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Titel: Vermögensteuer einführen! Den Rechtsstaat herstellen!

Datum: 8. März 2018 um 16:22 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Aufbau Gegenöffentlichkeit, Erosion der Demokratie, Steuerhinterziehung/Steueroasen/Steuerflucht, Steuern und Abgaben, Ungleichheit, Armut, Reichtum
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Am 7.3.2018 stellte die Linke Niedersachsen in Hannover ihre Volksinitiative zur Vermögensteuer vor. Bis Oktober 2018 sollen 70.000 Unterschriften für einen Antrag im Landtag gesammelt werden. Bei der Veranstaltung, geleitet von Hans-Henning Adler, referierten die beiden Bundestagsabgeordneten Dietmar Bartsch und Diether Dehm sowie der Publizist Werner Rügemer. Er stellte uns sein Referat zur Verfügung. Danke vielmals. Es löst vermutlich eine interessante Diskussion aus. Albrecht Müller.

Werner Rügemer

Wir leben in der Bundesrepublik Deutschland in so mancher Hinsicht in einem Unrechts-Staat, insbesondere was die unterschiedliche Behandlung von Armen und Reichen, von abhängig Beschäftigten und Privatunternehmen angeht. Unternehmen zahlen täglich millionenfach den gesetzlichen Mindestlohn nicht, erpressen jährlich etwa eine Milliarde unbezahlte Überstunden, behindern und verhindern Betriebsräte (Straftat nach § 119 Betriebsverfassungsgesetz) – sanktions- und straflos. Nur mal so zum Beispiel. Vom Massenbetrug mit „umweltschonenden“ Giftschleudern wollen wir jetzt gar nicht reden.

Auch bei der Besteuerung des Vermögens leben wir in einem Unrechtsstaat. Sowohl nach Grundgesetz wie nach Ausführungsgesetz (Vermögensteuergesetz) gilt in Deutschland die Vermögensteuer. Aber sie wird seit 1997 nicht mehr erhoben.

Wie kam es zu diesem rechtlosen Zustand? 1995 urteilte das Bundesverfassungsgericht: Die Vermögensteuer widerspricht dem Gleichheits-Grundsatz des Grundgesetzes. Denn Grundbesitz, also bebaute und unbebaute Grundstücke als Teil des Vermögens, wird niedriger besteuert als der andere Teil des Vermögens. Das Gericht hatte damit recht, denn der Grundbesitz wurde viel zu niedrig bewertet und besteuert. Es galt der sogenannte Einheitswert, eine völlig veraltete Bewertungsform. Sie berücksichtigte nicht den Marktwert, der vor allem in Stadtzentren um ein Vielfaches über dem Einheitswert lag.

Verfassungsbruch durch die Kohl-Regierung

Eine verfassungstreue Regierung hätte die Aufgabe gehabt, die Wertermittlung für Grundstücke wirklichkeitsgerecht neu zu regeln. Das taten CDU, CSU und FDP unter Bundeskanzler Kohl aber nicht. Sie wollten nicht, dass ihr Hauptklientel, das über viele Grundstücke, Miets- und Bürohäuser verfügt, höher besteuert wird. Dafür nahmen sie den Bruch des Grundgesetzes in Kauf.

Die zweite Begründung des Bundesverfassungsgerichts für die ungerechte Besteuerung war, dass Einkommensteuer und Vermögensteuer, wenn sie bei vermögenden Individuen zusammentreffen, über 50 Prozent betragen können. Aber das war Unsinn, denn im Grundgesetz wird nirgends etwas über die zulässige Höhe der Vermögensteuer gesagt. Alle Steuern werden durch einzelne Gesetze festgelegt: Mehrwertsteuer, Einkommensteuer, Kapitalertragsteuer, also auch die Vermögensteuer.

Der eigentliche Grund für die Untätigkeit der Kohl-Regierung war die damalige Stimmung der Selbstbereicherung: Westdeutsche Unternehmer und Banken hatten sich die Ex-DDR-Wirtschaft billig unter den Nagel gerissen, auch unter Marktwert. Die Bundesregierung hatte in der Treuhand-Anstalt sogar die Verfolgung von Straftaten wie Bestechung und Urkundenfälschung gestoppt. Die staatsanwaltliche Ermittlungseinheit „Verfolgung der Vereinigungskriminalität“ wurde aufgelöst. Die Privatisierung der DDR-Betriebe sollte möglichst schnell durchgezogen werden, wenn nötig auch kriminell.

Dieses Unrecht wirkt bis heute, etwa durch die niedrigere Bezahlung der Arbeit in Ostdeutschland, durch höhere Arbeitslosigkeit, durch häufigere Verletzung von Arbeitsrechten – was übrigens auch Gründe sind für die ungerechte Verteilung von Vermögen.

Durch die Erhebung der Vermögensteuer hätte die Kohl-Regierung die damals galoppierende Staatsverschuldung aufhalten können. Die letzte Erhebung 1996 erbrachte immerhin 9 Milliarden DM für den Staatshaushalt. Wenn zusätzlich der Wert des Immobilienvermögens marktgerecht festgestellt worden wäre – in West- wie in Ostdeutschland -, und wenn dieses Immobilienvermögen besteuert worden wäre, dann hätten wir bis heute nicht die hohe Staatsverschuldung von zwei Billionen Euro. Die führt seitdem und führt auch heute, mithilfe der Schuldenbremse, zu immer mehr Kürzungen im Sozialbereich und in der Infrastruktur. Sind es dreihundert oder vierhundert oder 500 Milliarden Euro an maroden und fehlenden Schulen, Kanalisationen, Brücken, Wasserwegen, Straßen, Leitungen, die wir den künftigen Generationen überlassen?

Die hohe Staatsverschuldung sei „vereinigungsbedingt“ entstanden, so wird bis heute dahergeplappert. Das ist falsch. Die hohe Staatsverschuldung entstand auch durch den Bruch des Grundgesetzes und die Aussetzung der Vermögensteuer.

Wir stellen also fest: Gerade diejenigen, die das Grundgesetz beschwören, verletzen es hier dauerhaft. Gerade diejenigen, die auf dem Rechtsstaat bestehen, verhindern hier seinen Vollzug. Hart gegen Flüchtlinge und Arbeitslose, aber rechtsbrecherisch nachsichtig gegen die Vermögenden.

Vermögensteuer als demokratische Notwendigkeit

Die Vermögensteuer gehört wesentlich zu einem demokratischen Staat. Das monatliche Einkommen der abhängig Beschäftigten wird weitgehend oder auch, bei den Niedriglöhnern, vollständig für das alltägliche Überleben ausgegeben. Dagegen das Vermögen: Es wird zum allergrößten Teil nicht für aktuelle Bedürfnisse verbraucht, sondern wird angesammelt, vermehrt sich etwa durch Unternehmensgewinne, Mieteinnahmen, Dividenden. Und es wird ständig weitervererbt, ohne dass dafür von den Erben irgendeine Leistung erbracht werden muss, außer ungefragt und zufällig in eine vermögende Familie hineingeboren zu werden.

Vermögen steigert also, wenn die Gemeinschaft nicht eingreift, die Ungleichheit zwischen den Bürgern. Deshalb muss in einer Demokratie Vermögen ab einer bestimmten Höhe besteuert werden. In Deutschland wurde die Vermögensteuer deshalb nach der Monarchie mit der Weimarer Republik eingeführt. Auch in der DDR galt eine Vermögensteuer auf individuelles privates Vermögen ab einer bestimmten Höhe.

Wir fordern die grundrechts- und marktkonforme Erhebung. Wir fordern damit also auch das Ende einer Grundrechts- und Gesetzesverletzung. Wir fordern die Herstellung des Rechtsstaats.

Bekanntlich will sich auch die neue kleine Große Koalition darum nicht kümmern. Sie kümmert sich auch nicht um Begleitmaßnahmen, die nötig sind. Etwa bei der Erbschaftssteuer. Gegenwärtig beträgt das private Nettovermögen in Deutschland nach Angaben des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) 11,2 Billionen Euro (Stand 2015). Es besteht vor allem aus Betriebs- und Immobilienvermögen. Davon werden jährlich etwa 400 Milliarden Euro vererbt bzw. als Schenkung an zum Teil noch minderjährige Erben weitergereicht.[1] Der deutsche Staat erhob aber im Jahre 2016 nur 7 Milliarden Euro an Erbschaftssteuer. Zum Vergleich: Die mehrheitlich nicht vermögenden Bürger zahlen als Konsumenten jährlich etwa das Dreißigfache an Mehrwertsteuer, nämlich über 220 Milliarden Euro. Darüber hinaus duldet auch die neue kleine Große Koalition systemwidrige Ausnahmen: Auf den Kauf und Verkauf von Aktien und von noch so unsinnigen Wertpapieren wird keine Mehrwertsteuer erhoben.

Was weiß der Staat über das vorhandene Vermögen?

Um Vermögen überhaupt besteuern zu können, muss es erstmal vom Staat, von den Finanzämtern erfasst werden. Aber der jetzige Staat kennt oder erfasst nur einen immer kleineren Teil des Vermögens. Die 11 Billionen Euro Privatvermögen sind nur ein Teil.

Ob SPD-geführte Regierung, ob CDU-geführte Regierung, ob Große Koalition: alle haben die Steuerflucht der Vermögenden offen oder klammheimlich gefördert oder geduldet. Ein sozialdemokratischer Finanzminister mit großer Klappe (und großer Bewunderung für die großen Banken) namens Peer Steinbrück hatte mal medienwirksam angekündigt, er wolle notfalls die Kavallerie in die Steueroase Schweiz schicken, wenn dort die Banken und Treuhänder weiter Beihilfe zur Steuerhinterziehung leisten. Natürlich schickte Steinbrück weder die Kavallerie los, noch schickte er – was besser gewesen wäre -, Steuerfahnder. Seine oder eine folgende Regierung verbesserte auch nicht die Amtshilfe zwischen Deutschland und der Schweiz für den Austausch von Steuerdaten.

Deshalb sind deutsche Steuerbehörden immer noch darauf angewiesen, geheime Datensätze von Schweizer Bankenaussteigern anzukaufen. Da kommen aber nur winzige Datensätze zusammen. Auch weil es zwei Dutzend weitere Steueroasen gibt und weil die größte Finanzoase für Unternehmen, Delaware in den USA, überhaupt nicht erwähnt wird und aus denen bisher noch nie Datensätze angekauft wurden.

127.000 Selbstanzeigen wegen Steuerhinterziehung

Wenn wieder einmal bekannt wird, dass eine solche Steuerdatei zum Beispiel vom Finanzminister in Nordrhein-Westfalen angekauft wurde, melden sich zehntausende Vermögende bei ihren Finanzämtern, klammheimlich. Sie bibbern, ob ihre Namen auf der Steuerdatei stehen könnten. Durch die nachträgliche Selbstanzeige hoffen die versteckten Vermögenden auf milde Behandlung, auf Nachzahlung der Steuern ohne zusätzliche Geldstrafen und ohne öffentliche Gerichtsverhandlung.

Dieser lichtscheue Teil unserer ungewählten, vielleicht auch gewählten, vermögenden Elite verhält sich ganz opportunistisch: Wenn keine angekaufte Steuerdatei bekannt wird, ist die Zahl der Selbstanzeigen niedrig. Im Jahre 2011 zeigten sich deshalb nur 4.800 Vermögende an. Da war die Aufregung abgeklungen. Ein Jahr zuvor war die Angst noch größer gewesen, da hatten sich 27.500 Vermögende selbst angezeigt. Dann wurde es wieder etwas ruhiger. Deshalb im Jahre 2012 nur 8.000 Selbstanzeigen. Aber dann wurde eine neue Steuerdatei angekauft, deshalb im Jahre 2013 ein Sprung nach oben: 27.900 Selbstanzeigen. Und dann bibberte man in den vermögenden Kreisen weiter, im Jahre 2014 nochmal ein Sprung des schlechten Gewissens nach oben: 39.800 Selbstanzeigen,[2] also ein Mehrfaches etwa aller Einwohner der drei Kölner Prominentenviertel Marienburg, Lindenthal und Rodenkirchen zusammen. In diesen wenigen Jahren also 123.000 Selbstanzeigen von Vermögenden. Dabei ging es nur um die Schweiz und Liechtenstein, nicht um Delaware, Luxemburg, Panama, Cayman Islands undsoweiter. Daran kann man erahnen, um welche Größenordnung es in der rechtlosen Mitte unserer Gesellschaft geht.

In Nordrhein-Westfalen sackt jetzt die Zahl der Selbstanzeigen ganz plötzlich ab, vermutlich. Das hat mit der neuen Landesregierung aus den Parteien CDU und Christian Lindners FDP zu tun. In Wuppertal hatte die Finanzbehörde eine bundesweit renommierte Abteilung aufgebaut. Sie wertete angekaufte Steuer-Dateien aus Liechtenstein und der Schweiz aus. Insbesondere zwei erfahrene Steuerfahnder trieben damit bei dem vermögenden Klientel zusätzlich sieben Milliarden Euro an Steuern ein. Der bisherige Amtsleiter stand nun Anfang 2018 zur Pensionierung an, die zwei Steuerfahnder waren als Nachfolger und Stellvertreter vorgesehen. Doch die neue Landesregierung berief einen in dieser Angelegenheit unerfahrenen Amtsleiter aus Aachen. Die beiden zurückgesetzten Steuerfahnder sahen sich anderswo um, und sie wurden schon länger dringlich gesucht, von anderen.

CDU/FDP-Landesregierung: Die besten Steuerfahnder wechseln die Seite

Das Ergebnis gab die Gegenseite bekannt, hier in Gestalt des Wirtschaftsprüfungsunternehmens Deloitte in Düsseldorf: Wir freuen uns, hieß es umgehend in einer Pressemitteilung, dass die beiden renommierten Steuerfahnder aus Wuppertal nun unsere Mandanten in Finanzwirtschaft und Industrie „bei der rechtssicheren Umsetzung steuerlicher Vorgaben unterstützen.“[3] So fein können sich diese geschniegelten Profis ausdrücken. Die Wirtschafts“prüfer“ von Deloitte wie auch die anderen Wirtschafts“prüfer“ von Price Waterhouse Coopers, KPMG und Ernst & Young prüfen nicht nur die Buchführung und die Bilanzen von Unternehmen, sondern sie beraten sie auch bei der „Steuergestaltung“, d.h. bei der Suche nach der jeweils geeigneten Finanzoase und den geeigneten Treuhändern von Briefkastenfirmen.

Zu den Forderungen für eine rechtsstaatliche Besteuerung von Vermögen gehört deshalb also auch: Die politische und administrative Förderung von qualifizierten Steuerfahndern und ganzen Abteilungen für Steuerfahnder, die mit den professionellen Tricks der Gegenseite mithalten können.

Zu den schon oft erhobenen Forderungen für eine rechtsstaatliche Besteuerung von Vermögen gehört es aber auch, den sogenannten Wirtschaftsprüfern wie Deloitte und Price Waterhouse Coopers die gleichzeitige Beratung der Unternehmen bei der sogenannten Steuergestaltung zu verbieten.

Sogenannte investigative Journalisten haben neuerdings plötzlich entdeckt, dass in Luxemburg und Panama tausende von Profis den Vermögenden und Unternehmen bei der Steuerhinterziehung helfen. Das ist in Luxemburg und Panama übrigens schon seit Jahrzehnten imgange, ohne dass die investigative Süddeutsche Zeitung das bemerkt hätte. Und es ist ein Skandal, dass ein gewisser Biedermann namens Jean-Claude Juncker, der als ehemaliger christlicher Finanzminister und Ministerpräsident des Großherzogtums Luxemburg die größte Finanzoase innerhalb der Europäischen Union mit ausgebaut hat, nun den Präsidenten der Europäischen Kommission geben darf, hineingeschoben in sein Amt durch die ebenso christlichen Brüder und Schwestern namens Angela Merkel und Wolfgang Schäuble.

Londons Finanzoasen-Dutzend – ein Brexit-Thema?

Die Luxemburg-Leaks und die Panama-Papiere haben nicht dazu geführt, dass die bisherige Große Koalition und die neue kleine Große Koalition und die Europäische Kommission die Finanzoasen trockenlegen wollten und wollen. Auch die von Junckers Kommission angeblich so hart geführten Brexit-Verhandlungen mit Großbritannien rühren nicht an diesen Punkt. Zu Großbritannien und seinem Finanzzentrum City of London gehört ein Dutzend Finanzoasen, darunter die Cayman Islands, Bermudas, Virgin Islands, Belize, Guernsey, Jersey, Isle of Man. Ob die EU von Großbritannien für den Brexit eine einmalige Zahlung von 25 oder 40 Milliarden Euro fordert – die Steuerausfälle, die dem deutschen Staat allein durch die britischen Finanzoasen entstehen, dürften wesentlich höher liegen. Und merke: Steuerflüchtlinge sind die teuersten Flüchtlinge!

OK. Die kleine Große Koalition, die abgewirtschafteten Regierungsparteien wollen das nicht anpacken. Auch nicht die abgewirtschaftete und gegen den Mehrheitswillen agierende Europäische Kommission will das nicht. Da helfen nur Volksinitiativen. In Niedersachsen fängt die Linke damit an. Das ist gut so. Und das muss weitergehen.

Die Forderungen lauten: Den Rechtsstaat herstellen! Die Finanzoasen schließen! Die Vermögensteuer einziehen!


[«1] Erben erhalten weit mehr Vermögen als bisher angenommen, Zeit online 5.7.2017

[«2] Anzahl der Selbstanzeigen wegen Steuerbetrug in Deutschland 2010 – 2015, de.statista.com, abgerufen 6.3.2018

[«3] Heide Platen: Gegen die Wand gefahren, verdi publik /2018


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