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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: High Noon in Caracas – Óscar Pérez und die „Rebellen”-Bastelstube des Mainstreams
Datum: 23. Januar 2018 um 9:06 Uhr
Rubrik: Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Länderberichte, Medienkritik, Terrorismus
Verantwortlich: Jens Berger
“Alarmstufe Rot im Bundeskanzleramt!” – Eine einleitende Fiktion. Felix Krauskopf, ein Polizeibeamter des deutschen BKA, kapert einen Hubschrauber der Behörde, kreist damit in Begleitung schwerbewaffneter Kumpane über Berlin, wirft Granaten über dem Innenministerium ab und feuert mit automatischen Sturmgewehren 15 Schüsse auf das Justizministerium, lädt einen Aufruf gegen die Flüchtlingspolitik und zum Sturz der Bundesregierung auf YouTube hoch und verschwindet spurlos. Der verlassene Hubschrauber wird in Strandnähe von Warnemünde gefunden, weshalb die Bundesregierung vermutet, der Täter habe sich nach Skandinavien abgesetzt – Fehlanzeige! Ein Bericht von Frederico Füllgraf.
Wochen später taucht Krauskopf auf einer Demonstration der Pegida in Dresden auf und – Gipfel der Neckerei! – gibt dem TV-Sender Russia Today ein kämpferisches Interview, in dem er sich und seine Kumpane zu „Gotteskriegern im Kampf gegen die Islamisierung des Abendlandes“ erklärt. Die russischen Medien zelebrieren den gemeingefährlichen Gewalttäter als „Helden des Christentums im Kampf gegen ein tyrannisches EU-Land“. Drei Monate später überfällt der „Held“ mit 15 als BKA-Agenten verkleideten Mittätern eine Polizei-Kaserne in Potsdam. Sie bedrohen die 20 überraschten Polizisten, legen ihnen Handschellen und Mundknebel an, sperren sie in eine Zelle, stehlen ein beachtliches Waffenarsenal und Uniformen. Und verschwinden wieder. Die Bundesregierung ist zu Recht empört: Von Buenos Aires über Kapstadt bis Kuala Lumpur wird Krauskopf als freiheitlicher „Rebell“ gefeiert.
BKA und BND gelingt es, Krauskopf aufzuspüren, die GSG 9 umstellt sein Versteck in Königs-Wusterhausen. Sieben lange Stunden führen die vor dem Versteck in Deckung gegangenen Beamten Verhandlungen über einen friedlichen Ausgang. Krauskopf und seine Kumpane sollen die Waffen strecken, sich ergeben, Bundeskanzlerin Angela Merkel habe sich für ihr Leben verbürgt. Mit Handy-Übertragung an soziale Netzwerke schreit Krauskopf, er wolle sich zwar ergeben, doch die GSG 9 wolle ihn „ermorden“. Was das Zeug hält, feuern seine Kumpane Granaten und Sturmgewehr-Munition auf die Polizei ab. Ausgerechnet ein von den Terroristen herbeigewünschter Verhandlungsführer der Polizei wird von ihnen niedergeschossen. Nachdem ein zweiter Polizist tödlich getroffen und mehrere Beamte schwer verletzt werden, entscheidet sich die GSG 9 zur Extrem-Verteidigung und schießt eine Panzerfaust in das Versteck. Unter den Ruinen: sieben Tote.
Wie aber beschreibt das deutsche Kriminalrecht die Taten Krauskopfs, wie würden Regierung und die deutschen Medien den Täter bezeichnen? Als Terror und Terroristen, selbstverständlich. Was aber passiert, wenn das Drama in Venezuela aufgeführt wird? Dann gelten weder Rechtsbegriff noch der Schutzanspruch des Rechtsstaates – Pech gehabt, lieber Leser!
Showdown in El Junquito
Die Rede ist von Óscar Pérez, dem am vergangenen Montag, den 15. Januar, in El Junquito, bei Caracas, mit sechs Kampfgenossen ums Leben gekommenen venezolanischen Terroristen. Sämtliche konservative Medien Venezuelas, Lateinamerikas und des internationalen Mainstreams beeilten sich, die Einkesselung des ehemaligen Elite-Polizisten als „Massaker“ der Truppen Nicolás Maduros an freiheitsliebenden „Rebellen“ umzubiegen.
Man kann darüber streiten, ob anstelle der Panzerfaust ein Tränengas-Angriff gegen die hoffnungslos umstellten Gewalttäter nicht effektiver gewesen wäre, um sie lebend aus dem Versteck zu treiben. Doch scherte sich Pérez um das Leben der Polizisten? Kann man sich in die Lage der sich lebensbedroht fühlenden Polizisten versetzen – von denen bereits zwei tot am Boden liegen – die mit einer schweren Waffe dem Spuk ein Ende bereiteten? In jeder westlichen Demokratie wäre das Mittel zum Zweck längst heiliggesprochen worden.
Umgekehrt soll das „Massaker“- und das „Rebellen“-Narrativ offenbar die ohnehin negative Medienstimmung gegenüber Venezuela mit der Klage der ehemaligen, zwischenzeitlich exilierten Generalstaatsanwältin Luisa Ortega Díaz befeuern, die beim Internationalen Haager Gerichtshof wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, mit der angeblichen Tötung von 8.000 Regimegegnern, gegen die Regierung Nicolás Maduro Klage einreichte. Eine ähnlich lautende Klage wurde von circa 100 konservativen chilenischen und kolumbianischen Abgeordneten eingereicht.
Óscar Pérez´ „Heldentaten“
Ende Juni 2017 hatte sich der 37-jährige Elite-Polizist des Amtes für kriminaltechnische Ermittlungen Venezuelas (CICPC) mit einem spektakulären Beschuss von Regierungsgebäuden auf die Titelseiten der Weltmedien katapultiert, als aus dem von ihm gekaperten Behörden-Hubschrauber 4 Sprengkörper abgeworfen und 15 Schüsse aus automatischen Sturmgewehren auf das Innenministerium und den Obersten Gerichtshof Venezuelas abgefeuert wurden. Ebenso spektakulär, wie der Hubschrauber aufgetaucht war, entkam auch das Terrorkommando ungehindert am Himmel über der Hauptstadt. Tags darauf wurde das Flugzeug auf einer Waldlichtung hinter dem rund 80 Kilometer von der Hauptstadt entfernten Badeort Osma gefunden.
Das Terror-Unternehmen war als Auftakt für Massenaufmärsche und den blitzartigen Sturz der chavistischen Regierung geplant, fand jedoch kaum Resonanz in der überraschten und zweifelnden Bevölkerung. Die Regierung mutmaßte zunächst, die spurlos verschwundenen Täter seien auf dem Seeweg auf eine benachbarte Insel der Karibik entkommen und ersuchte Interpol um internationale Polizeihilfe. Doch mit Osma hatte der pfiffige Pérez eine falsche Spur gelegt und war in Venezuela selbst untergetaucht.
Schon wenige Wochen später, Mitte Juli, verblüffte er Regierung und Öffentlichkeit, als er während eines Protestmarsches der Ultrakonservativen in der Provinz Altamira aus dem Untergrund auftauchte und umgeben von vermummten Guarimbero-Gewalttätern ein Online-Interview für CNN gab, in dem er das Recht der Venezolaner auf „Selbstverteidigung“ beanspruchte und erklärte, „es ist Zeit, dass die Narco-Regierung zum Sturz kommt!“. Damit war allerdings die von der rechten Opposition vergeblich geleugnete Verbindung zwischen militanten Guarimberos und Terror erwiesen.
Eine Woche vor Weihnachten 2017 kommandierte Pérez den Überfall von 15 Männern in schwarzer Uniform, ausgestattet mit Ausweisen der Generaldirektion für militärische Spionageabwehr (DGCIM), auf die Polizei-Kaserne San Pedro de los Altos im Süden von Caracas, bei dem ein beachtliches Waffenarsenal und Militär-Uniformen gestohlen wurden. Den gefangenen, geknebelten und lebensbedrohten Polizeibeamten gelang die Befreiung erst, nachdem sie ein Loch in eine Zellenwand schlugen. Nach diesem Anschlag erklärte die Regierung Maduro den „El Piloto“, wie er zwischenzeitlich im Volksmund genannt wurde, zum meistgesuchten Mann Venezuelas.
„Neusprech“ oder die Aufzucht zum Medien-„Rambo“
Dem Flieger-Polizisten war seine Karriere seit langem zu wenig. Er war besessen von der Idee, sich und seine Abenteuer als Chef der Flugoperationen des CICPC in Szene zu setzen. So entstand in einer Koproduktion von Pérez mit dem Produzenten Adolfo López und mit der Regie Oscar Rivas Gamboas der 2016 in Venezuela uraufgeführte Spielfilm Muerte Suspendida („Verzögerter Tod“) (offizieller Filmtrailer) – ein US-amerikanischen B-Action-Streifen abgeguckter Krimi mit realem Hintergrund über den Entführungs- und Erpressungsfall eines portugiesischen Unternehmers, bei dem widerlich gefoltert wird und mit harten Schnitten und abgedroschenen Stilmitteln, wie halsbrecherische Auto-Rasereien und ohrenbetäubende Ballereien, der Zuschauer in Atem gehalten werden und auf „seine Polizei“ stolz sein soll. Zweimal darf geraten werden, wer der Held der Befreiungsaktion des entführten Unternehmers ist. Zufall oder grenzübergreifender Modus Operandi?
Mit ähnlichem medialen Eifer setzte sich 2017 das von rechtsextremen Polizisten, Staatsanwälten und Richtern in Brasilien kommandierte „Unternehmen Waschanlage“ zur angeblichen „Korruptionsbekämpfung“ mit dem Propagandafilm „Policia Federal Filme – A lei e para todos sobre operação lava jato“ („Policia Federal, das Gesetz kennt keine Ausnahmen”) in Szene, der mit Geheimfinanzierung produziert wurde und Stimmung für die Verfolgung der Arbeiterpartei (PT) und die Verurteilung von Altpräsident Lula zu 9,5 Jahren Haft erzeugen sollte.
Mit „Verzögerter Tod“ spielte sich Óscar Pérez in die Schlagzeilen der Medienwelt und träumte vom unsterblichen Dasein. Als selbsternannter Tempelritter oder Highlander im Kreuzzug gegen den Chavismo war ihm jedes Gewaltmittel heilig.
Im Fall Óscar Pérez brillierte der sprachpolitisch verunstaltete Journalismus einmal mehr mit Ungereimtheiten. Bei Spiegel Online war die Rede von einem „abtrünnigen Polizisten“, „Anführer der Aufständischen“ und von „Rebellen“, der Begriff Terrorismus kommt allein und spöttisch als Zitat Nicolás Maduros vor.
Nächster Schritt ist die Infragestellung oder Relativierung der Fakten, man beachte die Konditional-Sprache, mit Worten wie „angeblich” und „soll gemacht haben”. „Auch zwei Angehörige der Sicherheitskräfte wurden getötet, hieß es. Angeblich soll es auch zu Granatenbeschuss gekommen sein”, kommentiert, aber berichtet nicht Spiegel Online und relativiert den terroristischen Charakter der Anschläge: „Maduro sprach von einem ´Putschversuch und Terrorakt´. Die Gruppe um Pérez soll zudem Kasernen angegriffen und Waffen gestohlen haben“. Man staune auch nicht mehr. Als es auf das Ende des aus Meldungen zusammengeklaubten Textes zugeht, wird eine zentrale Parole von Pérez gar nicht mehr in Gänsefüßchen gesetzt, sondern offenbar als politische Deklaration verwendet: Kampf gegen Sozialismus.
Ungestört von den terroristischen Umtrieben des Venezolaners widmete die spanischsprachige Ausgabe von Deutsche Welle Online Pérez gar eine Bildgalerie, deren Untertitel die These vom medial aufgebauschten „Freiheitshelden“ aufs Peinlichste attestiert. Der Bildtext „Der ,Rambo´ mit den hellen Augen” feiert Pérez´ Hubschrauber-Attentat nahezu als Popularitäts-Coup. Die nächste Bildbeschreibung – „Film- und Waffen-Narr”- kitzelt mit frivolem Boulevard-Jargon am Neugierde-Nerv des Lesers: „Seine bewaffnete Aktion, die einherging mit einem Aufruf gegen die Regierung Nicolás Maduro und der Vorstellung seiner Gruppe als „Gotteskrieger“, schärfte das Interesse, mehr über diesen 36-jährigen Mann zu erfahren, der gegen den Chavismo zu den Waffen griff. Dann erfuhr man, dass er in einem Film mitgespielt hatte, ein Liebhaber von Waffen war und Hunde zur Aufspürung von Drogen dressierte”. Mit „Untergetaucht, doch in Mediennähe”, benennt die darauffolgende Bildzeile Pérez´ intensive Instagram-, Twitter- und YouTube-Nutzung, dessen Mobiltelefon-Übertragung schließlich zu seiner Ortung beigetragen hat. Eine durchschaubare und blamable Inszenierung des deutschen Staatssenders, dem in der Berichterstattung über Pérez´ Ende nichts Besseres einfiel, als sich undifferenziert auf die Versionen eines Destabilisierung-Mediums wie El Nacional zu berufen.
Óscar Pérez´ letzte Stunden als Realityshow
Welche Polizei auf der Welt verhandelt sieben Stunden lang mit Terroristen, anstatt bei der Umstellung der Attentäter gleich kurzen Prozess zu machen? Antwort: eine professionell handelnde Polizei, der mehr an der Gefangennahme und dem Verhör liegt als an der kaltblütigen Liquidierung der Attentäter, deren Tod schließlich ihre Geheimnisse mit zu Grabe trägt. So geschehen in El Junquito, wo Sondereinheiten der Polizei (FAES) bereits um 4 Uhr in der Nacht die Villa eines Neurochirurgen umstellt hatten, in der sich Pérez mit weiteren sechs Kameraden versteckt hielt.
Wie Pérez´ eigene Handy-Videos einprägsam und überzeugend zeigen, betrieb der schlaue „Pilot“, wie er zwischenzeitlich im Volksmund genannt wurde, ein Doppelspiel: während er dem Polizeihauptmann am Fuß des Verstecks versichert, er wolle sich ergeben, feuern seine Kameraden mit Granaten und automatischen Waffen auf die Beamten. In Parallelhandlung lädt Pérez Selfie-Videos in Realzeit mit blutüberströmtem Gesicht auf soziale Netzwerke, in denen er ächzt und schreit, „sie wollen uns umbringen!“.
Selbstverständlich sind der Demokratie-Begriff und der Umgang Nicolás Maduros´ und des harten Kerns des regierenden Chavismo mit der Realität – insbesondere ihrer Installierung der Verfassungsgebenden Versammlung – nicht akzeptabel, doch sollte man ebenso behaupten dürfen, dass Perez ‘ Version seiner Einkesselung rasch von einheimischen und internationalen Kommerz-Medien vereinnahmt und als potenzielle rechtswidrige Exekution der venezolanischen Regierung dargestellt wurde. Der Showdown der Terroristen in El Junquito wurde von Pérez´ Realzeit-Übertragung der Ereignisse in den sozialen Netzwerken als Realityshow inszeniert, die sich im Handumdrehen wie ein Virus verbreitete, heißt es treffend im Essay einer venezolanischen Plattform für politische Analysen (Medien und Mystifizierung des Terrorismus: die miserable Verteidigung von Óscar Pérez – Misión Verdad, 15. Januar 2018).
„Die von Minute zu Minute von Pérez ausgestrahlten Videobilder waren eine treue Widerspiegelung seiner vorangegangenen, öffentlichen Auftritte. In seinem ersten Video, bevor er das Innenministerium und den Obersten Gerichtshof mit Granaten beschoss, hatte er sich bereits als ´Rebell gegen Maduro´ erklärt. Ähnliche, medial inszenierte Auftritte wiederholten sich während der Proteste von 2017 und dem Überfall auf die Kaserne der Bolivarischen Nationalgarde (GNB). In diesem Zusammenhang wurde er von CNN als politische Persönlichkeit interviewt, um ihn vor der Öffentlichkeit zu legitimieren”, behauptet Misión Verdad.
Doch in El Junquito wurde das Narrativ mit einem Video widerlegt, in dem deutlich zu sehen und zu hören ist, dass die FAES-Beamten sich um ernstgemeinte Verhandlungen über die friedliche Ergebung der bewaffneten Pérez-Zelle bemühten – jedoch für die Katz.
Unter den Trümmern des Pérez-Verstecks fand die Polizei 7 Handys, 17 russische AK-103-Gewehre, 1 Scharfschützen-30-30-Gewehr, 1.876 Schuss Munition verschiedener Kaliber, 6 nicht explodierte Granaten und 4 Reisepässe. Fünf zuvor verhaftete Mitglieder der Pérez-Gruppe wurden von der Staatsanwaltschaft des Militärs verhört und sollen Pérez´ letzten Unterschlupf verraten haben. Das Übrige taten des „Rebellen“ ungezügelte Medienauftritte.
Die am 15. Januar ins Leichenschauhaus Cello Monte eingelieferten menschlichen Überreste Óscar Alberto Pérez´ wurden erst sechs Tage nach seinem Tod, in der Nacht zum 21. Januar, auf dem Ostfriedhof von Caracas beerdigt. Der Bestattung durften nur eine Tante und eine Cousine beiwohnen.
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