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Titel: Härter die Boten nie schuften, als zu der Weihnachtszeit

Datum: 20. Dezember 2017 um 12:34 Uhr
Rubrik: Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Audio-Podcast, Wertedebatte
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Der Glühwein fließt und der Tannenbaum steht. Weihnachten steht vor der Tür. Das Fest der Nächstenliebe ist bekanntlich heute eher das große Fest des Schenkens und Beschenkens. Während der Onlinehandel zum Fest schon mal den Champagner kühlstellen und die fette Weihnachtsgans schlachten kann, brechen die Menschen, denen wir die glücklichen Augen unserer beschenkten Lieben zu verdanken haben, unter dem Stress zusammen. Denn weder das Christkind noch der Weihnachtsmann bringen die Geschenke, sondern die Boten von DHL und Hermes, denen die fleißigen Elfen bei Amazon und die unsichtbaren kleinen Helfer im fernen China die Pakete gepackt haben. Alle zweieinhalb Minuten müsste ein Zusteller ein Paket ausliefern, um in der Vorweihnachtszeit den Plan zu erfüllen. Dabei ist gerade die Paketzustellung immer noch ein Dorado für systematische Ausbeutung der Mitarbeiter und massenhafte Umgehung des Mindestlohns. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Am Heiligabend noch schnell in die überfüllte Stadt, keinen Parkplatz finden, im Gedränge Platzangst bekommen und dann völlig entnervt nach Hause kommen, um die übellaunige Verwandtschaft zu verköstigen … dieser Weihnachtsalbtraum gehört schon lange der Vergangenheit an. Wenn der Heiligabend ein normaler Werktag ist, kann man seine Geschenke noch am Vormittag bequem am Rechner online einkaufen und mit Amazon Prime vom DHL-Paketboten just in time unter den Weihnachtsbaum liefern lassen. Dies klappt zumindest in zahlreichen Städten und Metropolregionen. Wer auf dem Land lebt, sollte seine Online-Weihnachtseinkäufe lieber schon am 23. Dezember tätigen. Schöne neue Welt. Und dies ist wohl erst der Anfang.

Wer etwas mehr Zeit hat, kann schon heute den kompletten deutschen Einzelhandel auch online überspringen und direkt beim Produzenten in China einkaufen. Eine neue Maus für den Computer für 1,68 Euro, ein Baumwoll-T-Shirt für 2,99 Euro oder eine Herren-Uhr mit Kunstlederarmband für 1,51 Euro – wohlgemerkt inklusive Versandkosten, also Porto für die Luftfracht aus China und Zustellungen per Einschreiben durch DHL. Das klingt verrückt? Ist es auch. Die Globalisierung hat längst auch den Privatkonsum erreicht und solche Preise sind natürlich nur machbar, wenn nicht nur in der Produktionskette, sondern vor allem auch bei Transport und Logistik in Deutschland mit einem rasiermesserscharfen Bleistift gerechnet wird.

Und das gelingt offenbar sehr gut. Die chinesische Handelsplattform Alibaba, über deren Tochter Aliexpress auch Privatkunden aus Deutschland direkt in China einkaufen können, erzielte im letzten Jahr einen Gewinn von mehr als sieben Milliarden Dollar bei einem Umsatz von 24 Milliarden Dollar. Unternehmensgründer Jack Ma zählt heute mit einem Privatvermögen von 38 Milliarden Dollar zu den reichsten Menschen der Welt. Dabei rangiert er auf der Forbes-Liste jedoch immer noch weit hinter Jeff Bezos, der mit exakt 100 Milliarden Dollar zur Zeit als der reichste Mensch der Welt gilt. Bezos ist Gründer und Großaktionär der Handelsplattform Amazon, die auch in Deutschland uneingeschränkter Marktführer im Online-Handel ist, obgleich sie vor allem Negativschlagzeilen über Steuerdeals, Steuerumgehung, Datenschutzproblemen und die schlechten Arbeitsbedingungen und Löhne seiner Mitarbeiter macht. Im letzten Jahr machte Amazon 4,2 Milliarden Dollar Gewinn bei 136 Milliarden Dollar Umsatz. Und auch auf „der letzten Meile“ sind die modernen Pfade des Konsums noch hoch profitabel, wie ein operativer Gewinn von 3,75 Milliarden Euro für die Deutsche Post DHL Group belegt. Der Paketdienst DPD gehört zur französischen La Poste S.A., die im letzten Jahr fast eine Milliarde Euro Gewinn machte und auch die kleineren Anbieter Hermes (Tochter des OTTO-Versands) und GLS (Tochter der britischen Royal Mail) arbeiten hoch profitabel. Die gesamte Branche ist auf dem Expansionspfad. Doch wen wundert das, ist der Erfolg des Onlinehandels doch direkt mit dem Erfolg der Logistikbranche verknüpft.

Die interessantere Frage ist: Wer genau profitiert von diesem Boom? Dass Jack Ma, Jeff Bezos und die Aktionäre der Logistikkonzerne profitieren, steht außer Frage. Erzielt wird der Profit jedoch auch und vor allem auf dem Rücken der Mitarbeiter. Beim Paketdienst GLS (Royal Mail) kommen die Boten beispielsweise laut einer investigativen Recherche des Journalisten Günter Wallraff nicht selten auf 14-Stunden-Schichten, die von Erschöpfung, Schlafdefiziten und Drangsalierung gekennzeichnet sind. Und am Ende springen dafür oft gerade mal drei bis fünf Euro Stundenlohn heraus. Aber es gibt doch einen gesetzlichen Mindestlohn! Richtig, nur dass der für „Selbstständige“ nicht gilt und Konzerne wie GLS haben ihre fetten Renditen auch der Praxis zu verdanken, ihre Mitarbeiter in eine Scheinselbstständigkeit zu treiben.

Bei DPD (La Poste) sieht dies nicht großartig anders aus, wie unter anderem eine aktuelle Recherche der Süddeutschen ergab. Hier werden Verträge aufgesetzt, die einen Bruttolohn vorsehen, der dem Mindestlohn bei einer Arbeitszeit von 40 Stunden entspricht. Da die Mitarbeiter aber oft fast doppelt so viele Stunden arbeiten, halbiert sich damit auch der Stundenlohn. So wird der gesetzliche Stundenlohn systematisch unterlaufen.

Auch Hermes (Otto) unterläuft nach wie vor die gesetzlichen Bestimmungen – nicht direkt, sondern indirekt, indem man die Arbeit an „Servicepartner“ ausgliedert, die Hermes zwar versichern, nach Mindestlohn zu zahlen, dies aber offenbar nicht praktizieren, wie Ermittlungen gleich mehrerer Staatsanwaltschaften nahelegen. Und man kann hier durchaus spekulieren, dass der Hermes-Konzern lieber nicht allzu genau hinschaut, was seine „Partner“ so anstellen. Denn höhere Löhne würden auch höhere Kosten bedeuten, die dann Hermes von den Partnern in Rechnung gestellt werden.

Nur vordergründig sieht es beim Branchenprimus DHL besser aus. Hier gelten Tariflöhne, die zum Teil doch ordentlich über dem Mindestlohn liegen. Das Problem ist jedoch, dass laut Schätzungen von verdi nur die Hälfte aller Fahrer, die für die Deutsche Post Pakete befördern, auch tatsächlich Angestellte von DHL oder der Post sind. Auch die Post hat still und leise ein Zweiklassen-System eingeführt, bei dem rund 3.000 Mitarbeiter an „Servicepartner“ ausgegliedert wurden, bei denen die Fahrer nur auf die Hälfte des Lohns ihrer fest angestellten Kollegen kommen und dabei auch unter dem gesetzlichen Mindestlohn bleiben. Der eigentliche Skandal ist hier, dass der Bund als Großaktionär der Post damit die Verletzung seiner eigenen Gesetze mitträgt.

Aber auch hier ist das Ende der Abwärtsspirale noch lange nicht erreicht. Weil der reichste Mann der Welt noch reicher werden will, hat Amazon nun auch in Deutschland ein Modell mit dem schon verdächtig klingenden Namen „Amazon Flex“ ins Leben gerufen. Bei Amazon Flex sollen Privatpersonen sich als Kleinunternehmer in Sachen Paketzustellung betätigen. Dafür seien „bis zu 64 Euro“ für eine Vier-Stunden-Schicht zu erzielen. Zieht man davon Steuern und Sozialbeiträge sowie die eigenen Unkosten (z.B. für ein Auto und das Benzin) ab, bleibt davon jedoch selbst bei viel Phantasie nicht mehr als der Mindestlohn übrig. Und wie realistisch diese „Bis-zu-Angabe“ ist, ist eine weitere Frage. Das klingt alles eher nach einer Kopie des „Sharing-Economy-Modells“ von Uber, bei dem ebenfalls Privatpersonen als Kleinunternehmer missbraucht werden, um gesetzliche Regelungen auf dem Arbeitsmarkt zu umgehen.

Da von der Politik leider keine Hilfe zu erwarten ist, haben Sie es wohl selbst als Verbraucher in der Hand, ob die Konzerne mit ihrem „Null-Versandkosten-Irrsinn“ auch weiterhin ihre Mitarbeiter ausbeuten und die Aktionäre bereichern können. Und fallen Sie nur nicht auf die Ausrede herein, der Markt sei nun einmal so umkämpft und die Konkurrenz erlaube leider keine besseren Löhne. Denn dazu hat bereits im Jahre 1933 der US-Präsident Roosevelt alles gesagt, was es dazu zu sagen gibt …

Unternehmen, deren Existenz lediglich davon abhängt, ihren Beschäftigten weniger als einen zum Leben ausreichenden Lohn zu zahlen, sollen in diesem Land kein Recht mehr haben, weiter ihre Geschäfte zu betreiben. Mit einem zum Leben ausreichenden Lohn meine ich mehr als das bloße Existenzminimum – ich meine Löhne, die ein anständiges Leben ermöglichen.
– US-Präsident Franklin D. Roosevelt vor dem US-Kongress am 16. Juni 1933

Vielleicht überlegen Sie ja noch einmal, ob so ein altmodischer realer Einkauf in einem echten Laden bei einem Menschen aus Fleisch und Blut wirklich ein Auslaufmodell ist. Da Hinz und Kunz sich ja heute ihre Weihnachtsgeschenke von Knecht Bezos kleinen Helfern bringen lassen, hat man in den weihnachtlichen Innenstädten wieder mehr Platz und ein schöner Einkaufsbummel muss dann ja vielleicht doch nicht zwingend in Stress ausarten. Und last but not least: Zeigen Sie sich ruhig am Ende des Jahres mal ein wenig großzügig. Ihre Paketboten freuen sich sicherlich über ein zugestecktes Trinkgeld oder eine kleine Anerkennung – gerade in der Weihnachtszeit.


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