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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Wie die Public-Relations-Industrie mitregiert. Von Jörg Becker.
Datum: 2. Februar 2018 um 16:43 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Lobbyorganisationen und interessengebundene Wissenschaft, Medien und Medienanalyse, Militäreinsätze/Kriege, PR, Strategien der Meinungsmache, Veranstaltungshinweise/Veranstaltungen
Verantwortlich: Albrecht Müller
Vortrag auf der IALANA-Tagung „Krieg und Frieden in den Medien“, Cross Jugend-kulturkirche Kassel, 28. Januar 2018. – Vorbemerkung Albrecht Müller: Dieses Thema ist zum Verständnis des Funktionierens und vor allem der Gefahren für eine demokratische Willensbildung, wie sie in den Lehrbüchern gelehrt wird, ausgesprochen wichtig. Deshalb haben wir den Vortrag von Jörg Becker aus voller Überzeugung in den NachDenkSeiten aufgenommen.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Was Public Relations ist, versuche ich strikt empirisch, politökonomisch und demokratietheoretisch zu beschreiben, zu systematisieren und zu analysieren. Erst danach bewerte ich Fakten und Theorieansätze.
Zunächst einmal einige historische Zusammenhänge. Eine ihrem eigenen Selbstverständnis nach zu definierende PR-Industrie gibt es in den USA seit den dreißiger Jahren und in Deutschland zeitgleich im deutschen Faschismus. In beiden Fällen geht es um politische und staatliche Öffentlichkeitsarbeit in Phasen einer stark staatsmonopolistischen Form politischer Herrschaft. Auf der einen Seite der new deal eines Franklin D. Roosevelt, auf der anderen Seite der deutsche Faschismus als Wegbereiter eines modernen Kapitalismus. In den USA waren Edward Bernays und Ivy Lee die beiden selbsternannten Väter einer PR-„Wissenschaft“, im deutschen Faschismus war es das frühe NSDAP-Mitglied Carl Hundhausen, der als kaufmännischer Direktor bei Krupp dieses Unternehmen nach 1945 erfolgreich vom Image des Kriegsverbrecher-Konzerns weißwusch.
Neben dem Begriff Public Relations kommt auch der Begriff der Propaganda in den dreißiger Jahren aus den USA. Schon bald negativ konnotiert, wurden dieser Begriff und der der psychologischen Kriegsführung in den fünfziger Jahren durch folgende Begriffe abgelöst und ersetzt: internationale Kommunikation, Entwicklungskommunikation und schließlich – bis auf den heutigen Tag – public diplomacy, also eine Mischung aus politischem Marketing, instrumentalisierter Völkerverständigung und Kulturdiplomatie zur Schärfung des eigenen Länderprofils, um ökonomische Standortvorteile in einem globalisierten und grenzenlos entfesselten Kapitalismus zu erzielen (das sog. nation branding).
Während Marx und Engels in der Mitte des 19. Jhs. im Kommunistischen Manifest festhielten, dass „an die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit ein allseitiger Verkehr tritt und eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander“, gründete in den USA Walter Thompson – nicht zufällig ebenfalls in der Mitte des 19. Jhs. – die weltweit erste Werbeagentur (die im übrigen noch heute existiert).
Einzelne PR-Agenturen sind inzwischen zu großmächtigen transnationalen Konzernen mutiert. Konkret beherrschen vier gigantische PR-Verbundsysteme die gesamte Welt der Werbung, der Public Relations, der Medien und des Consultings:
Die Jahresumsätze dieser Agenturen übertreffen den Staatshaushalt sehr vieler Länder. So verfügt zum Beispiel das Land Senegal jährlich nur über Einnahmen in Höhe von 3 Milliarden Euro. Ein großer Teil der Macht dieser Agenturgruppen ist nicht nur ökonomischer, sondern auch politischer Natur. Denn die Chief Executive Officers (CEO) dieser Agenturen sind essentieller Bestandteil westlicher Elitenetzwerke – man sieht und trifft sich, etwa jährlich auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Ein höchst mächtiger Elitenetzwerker war zum Beispiel Maurice Lévy, bis zum Juni 2017 CEO von Publicis. Er war gleichzeitig Präsident des französischen Arbeitgeberverbandes, 2011 Mitglied der Bilderberg-Konferenz und Berater sowohl der Deutschen Bank als auch des mächtigen Council on Foreign Relations.
Die Zahl der PR-Agenturen wird in Deutschland auf 2.200 geschätzt. Während die größte Agentur mehr als 400 Mitarbeiter hat, hat die zehntgrößte Agentur nur noch 60 Mitarbeiter. Mit anderen Worten: Die meisten Agenturen sind klein und mittelständisch. Der Gesamtumsatz der PR-Industrie liegt in Deutschland pro Jahr bei 5 Mrd. Euro und der der dazu gehörenden Werbebranche bei 20 Mrd. Euro. (Vergleichszahlen: Parfümhandel 1 Mrd. Euro, Tageszeitungen: 7,5 Mrd. Euro, Buchbranche: 10 Mrd. Euro, und IT-Industrie 100 Mrd. Euro).
Die betriebswirtschaftliche Rationalität deutscher Tageszeitungen hat sich auf einer Zeitachse von 1950 bis 1990ff. drastisch verändert. Setzten sich die Einnahmen einer Tageszeitung 1950 zu 20% aus Werbung und zu 80% aus den Verkaufserlösen am Lesermarkt zusammen, so drehte sich dieses Verhältnis ab 1990 um. Seit dieser Zeit setzen sich die Einnahmen einer Tageszeitung zu 80% aus Werbung und nur noch zu 20% aus den Verkäufen am Lesermarkt zusammen. Aus ökonomischer Sicht heißt dieser betriebswirtschaftliche Wechsel Dreierlei. 1. Der Inhalt einer Zeitung ist das kostenlose Zubrot, um eine Zielgruppe wie Zeitungsleser an die Werbung treibende Industrie verkaufen zu können. 2. Dieser neoliberale Wechsel von Journalismus zu Werbung verändert das Machtverhältnis zwischen PR-Industrie zu Journalismus eindeutig und ein für allemal zugunsten der PR-Industrie. 3. Marx´ lapidare Systemfeststellung aus der Mitte des 19. Jhs., dass „die erste Freiheit der Presse darin bestehe, kein Gewerbe zu sein“, konkretisiert sich jetzt auch betriebswirtschaftlich. Grundgesetzwidrig gibt es also keine freie Presse mehr.
Das Verhältnis von PR-Industrie zu Journalismus lässt sich empirisch nicht nur ökonomisch, sondern auch an den Inhalten der Zeitungen festmachen. Eine sogenannte Medienresonanzanalyse von Lothar Rolke, Professor für Betriebswirtschaft an der Universität Mainz, ergab schon 1992, dass in den Medien das statistisch normale Verhältnis von Selbstdarstellung zu Fremdbeobachtung circa 70:30 beträgt. Das bedeutet, dass Journalisten häufiger einfach Pressemitteilungen von Unternehmen und Institutionen übernehmen, als selbst zu recherchieren.
Rolkes Ergebnis deckt sich gut mit den empirischen Ergebnissen von Barbara Baerns (1985) in Deutschland und René Grossenbacher (1986). Danach kann als gesichert gelten, dass Public-Relations-Arbeit die Medienberichterstattung weitgehend determiniert. Nahezu Zweidrittel aller in den Medien verbreiteten Meldungen kommen von außen, sind nicht selbständig recherchiert, sondern stammen aus Pressestellen von privaten und öffentlichen Institutionen und PR-Agenturen, werden einer Zeitungsredaktion von einem sogenannten Medienservice „häppchengerecht“ als fertige Artikel angeboten.
Übernimmt ein Zeitungsverleger gegenwärtig Content von Public-Relations-Agenturen gerne kostenlos, da er auf diese Weise seine Personalausgaben für eine journalistische Redaktion senken kann, so könnte sich das Bezahlmodell zwischen PR und Journalismus bald umdrehen. Als „paid content“ müsste ein Zeitungsverleger der PR-Industrie für ihre Dienstleistungen dann Honorare zahlen, würde die Zeitungsbranche strukturell noch schwächer, als sie es in den letzten Dekaden sowieso geworden ist. Um weiter Kosten zu sparen, könnten zukünftige Zeitungsverlage ihre journalistischen Redaktionen völlig schließen und sie – quasi outgesourct – dem Betrieb einer PR-Firma überlassen.
Im Gegensatz zum Journalismus geht es Public Relations nicht um öffentliche Kommunikation, sondern um Unternehmens- oder Politikkommunikation. Von unbekannten und nicht-sichtbaren Akteuren werden Botschaften, Bilder und Texte für Teil-Öffentlichkeiten produziert, die oft genug Partial- als Gemeininteressen vorgaukeln. PR-Botschaften sind insofern bezahlte Kommunikationsmodelle, die die Öffentlichkeit privatisieren. Wer die Unternehmens- und Politikkommunikation Public Relations in das akademische Fach „Publizistik“, also die Wissenschaft von öffentlicher Kommunikation, integriert, attackiert die Tradition und das Selbstverständnis dieses Faches tödlich.
Die Dominanz der PR-Industrie gegenüber dem Journalismus zeigt sich empirisch inzwischen auch in der Arbeitswelt. In den USA sollen 200.000 PR-Arbeitsplätzen nur noch 100.000 hauptberufliche Journalisten gegenüberstehen. In Großbritannien liegt das Verhältnis 1:1 bei jeweils 90.000 Arbeitsplätzen. In Deutschland sind die Dominanzverhältnisse „noch“ nicht so eindeutig wie in den USA. Es soll „noch“ ein Verhältnis von Zweidrittel zu Eindrittel zugunsten von Journalisten geben, also circa 80.000 Journalisten zu circa 50.000 Mitarbeitern in der PR-Branche. Diese Arbeitsmarktzahlen spiegeln sich inzwischen auch bei den Studiengängen an den universitären Instituten für Kommunikationswissenschaft wider. Public-Relations-Studiengänge sind bei Studenten inzwischen gefragter als die des klassischen Journalismus.
Wer weiß, dass die Musikindustrie nach ihrem prozentualem Anteil am BIP und ihrer Zahl der Arbeitsplätze seit langem bedeutender als die Stahlindustrie ist, der wird sich nicht darüber wundern, dass der Anteil des Dienstleistungssektors mit knapp 70% am BIP bei weitem größer als der Produktionssektor ist. An diesem Dienstleistungssektor hat die Content-Industrie, also die Industrie, deren Produkte urheberrechtlich schutzfähig sind – und dazu gehört die PR-Industrie – einen stetig wachsenden Anteil. Er dürfte gegenwärtig bei 10% am BIP liegen.
Werbung und PR-Industrie verhalten sich zueinander wie Konsumgüter und Politik. Werbung definiert sich primär ökonomisch. Seit Mitte des 19. Jhs. besteht die ökonomische Funktion von Werbung darin, neue Märkte für von Konsumenten unerwünschten Konsumgüterprodukten bei stetiger Überproduktion zu schaffen. Ohne Werbung würde der Kapitalismus stagnieren. Public Relations definiert sich dagegen primär politisch. In Formaldemokratien, in denen es in Wahlkämpfen nicht mehr um das beste Argument geht, sondern um den Machterhalt kleiner ökonomischer und politischer Eliten, übernimmt Public Relations die Aufgabe, Loyalitäten, positive Stimmungen und Zustimmungen, kurz: unkritische Affirmation, an die bestehenden gesellschaftlichen Zustände herzustellen. Dies umso mehr, je wahlmüder und entpolitisierter eine Bevölkerung ist. In solchen Krisensituationen wächst die ökonomische und gesellschaftliche Bedeutung der PR-Industrie. Sie wird „wissenschaftlicher“, systematischer, professioneller und teurer.
Eine positivistische Meinungs- und Marketing„wissenschaft“ hat den Unterschied zwischen Werbung und Politik, zwischen Konsumgütern und Demokratie, nie begreifen können und wollen. Für George Gallup, Vater der Meinungsforschung in den USA, war schon 1932 PR-Arbeit für Zahnpaste das Gleiche wie für Politik und für Elisabeth Noelle-Neumann war die Meinung zu einer politischen Wahl noch 2006 das Gleiche wie zu Seife.
In den gegenwärtig fragmentierten Öffentlichkeiten greift ein nationaler und demokratischer Öffentlichkeitsbegriff wie der von Habermas 1961 nicht mehr. Eine bürgerliche Öffentlichkeit ist nicht nur zerfallen. Angesichts von Individualisierung, Fragmentierung, Flexibilisierung, Digitalisierung, neoliberalem Marktradikalismus, Entgrenzung und Globalisierung haben untereinander nicht verbundene Teilöffentlichkeiten und divergente sozial-kulturelle Milieus können auch nicht länger als Folie herhalten, an der der Zerfall gespiegelt wird und die es wiederzugewinnen gälte. Dementsprechend ist auch eine Kultur von großen, nationalen PR-Kampagnen vorbei. Heterogenität ist die Signatur der gegenwärtigen und zukünftigen PR-Industrie.
Wer meinen Ausführungen bis hierher zustimmend gefolgt ist, der wäre naiv, noch zu meinen, dass PR-Industrien bei der Vorbereitung und Durchführung von Kriegen keine Rolle spielen würden. Das Gegenteil ist seit wenigstens 50 Jahren der Fall. Meine primären, eigenen Forschungsarbeiten zu diesem Themenkomplex reichen bis 2008, doch selbstverständlich ist die Welt seit 2008 nicht stehengeblieben. Pecunia non olet – Betriebs- und Volkswirtschaft und auch die Ökonomie als Wissenschaft können definitorisch (zunächst einmal) keine Moralanstalten sein. Das können und sollen sie auch nicht leisten. Warum aber ist dieses Verhältnis von Kriegsführung zu PR-Industrie dennoch hoch problematisch?
Tab. 1: Aktivitäten von Public-Relations-Agenturen in ausgewählten Kriegen von 1967 bis 2008 (außer den Balkankriegen)
Jahr | Auftraggeber | Aktivität | Ausführende PR-Agentur |
---|---|---|---|
1967 | Provinzregierung von Biafra | PR-Kampagne unter am. Meinungsführern zur Unterstützung der Unabhängigkeit Biafras | Ruder Finn Global Public Affairs (USA); Agentur Markpress (Schweiz) |
1968 | Nigerianische Zentralregierung in Lagos | Verbesserung der eigenen Position gegenüber den Sezessionisten aus Biafra in der europäischen Presse | Galitzine & Partners (UK); Burson-Marsteller Associates (UK); Commonwealth News Agency (UK); Andrew Nash (UK); Robert S. Goldstein (UK) |
1985 | UNITA-Rebellen in Angola unter Jonas Savimbi | Verbesserung des UNITA-Bildes in der Presse der USA | Black & Manafort (USA) |
1986 | Marxistische Regierung von Angola | Verbesserung des eigenen Bildes in der Presse der USA | Gray & Co. (USA) |
1990 | Regierung von Kuwait | PR-Kampagne gegen den Irak; Aufbau eines irakischen Feindbildes in der Presse der USA (sog. Brutkastenlüge) | Hill & Knowlton (USA) |
2008 | Regierung von Georgien | anti-russische Propaganda im Kaukasuskrieg Anfang August | Aspect Consulting (Belgien) |
2008 | Regierung von Russland | Anti-georgische Propaganda im Kaukasuskrieg Anfang August | GPlusEurope (Belgien) |
Quelle: eigene Erhebung.
Als Kritischer Wissenschaftler in Nachfolge der Frankfurter Schule habe ich ein normatives Wissenschaftsverständnis. Vor diesem Hintergrund stehe ich zu der gesellschaftlichen Verantwortung meines Berufes als Sozialwissenschaftler und halte normativ fest, dass Public Relations für Kriege moralisch verwerflich und zynisch ist und dass Werbung für völkerrechtswidrig staatlich verordnetes Massentöten verboten werden sollte.
[«1] Es ist falsch und höchst ideologisch, wenn deutsche Medien im Zusammenhang mit den rechtlichen Beschneidungen der Einflussnahme ausländischer NGOs in Russland von „ausländischen Agenten“ sprechen. Das englische Wort „agent“ heißt in der deutschen Übersetzung nicht „Agent“, sondern „Akteur“.
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