oben gesteuerter Umverteilung am meisten: Rund neun von zehn Befragten sind für eine größere Rolle der Regierung. In Deutschland wünschen sich 74 Prozent mehr staatliche Umverteilung; in der Türkei sind es nur 9 Prozent. Gegen eine größere Rolle der Regierungen in diesem Bereich sind auch Inder und Pakistaner (60 und 66 Prozent), Polen (61) und US-Bürger (59 Prozent). Mehr staatliche Regulierung der Wirtschaft würden weltweit 56 Prozent begrüßen, weniger fänden 22 Prozent besser. Ausgerechnet in Brasilien, wo die Arbeiterpartei regiert, fordern 87 Prozent mehr Regulierung, gefolgt von so unterschiedlichen Ländern wie Chile, Frankreich, Spanien und China. In Deutschland sind 45 Prozent für mehr Regulierung, 28 Prozent für weniger, 24 Prozent sind zufrieden, wie es ist.
    Quelle: FR

    Auf englisch:

    Wide Dissatisfaction with Capitalism — Twenty Years after Fall of Berlin Wall
    Twenty years after the fall of the Berlin Wall, a new BBC World Service global poll finds that dissatisfaction with free market capitalism is widespread, with an average of only 11% across 27 countries saying that it works well and that greater regulation is not a good idea.
    In only two countries do more than one in five feel that capitalism works well as it stands—the US (25%) and Pakistan (21%).
    The most common view is that free market capitalism has problems that can be addressed through regulation and reform—a view held by an average of 51% of more than 29,000 people polled by GlobeScan/PIPA.
    An average of 23% feel that capitalism is fatally flawed, and a new economic system is needed—including 43% in France, 38% in Mexico, 35% in Brazil and 31% in Ukraine.
    Quelle: GlobeScan Incorporated

  4. Goldman-Sachs-Chef: “Banken verrichten Gottes Werk”
    Gigantische Boni, riesige Profite – kein Problem für die Gesellschaft, sagt jetzt Goldman-Sachs-Chef Lloyd Blankfein in einem Interview. Tatsächlich sei das nur ein Zeichen für den Aufschwung. Überhaupt hat er ein ganz eigenes Selbstverständnis der Bankenwelt: Diese würden in Wahrheit Göttliches tun.
    Goldman Sachs hatte im dritten Quartal einen Gewinn von drei Milliarden Dollar verbucht und will mehr als 20 Milliarden Dollar als Boni zum Jahresende zahlen.
    Quelle: Spiegel Online

    I’m doing ‘God’s work’. Meet Mr Goldman Sachs
    Quelle: Times

    Anmerkung WL: Eine Perversion des calvinistischen Glaubens, dass persönlicher Gewinn Gottgefälligkeit im Diesseits beweise. Dieser Größenwahn belegt nebenbei, dass diese Banker mit ökonomischem Sachverstand nichts mehr zu tun haben.

  5. G20-Treffen: Tobin-Steuer immer populärer
    Am Wochenende überraschte (…) der britische Regierungschef Gordon Brown die Finanzminister aus den G20-Staaten mit einem Vorstoß: Die Banken müssten bei der Verteilung der durch die Krise entstandenen Lasten zur Kasse gebeten werden, forderte er bei der Begrüßung im schottischen St. Andrews. Als Möglichkeit nannte er auch eine Steuer auf Finanzmarkttransaktionen (…)
    US-Finanzminister Timothy Geithner sagte, eine Steuer auf alle Finanztransaktionen würden die USA nicht ohne weiteres unterstützen. Es gebe aber andere Möglichkeiten.
    Quelle: FR

    Die SZ sieht das skeptischer:

    Einfach ausgebremst
    Zwischen Europa und den USA bahnt sich ein heftiger Streit über eine mögliche Strafsteuer für Banken an. Washington verhindert eine Einführung, obwohl nun sogar Großbritannien die EU-Linie unterstützt.
    Quelle: SZ

  6. PPP im Straßenbau
    Auf über 72 Kilometern reiht sich eine Baustelle an die nächste: Die A1 zwischen dem Bremer Kreuz und dem Buchholzer Dreieck bei Hamburg wird sechsspurig ausgebaut. Eine Megabaustelle unter Führung der A1mobil GmbH. Die baut und kassiert dafür während der kommenden 30 Jahre einen Teil der Lkw-Maut, die auf der Strecke eingenommen wird…
    Wenn weniger Lkw durch die Baustellen fahren würden, könnten die Unfallzahlen gesenkt werden. Doch das ist gegen die Interessen der A1Mobil. Jeder Lkw bringt Maut in die Kassen des privaten Betreibers. Jetzt vermuten Kritiker des Projekts, die Lkw würden deshalb nicht mit Empfehlungen und orangefarbenen Umlenkpfeilen weiträumig von der Baustelle fern gehalten. “Hier wird die Einnahmeerwartung des Betreibers höher gewichtet als das Interesse daran Unfälle zu vermeiden”, meint der unabhängige Raumplaner Gerhard Joksch.
    Quelle: NDR Mark
  7. Das Kölner Umgehungsgeschäft
    Europäischer Gerichtshof: Der »Public Private Partnership«-Vertrag über die Kölner Messehallen ist nichtig. Der EuGH hat nur über das Verhalten der Stadt geurteilt; nicht das des Investors. Das Urteil enthält keine Strafen und keine Auflagen. Es bleibt zunächst der Kommission, der Bundes- und Landesregierung und der Stadt Köln überlassen, den Verstoß zu heilen. Einen vergessenen Grundsatz aber hat das Urteil bestätigt: Die heute üblichen, von »renommierten« und hochbezahlten Anwälten formulierten Umgehungskonstrukte, mit denen gesetzliche Regelungen unterlaufen werden, sind nichtig. Das hätten auch deutsche Gerichte feststellen müssen. Dass es erst der EuGH tat, spricht Bände über den Zustand des von vielen immer noch gefühlten Rechtsstaats Deutschland.
    Quelle: junge Welt

    Anmerkung Orlando Pascheit: Nur zur Erinnerung: In einer Public Private Partnership (PPP, öffentlich-private Partnerschaft)  führt die öffentliche Hand die ihm auferlegten Aufgaben in Zusammenarbeit mit Wirtschaftsunternehmen aus bzw. überträgt die Aufgaben gänzlich auf die Wirtschaftsunternehmen, wobei insbesondere die Finanzierung von Infrastrukturmaßnahmen (Straßen, Schulen etc.) im Vordergrund steht.  So finanziert und baut beispielsweise ein privater Investor ein Gebäude und die öffentliche Hand mietet dieses für einen Zeitraum bis zu 30 Jahren. Es ist das Verdienst Werner Rügemers an vielen Beispielen herausgearbeitet zu haben, dass die öffentliche Hand bei PPP langfristig keine Kosten spart, sondern im Gegenteil deutlich draufzahlt. Häufig werden unter Umgehung demokratischer Institutionen Projekte realisiert, die sich Kommunen, Kreise und Bundesländer eigentlich nicht leisten können. So hat z.B. im Kreis Offenbach ein Investor die Sanierung und den Betrieb sämtlicher 90 Schulen übernommen. Während die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young zum Ergebnis kamen, dass durch  PPP 88 Millionen Euro gespart werden könnten, gibt der Kreis gegenwärtig  für die Schulen 52 Millionen Euro im Jahr aus, gegenüber 30 Millionen Euro vor PPP. Allein an Honoraren für Wirtschaftsprüfer und Anwälte hat Offenbach 16,7 Millionen Euro ausgegeben haben. (Werner Rügemer: Heuschrecken im öffentlichen Raum)

    Ergänzende Anmerkung WL: Der eigentliche Skandal liegt darin, dass nun auch noch der Steuerzahler für das Fehlverhalten der Beteiligten haftet. Vermutlich dürfte das Urteil nicht mehr als ein Schuss vor den Bug sein. Denn selbst wenn die Verträge nichtig wären, würden die Hallen sicherlich nicht abgerissen. Der Eigentümer bliebe der Fonds und die Messe hätte keine Wahl, als einen neuen Mietvertrag zu schließen – und der würde sicherlich nicht billiger. Außerdem dürfte es ziemlich schwierig für Wettbewerber sein, einen Schaden wegen der fehlenden Ausschreibung geltend zu machen.

  8. Bezahlautomaten: Kasse, bitte!
    Auf den ersten Blick sieht die neue Tesco-Filiale im englischen Northampton aus wie jede andere. Es ist eins der kleineren “Express”-Geschäfte der britischen Supermarktkette. Doch wer mit dem Einkaufskorb in der Hand die Kasse ansteuert, merkt: Dieser Laden ist anders als die anderen. Vergeblich halten die Kunden Ausschau nach einer Kassiererin. Stattdessen hat Tesco fünf Selbstbedienungs-Terminals aufgestellt, an denen die Käufer die Preise ihrer Waren selbst einscannen und in bar oder mit Karte bezahlen. Es gibt nur einen Mitarbeiter, der behilflich ist, wenn es Probleme mit der Bedienung der Geräte gibt.
    In Deutschland verzichten die Discounter-Riesen Aldi und Lidl noch komplett auf die Maschinen. Es gibt sie im Wesentlichen in der Real-Kette von Metro und in einigen Edeka-Märkten. Doch jetzt, so sagen Experten, kommt Bewegung in den Markt. “Die Kassenautomaten zählen zu den wenigen Gewinnern der Wirtschaftskrise”, glaubt Björn Weber vom Marktforscher Planet Retail in Frankfurt. RBR schätzt, dass die Zahl solcher Geräte in Europa allein im kommenden Jahr um ein Drittel wachsen wird. In Deutschland hat die schwedische Möbelkette Ikea dieses Jahr knapp tausend Terminals aufgestellt.
    Angesichts des Verdrängungswettbewerbs im deutschen Handel sei es “Augenwischerei”, anzunehmen, dass die nicht mehr benötigten Kassenmitarbeiter alle im Service eingesetzt würden. “Der Handel nutzt jede Möglichkeit zur Kostensenkung, und die Kassierer sind ohnehin in vielen Fällen Leiharbeitnehmer”, sagt Dalibor. Der Gewerkschafter erinnert an die Erfahrungen in der Bankenbranche: “Da sind nach der Einführung der Geldautomaten in den achtziger Jahren massenhaft Arbeitsplätze gestrichen worden.”
    Quelle: FAZ
  9. Kluft zwischen niedrigen und mittleren Löhnen in Vollzeitjobs wächst weiter
    Die Kluft zwischen den Löhnen Vollzeitbeschäftigter mit niedrigen und mittleren Einkommen wird seit 1997 in Deutschland immer größer. Während Geringverdiener Ende der 90er Jahre noch 64 Prozent des Einkommens eines Arbeitnehmers mit mittlerem Einkommen erzielten, erreichten sie 2007 nur noch 53 Prozent. Dieser Rückgang ist im internationalen Vergleich der stärkste von 20 untersuchten OECD-Ländern. Die Lohnungleichheit hat mittlerweile das Niveau Großbritanniens und anderer Länder erreicht, die bei der Beschäftigungspolitik weniger auf den sozialen Ausgleich achten. Dies ist eines der zentralen Ergebnisse der neuen Studie “Arbeitsmarkt und Beschäftigung 2000 – 2009: Beschäftigungserfolge bei steigender Differenzierung” der Bertelsmann Stiftung gemeinsam mit dem Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn.
    Quelle 1: Bertelsmann Stiftung

    Anmerkung Martin Betzwieser: Na da kooperieren ja wirklich die Richtigen. Die Bertelsmann Stiftung war nicht unbeteiligt an der Konzeption der Hartz-Reformen. Und das „Forschungsinstitut“ IZA ist ein Sammelbecken einschlägiger Arbeitgeberlobbyisten, Politiker und Aktivisten der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Der arbeitsmarktpolitische Direktor Hilmar Schneider wollte vor ein paar Jahren mal Arbeitslose versteigern lassen, um die Kosten für Sozialtransfers gegenfinanzieren zu lassen. Und dass wir hier tatsächlich von einem Beschäftigungserfolg aufgrund der Arbeitsmarktreformen lesen, kann eigentlich nur noch als Volksverblödung bezeichnet werden.
    Quelle 2: Nachdenkseiten vom 23.09.2009 – Wie die Bertelsmann Stiftung neues Vertrauen zurückgewinnen will – Ein Rückblick
    Quelle 3: IZA
    Quelle 4: Focus vom 14.02.2006

    Ergänzende Anmerkung Orlando Pascheit: Ich weiß nicht, wer bei Bertelsmann die Endkontrolle über diese Pressemeldung hatte, auf jeden Fall dürfte den Oberen von Bertelsmann diese Pressemeldung nicht schmecken. Während in der Pressenotiz die Lohnentwicklung und die Zunahme prekärer Beschäftigung deutlich skandalisiert wird, heißt es z.B. der Untersuchung selbst:

    Der Arbeitsmarkt ist im Zuge der weiter fortschreitenden Flexibilisierung aufnahmefähiger geworden, allerdings auch um den Preis größerer Unsicherheit und geringerer Entlohnung für Teile der erwerbstätigen Bevölkerung. Damit konnte das Ende der 1990er Jahre beobachtete Beschäftigungsdefizit in Deutschland zum Teil überwunden werden. Deutschland hat 2008 einen historischen Höchststand der Erwerbstätigkeit erreicht und manche andere Länder bei der Beschäftigungsquote übertroffen. Gleichzeitig ging die Inaktivität der Personen im erwerbsfähigen Alter zurück. Fortschritte wurden vor allem bei der Erwerbsintegration der Frauen und der älteren Arbeitskräfte erzielt. In struktureller Hinsicht zeigt sich hier eine besonders dynamische Entwicklung im privaten Dienstleistungssektor. Dagegen haben Jugendliche zunehmend schlechtere Chancen beim Einstieg ins Erwerbsleben.

    Im Ausblick finden wir dann das neoliberale Credo in Reinkultur:

    Es lässt sich aber festhalten, dass sich die Struktur des Arbeitsmarktes verändert hat und sich grundlegend von der Situation Anfang des Jahrzehnts unterscheidet. Vor allem die „Flexibilitätsreserven“ der atypischen Beschäftigungsformen haben den Arbeitsmarkt an Dynamik gewinnen lassen und geholfen, Beschäftigungspotenziale im Segment der privaten Dienstleistungen zu erschließen. … Dies bedeutet gleichwohl nicht, dass alle Schwächen überwunden wären. Vielmehr wird die Krise strukturelle Probleme wieder in den Vordergrund rücken. Hierzu zählt die finanzielle Belastung durch vergleichsweise kostenintensive passive Arbeitsmarktprogramme und Sozialleistungen. … Eine weitere „Baustelle“ stellt die Regulierung des Arbeitsmarktes dar. Bislang hat sich die Politik in ihren Deregulierungsbemühungen auf einzelne Zielgruppen wie Leiharbeiter, Minijobber oder befristet Beschäftigte beschränkt. …. In jedem Fall könnte ein flexibleres Arbeitsrecht im Sinne des „Flexicurity-Konzepts“ zu einer ausgewogeneren Verteilung von Flexibilitätsrisiken beitragen.

    Sozusagen in der Hoffnung, dass das Modell niemand näher kennt, wird schon fast klassisch zu guter Letzt das dänische Modell angepriesen, in dem Arbeitnehmern relativ kurzfristig gekündigt werden kann. Allerdings bleiben die Gekündigten in Dänemark in einer Weise  finanziell abgesichert, von der wir nur träumen können. Auch haben Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen eine ganz andere Qualität als hier.

  10. SPD-Linke beraten in Kassel über Wege aus der Krise
    Der Ratschlag sorgte für Aufsehen. Vierzehn Thesen trugen dazu bei: Da heißt es, die “Schröder-SPD und ihr Kurs der Anpassung an den neoliberalen Mainstream” sind “krachend gescheitert”. Darüber der Titel “40 Prozent sind möglich – als linke Volkspartei”.
    Der Beifall für Ypsilanti sei “Willy-Brandt-artig” gewesen, sagt der frühere Bundestagsabgeordnete Horst Peter: “Fast alle linken Sozialdemokraten identifizieren sich mit dem Hessischen Versuch, einen programmatischen Neuanfang zu starten”.
    Quelle: FR
  11. Hitler-Attentäter Georg Elser: Kein Terrorist – ein Held
    München hat sich lange schwergetan mit dem Gedenken an Georg Elser. Historiker Peter Steinbach über den mutigen Einzeltäter, dessen Attentat auf Hitler sich nun jährt: „Als man die Deutschen in den fünfziger Jahren fragte, ob eine Straße oder eine Schule nach einem Regimegegner oder einem Emigranten benannt werden soll, hat die Mehrheit der Deutschen dies fast immer abgelehnt. Die Auseinandersetzung mit dem Widerstand beinhaltete ja die Einsicht, dass es eine Alternative gab zum eigenen Mitläufertum. Und das wollte man nicht so gerne sehen. Lieber sollte die eigene Lebenslüge aufrechterhalten werden, dass alle in einem kollektiven Zwangssystem lebten, aus dem es keinen Ausweg gab. Dabei wissen wir heute: Die NS-Gesellschaft war eine Denunziantengesellschaft. Menschen verrieten andere Menschen und lieferten sie aus.“
    Quelle: SZ
  12. Lohengrin und Maueröffnung?
    Gottfried Wagner, Musikhistoriker und Wagner-Urenkel, protestiert dagegen, dass auf dem „Berliner Fest der Freiheit“ am 9. November unter Leitung von Daniel Barenboim neben Schönbergs „Ein Überlebender von Warschau“ auch das Vorspiel zum 3. Akt von Wagners „Lohengrin“ erklingen soll: „Dass in diesem Programm Richard Wagners “Lohengrin”-Vorspiel zum 3. Akt (1848) mit Arnold Schönbergs “A Survivor from Warsaw” (Ein Überlebender aus Warschau) op. 46 (1947) kombiniert wird, erfüllt mich mit größtem Unbehagen. Bereits der Ankündigungstext unterschlägt die inhaltliche Problematik des Vorspiels zum 3. Akt des „Lohengrin“. Dieses Vorspiel ist ganz eindeutig die musikalische Einstimmung auf die höchst chauvinistische 3. Szene, in der es um die kriegerische Vision eines deutschen Nationalstaats geht: „Für deutsches Land das deutsche Schwert! So sei des Reiches Kraft bewährt!”
    Das Wunder des 9. November 1989 besteht eben genau darin, dass dieser Tag friedlich, ohne das „deutsche Schwert“, über die Bühne gegangen ist! Aus diesem Grund ist die Lohengrin-Musik absolut unpassend. Auch das dortige „Grals-Gedusel“ ruft Blut- und Boden-Reminiszenzen hervor, an die man direkt vor der Aufführung von Schönbergs „Ein Überlebender aus Warschau“ lieber nicht rühren sollte.“
    Quelle: Humanistischer Pressedienst
  13. Mit Nachhilfe zum Abi: “Je besser die Noten, desto höher der Status”
    Früher schickten Eltern ihre Kinder wegen schlechter Noten zur Nachhilfe – als Rettungsanker. Heute pauken auch Einser- und Zweierschüler zusätzlich: aus Angst vor dem Abstieg. Soziologen nennen das “Statuspanik”. Von der Überhöhung des Gymnasiums profitiert eine ganze Industrie.
    Quelle: SPIEGEL
  14. Vom Untergang der Unikliniken
    In den zum Mediengetöse stilisierten Konflikten um Bologna-Prozess oder Exzellenzinitiative und der nicht selten klammheimlichen Freude über die finanziellen Schwierigkeiten der so hoch gelobten, allerdings privat und über hohe Studiengebühren finanzierten amerikanischen Eliteuniversitäten wird heute konsequent der Abstieg der Universitätsmedizin übersehen – vielleicht der deutschen Medizin schlechthin.
    Schleichendes Multiorganversagen lautet die Diagnose. Ihre Symptome sind ärztliche Berufs- und Leistungsflucht, Überadministration und Evalualitis mit untauglichen, oft landespolitisch gefärbten Kriterien, vielerorts gescheiterte Trennung von Klinik und Hochschulpflichten, die unternehmerische Radikalisierung des Klinikmanagements sowie die Unterfinanzierung insbesondere der ärztlichen Weiterbildung. Wer es noch nicht bemerkt hat: Medizinkosten, auch an Universitätsklinika, sind politisch höchst unerwünschte Lohnnebenkosten und die stille Rationierung der Medizin im Kuhhandel von Parteipolitik und Krankenkassen wohl besiegelte Sache.
    Quelle: FAZ
  15. Zu guter Letzt: Profiteure
    Plassmann
    Quelle: Frankfurter Rundschau


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