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Titel: Showdown in Porto Alegre – Die Hexenjagd der politischen Justiz auf Altpräsident Lula

Datum: 24. Januar 2018 um 10:36 Uhr
Rubrik: Erosion der Demokratie, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Länderberichte, Wahlen
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Am 24. Januar 2018 richten sich die Augen der demokratischen Welt auf Brasilien. Um 8.30 Uhr Ortszeit beginnt die Sitzung des regionalen Bundesgerichts (TRF4) im südbrasilianischen Porto Alegre, das in zweiter Instanz die im Juli 2017 von Richter Sérgio Moro ausgesprochene Verurteilung des ehemaligen Präsidenten Luis Inácio Lula da Silva zu 9,5 Jahren Haft bestätigen oder entkräften wird. Ein Bericht von Frederico Füllgraf.


Zur Routine des TRF4 gehört in der Regel eine bis zu 14,5-monatige Bearbeitungszeit von Berufungsanträgen, doch kaum 4,5 Monate nach Erhalt der Prozessunterlagen entschied sich das Gericht, die „Causa Lula“ im Eilverfahren durchzuboxen, was nicht nur in Brasilien, sondern weltweit eine Woge der Empörung auslöste. Hinter dem Beschluss vermuten der angeklagte Altpräsident und seine Anhänger, jedoch auch konservative Juristen, einen politischen Coup.

Im Oktober 2018 sollen in Brasilien Präsidentschaftswahlen stattfinden und der Altpräsident (2003-2011) ist mit nahezu 40 Prozent in sämtlichen Umfragen der mit weitem Abstand vor potentiellen Konkurrenten am besten positionierte Kandidat für ein drittes Mandat. Eine Urteilsbestätigung könnte – und soll offenbar, so vermuten die Kritiker des Gerichts – Lulas Kandidatur mit der sofortigen Beschneidung seiner politischen Rechte torpedieren. Der an der Ruhr-Universität promovierte Jurist und ehemalige Justizminister von Präsidentin Dilma Rousseff, Eugênio Aragão, nannte den im Eilverfahren vorgezogenen Prozesstermin „eine Schikane“, weil er gezielt während der Sommerpause des gesamten Justizwesens anberaumt wurde, womit die Verteidigung an einem sofortigen Revisionsantrag behindert wird.

Um auf diese Gefahr hinzuweisen und sie durch massiven Protest zu verhindern, lancierte Lulas ehemaliger Außenminister Celso Amorim Ende 2017 das in 10 Sprachen, einschließlich Deutsch, verfasste Manifest „Eine Wahl ohne Lula ist Betrug“, das laut der konservativen Tageszeitung O Estado de São Paulo mittlerweile von 200.000 Persönlichkeiten, darunter der ehemaligen Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul, und internationalen Stars aus Kunst und Politik wie Oliver Stone, Costa Gavras, Bono Vox (U-2) und dem US-amerikanischen Linguisten Noam Chomsky unterzeichnet wurde.

„Luft-, Land- und Wasserweg-Blockade” – mit Scharfschützen

Unter Amorims Devise, „Eine Wahl ohne Lula ist Betrug“, steht ein Protest-Camp in Porto Alegre, das mit einem autoritären Beschluss aus angeblichen Sicherheitsgründen zunächst verboten, von einem Amtsgericht jedoch wieder genehmigt wurde. Nach zähen Verhandlungen mit der Bewegung der Landlosen (MST) als Hauptveranstalter wurde das Protestlager mit der Bedingung zugelassen, seinen Standort einen Kilometer entfernt vom TRF-4-Justizgebäude zu verlegen.

Die Ankündigung von mindestens 50.000 Demonstranten aus ganz Brasilien verlieh der Paranoia besonders konservativer Regierungskreise Hochkonjunktur. Vorherrschende Meinungsmedien unterstellten dem in deutschen Kirchenkreisen sehr geschätzten Landlosen-Sprecher und Wirtschaftswissenschaftler João Pedro Stedile „Rädelsführung mit Gewaltabsichten“. Cezar Schirmer, regionaler Minister für öffentliche Sicherheit im Bundesstaat Rio Grande do Sul, erließ daraufhin eine „Luft-, Land- und Wasserweg-Blockade” rund um das Justizgebäude, die einer exemplarischen Maßnahme für Ausnahme- und Kriegszustände entspricht. Mit der Einschüchterung soll offenbar die Zahl der Demonstranten niedrig gehalten werden.

Nach Angaben des TRF4 haben sich rund 300 Journalisten aus England, den USA, China, Japan, Deutschland, Frankreich, Spanien, Dänemark, Katar und Argentinien zu der Gerichtsverhandlung angemeldet, die die Sitzung nicht im Gerichtssaal, sondern per Groß-Bildschirm in einem Presseraum verfolgen dürfen.

Als eklatanter Verstoß gegen die Grund- und Menschenrechte muss Sicherheitsminister Schirmers Beschluss bezeichnet werden, Scharfschützen auf umliegenden Hochhäusern zu postieren. „Ihre Anwesenheit ist Teil jedes Präventiv-Verfahrens. Sniper sind eigentlich ´Beobachter´“, erklärte der scharf kritisierte Beamte und redete sich heraus: „Lassen Sie uns den Ausdruck durch ´privilegierte Beobachter´ ersetzen“.

Noam Chomsky zeigte sich besorgt über die Szenerie und verbreitete ein Video, in dem er die autoritäre Justiz vor der Beschneidung demokratischer Grundrechte Lulas und seiner Wähler warnt. „Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass Lula die beliebteste politische Figur in Brasilien ist und höchstwahrscheinlich bei fairen Wahlen gewählt werden wird. Deshalb ist es zumindest angemessen, dass er sich bewerben darf, damit das brasilianische Volk sich sein eigenes Urteil über Lulas Kandidatur bilden kann“, erklärte der US-Amerikaner.

Lawfare: Reputations-Zerstörung und Kriminalisierung politischer Feinde

Längst hat sich in der internationalen Juristen-Szene herumgesprochen, dass es bei den 6 unterschiedlichen Verfahren gegen den ehemaligen und wieder kandidierenden, brasilianischen Präsidenten kaum um „Bekämpfung der Korruption“ geht, wie die im „Unternehmen Waschanlage“ operierende, rechtsgerichtete Staatsanwaltschaft und Richter Moro behaupten, sondern um einen exemplarischen Fall von Lawfare.

Das Lawfare-Konzept wurde 2001 vom US-amerikanischen General Charles Dunlap in Umlauf gebracht und als „Methode unkonventioneller Kriegsführung” beschrieben, bei der die Gesetzgebung als Mittel zur Erzielung militärischer Zwecke eingesetzt und umgebogen werden kann. In Lateinamerika findet es mit Hilfe der Medien derzeit breite Anwendung als Waffe der rechtsextrem unterwanderten Justizapparate gegen politische Gegner aus dem diffusen, progressiven Lager.

Zentrale Idee ist, den „Feind“ mit unbegründeten und unbewiesenen Anschuldigungen verletzlich zu machen. Sobald er geschwächt ist, verliert er die Reaktionsfähigkeit und die Unterstützung der Bevölkerung. Verwendet werden folgende Taktiken: Missbrauch bestehender Gesetze zur Delegitimierung und zum Rufmord der Opfer. Ferner die Nutzung schein-legaler Prozesse mit Einschränkung des Verteidigungsrechts, der Urteils-Vorwegnahme, der Einschüchterung und Freiheitsberaubung und mit Hilfe der Medien die negative Beeinflussung der öffentlichen Meinung.

In einem Wort: Lawfare ist die Formel dafür, wie man einen Feind ohne Anwendung konventioneller Waffen zur Strecke bringt.

„Aus der Perspektive des Rechts und der zivilisatorischen Errungenschaften im Sinne des demokratischen Rechtsstaates betrachtet, herrschen derzeit mit Duldung der selbstzufriedenen, höheren Gerichte barbarische Zustände. Wenn man bedenkt, was für Umtriebe das „Unternehmen Waschanlage“ sich erlaubt, wären in vielen zivilisierten Ländern der Welt diese Justizbeamten wegen Beleidigung der demokratischen Ordnung längst verhaftet worden“, warnte der empörte Richter Lédio Rosa de Andrade vom Landesgericht im Bundesstaat Santa Catarina.

Die Anklage: ein verpfändetes Phantom-Apartment ohne Besitzurkunde

Der Stein des Anstoßes in Richter Moros „Causa Lula“ ist ein Apartment im Strandort Guarujá, das der Ex-Präsident angeblich vom Baukonzern OAS als Geschenk im Austausch für vorteilhafte Vertragsvergaben beim halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras erhalten haben soll und laut Unterstellung der Staatsanwaltschaft „absichtlich verschleiertes Eigentum“ darstellt. Lulas Anwälte Cristiano Zanin und Valeska Martins haben den Vorwurf mehrfach als absurde Inszenierung zurückgewiesen und die Lawfare-These mit Fakten und dem Nachweis grober und hanebüchener Gesetzesverstöße Moros erhärtet, wie ein aufschlussreiches Interview Martins´ mit dem türkischen Fernsehen erläutert.

Die Entwicklungen im Anschluss an Moros Urteil, Lula mit 9 Jahren Haft zu bestrafen, machen deutlich, dass er nicht als unabhängiger und souverän handelnder Richter, sondern als Anklage-Kumpan einer Strafverfolgungs-Besessenheit der Staatsanwaltschaft und einer wahrhaft politischen Jagd auf den ehemaligen Präsidenten handelt. Geradezu kafkaesk mutet die Verbissenheit von Staatsanwaltschaft und Richter an, nachdem am vergangenen 4. Dezember Richterin Luciana Correa Torres vom 2. Vollstreckungs-Gericht in Brasília die Pfändung des Apartments als Vermögenswert des OAS-Baukonzerns angeordnet und damit ratifiziert hat, dass die Immobilie nicht Lula gehört.

Damit nicht genug: Moro selbst hatte zuvor in einem Feststellungsantrag bereits erklärt, dass dieser Vorwurf gegen Lula nichts mit der Entwendung von Petrobras-Ressourcen zu tun habe, womit die Anklage „Null“ wert war und die Sache sofort hätte eingestellt werden müssen. „Dieser Umstand bestärkt, was die Verteidigung unaufhörlich in diesem Verfahren behauptet: nämlich, dass der ehemalige Präsident Lula weder jemals Eigentümer der Immobilie war noch irgendwelche Eigenschaften als Inhaber ausgeübt hat“, erklärten die Verteidiger Zanin und Martins und forderten den Freispruch des Präsidenten. „Die Behauptung, das Apartment zum unangemessenen Vorteil erhalten zu haben, ist nicht zulässig, jedoch diente diese Überzeugung [und keinesfalls ein Beweis] als Begründungs-Grundlage des Gerichtsurteils, das keinen anderen Revisions-Beschluss zulässt als die Absolution des Angeklagten“.

Mit selten gesehener Eile ließ Richterin Cármen Lúcia, Präsidentin des Obersten Gerichtshofs, den TRF4-Vorsitzenden, Bundesrichter Thompson Flores, zu sich nach Brasília rufen. Unter Sachzwang, scheint der hohen Magistratin aufgegangen zu sein, dass es in der „Causa Lula“ nicht mit rechten Dingen zugeht.


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