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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Ein Interview mit Sahra Wagenknecht darüber, wie es in Berlin weitergehen könnte.
Datum: 30. November 2017 um 13:58 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Bundesregierung, Interviews, SPD, Wahlen
Verantwortlich: Albrecht Müller
Große Koalition, Minderheitsregierung, wo liegen die Probleme, wie könnte es weitergehen? In welcher Konstellation wären die Sorgen geringer als bei einer Großen Koalition? Dazu und einiges mehr fragte ich bei Sahra Wagenknecht nach. Hier das Interview. Albrecht Müller.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Albrecht Müller für die NachDenkSeiten: In einer Mail an die Mitglieder des Team Sahra wie auch in anderen Äußerungen wird erkennbar, dass du die Bildung einer Großen Koalition für falsch hältst. Was wäre die Alternative aus deiner Sicht?
Sahra Wagenknecht: Das Problem ist, dass die SPD erkennbar keine Strategie hat. Erst ein großkoalitionärer Kuschelwahlkampf, dann nach der Wahl die komplette Absage an eine Große Koalition. Das war zwar richtig und nach dem schlechten Wahlergebnis auch dringend nötig, aber diese Kehrtwende wurde in keiner Weise verbunden mit einem personellen und inhaltlichen Neuanfang. Nur dann aber hätte die Abgrenzung von der Politik der Vergangenheit Glaubwürdigkeit bekommen. Die britische Labour Party hat vorgemacht, wie eine sozialdemokratische Partei ihre Wähler zurückgewinnen kann. Leider ist in der SPD bisher kein Corbyn in Sicht, der bereit wäre, den Kampf um die Partei aufzunehmen.
NachDenkSeiten: Ich halte deine Sorge, dass dies zu einem “Weiter-so-Kurs“ der SPD führt, für berechtigt. Aber in welcher anderen Konstellation wäre diese Sorge geringer?
Sahra Wagenknecht: Bei einer wirklichen Neuaufstellung der SPD und einer konsequenten Abkehr von der Agenda-Politik hätte ein auf Neuwahlen zielender Kurs Sinn. Wenn dagegen die CDU wieder mit Merkel und die SPD mit dem alten Personal antritt, wird es spätestens nach der Wahl ohnehin wieder eine neue Große Koalition geben, dann kann man sie auch gleich machen. Die Chance auf eine sozialere Politik wird damit allerdings für weitere vier Jahre verschenkt.
NachDenkSeiten: Müsste man in der jetzigen Situation die SPD-Führung nicht ermuntern, in die Zusammenarbeit mit der Union zu gehen, aber dort dann auch sozialdemokratische oder andere linke Forderungen einzubringen?
Sahra Wagenknecht: Merkel ist in einer sehr geschwächten Position, theoretisch könnte die SPD das ausnutzen, um zumindest einige wichtige soziale Verbesserungen durchzusetzen. Allerdings stellt sich zunehmend die Frage, ob Merkel ihren eigenen Laden überhaupt noch im Griff hat. Es wäre also offen, inwieweit Verabredungen im Koalitionsvertrag dann auch umgesetzt würden.
Aber das noch größere Problem ist: Solange sich die SPD selbst nicht vom Agenda-Kurs verabschieden will, also von unsicheren Jobs, niedrigen Löhnen und Armutsrenten, solange werden die Korrekturen den sozialen Zerfall und die wachsende Ungleichheit nicht stoppen können. Genau deshalb gibt es ja auch viele Überschneidungen mit der CDU.
NachDenkSeiten: Ich hake noch einmal nach: du schreibst, es gebe Alternativen, ein sozialer Kurswechsel in der Politik sei möglich. wie soll das möglich sein ohne Beteiligung der SPD an der Regierung?
Sahra Wagenknecht: Nicht die Regierungsbeteiligung der SPD ist das Problem, sondern die Abhängigkeit von der CDU/CSU. Es wäre natürlich vieles leichter, wenn wir jetzt die Mehrheitsverhältnisse der vergangenen Wahlperiode hätten. Da gab es theoretisch immer die Möglichkeit einer Mitte-Links-Koalition unter einem SPD-Kanzler. Die aktuelle Situation ist um vieles schwieriger, allerdings eben auch ein Ergebnis dessen, dass die SPD nie bereit war, die in der letzten Legislaturperiode wie auch davor schon gegebene Mehrheit von SPD, Linkspartei und Grünen für eine Wiederherstellung des Sozialstaates und ein Eindämmen des Niedriglohnsektors zu nutzen.
NachDenkSeiten: Hältst du eine Minderheitsregierung der CDU, eventuell mit den Grünen, für mehr im Sinne eines sozialen Kurswechsels?
Sahra Wagenknecht: Eine Minderheitsregierung allein der CDU/CSU eröffnet im Parlament den Spielraum für andere Mehrheiten. Aber ich warne davor, die Erwartungen allzu hoch zu schrauben. Selbst wenn beispielsweise bei einer Frage SPD, Linke und Grüne einer Meinung wären – was bei der aktuellen Entwicklung der Grünen auch nicht allzu häufig vorkommen wird – hängt die Mehrheit dann immer daran, dass entweder die FDP oder die AfD zustimmt. Auf letztere will niemand setzen, und dass die FDP bei sozialen Verbesserungen mitmacht, ist auch eher unwahrscheinlich. Also sollte man da keine Illusionen haben.
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