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Titel: Geschichtsrevisionismus oder bloß ein überforderter Moderator?
Datum: 29. Januar 2018 um 13:14 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik
Verantwortlich: Jens Berger
Nachdem ich vorige Woche den Sender 3sat und seine Sendung Kulturzeit schon einmal wegen eines Beitrags über 1968 kritisiert habe, muss ich die Kulturzeit nun schon wieder geißeln. Der Moderator Peter Schneeberger begann die Sendung vom 26. Januar mit dem Satz: „Morgen gedenkt die Welt dem Holocaust.“ Ich zuckte zusammen. Dann dachte ich: Schulden wir den Opfern des von uns, den Deutschen, begangenen Massenmordes, nicht auch sprachlich und grammatikalisch einen gewissen Respekt? Das Wort gedenken gehört zu den Verben, denen stets ein Genitiv folgt – wie zum Beispiel auch nach bedürfen, sich bedienen, sich enthalten, sich erbarmen, sich erinnern, sich schämen oder sich vergewissern. Da haben sich in den letzten Jahren in der Folge diverser Rechtschreibreformen Schlampereien eingeschlichen. Aber doch nicht in einer Kultursendung mit einem gewissen Anspruch! Und, fragte ich mich weiter in meinem Fernsehsessel: Muss ein Moderator eigentlich alles so vom Teleprompter ablesen, wie es irgendein Redaktionsmitglied geschrieben hat? Wird so etwas zuvor nicht zigmal geprobt? Der Sender hat im Laufe der letzten Monate das „Moderations-Team“ ausgetauscht und „verjüngt“, wie man neuerdings sagt. Um sich an ein jüngeres Publikum anzuwanzen, hat man bei der Auswahl der Neuen offenbar mehr Wert auf das Aussehen als auf inhaltliche und sprachliche Kompetenzen gelegt. Von Götz Eisenberg.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Schon der Begriff „Holocaust“, der sich nach der Ausstrahlung der gleichnamigen amerikanischen Fernsehserie auch hierzulande für den industriell betriebenen Völkermord an den Juden durchsetzte, scheint mir eine Verharmlosung zu bergen. „Holocaust“ bezeichnet ursprünglich ein Brandopfer, ein rituelles Martyrium, das Juden auf sich nahmen, wenn sie sich weigerten, ihrem Glauben abzuschwören. „Es stellt“, schreibt der Sozialwissenschaftler Wolfgang Sofsky in seinem Buch Die Ordnung des Terrors, „eine ganz und gar unzulässige Verbindung her zwischen dem Völkermord und dem Schicksal jüdischer Märtyrer, obgleich doch die Juden nicht deswegen umgebracht wurden, weil sie sich weigerten, einer Überzeugung zu entsagen, sondern weil sie Juden waren. Durch die Entstellung des Sinns entsteht der Eindruck, als habe der Massenmord eine tiefere religiöse Bedeutung, als hätten sich die Opfer gewissermaßen selbst geopfert.“ Aber dafür, dass die Deutschen den Titel einer Fernsehserie in ihren Wortschatz aufgenommen haben, um dafür den Begriff Völkermord streichen zu können, kann man Herrn Schneeberger nicht verantwortlich machen.
Sehr wohl aber für die nun folgenden Sätze: „Als die Rote Armee am 27. Jänner 1945 das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau befreit hat, hat sich den Soldaten ein Bild des Grauens geboten. 400.000 Menschen waren in dem Vernichtungslager gequält und ermordet worden.“ Zum zweiten Mal zuckte ich zusammen und konnte es nicht fassen. Nicht dass auch 400.000 Ermordete grauenhaft und schlimm genug gewesen wären, aber es waren nun mal weit über eine Million. Als Göring im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess die technische Durchführbarkeit eines Mordes in dieser Größenordnung bestritt, erstellte der als Zeuge geladene Lagerkommandant Höß als akribischer Buchhalter des Massenmordes eine Auflistung, bei der er schließlich auf die Zahl von 1.125.000 ermordeten Häftlingen kam. Diese Zahl hat sich in der weiteren Forschung bestätigt und durchgesetzt. Man schätzt, dass darunter eine Million Juden waren. Wer also hat Herrn Schneeberger die Zahl 400.000 souffliert? Oder ist er selbst ein Geschichtsrevisionist, dem daran gelegen ist, den Massenmord zu relativieren? Ist denn da niemand, der vor einer Sendung schaut, was da über den Sender gehen soll?
Im weiteren Verlauf der Sendung wird über sogenannte Lagerbordelle berichtet. Die Nazis rekrutierten weibliche Häftlinge aus verschiedenen Konzentrationslagern und zwangen sie zu sexueller Sklavenarbeit. Der Reichsführer-SS Himmler versprach sich von der Einrichtung solcher „Sonderhäuser“ eine gesteigerte Arbeitsleistung und größere Loyalität sogenannter Funktionshäftlinge: „Für notwendig halte ich allerdings, dass in der freiesten Form den fleißig arbeitenden Gefangenen Weiber in Bordellen zugeführt werden.“
Moderator Schneeberger kündigt einen Bericht über das Schicksal von Frauen an, die im KZ Mauthausen jahrelang zur Prostitution gezwungen worden sind, und fährt fort: „Ihre Kunden: besser gestellte nicht-jüdische Häftlinge.“ Wieder zuckte ich zusammen. Wie kann man in diesem Kontext das Wort „Kunden“ verwenden? Ist das nicht eine semantische Verharmlosung dessen, worum es sich hier handelt? Kunden sind Leute, die eine Ware oder eine Dienstleistung nachfragen und dafür bezahlen. Eine harmlose ökonomische Transaktion. Hier aber ging es um eine Form von sexueller Sklaverei unter brutalsten Bedingungen. Nun wird sich Herr Schneeberger vermutlich auf akustische Anführungsstriche berufen, die er gesetzt habe. Die waren aber weder zu hören, noch zu sehen. Eine solche ironische Brechung in der Verwendung eines Begriffs muss aber irgendwie kenntlich gemacht und zum Ausdruck gebracht werden. Sonst steht das Wort „Kunden“ in einem Kontext, in dem es nichts zu suchen hat und eine entsetzliche Verharmlosung darstellt. Es ist eine nochmalige Beleidigung der Frauen, die man gezwungen hat, bei Strafe ihres Untergangs Männern zu Willen zu sein. Politische Häftlinge haben es übrigens abgelehnt, diese Baracken aufzusuchen, die Frauen noch einmal zu demütigen und sich selbst auf diese Weise zu Komplizen der SS zu machen.
Der nun folgende Bericht, der sich auf die Forschungen des Historikers Robert Sommer stützte, kann zum Nachschauen in der Mediathek empfohlen werden. Moderator Schneeberger hingegen sollte sich für eine Weile zwecks Weiterbildung vom Bildschirm zurückziehen oder aber über seinen Rücktritt nachdenken. Vielleicht wären eine Casting-Show oder eine Quiz-Sendung eher etwas für ihn. Da müsste er sich wegen sprachlicher Fehlleistungen nicht weiter schämen und könnte sich weiter ungestraft dem Dativ bedienen.
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