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Titel: Bitterer Auftakt im Jahr des Affen (1968)
Datum: 22. Januar 2018 um 9:34 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Gedenktage/Jahrestage, Militäreinsätze/Kriege
Verantwortlich: Albrecht Müller
Ein Beitrag von Rainer Werning zur Erinnerung an die Gefangennahme der Besatzung der „USS Pueblo“ durch Nordkorea – der Vorgang ist immer noch aktuell. Denn die damit verbundenen Emotionen sind bis heute wirksam. Albrecht Müller.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Von Rainer Werning
Vor 50 Jahren, im Januar 1968, geriet die Besatzung der »USS Pueblo« in annähernd einjährige nordkoreanische Gefangenschaft, während in Vietnam die sogenannte Tet-Offensive den Beginn des US-amerikanischen Militärdebakels in Südostasien markierte. Beide Ereignisse wirken bis heute nach und lassen manisch-repressive Militärstrategen und »Falken« im politischen Washington vor allem mit Blick auf die schmachvolle »Pueblo-Affäre« gegenüber Nordkoreas Nomenklatur noch immer auf Revanche sinnen. Was den endlich reaktivierten innerkoreanischen Dialog im Zeichen der am 9. Februar beginnenden Olympischen Winterspiele nicht gerade fördert.
Am 16. Januar trafen sich im kanadischen Vancouver die Außenminister von 20 Staaten zu einer Nordkorea-Konferenz, auf der vor allem US-Außenminister Rex Tillerson und sein japanischer Kollege Taro Kono einen unnachgiebigen Kurs versus Pjöngjang steuerten und dessen Part während der laufenden Gespräche mit Seoul als «Charmeoffensive» abtaten. China und Russland waren zu der Tagung nicht eingeladen. Ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums beklagte eine «Mentalität wie im Kalten Krieg», die nur Unstimmigkeiten schüre und gemeinsame Bemühungen für eine friedliche Lösung auf der Koreanischen Halbinsel untergrabe.
Seit dem Ende des Koreakrieges (1953) ist Nordkorea für die Vereinigten Staaten von Amerika geblieben, was es für sie stets war – »das Böse« schlechthin. Die US-Regierung sieht in der Volksrepublik nicht nur einen »Schurkenstaat«. Anfang 2002 erklärte Präsident George W. Bush das Land sogar als Teil einer ominösen »Achse des Bösen« – neben Irak und Iran. Cineastisch sorgte der Ende November desselben Jahres in deutschen Kinos angelaufene James-Bond-Film »Die Another Day« (»Stirb an einem anderen Tag«) dafür, dass dieses Feindbild intakt blieb – ja, noch kräftig geschürt wurde. In diesem Streifen wird Nordkorea als Verbündeter eines Möchtegernweltherrschers dargestellt. Bond wird dort gefangen genommen und gefoltert. Die USA, konterte prompt die staatliche nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA, wollten das Land »absichtlich verspotten und beleidigen«. Tatsächlich seien die USA ein »Reich des Bösen«, das Hauptquartier für die – so wörtlich – »Verbreitung von Abnormität, Degeneration, Gewalt, korrupter Sexkultur« und von »moralischer Lepra« befallen.
Starker Tobak. Doch Pjöngjang und Washington waren nie zimperlich im Umgang miteinander. Das resultiert aus den Erfahrungen des Koreakrieges und erst recht aus der bis heute in Washington nicht verwundenen Schmach über den sogenannten »USS Pueblo«-Vorfall, der sich vor fünf Dekaden, auf dem Höhepunkt des Vietnamkrieges, in nordkoreanischen Gewässern ereignete.
Am 23. Januar 1968 hatten nordkoreanische Patrouillenboote das US-amerikanische Schiff »USS Pueblo« vor der Küste Nordkoreas aufgegriffen, die gesamte 83-köpfige Besatzung unter dem Befehl von Kapitän Lloyd Mark »Skip« Bucher gefangen genommen und sie der Spionage bezichtigt. Die Pueblo, erklärte die Regierung in Pjöngjang, sei innerhalb der Zwölf-Seemeilen-Zone aufgegriffen worden und somit unrechtmäßig in nordkoreanisches Terrain eingedrungen. Demgegenüber sprach die US-amerikanische Regierung vom »Kapern« der Pueblo. Und die Zeitschrift Pacific Stars & Stripes prangerte in Aufmachern das – so wörtlich – »Hijacking eines US-Marineschiffes durch die Kommunisten« an.
Zwölf Tage zuvor, am 11. Januar 1968, hatte die Pueblo, ein von der U.S. Navy für ihre Zwecke umgebautes Frachtschiff, den Hafen im japanischen Sasebo verlassen. Im Ostmeer, das die Japaner das Japanische Meer nennen, sollte es routinemäßige Erkundungstrips durchführen und in gemeinsamem Auftrag von US-Marine und Nationaler Sicherheitsbehörde (NSA) ozeanographische Daten sammeln. So jedenfalls stellte es der damalige Marineminister John Chafee dar. US-amerikanischen Berichten zufolge sei die Pueblo nicht mit der neuesten Navigationstechnik ausgestattet und die junge Besatzung unerfahren gewesen, so dass das Schiff möglicherweise irrtümlich die international anerkannte Zwölf-Seemeilen-Zone überschritten habe. Kapitän Bucher berichtete später, die Pueblo sei plötzlich unter Beschuss geraten. Er habe zunächst keine akute Gefahr gewittert, zumal es gerade in diesen Gewässern, wo auch sowjetische Spionageschiffe kreuzten, mitunter zu Scharmützeln gekommen war.
Für die US-Marine jedenfalls bedeutete die »Affäre« eine herbe Schlappe. Mit der Pueblo nämlich fielen den Nordkoreanern strategisch sensible Daten in die Hände, die es unter anderem der mit ihnen befreundeten Sowjetunion ermöglichte, nachrichtendienstlich relevante Codes zu knacken. Nachdem die Pueblo lange Zeit in der Hafenstadt Wŏnsan (an Nordkoreas Ostküste) ankerte, wurde sie später in die im Westen gelegene Hauptstadt Pjöngjang gebracht und dort auf dem Taedong-Fluss wie eine Trophäe ausgestellt. Als sei das nicht schon schlimm genug, sickerten immer mehr Berichte durch, die gefangen genommenen Amerikaner seien in nordkoreanischer Haft gefoltert und einer Gehirnwäsche unterzogen worden. Kapitän Bucher und seine Crew wurden von nordkoreanischer Seite gezwungen, ein Schuldeingeständnis zu unterschreiben, was Pjöngjang in den Medien weidlich ausschlachtete.
Keine zweite Front in Asien
Während in den USA die Stimmen lauter wurden, die auf Rache sannen und einen Militärschlag gegen Nordkorea befürworteten, setzte die damalige US-Administration unter Präsident Lyndon B. Johnson auf eine politisch-diplomatische Lösung des Konflikts. Gegenüber Pjöngjang räumte die US-Regierung ein, die Pueblo habe die Hoheitsrechte der Volksrepublik verletzt und entschuldigte sich dafür. Wenngleich der US-Vertreter in der Militärischen Waffenstillstandskommission (MAC), Generalmajor Gilbert Woodward, dies mit der Erklärung herunterspielte, es sei einzig um die Befreiung der Pueblo-Crew gegangen, wollte Johnson offensichtlich ein weiteres Fiasko in Asien vermeiden. Denn bereits im Frühjahr 1968 verdichteten sich die Anzeichen, dass die USA in Südvietnam militärisch scheitern und eine Niederlage erleiden.
In der Nacht zum 31. Januar 1968 nämlich hatten Einheiten der Nationalen Front zur Befreiung Südvietnams (FNL) und nordvietnamesische Verbände anlässlich des Mondneujahrs im Tierkreiszeichen des Affen eine für ihre Gegner völlig überraschende Offensive gestartet, die als »Tet-Offensive« in die Annalen der Geschichte einging. Für das Pentagon und seine Saigoner »Hilfstruppen«, die sich bis dahin siegessicher gezeigt hatten, bedeutete der Auftakt der Tet-Offensive ein Debakel und einen irreparablen Gesichtsverlust. Einheiten der FNL verwickelten in mehreren Großstädten Südvietnams gleichzeitig US-Streikräfte in schwere Kriegshandlungen und hissten sogar ihre Fahne auf der Zitadelle der alten Kaiserstadt Hué. Selbst in der damaligen Hauptstadt Saigon (heute Ho-Chi-Minh-Stadt) wurde das Hauptquartier von US-General Westmoreland, der Generalstab der Marionettenarmee, der Präsidentenpalast sowie die Polizeizentrale angegriffen.
Wenngleich die Tet-Offensive auf beiden Seiten zu hohen Verlusten führte, die das US-Oberkommando in einen »vollkommenen Sieg« ummünzte, leitete sie eine strategische Kriegswende ein. Militärische Niederlagen zwangen die USA trotz intensivem Bombardements der nordvietnamesischen Großstädte Hanoi und Haiphong an den Verhandlungstisch in Paris, wo nach zähen Debatten ein Kriegsende am 30. April 1975 besiegelt wurde – mit noch heute wirkmächtigen Bildern der hektischen Evakuierung des US-Botschaftspersonals in Saigon samt hochrangiger vietnamesischer Kollaborateure.
An Heiligabend 1968 – nach elfmonatiger Gefangenschaft – landeten schließlich 82 Mann der Pueblo-Besatzung unversehrt auf der Miramar Naval Air Station im kalifornischen San Diego und konnten dort im Rahmen einer emotionsgeladenen Welcome-Party in die Arme ihrer Liebsten zurückkehren. Ein US-amerikanischer Soldat war seinen Verletzungen erlegen, die er sich während des Schusswechsels vor dem Aufgreifen der Pueblo zugezogen hatte.
Nach ihrer Freilassung aus nordkoreanischer Gefangenschaft wurde die Pueblo-Besatzung in ein langwieriges Verfahren verwickelt, in dem vor allem Kapitän Bucher ins Visier des US-Marinekommandos geriet. Er sollte als Hauptschuldiger für das Desaster hingestellt werden. Schließlich war dies in Friedenszeiten das erste Mal in der Geschichte der USA, dass das Land eines seiner Schiffe einer fremden Macht ausliefern musste, die es bis heute noch als Kriegstrophäe zur Schau stellt. Eine Verurteilung Buchers und eines Teils seiner Crew durch ein Militärgericht wurde letztlich vom Marineministerium und im Kongress mit dem Argument abgewiesen und verhindert, die Pueblo-Besatzung hätte bereits so sehr gelitten, dass eine zusätzliche Bestrafung der Soldaten unangemessen wäre.
Dr. Rainer Werning, Politikwissenschaftler & Publizist mit den Schwerpunkten Ost- und Südostasien, ist u.a. Koautor des in Kürze in der Edition Berolina (Berlin) erscheinenden Buches »Brennpunkt Nordkorea«.
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