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Titel: Ein Riss in der Matrix – wie die Filterblase von Medien und Politik an der GroKo-Frage scheitert
Datum: 13. Februar 2018 um 12:57 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik, SPD
Verantwortlich: Jens Berger
Wahrscheinlich war Martin Schulz schlichtweg berauscht von sich selbst und hat – nun zum zweiten Mal – nicht auf die Mahner gehört, die ihn vor dem süßen Sirenengesang der Leitartikler gewarnt haben. Der Rausch der Macht kann blind und taub machen. Während Öffentlichkeit und Parteibasis bereits durch die indiskutable inhaltlichen Misserfolge der SPD bei den Sondierungen den letzten Hoffnungsschimmer auf Besserung verloren, steigerte sich die SPD-Spitze nach dem gewonnenen Sonderparteitag, angefeuert durch ihre Filterblase im Regierungsviertel, in einen Wahn, in dem sie es offenbar für absolut angemessen hielt, für sich selbst Posten zu fordern, die ihrer eigenen gefühlten Großartigkeit entsprechen. Die Basis war schockiert und der erste Riss in der Matrix verschluckte Martin Schulz. Nun waren die Eliten schockiert und spannten BILD und Co. für eine sagenhafte und bisweilen skurrile Kampagne ein, die der SPD wohl den Gnadenschuss versetzen wird. Ein rote Pille von Jens Berger.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Geschichte wiederholt sich zweimal – das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce. Zu unserem 14. Geburtstag hatten wir Ihnen einen Überblick präsentiert, wie schamlos die großen Medien im letzten Frühjahr Martin Schulz zum „großen Merkel-Herausforderer“ hochgejazzt haben und die heiße Luft erwartungsgemäß schon kurze Zeit später wieder aus ihrem Kunstprodukt entweichen ließen, um am Ende genüsslich auf den Kandidaten einzudreschen. Eigentlich hätte man ja aus diesem Beispiel lernen müssen. Eigentlich. Zunächst wiederholte sich der mediale Schulz-Hype nach dem GroKo-Ja des SPD-Sonderparteitags in seiner tragischen Version und nun wiederholt man das Spiel mit ausgetauschten Rollen. In einer erbärmlichen Farce wird nun Andrea Nahles von BILD, SPIEGEL und Co. hochgeschrieben und die GroKo als alternativlos dargestellt. Na klar. Sobald die Genossen ihr Todesurteil unterschrieben haben, kann man die SPD-Spitze ja wieder in den Boden rammen.
Die Andrea ist schon eine Tolle!
In der aktuellen BILD am Sonntag stellen sich die Springer-Journalisten in einer Art Home-Story die Frage, wer „die Frau ist, die die SPD retten soll“. Wir lernen – „die Andrea“ ist alleinerziehende Mutter, die in einem Haus lebt, das sie zusammen mit ihrem Vater Alfred, „einem Maurer“, „von dem sie das Anpacken gelernt hat“, „liebevoll renoviert“ hat. „Sie kommt meist am Donnerstag nach Haus“, „engagiert sich im Ort“, „ist auf jedem Fest mit dabei“. Man kann „die Andrea genau so nach einem Ei, wie nach einem offenen Ohr oder ganz konkreter Hilfe fragen“. Als eine Nachbarin – natürlich eine „junge, selbstständige Mutter“ – mal Überbrückungsgeld brauchte, half „die Andrea“ … nein, nicht mit Geld, aber dafür mit Ratschlägen, wie die BamS es stets an der Grenze, die Lobhudelei und ironisches Veralbern voneinander trennt, zu berichten weiß. Ei der Daus! Diese „Andrea“ ist schon toll.
Aus Würselen wird das Eifeldorf Weiler, aus dem Buchhändler die von BILD so getaufte „Sozialexpertin“ … klar, eine Berufspolitikerin, die nach 20 Semestern Studium direkt in den Bundestag einzog, ist BILD-Lesern offenbar nicht so einfach zu vermitteln. Inhalte haben in solchen Home-Storys freilich nichts zu suchen. Keine Frage – BILD liebt „die Andrea“ und tut nun alles Mögliche, um die SPD-Basis nicht nur auf die designierte neue Parteichefin, sondern auch auf die GroKo einzustimmen.
Siggi Oberbösewicht
Dafür hat die BILD auch gleich eine ganze Parallelwelt in der Matrix entworfen, aus der sie regelmäßig berichtet. In dieser Parallelwelt ist Martin Schulz ein tapferer Recke, der („Erbärmlich!“) von „den Genossen“ erst „erpresst“ und dann in einen „unwürdigen Abgang“ getrieben wurde. Kein Wort davon, dass Schulz sich selbst mit einem Amt belohnen wollte, auf das er zuvor öffentlichkeitswirksam verzichtet hatte. Kein Wort davon, dass er und seine Kumpane inhaltliche Zugeständnisse an die Union durch wahnwitzige Postenforderungen kompensieren wollten. Ein Schlag ins Gesicht der Wähler und ein Schlag ins Gesicht der Parteibasis. Für BILD und Co. ist Schulz Opfer und kein Täter.
Die Rolle des Oberschurken hat man offenbar Sigmar Gabriel zugeschrieben. Kein Wort davon, dass es vielmehr die Landesverbände aus Hessen und Nordrhein-Westfalen waren, die einzig und allein aufgrund des harschen Widerstands der Basis Schulz zum Verzicht auf das Ministeramt drängten. Das passt natürlich nicht ins Bild. Man kann die Basis, der man nun die GroKo und gleichzeitig die Verhinderung einer Neuaufstellung der SPD schmackhaft machen will, ja nicht des Königsmords bezichtigen. Und Sigmar Gabriel eignet sich natürlich hervorragend für die Rolle des bösen Gegenspielers. Dafür bringt man dann sogar Altkanzler Gerhard Schröder ins Spiel, der via BILD Gabriel die Befähigung für das Außenministerium mit den Worten „Ein Staatsamt erfordert ein Mindestmaß an Anstand“ abspricht. Ja, das sagt der Schröder, der mit der Agendapolitik den Begriff „Anstandslosigkeit“ perfektioniert hatte; in der „Zeitung“, die tagtäglich gegen Einwanderer, Alte und Menschen am sozialen Rand hetzt. Die Risse in der Matrix werden immer offensichtlicher.
Antideutsche Skurrilitäten in der Rundschau
Aber die BILD ist ja nicht alleine. Auch für den SPIEGEL ist Andrea Nahles alternativlos („Nahles oder nichts“) und Schulz ein argloses Opfer fieser Verschwörer. In den entscheidenden Fragen sind sich BILD und SPIEGEL ja ohnehin stets einig. Interessanter sind da schon die besonders skurrilen Unsinnigkeiten, die von Medien aus der zweiten Reihe aufs Tableau gehoben werden, um das Duo Infernale BILDSPON zu toppen, ohne dabei inhaltliche Alternativen anzubieten. So lässt die einst ehrenvolle Frankfurter Rundschau ausgerechnet die umstrittene Aktivistin Anetta Kahane einen Gastartikel schreiben, in dem sie die GroKo dann auch gleich zu einer Art letztem Damm vor der drohenden Machtübernahme eines neuen Hitlers in Gestalt von Alexander Gauland macht. Inhaltliche Kritik an einer kommenden GroKo bügelt die Antideutsche mit folgender Skurrilität ab:
Was ist der Sinn, wenn jetzt höhnisch und hämisch das Zerstören gefeiert wird? Ist das besser, als Verantwortung zu übernehmen? Diese Frage richtet sich auch an die zur Abstimmung antretende SPD-Basis. Möge sie diesem Sog widerstehen!
Der Hang der Deutschen zum Politiker-Bashing als einer Form des Elitenhasses hatte immer etwas Totalitäres. Etwas nämlich, das sich lieber nach der ganz großen Lösung oder dem starken Mann sehnt, als sich mit den Niederungen der Detailarbeit zu beschäftigen.
– Anetta Kahane in der FR
Mit anderen Worten: SPD-Mitglieder, die gegen den Koalitionsvertag stimmen, bereiten dem Totalitarismus den Weg. Oder um es mit Kahane zu sagen: Sie machen „den feuchten Traum von AfD und Wladimir Putin“ (sic!) wahr. Geht es auch noch dümmer?
Endziel Rechtsruck?
Abseits der Risse in der Matrix rutscht die reale Welt derlei in eine Situation, die Mahner schon lange prognostiziert haben. Die jüngste Umfrage des Instituts INSA sieht die Union nur noch auf 29,5% und damit als einzige „große“ Partei. Dahinter folgt ein Reigen von fünf kleinen Parteien, der noch knapp von der SPD mit 16,5 vor der immer stärker werdenden AfD mit 15% angeführt wird. Dahinter folgen Grüne (13%), Linkspartei (11,5%) und FDP (10,5%). Wohlgemerkt: Eine „große“ Koalition zwischen Union und SPD hätte bei diesen Zahlen gar keine Mehrheit mehr!
Wenn die Risse in der Matrix noch größer werden, werden wir wohl schon bald in einer Republik aufwachen, in der die Rechten mitregieren. Aber wer die Unzufriedenheit der Wähler und der Parteibasis mit der elitären GroKo-Politik hier als Grund für den massiven Rechtsruck ausmacht, verwechselt Ursache und Wirkung. Wenn die SPD im Sinne einer Anetta Kahane ihre Positionen über Bord wirft, sich der Merkel-Politik in einer GroKo unterwirft und einem stromlinienförmigen Apparatchik wie Andrea Nahles ans Messer liefert, so ist dies allerbeste Werbung für die AfD. Wenn wir heute noch über „Kenia“ und „Jamaika“ debattieren, werden wir wohl schon bald mit der Frage einer „Bahamas-Koalition“, also eine Koalition aus CDU (dann ohne Merkel), AfD und FDP, sprechen müssen; einer Koalition, die der schwarz-blauen Koalition in Österreich sehr nahe ist. So wird es wahrscheinlich auch kommen, da die Springer und Co. ein solches Projekt ganz offensichtlich herbeischreiben wollen und die SPD-Spitze ihre Partei sehenden Auges in die Bedeutungslosigkeit verabschiedet. Und dies ist wohlgemerkt das Ergebnis jahrelanger falscher Politik und nicht Folge des erst jetzt und damit viel zu spät artikulierten Widerstandes der Basis.Die sollte sich angesichts der Medienkampagne pro GroKo, pro Nahles und contra Erneuerung ein altes Lenin-Zitat ins Bewusstsein rufen: Sag mir, wer Dich lobt, und ich sage Dir, was Du falsch gemacht hast.
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