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Titel: Präsidiale »Front«visite

Datum: 7. November 2017 um 9:31 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Friedenspolitik
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Rainer Werning, Politikwissenschaftler & Publizist mit den Schwerpunkten Ost- und Südostasien berichtet und kommentiert die Asienreise des US-amerikanischen Präsidenten Trump. Wie gewohnt bei diesem Autor: interessant. Albrecht Müller.

Präsidiale »Front«visite

Während seiner Asienreise könnte US-Präsident Trump in Seoul lernen, dass einzig die Wiederaufnahme des direkten diplomatischen Dialogs zwischen Nordkorea und den USA aus der aktuellen Sackgasse führt.

Es ist dies die längste Asienreise eines US-amerikanischen Präsidenten seit einem Vierteljahrhundert. Seit Sonntag befindet sich Donald Trump auf einem 12 Tage währenden Swing durch Ost- und Südostasien, dessen Stationen Japan, Südkorea, die VR China, Vietnam und die Philippinen sein werden.

Geht es in Tokio, Seoul und Beijing vorrangig um die Politik des nordkoreanischen Machthabers Kim Jong-Un und das Nuklearprogramm der Volksrepublik, beherrschen in Hanoi beziehungsweise Da Nang und Manila Wirtschafts- und Handelsfragen die Agenda. In der zentralvietnamesischen Stadt Da Nang findet das diesjährige Gipfeltreffen der insgesamt 21 Länder umfassenden Asien-Pazifik Wirtschaftskooperation (APEC) statt, während in der philippinischen Metropole Mitte des Monats nebst dem Ostasiengipfel auch der Höhepunkt der Feierlichkeiten anlässlich des 50-jährigen Bestehens der mittlerweile von zehn Mitgliedsstaaten gebildeten Vereinigung südostasiatischer Nationen (ASEAN) zelebriert wird.

Gewaltige Drohkulissen

Wo immer US-Präsident Trump und seine Entourage einen Zwischenstopp einlegen, sind höchste Sicherheitsvorkehrungen bereits im Vorfeld der Besuche getroffen worden. Vor allem in Südkoreas Hauptstadt Seoul und in der südlichen Hafenstadt Busan ist es in den vergangenen Tagen wiederholt zu scharfen Protesten gegen die bevorstehende Visite Trumps gekommen. Die südkoreanische Gesellschaft ist zutiefst gespalten ob der US-Politik vis-à-vis Nordkorea, deren negative Auswirkungen zuvörderst sie selbst treffen würde.

Die Sorge in Südkorea wird geschürt durch eine noch nie so dagewesene massive Präsenz von US-Truppen in der Region. In seinem am 1. November in der US-amerikanischen Wochenzeitschrift The Nation publizierten Beitrag mit dem Titel »Planen die USA einen Angriff auf Nordkorea?« weist der Sicherheitsexperte der Zeitschrift, Professor Michael T. Klare, darauf hin, dass im Vorfeld der Trump-Reise die drei großen Flugzeugträger USS Nimitz, USS Theodore Roosevelt sowie die USS Ronald Reagan im Westpazifik zusammengezogen wurden und dort eine seit langem nicht gekannte Drohkulisse aufbauten.

Während die USA Ende vergangener Woche mit ihren Verbündeten Südkorea und Japan gemeinsame Luftwaffenübungen abhielten, wobei eigens von der Andersen Air Force Base auf der Pazifikinsel Guam gestartete strategische Langstreckenbomber vom Typ »B-1B« Südkorea überflogen, wurde ein Dutzend F-35A-Kampfjets aus dem US-Bundesstaat Utah nach Okinawa auf den dortigen Luftwaffenstützpunkt Kadena verlegt. Pjöngjang wertete diese Maßnahme einmal mehr als »Eskalation von Drohungen und Provokationen«, zumal US-Verteidigungsminister James Mattis am 28. Oktober erklärt hatte, er könne sich Nordkorea als Nuklearmacht »nicht vorstellen« und würde das Land mit »massiven militärischen Maßnahmen besiegen«, sollte es die Volksrepublik wagen, sein Land oder das eines Verbündeten anzugreifen. Ob dieser Äußerung und der zahlreichen vorangegangenen »Feuer-und-Wut«-Reden, in denen sein Dienstherr Trump Nordkoreas »kleinen Raketenmann« Kim Jong-Un und seinem Land mit der »völligen Vernichtung« drohten, ist der Präsident selbst innerhalb der eigenen Reihen verstärkt ins Visier der Kritik geraten. Senator Bob Corker, der republikanische Vorsitzende des Senatskomitees für Auswärtige Beziehungen, hatte am 8. Oktober davor gewarnt, von Trump »auf den Weg in Richtung eines 3. Weltkrieges« gedrängt zu werden.

Wider Trumps Bellizismus

»Ich hoffe sehr«, sagte Kim Hong-Gul, Vorsitzender des Komitees für nationale Einheit der herrschenden Demokratischen Partei Koreas (DPK), Anfang des Monats in einem Interview mit der in Seoul erscheinenden Tageszeitung Korea Times, »dass Präsident Trump während seines Aufenthalts hier realisiert, wie nahe die innerkoreanische Grenze von der Hauptstadt entfernt liegt und wie brandgefährlich die Situation ist, würde es dort tatsächlich zu einem Konflikt kommen. Amerikaner neigen dazu, die Folgen eines solchen Konflikts weit entfernt von der koreanischen Halbinsel zu unterschätzen. Hoffentlich nutzt Präsident Trump seinen zweitägigen Aufenthalt im Land (Dienstag und Mittwoch, 7. und 8.11., R.W.), um die Lage hier aufmerksam zu beobachten und weniger zu reden. Um dann möglicherweise zu verstehen, welch katastrophalen Zerstörungen eine militärische Option anrichten würde.«

Kim Hong-Gul ist nicht ein namenloser Friedensaktivist, sondern als jüngster Sohn von Südkoreas Expräsident Kim Dae-Jung (1998-2003) darum bemüht, die damals sogenannte »Sonnenscheinpolitik« seines Vaters gegenüber dem Norden zu reaktivieren. Aus diesem Grunde engagierte er sich als Wahlkampfhelfer von Moon Jae-In, der Anfang Mai zum neuen Präsidenten Südkoreas gewählt wurde. Wenngleich Moon im Wahlkampf explizit Position gegen das in seinem Land sowie in der VR China und in Russland umstrittene moderne US-Raketenabwehrsystem Thaad bezog und ausdrücklich eine Wiederannäherung an Pjöngjang begrüßte, hielt er an allen traditionellen US-amerikanisch-südkoreanischen Manövern auch in Zeiten erhöhter Spannungen fest. Sehr zum Missfallen seiner Unterstützer, die ihm mangelnde Standhaftigkeit gegenüber Washington vorwerfen. Und gleichermaßen zum Missfallen Pjöngjangs, das Moon »Unaufrichtigkeit« attestierte.

So gedenkt denn auch der nolens volens zwischen die Fronten geratene neue Mann im Cheong Wa Dae, dem Blauen Haus und Amtssitz des südkoreanischen Präsidenten in Seoul, wie seine Vorgänger mit über 8.000 Polizisten ein martialisches Großaufgebot an staatlichen Sicherheitskräften aufzubieten, um Proteste und Großkundgebungen gegen Trump in der Nähe seiner Aufenthaltsorte zu verhindern. Die Collective Action for No Trump, ein Zusammenschluss von etwa 220 fortschrittlichen und linken Aktionsgruppen, darunter auch mit der militanten Korean Confederation of Trade Unions (KCTU) die landesweit zweitgrößte Gewerkschaftsvereinigung, haben trotzdem zu Demonstrationen aufgerufen.

Während Trump am Dienstag mit Camp Humphreys eine frisch renovierte US-Militärbasis 40 Kilometer südlich von Seoul besucht und danach mit Gastgeber Moon Jae-In konferiert, steht am Mittwoch die mit großer Spannung erwartete Rede des Staatsgasts in Südkoreas Nationalversammlung im Rampenlicht. Anders als die meisten seiner Vorgänger wird Trump die demilitarisierte Zone an der Grenze zu Nordkorea diesmal allerdings nicht besuchen – um eine zusätzliche Brüskierung zu vermeiden. Noch in der ersten Oktoberwoche hatte Trump seinen jetzigen Gastgeber der Naivität geziehen und ihm eine gänzlich untaugliche «Appeasement»-Politik gegenüber Pjöngjang vorgeworfen. »’Präsident Moon Jae-In hat auf dem Fahrersitz Platz genommen, allerdings sitzt er im falschen Auto’, sagt Park Sun-Song, Professor am Institut für Nordkorea-Studien an der Dongguk-Universität von Seoul. Der Präsident solle lieber Druck auf Washington ausüben, um die USA von ihrem Alles-oder-nichts-Kurs abzubringen, meint Park. Denn Nordkoreas Diktator werde auf gar keinen Fall einfach aufgeben. Es sei unmöglich, einen Konflikt friedlich zu lösen, wenn man dessen Ursprung nicht verstehe«.[1]

Selbst seinem eigenen Außenminister Rex Tillerson bescheinigte Trump, seine Zeit damit zu vergeuden, mit dem Regime in Pjöngjang zu verhandeln. Doch genau das, eine neuerliche Runde diplomatisch-politischer Konfliktdeeskalation, ist dringlicher denn je. Und vor allem: Es gibt da recht ansehnliche Ergebnisse, würde man sich ihrer nur erinnern. Von daher muss Donald Trump unter Totalamnesie gelitten haben, als er ebenfalls Anfang Oktober erklärt hatte, ein »viertel Jahrhundert von Verhandlungen hat zu nichts geführt«.

Erster Atomkonflikt

Bereits im Sommer 1994 hatte es zeitweilig den Anschein, als stünde die koreanische Halbinsel seit dem Koreakrieg (1950-53) erneut an der Schwelle eines militärischen Konflikts. In den Städten Südkoreas heulten in gewohnt regelmäßigen Abständen Alarmsirenen auf und wurden vermehrt Luftschutzübungen durchgeführt.

Ausgerechnet auf dem Höhepunkt dieser prekären Situation zeichnete sich – paradox wie Vieles auf der koreanischen Halbinsel – eine Entspannung mit weitreichenden Folgen ab. Erstmals seit dem Koreakrieg waren die Protokollchefs in Seoul und Pjöngjang – teils eingefädelt vom US-amerikanischen Expräsidenten Jimmy Carter – damit befasst, ein gemeinsames Treffen der damaligen Präsidenten Kim Young-Sam und Kim Il-Sung (Großvater von Kim Jong-Un) vorzubereiten. Doch just inmitten der Vorbereitungen des ersten innerkoreanischen Gipfels starb Mitte Juli 1994 plötzlich der »Große Führer« Kim Il-Sung. Hochdotierte Analysten diverser Denkfabriken von der Londoner Economist Intelligence Unit bis hin zu Experten im Washingtoner State Department wähnten Nordkorea flugs als Hort ebenso erbitterter wie unkalkulierbarer Diadochenkämpfe und prophezeiten dem Land eine rasche Implosion wie im Falle der Sowjetunion und Osteuropas.[2] Nichts dergleichen geschah. Stattdessen demonstrierte Pjöngjang aufs Neue, dass Totgesagte länger leben.

Die letztlich zur Entschärfung der Atomkrise am 21. Oktober 1994 in Genf von den USA und Nordkorea getroffene Rahmenvereinbarung (Agreed Framework) über den Stopp des nordkoreanischen Nuklearprogramms in Yongbyon sah im Gegenzug die Lieferung von zwei 1.000 Megawatt-Leichtwasserreaktoren bis zum Jahr 2003 vor. Bis zu deren Inbetriebnahme hatten sich die USA verpflichtet, an Pjöngjang jährlich 500.000 Tonnen Schweröl und Kohle im Gesamtwert von umgerechnet knapp 4,6 Mrd. US-Dollar zu liefern. Vereinbart wurde überdies die Einrichtung von Liaison-Büros in den jeweiligen Hauptstädten und die gemeinsame Suche nach den Überresten der im Koreakrieg gefallenen amerikanischen Soldaten. Aus Pjöngjanger Sicht war es von besonderer Bedeutung, qua einem Zusatzprotokoll Sicherheitsgarantien seitens Washingtons bekommen zu haben. Mit der Umsetzung der technischen und finanziellen Hilfslieferung wurde ein Jahr später das eigens zu diesem Zweck gegründete Nuklearkonsortium Korean Peninsula Energy Development Organisation (KEDO) betraut. Diesem gehörten ursprünglich die drei Gründungsmitglieder USA, Japan und Südkorea an, das als Hauptfinanzier fungieren sollte.[3] Zwischenzeitlich unterstützte u. a. auch die Europäische Atomgemeinschaft die KEDO qua Assoziierungsabkommen mit 75 Millionen Euro.

Nordkorea erhoffte sich Mitte der 1990er Jahre dringend Hilfe für die infolge verheerender Naturkatastrophen von Hungersnot geplagte Bevölkerung – eine wirtschaftlich harsche Situation, die erschwert wurde durch notorisch unausgelastete, überdies veraltete Produktionsanlagen, technologische Defizite in zahlreichen industriellen Sektoren sowie die Umstellung des Handels auf Devisenbasis mit den beiden wichtigsten Partnern und Energielieferanten Russland und der VR China.

Der Perry-Report

Wenngleich die US-Regierung unter William Clinton in unregelmäßigen Abständen den Vorwurf des »Schurkenstaats« äußerte, versuchte sie dennoch seit Ende 1994 hinter den Kulissen, einen Modus vivendi mit Pjöngjang zu finden und mittels diskreter politisch-diplomatischer Avancen das US-amerikanisch-nordkoreanische Verhältnis zu normalisieren. Ein Prozess, der in dem Maße an Konturen gewann, wie Seoul seit dem Amtsantritt Kim Dae-Jungs im Februar 1998 auf eine »Sonnenscheinpolitik« gegenüber Pjöngjang setzte. Seoul war zu der Zeit kein Befürworter der »Schurkenstaat«-Theorie. Aus pragmatischen und finanziellen Erwägungen: Seitdem nämlich klar war, welch exorbitante Kosten dem Land aufgebürdet würden, verfolgte es eine (Wieder-)Vereinigungspolitik analog dem deutschen Beispiel, zerstob die frühere Euphorie der politischen Eliten in Seoul, man werde sich aufgrund der haushohen wirtschaftlichen Überlegenheit früher oder später den Norden einverleiben können.

William J. Perry, von 1994 bis 1997 US-Verteidigungsminister und einer der Architekten des Agreed Framework, wurde im Rahmen einer intensiven Ostasien-Shuttle-Diplomatie damit betraut, Präsident William Clinton Richtlinien künftiger US-amerikanischer Nordkoreapolitik zu präsentieren. Am 12. Oktober 1999 veröffentlichte Perry seinen Bericht und kam darin zu dem Ergebnis, dass das Agreed Framework unbedingt Bestand haben müsse, wenngleich kooperative und konfrontative Elemente fortan stärker aufeinander abgestimmt sein sollten.[4] Die Bedeutung des Perry-Reports lag darin, dass er auf der Grundlage intensiver, für sämtliche Protagonisten in der Region Gesicht wahrender Gespräche verfasst wurde, die ursprünglich angenommene Prämisse eines kurz- bis mittelfristigen Zusammenbruchs Nordkoreas revidierte, Kim Dae-Jungs »Sonnenschein-« beziehungsweise Nordpolitik ausdrücklich befürwortete und das seit dem Koreakrieg wichtigste US-amerikanische Entspannungssignal aussandte. Perry selbst zeigte sich überzeugt, dass das Jahr 1999 die Perspektive einer gedeihlichen Zusammenarbeit eröffnet habe.

Konkretes Ergebnis dieses Berichts war ein für beide Seiten vorteilhaftes Arrangement; erklärte sich Nordkorea zum Verzicht weiterer Raketentests bereit, lockerte Washington im Gegenzug einige seiner Wirtschaftssanktionen und setzte sich für die Fortführung und Aufstockung von Hilfslieferungen an die Volksrepublik ein. Der an der Universität Chicago lehrende Historiker und Korea-Experte Bruce Cumings merkte dazu in einem Aufsatz an: »Die sechsmonatige Arbeit (Perrys und seiner Kollegen, R.W.) schloss mit der Empfehlung, die Verhandlungen mit Pjöngjang zu intensivieren. Der Neuansatz mündete in ein vorläufiges Abkommen über die nordkoreanischen Raketen, das den Vereinigten Staaten wie der gesamten asiatisch-pazifischen Region große Vorteile brachte. Damals schien Nordkorea bereit, die Produktion, Stationierung und Ausfuhr aller Raketen mit einer Reichweite von über 500 Kilometern einzustellen. In beiden strategischen Fragen – in der Atompolitik und bei den ballistischen Raketen – schien man einer Vereinbarung näher zu kommen.«[5]

Historischer Gipfel

Am 13. Juni 2000 gar genoss Nordkoreas politische Führung als Gastgeber des ersten innerkoreanischen Gipfels den geschichtsträchtigen Moment, dass die Staatschefs beider Teilstaaten, Kim Dae-Jung und Kim Jong-Il, per Handschlag Freundlichkeiten austauschten, über Familienzusammenführung und den Ausbau bilateraler Wirtschaftsbeziehungen redeten sowie regelmäßige Treffen der Verteidigungsminister und schließlich die gemeinsame Teilnahme ihrer Sportteams an den bevorstehenden Olympischen Sommerspielen in Sydney vereinbarten. Ein Durchbruch, der mitausschlaggebend war, Südkoreas einst prominentesten politischen Gefangenen und Staatsfeind Nummer Eins für seine seit Frühjahr 1998 vis-à-vis dem Norden praktizierte »Sonnenscheinpolitik« im Dezember 2000 mit dem Friedensnobelpreis auszuzeichnen. Da es bekanntlich mindestens zweier Parteien bedarf, um friedenstiftend zu wirken, war es pikant, dass das Nobelkomitee Kim Jong-Il außen vor ließ und ihm die eigentlich zustehende Teilehrung verweigerte. Offensichtlich galt es auch damals schon, dem nordkoreanischen Regime jedwede internationale Aufwertung vorzuenthalten.

Dennoch in seiner Politik bestärkt, suchte Pjöngjang gleichzeitig die außenpolitische Offensive und bat in diplomatischen Noten mehrere westeuropäische Regierungen um die Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen mit Nordkorea. Italien und Kanada reagierten bereits Anfang 2000 positiv, während Berlin, London, Madrid und Brüssel noch im selben Jahr solche Beziehungen als flankierende Maßnahme des seit Sommer in Schwung geratenen innerkoreanischen Entspannungsprozess binnen weniger Monate in Aussicht stellten und dies ausdrücklich auf dem dritten, vom Thema Nordkorea beherrschten Europa-Asien-Gipfels (ASEM) der Staats- und Regierungschefs der 15 EU-Länder und zehn Staaten Ost- und Südostasiens in Seoul Mitte Oktober 2000 bekräftigten. In Peking und Seoul wurde dieser Schritt ausdrücklich begrüßt.

Überhaupt war damals auch und gerade von europäischer Seite weitaus mehr Präsenz in der Region spürbar als in den vergangenen Jahren. Auf dem ASEM-Gipfel herrschte Zustimmung zur Politik Kim Dae-Jungs. Und Anfang Mai 2001 erfolgte sogar der Besuch einer hochrangigen Delegation der Europäischen Union unter Leitung des damaligen schwedischen Ministerpräsidenten und EU-Ratsvorsitzenden Göran Persson in Nord- und Südkorea. Eine Goodwill-Geste, die insbesondere von Pjöngjang genutzt wurde, erweiterte Kooperationsbereitschaft zu signalisieren. Zweifelloser Höhepunkt der Pjöngjanger Außenpolitik und Diplomatie war der Besuch von US-Außenministerin Madeleine Albright am 23. und 24. Oktober 2000, womit erstmals in der Geschichte beider Länder ein derart hochrangiges Mitglied der US-Regierung in der Volksrepublik weilte.

Zerdeppertes Porzellan
Was zu Beginn des Jahres 2001 vielversprechend auf einen kontinuierlichen Entspannungsprozess auf der koreanischen Halbinsel hindeutete, wurde mit dem Amtsantritt George W. Bushs polternd beiseitegeschoben. Selten ist ein offizieller Staatsgast dermaßen brüskiert worden, wie das Anfang März 2001 Kim Dae-Jung widerfuhr.

Anlässlich dieses ersten Staatsbesuchs eines asiatischen Regierungschefs beim neuen republikanischen Chef im Weißen Haus nannte Präsident Bush Nordkorea am 7. März 2001 ohne Umschweife einen »Bedrohungsfaktor in Ostasien«, mit dem weitere Gespräche ausgesetzt und erst nach einer kompletten Neubestimmung US-amerikanischer Asienpolitik eventuell wieder aufgenommen würden. Als er dann auch noch den innerkoreanischen Dialog in Zweifel zog und signalisierte, die USA würden dessen Unterstützung einstellen, ließ das den südkoreanischen Staatsgast als naiven Eiferer und seine Entourage wie begossene Pudel dastehen. Noch einen Tag zuvor, am 6. März, hatte der neue Außenminister Colin Powell den noch zuversichtlich gestimmten Gästen aus Seoul versichert, sein Land werde die »vielversprechenden Elemente« der Nordkorea-Politik seiner Vorgängerin weiterführen.

So schlug die US-Regierung mit Blick auf Nordkorea eine Tür zu, für deren Öffnung es eines sensiblen und dauerhaften politisch-diplomatischen Engagements bedurft hatte. Gerade ein Jahr im Amt, brandmarkte Präsident Bush die Volksrepublik nebst Irak und Iran international als Teil einer ominösen »Achse des Bösen«, die es zu zertrümmern galt. Die von US-Truppen geführte Irak-Invasion mit dem unmissverständlichen Ziel, dort gewaltsam einen Regimewechsel herbeizubomben, ließ in Pjöngjang die Alarmglocken lauter denn je schrillen. Seitdem setzt die politische Führung der Volksrepublik sehr rational sowie aus Gründen systemimmanenter Logik und des schieren Überlebens willen auf das, was sie als »größtmögliches Abschreckungspotenzial« bezeichnet.

Erst die imperiale Großmachtpolitik der USA und deren mehrfaches Brechen von Zusagen und Versicherungen führten zu jener Konflikteskalation, die seit dem Amtsantritt von Präsident Donald Trump die Situation auf der koreanischen Halbinsel in besonderem Maße auszeichnet. Eigentlich höchste Zeit, das seit dem Ende des Koreakriegs am 27. Juli 1953 existierende Waffenstillstandsabkommen nach 65 Jahren endlich in einen Friedensvertrag zu überführen.[6]


[«1] Martine Bulard: „Nordkorea: Angst und Gebrüll – Soll die Welt Nordkorea als neunte Atommacht akzeptieren?, in: Le Monde diplomatique (dtsch. Ausg.) vom 12.10.2017, S. 1 & 8, Berlin/Zürich.

[«2] Im Dezember 1996 ging der damalige CIA-Direktor John Deutch vor dem Geheimdienstausschuss des US-Senats von folgendem Dreier-Szenario aus, das binnen der nächsten zwei oder drei Jahre entschieden würde: a) Nordkorea marschiert entweder in den Süden ein und es kommt erneut zu einem Krieg; b) oder das Land kollabiert bzw. implodiert wegen seiner immensen Wirtschaftsprobleme oder c) es kommt irgendwann zu einer friedlichen Regelung und Wiedervereinigung mit dem Süden – „CIA chief says N. Korea future clear within 3 years“, Reuters, 11. Dezember 1996.

[«3] Zur Geschichte des Siechtums und schließlichen Scheiterns der KEDO s. Knut Mellenthin: „Weder Krieg noch Frieden“, in: Junge Welt vom 19.9.2017.

[«4] „Review of United States Policy Toward North Korea: Findings and Recommendations”. Unclassified Report by Dr. William J. Perry, U.S. North Korea Policy Coordinator and Special Advisor to the President and the Secretary of State, Washington, DC, October 12, 1999, 11 S.

[«5] Bruce Cumings: „Kehrtwende in den USA: Washingtons Spannungspolitik in Ostasien“, in: Le Monde diplomatique (dtsch. Ausg.), Berlin/Zürich: Mai 2001, S. 5.

[«6] Unterzeichnet wurde das am 27. Juli 1953 zur Beendigung des Koreakrieges in Panmunjom vereinbarte Waffenstillstandsabkommen lediglich von Nordkorea, der VR China und den beiden US-Generälen William K. Harrison und Mark W. Clark im Auftrag der Vereinten Nationen, die im Koreakrieg de jure als multilateraler Schirm der US-Intervention fungieren sollten, de facto allerdings dem US-Kommando unterstellt blieben – sehr zum Verdruss des damaligen UN-Generalsekretärs Trygvie Lie. Südkoreas damaliger Präsident Rhee Syngman verweigerte nicht nur die Unterzeichnung des Abkommens, er wollte sogar den Krieg fortsetzen. Erst als Washington einem bilateralen Sicherheitspakt zustimmte, sein in Südkorea stationierter Oberbefehlshaber des Hauptquartiers der vereinigten amerikanisch-südkoreanischen Streitkräfte im Ernstfall auch die Kommandogewalt über die südkoreanischen Truppen erhielt und Seoul beträchtliche Wirtschafts-, Finanz- und Militärhilfe in Aussicht stellte, erklärte sich Rhee zur Respektierung der Waffenstillstandsklauseln bereit.


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